Читать книгу Wolfes Schuld - Kristin Veronn - Страница 7

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Rees horchte auf. Geduckt hockte er neben einem Dornbusch und ließ den Blick langsam über die Umrisse des nächtlichen Waldes gleiten. Eine Weile betrachtete er wachsam, wie das Licht des Mondes silbrig zwischen den schwarzen Stämmen zerfloss. Nur leichtes Wispern drang an sein Ohr, ein milder Nachtwind, der in den kahlen Wipfeln einen langen, harten Winter verabschiedete. Keinerlei Bewegung war zwischen den Bäumen erkennbar, keine Veränderung der Schatten, und so richtete er seine Aufmerksamkeit erneut auf das warme, weiche Fell in seiner Hand.

Dem Kaninchen wäre die Flucht fast gelungen, hätte es das Gebüsch frühzeitig erreicht, aber der Schuss eines walisischen Bogenschützen war schnell, präzise und hart. Vorsichtig zog Rees den Pfeil aus dem leblosen Leib, säuberte die Holzspitze mit feuchtem Laub und band die Hinterbeine zusammen, damit er das Tier an seinem Beutestock befestigen konnte. Den Pfeil steckte er zurück in ein Sackleinen, das unter dem dunklen Umhang auf seinen Rücken gebunden war. Ohne einen Laut nahm er den Jagdbogen vom Boden auf und erhob sich, wobei die erlegten Tiere an dem Stock über seiner Schulter baumelten. Für einige Mahlzeiten würde es reichen. Zur nächsten Jagd würde er wieder im fahlen Grau des Morgens aufbrechen müssen, der Mond wäre dann nicht mehr hell genug. Doch am liebsten jagte er in wolkenlosen Vollmondnächten, denn es verbesserte Augenmerk und Treffsicherheit, zudem blieb er meist für sich.

Als Rees das Geräusch ein weiteres Mal vernahm, war sein Gehör darauf vorbereitet. Instinktiv drehte er den Kopf in jene Richtung, aus der es zu kommen schien. Im Gegensatz zu den vertrauten Klängen des Waldes erregten die Laute seine Besorgnis; er wähnte sich nicht länger allein. Anfangs schlug Rees den Weg nur zögernd ein. Geächtete trieben in den Wäldern ihr Unwesen und stets bestand Gefahr, dem eigenen Unheil in die Arme zu laufen; manche waren zu Unrecht verstoßen und harmlos, andere waren brutale Diebe und Mörder. Jedoch zog ihn ein eigenartiges Gefühl dorthin, fern gewöhnlicher Neugier, ein Gefühl stärker als seine Besonnenheit. Schritt für Schritt, mit den geduldigen Bewegungen eines Jägers, setzte Rees die Sohlen kaum hörbar zwischen Laub und morsche Zweige. Bisweilen drangen die Laute jedes Mal ein wenig deutlicher an sein Ohr und vergewisserten ihm den Weg. Bald hatte er den Rand einer vertrauten Mulde erreicht, wo der Mondschein freie Sicht über dicht stehende Büsche und wucherndes Brombeergestrüpp gewährte.

Inmitten dieser Senke stand ein weißes Reitpferd von enormer Größe, prachtvoll aufgezäumt und zum Ritt gesattelt, und tänzelte vor einem niedrigen Busch unruhig hin und her. Gelegentlich wieherte es oder schnaubte leise, entfernte sich jedoch nicht von jener Stelle. Im farblosen Licht der Nacht waren die Wappenfarben der Satteldecke nicht eindeutig zu benennen, aber Rees glaubte zu wissen, dass es die Livree von Cyfrinshire war. Für einen Moment blieb er reglos und lauschte im Schutze der nahestehenden Bäume. Da er kein Anzeichen von Bedrohung erkennen konnte, rutschte er leise über den niedrigen Abhang und schritt vorsichtig auf das Ross zu. Möglicherweise war es schlicht davongelaufen.

Wie er sich näherte, entdeckte Rees im Unterholz, unmittelbar neben dem Pferd, den Körper eines großen, stattlichen Mannes. Leblos auf dem Rücken, mit schreckgeweiteten Augen lag er da, niedergestreckt von einem Dolch, der seitlich tief in seinen Hals getrieben war. Es musste bereits einige Zeit vergangen sein, seit er dem qualvollen Tod erlegen war, der Hieb war schlecht gesetzt und das Blut bereits eingetrocknet. Am Wappen des silbernen Drachens auf der blau-weißen Tunika, die der Tote über dem Kettenhemd trug, war der Mann eindeutig als Gefolgsmann des Grafen zu benennen, und der kostbaren Stickerei nach zu urteilen handelte es sich um einen Ritter von hohem Stand. Mantel und Schwert jedoch fehlten, und äußerst seltsam bei dem blutigen Anblick, fast lächerlich neben all der Grausamkeit, war der Umstand, dass der untere Leib des Mannes entblößt war; die Beinkleider waren heruntergelassen und hingen lose um seine Fußgelenke. Als Rees ein weiteres Mal in das vom Tode verzerrte Gesicht blickte, erkannte er darin den Befehlshaber der Stadtwache von Castellyn, Sir Vance von Carreglas. Unversehens durchfuhr kaltes Grauen sein Herz. Wenn Rees hier, bei dem Toten, gefunden würde, drohte ihm der Strang. Niemals würde er beweisen können, dass nicht er der Meuchler war. Womöglich waren bereits Reiter ausgesandt, den Hauptmann zu suchen, die Straße nach Castellyn verlief nicht fernab.

Trotz aller Furcht, die ihn ergriffen hatte, befahl Rees sich, Ruhe zu bewahren. Keinesfalls durfte er davonlaufen, sondern musste lautlos davonschleichen wie er gekommen war. Mittels starker Anspannung versuchte er, die Heftigkeit seines Atems zu zügeln. Vorsichtig schaute er nach allen Seiten, um sicher zu gehen, dass er nicht beobachtet wurde. Dabei entdeckte er das Schwert zuerst. Nur wenige Schritte abseits, auf der durch Schatten verdunkelten Seite, lag es mitsamt Ledergurt auf dem achtlos ins Laub geworfenen Mantel. Und dann sah er sie.

Um es sich leicht zu machen, hatte ihr Peiniger die junge Frau zu Beginn der Tortur an einen verrottenden Baumstamm gebunden, die Arme weit nach hinten über den Kopf gestreckt. Ihre Kleider waren längs über Brust und Bauch aufgeschlitzt, sauber geführt mit Schwert oder Dolch, wobei die scharfe Spitze der Waffe dunkle Schnitte in ihrer weißen Haut hinterlassen hatte. Rees ahnte, wie schwer sie geprügelt und durch das Unterholz geschliffen worden sein musste. Der Stoff und das lange, wellige Haar waren verdreckt mit Laub und Erde und unter dem völlig zerzausten Schopf war ihr kleines Gesicht kaum mehr zu erkennen, so stark war es durch Prellungen geschwollen.

Doch irgendwann, nach einer Vielzahl vergeblicher Versuche, Gegenwehr zu leisten, hatte sich eine der Fesseln gelöst. Wie auch immer es geschehen sein mochte, alles wies darauf hin, dass sie den Ritter eigenhändig erdolcht hatte. Nun lag die Frau leblos, die angewinkelten Beine zur Seite gedreht. Bevor sie das Bewußtsein verlor, hatte sie wohl noch versucht, mit dem zerfetzten Stoff ihren geschändeten Unterleib zu bedecken.

Aufgebracht lief Rees zu ihr, schnitt mit seinem Messer den Hanfstrick vom anderen Handgelenk und legte den kalten Arm behutsam neben ihren Leib. In seinem Tun spürte er, wie unbändige Wut seine Kiefer schmerzhaft aufeinander presste, nur stoßweise vermochte er Luft zu holen. Über ihr Gesicht gebeugt konnte er kaum den schwachen Atem vernehmen, da rasender Herzschlag ihm das Blut durch die Adern peitschte und dröhnend in seinem Kopf pochte. Der Zwang, wieder und wieder zu schlucken, verdorrte ihm die Kehle und hallte knirschend in seinen Ohren wider. Kaum zwei Winter waren vergangen, seit Rees fernab von Wales Ähnliches erlebt hatte. Damals war alle Hoffnung verloren gewesen. Rees löste den Mantel von seinen Schultern und bedeckte die schwer verletzte Frau, derweil er fieberhaft überlegte, wie er sie fortbringen würde. Tragen konnte er sie nicht, dafür lag sein Hof zu weit entfernt. Sein Blick fiel auf das weiße Pferd. Die Überlegung ließ ihn unschlüssig zum Himmel aufschauen, wo der auffrischende Wind helle Wolken vor sich hertrieb, die zuweilen den Mond verdunkelten. Trotz der unausweichlichen Gefahr, entdeckt zu werden, entschied Rees noch im selben Atemzug, zu reiten.

Der Tote durfte jedoch nicht offen liegen bleiben. Kurzerhand blieb nur, ihn im Gebüsch zu verbergen. Dies war recht unzulänglich, aber zumindest flüchtige Blicke würden darüber hinwegsehen. Vom schamlosen Anblick derart anwiderte, dass er würgen musste, zerrte Rees dem Kerl noch die Hosen über die Blöße, bevor er den schweren Leib in das dichte Gestrüpp zog. Dornen rissen am Stoff seiner Kleider und zerkratzten ihm Gesicht und Hände, als wollten sie ihn von der ruchlosen Tat abbringen. Als der tote Körper ausreichend verborgen schien, verwischte Rees grob die auffälligsten Spuren und erschauderte unter dem Schweiß heftigster Anstrengung, zugleich ihm die feuchtkalte Witterung allmählich in die Glieder kroch.

Zweifelnd blickte Rees auf die wertvolle Habe des Ritters. Ohne Zögern nahm er zuerst den Gurt des Schwertes und schlang ihn um seine Hüften. Die Waffe selbst wog schwer in seiner Hand, wie er sie aufhob und zurück in die lederne Scheide steckte. Danach überlegte er, ob es klug wäre, den fremden Mantel an sich zu nehmen. Gleichwohl entschied er sich dafür. Er benötigte dringend Schutz vor Kälte und Regen und der dunkle Wollstoff seiner knielangen Tunika würde nicht genügen. Zwar war der schwarze Umhang aus edlem Stoff gefertigt, dennoch unauffällig, bis auf die glänzende Fibel, deren gebogenes Silber kunstvoll gearbeitete Ornamente zeigte.

Indes er sich den Wollmantel über die Schultern warf, kreisten seine Gedanken längst darum, wie er die Frau auf das mannshohe Ross bringen konnte. Der prunkvolle Ledersattel erwies sich als Hindernis, zu zweit konnten sie in der Schalung nicht aufsitzen. Rasch löste Rees die Schnallen und verbarg ihn neben dem Toten im Gestrüpp. Nachfolgend schien es unmöglich, mit der Frau über der Schulter von unten aufzusteigen. Nach einigen Überlegungen lenkte er das Tier zu ihr herüber und band es an einen dünnen Baumstamm. Danach nahm er seinen Mantel von ihr, breitete ihn daneben aus und schob behutsam die Arme unter ihren Körper. Bestürzt stellte er fest, wie dunkel das Laub, in dem sie gelegen hatte, von Blut verfärbt war, und sah, dass ein tiefer Schnitt im Fleisch ihres Oberschenkels klaffte. Kurz versagten ihm die Beine, der Jammer zwang ihn auf die Knie; einen Moment schloss er die Augen und verharrte. Als die Kraft in sein Herz zurückkehrte, schnitt er behende aus dem Linnen ihres weniger verschmutzen Unterkleides einen langen Streifen und legte damit einen strammen Verband um die blutende Wunde. Hiernach hob er die Frau sacht auf den groben Stoff seines Umhangs und wickelte sie fest in das Wollvlies. Trotz all seines Tuns gab sie keinen Laut von sich; er musste sich beeilen.

Nachdem Rees das große Bündel vom Boden auf seine Arme genommen hatte, kostete es ihn einige Kraft, die Frau darin vorsichtig über seine Schulter zu legen, da sie schwerer wog als erwartet. Das Pferd blieb erstaunlich gefügig, sodass er mit sanften Griffen den schlaffen Körper bäuchlings über den breiten Rücken des Tieres wuchten konnte. Anschließend führte er es am Zügel zu einer Anhäufung flachen Gesteins, aus deren Höhe er hinter ihr aufsteigen konnte, und nutzte diese wie eine Treppe. Umsichtig stieg er auf das Pferd, drehte die Frau auf den Rücken und zog ihren Oberkörper hoch. Erstmals gab sie ein leises Stöhnen von sich, sogar ihr Atem war in der Wärme des Mantels zu einem Röcheln geworden. Ihr Kopf sank gegen seine Schulter, einen kurzen Augenblick betrachtete er liebevoll das kleine, gequälte Gesicht. Um sie zu versorgen, würde er Hilfe brauchen. Doch ins Dorf zu Almina wollte er sie nicht bringen. Er würde die alte Kräuterfrau zu seinem Haus holen. Indem er dem folgsamen Tier die Fersen in die Flanken drückte, setzten sie sich mit ruhigem Schritt in Bewegung.

Feiner Regen fiel herab, als Rees das Pferd auf unsichtbaren Pfaden durch den Wald führte. Die Hauptstraße Richtung Castellyn musste er meiden, obgleich es länger dauern würde. Nur auf Umwegen bestand die geringe Aussicht, unbehelligt bis zum östlichen Rand des alten Steinwaldes zu gelangen. Zu jener Stelle, etwas abseits des Dorfes Hencod, wo hinter einem Hügelkamm sein kleiner Hof lag, etwa zehn Morgen gutes Ackerland. Bis dorthin waren es noch einige Meilen. Erleichtert stellte er fest, dass der Vollmond nunmehr gänzlich hinter einem dichten Wolkenband verborgen blieb. Das helle Roß zu reiten war riskant, als trüge er eine Fackel in der Hand. Bedrückt zog er sich die Kapuze über den Kopf. Anderes als Vertrauen in das Schicksal zu haben, blieb ihm nicht.

Einzig die Finsternis war jetzt seine Verbündete.

Wolfes Schuld

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