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6. neue und alte verbündete

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Fliehen ist einfacher als kämpfen. Beim Taekwondo gewinne ich meine Kämpfe, weil ich meine Gegner und ihre Schwachstellen kenne. Weil ich die Schritte und meine Tritte beherrsche. Doch wenn man nicht weiß, wer der Feind ist, wenn man seinem eigenen Verstand nicht mehr trauen kann, dann erstarrt man und kann die einfachsten Bewegungen nicht mehr ausführen. Man fühlt sich nicht mehr in der Lage zu kämpfen, obwohl man sein ganzes Leben lang dafür trainiert hat.

- aus den Erkenntnissen einer Seele -

»Wir müssen reden.«

Kaum hatte ich Mia zurückgetextet, dass ich noch lebte, aber für einige Wochen wegen eines gebrochenen Beines nicht mehr zum Taekwondo kommen würde, da stand Milan in der Tür.

»Worüber?«, fragte ich und blickte von meinem Handy auf.

Der blonde Mann, von dem ich im Grunde nichts wusste, außer dass er ein Bekannter von Ewan war und mit ihm das gleiche untote Schicksal teilte, kam auf mich zu und blieb vor dem Bett stehen. Aus grünen Augen musterte er mich so eindringlich, dass ich den Rücken durchdrückte und die Schultern straffte. Unverwandt starrte ich zurück.

»Darüber, was in den letzten Tagen passiert ist und was dein blonder Freund damit zu tun hat«, antwortete er.

Er meinte offensichtlich Falk. Ein Thema, über das zu plaudern ich nicht gerade erpicht war. Woher wusste er überhaupt von ihm?

»Frag doch deinen Kumpel Ewan, was er in seinem Landhaus mit mir vorhatte. Und Falk ist nicht mein Freund. Er ist ein Kommilitone und ich hatte keine Ahnung, dass er bereits das Zeitliche gesegnet hat. War’s das? Ich hätte gern etwas Privatsphäre. Danke für deine Gastfreundschaft, aber ich kenne dich nicht und habe dich nicht darum gebeten, hier zu sein.« Ich lächelte übertrieben freundlich und hoffte, er würde mich jetzt allein lassen.

Aber nein. Er setzte sich stattdessen neben mich auf das Bett. Ich stöhnte und verdrehte die Augen. Was war nur los mit den Leuten? Ich brauchte dringend etwas Zeit für mich, um all meine Möglichkeiten abzuwägen und wieder zur Ruhe zu kommen. Ich fühlte mich wie ein gejagtes Kaninchen, das in die Ecke gedrängt wurde.

»Was wollte dieser Falk von euch?« Milan überging meinen Wunsch einfach.

»Wie oft soll ich das noch sagen? Ich weiß es nicht.« Und ich wollte es nicht einmal wissen. Ich wollte weder wissen, warum er gelogen, noch warum er mich gezeichnet hatte. Was ich wollte, war, ihn aus meinem Gedächtnis zu streichen. Ich wünschte, ich hätte ihn niemals kennengelernt.

»Er ist euch nicht ohne Grund gefolgt, Kiara.«

Ich presste die Lippen zusammen. Dachte Milan, ich wüsste das nicht? Natürlich hatte Falk einen hinterhältigen Plan verfolgt, wenn er mir vorgespielt hatte, ein ganz normaler Mensch zu sein. Er hatte vermutlich von vornherein gewusst, was Ewan war – noch bevor ich es erfahren hatte! Er hatte sogar gewusst, dass ich mit ihm verbunden war. Er hatte alles gewusst.

»Warum musste Ewan bloß mein Blut trinken?«, fauchte ich, mehr zu mir selbst, als dass ich eine Antwort von Milan erwartete. Die Antwort kannte ich bereits und niemand konnte mehr etwas daran ändern. Damit hatte alles angefangen und jetzt steckte ich in dem Schlamassel.

»Immer noch sicher, dass ich ihm nicht sagen soll, dass du hier bist?«, fragte Milan in sanfterem Tonfall.

Ich schüttelte den Kopf. Mir war klar, dass ich es nicht ewig vor mir herschieben konnte, doch ich war noch nicht bereit, ihn wiederzusehen. Seit jener Nacht, in der Ewan mir die Wirklichkeit gezeigt hatte, in der ich ihn mit Elaia gesehen und in der Falk sein wahres Gesicht offenbart hatte, war mir alles zu viel.

»Manchmal kommt es nicht darauf an, ob du Angst hast«, sagte Milan, als habe er meine Gedanken gelesen. »Es ist egal, wie sehr du dich fürchtest oder wie gern du dem Schrecken aus dem Weg gehen möchtest. Denn die Gewissheit, dass er dich irgendwann einholt, fordert von dir, dich der Angst zu stellen. Es ist egal, wie weit oder schnell du zu rennen vermagst, irgendwann wird die Flucht ihr Ende finden.«

Irgendwann wird sie das, ja. Ich schluckte eine sarkastische Antwort hinunter. Denn auch wenn sich sein Rat wie ein Spruch aus einem Glückkeks anhörte, war in ihm mehr Wahrheit enthalten, als ich im Moment ertragen konnte.

»Ich habe keine Angst vor Ewan«, war alles, was ich dazu sagen konnte.

»Okay.« Milan nickte, auch wenn er nicht überzeugt schien. Er wartete, ob ich noch etwas zu dem Thema loswerden wollte, vielleicht wartete er auch auf einen Schwall Fragen, doch ich schwieg und starrte stattdessen auf den Laminatboden.

»Weißt du denn, wo dieser Falk ist?«, wollte Milan schließlich wissen. »Ich würde gern mit ihm reden.«

Wieder schüttelte ich den Kopf, dann räusperte ich mich. Ein bisschen Kooperation hatte Milan wohl verdient. »Ich kann dir seine Adresse geben. Vielleicht ist er ja nach Hause zurückgekehrt, obwohl ich das nicht glaube.«

»Okay. Das wäre zumindest ein Anfang.« Milan erhob sich und zog ein Smartphone aus seiner Hosentasche. »Tipp sie ein.«

Als Milan aus dem Zimmer ging, starrte ich ihm noch eine gefühlte Ewigkeit lang nach. Vielleicht hätte ich doch mehr sagen sollen. Vielleicht hätte ich ihn mehr fragen müssen. Meine Hand fuhr automatisch zu meinem rechten Unterarm. Mittlerweile war der November angebrochen, blieben nur noch etwa fünf Wochen bis zum 12.12.

Hätte ich ihm die Zahlen zeigen sollen? Ihm von meinem Traum erzählen sollen, in dem er mir das Tattoo gestochen hatte? Ihm sagen sollen, dass Falk von einer Apokalypse gesprochen hatte? Vor den Gesandten und Verdammten mochte man ja fliehen können – doch vor dem Weltuntergang konnte man nicht davonlaufen.

***

»Schlecht geschlafen?«, fragte Milan am Frühstückstisch.

Mittlerweile war die dritte Nacht in diesem Haus vergangen. Und der gefühlt hundertste Traum von Falk. Ich wollte nichts weiter als ihn zu vergessen, aber mein Unterbewusstsein hatte offenbar andere Pläne.

»Diese Träume bringen mich noch um den Verstand«, murmelte ich und bestrich mein Croissant mit Erdbeerkonfitüre.

»Welche Träume?«, schaltete sich Paige neugierig ein. Wir hatten uns zwar nicht vertragen, aber ich hatte aufgehört, sie zu ignorieren und zu beleidigen. Streit war kräftezehrend und ich brauchte meine Kräfte für anderes.

Ich seufzte und biss in das frische Croissant. Eigentlich wollte ich nicht über meine Träume reden, aber vielleicht steckte irgendetwas Übernatürliches dahinter und die beiden konnten mich aufklären. Es ist hundertprozentig etwas Übernatürliches. Mein Traum von dem Tattoo und der Traum von meinem Autounfall sind schließlich auch mehr als bloße Träume gewesen, erinnerte ich mich selbst. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass ich keine normalen Träume hatte wie normale Menschen.

Ich stöhnte frustriert auf und beschloss, die Karten auf den Tisch zu legen. »Ich träume von Falk. Jede einzelne Nacht. Außer, als er neben mir geschlafen hat in der Hütte … obwohl …« Ich brach mitten im Satz ab. In der Nacht in der Hütte hatte ich auch etwas geträumt, etwas Heißes, aber ich wusste nicht, wer der männliche Part gewesen war … es hätte also genauso gut auch Falk sein können. Das hieße dann, dass ich seit geraumer Zeit jede verdammte Nacht von ihm träumte. Shit.

»Seit wann geht das so?«, fragte Milan, die Stirn grübelnd in Falten gelegt. Zumindest zog er mich nicht damit auf, das war schon einmal ein Pluspunkt für ihn. Ewan hätte bestimmt dumme Witze darüber gerissen, dass ich ständig von Falk träumte.

»Ich weiß nicht. Seit zwei, drei Wochen vielleicht«, gab ich zu und legte das angebissene Croissant ab. Ich hatte keinen Appetit mehr. Jeder Gedanke an diesen Typen verursachte noch immer Übelkeit in mir. Ich hatte ihn um Hilfe gebeten, ich hatte nachts schutzlos neben ihm gelegen, wir hatten uns geküsst – und dabei wusste ich gar nicht, wer oder was er war.

»Hey, du solltest ein wenig essen«, meinte Paige fürsorglich, doch ich schüttelte den Kopf.

»Ich habe eine Theorie«, sagte Milan. Über den Tisch hinweg beobachtete ich, wie er einen vorsichtigen Schluck von seinem heißen Kaffee nahm. »Bezüglich deiner Träume.«

»Und die wäre?« Für jede logische Erklärung wäre ich dankbar, denn wenn ich erst die Ursache kannte, konnte ich auch nach einer Lösung suchen.

»Wir wissen, dass Ewan dich von deinem rechten Weg geführt hat, er hat deinen Kreislauf verändert. Was wäre, wenn du in deinem ursprünglichen Kreislauf mit diesem Falk zusammen gewesen bist? Hundertmal, tausendmal. Dann wäre es nur logisch, dass deine Seele sich nach ihm sehnt und ihn quasi zurückfordert.«

Dass meine Seele sich nach ihm sehnt.

Könnte das sein? In welchem Leben bitteschön sollte ein Mädchen wie ich mit einem Kerl wie Falk zusammen sein? Er war doch gar nicht mein Typ. Wieso sollte ich in all meinen früheren Leben mit ihm zusammen gewesen sein? Ihn geheiratet haben. Ich glaubte, mein Frühstück käme mir jeden Moment wieder hoch.

»Ich gehe in mein Zimmer, wir sehen uns später«, presste ich heraus und stand auf.

»Hey!«, rief Paige mir nach, doch ich blieb nicht stehen. Ich flüchtete aus der Küche, als würde jedes weitere Wort zu dem Thema die Sache nur realer machen. Es reichte, dass mein Herz sich immer noch nach einem anderen Mann verzehrte – die Sehnsucht nach Falk hatte mir gerade noch gefehlt.

In meinem Zimmer ging ich auf und ab, band meine langen Haare zu einem Zopf zusammen und biss auf meinen Fingernägeln herum – sie nahmen noch schlechtere Ausmaße an als zu dem Zeitpunkt, an dem Milan mich im Wald aufgegabelt hatte. Seiner Theorie zufolge war ich also weit davon entfernt, mein Leben wieder auf die Kette zu kriegen. Wieso mussten Milans irrsinnige Theorien auch stimmen? Wütend blickte ich auf meine abgeknabberten Nägel. Ich sollte mir nachher dringend eine Maniküre gönnen. Was ich nicht sollte, war, mich mit Fragen zu quälen, auf die ich ohnehin keine Antwort bekam. Wo Falk wohl in diesem Moment war? Ob er mich suchte?

Es gab nur eine Möglichkeit, wie ich meiner Verzweiflung Luft machen konnte.

Ich zog meine Sportsachen an und lief die Treppe hinunter ins Kellergeschoss. Es hatte wohl seine Vorteile, so reich wie Milan zu sein. Er hatte – neben einem riesigen Pool im riesigen Garten – auch einen eigenen Fitnessraum, den er mir gestern gezeigt hatte. Da ich es gewohnt war, beim Kampfsport meinen Frust herauszulassen, hatte ich den Boxsack direkt ins Herz geschlossen.

Nun trat und schlug ich auf ihn ein, bis ich am ganzen Körper schwitzte. Die Kraft meiner Schläge ließ meine Muskeln vor Anstrengung brennen, doch anstatt einen Gang runterzuschalten, steigerte ich mein Tempo. Links, rechts, links, zweimal rechts, ducken, treten. Die mechanischen, schnell aufeinanderfolgenden Bewegungen ließen mich für ein paar Minuten vergessen, bis der Durst mich zum Aufhören zwang. Warum hatte ich mir bloß keine Wasserflasche mit hinuntergenommen?

Ich zog die Boxhandschuhe aus und fuhr mir mit den Händen über das erhitzte Gesicht. Ich brauchte Wasser. Und eine kalte Dusche. Danach würde die Welt zumindest für ein paar Stunden wieder in Ordnung sein.

Ich befand mich gerade auf der Treppe zurück ins Erdgeschoss, als ich Milans Stimme von oben hörte.

»Ja, sie ist bei mir.«

Schlagartig blieb ich stehen und presste mich mit dem Rücken ans Geländer. Oh bitte, lass ihn nicht das mit dem Satz gemeint haben, was ich befürchte. Bitte lass ihn über Paige reden. Oder ein neues Haustier, das er sich angeschafft hat.

»Sie will dich nicht sehen, Ewan.«

Oh, fuck! Also ging es doch um mich. Beim Klang seines Namens sprang mir das Herz fast aus der Brust. Warum war auf keinen Mann der Welt mehr Verlass? Warum konnte Milan nicht einfach seinen beschissenen Mund halten? Waren alle Verdammten etwa auch gleichzeitig Verräter? Ich war so wütend auf ihn, dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht hochzustürmen, ihm das Telefon aus der Hand zu reißen und es gegen die Wand zu donnern.

»Sie ist bei mir in Sicherheit, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

Sorgen und Ewan? Ja, klar.

»Wo bist du?«

Das wüsste ich auch gerne. Danach wurde Milans Stimme jedoch leiser, weil er sich in einen anderen Raum bewegte. Vorsichtig ging ich die restlichen Stufen hinauf, sah mich im Eingangsbereich um und rannte dann in den ersten Stock. Mein Durst war vergessen. Ich hatte genug gehört, um von hier abhauen zu müssen. Ewan wusste, wo ich war, und das hieß, er würde hierherkommen. Vermutlich mit Falk im Schlepptau.

In Rekordgeschwindigkeit packte ich meine Sachen zusammen und schlich mich aus dem Zimmer. Die Treppe lief ich auf Zehenspitzen hinunter, trotzdem knarzte eine Stufe und ich hielt augenblicklich die Luft an. Ich wollte gar nicht daran denken, dass Milan mich erwischen könnte. Als ich nichts hörte, setzte ich mich wieder in Bewegung. Ich schlüpfte durch die Haustür und zog sie so behutsam ich konnte hinter mir zu. Die Kälte schlüpfte unter meinen Pullover, streifte meine warmen Wangen. In der Einfahrt angekommen, blickte ich mich alle zwei Sekunden nach hinten um, aus Angst, Milan würde jeden Moment hinter mir auftauchen. Stattdessen kam die Gefahr von der anderen Seite.

Ich wandte den Kopf gerade wieder in Laufrichtung, als ich beinahe mit Paige zusammenstieß. Sie war aus einem kleinen roten PKW gestiegen und sah mich verwirrt an.

»Was machst du hier?«, fragte sie. »Warum schwitzt du so?«

»Ich muss weg, bitte halte mich nicht auf.«

Überrascht weitete sie die Augen. Ob darüber, dass ich abhauen wollte, oder über die Tatsache, dass ich zum ersten Mal ‚Bitte’ gesagt hatte, war fraglich.

»Wohin willst du? Du kannst doch nicht einfach abhauen!«

»So weit weg, wie es nur geht.« Erneut drehte ich mich nach hinten um, doch die Haustür blieb geschlossen.

»Warum?« Sie schien völlig überrumpelt von meiner Entscheidung.

Ich brauchte nur ein Wort zu sagen. »Ewan.«

Sie biss sich auf die Lippe. »Er kommt her?«, flüsterte sie und sah sich zu allen Seiten um, als befürchte sie, er lauere hier bereits irgendwo. Was ich nicht einmal ausschließen würde.

Ich nickte schnell, wollte gerade an ihr vorbeieilen und hoffen, dass sie mich gehen ließ, als sie mich am Arm festhielt. »Paige, bitte …«

Doch sie ließ mich nicht ausreden, sondern zog mich zu dem roten Wagen. »Steig ein. Ich fahr dich.«

Verwundert blieb ich vor der Beifahrertür stehen, während Paige bereits ums Auto herumeilte. War das ihr Ernst?

»Muss ich dir das zweimal sagen?«, fragte sie, als sie sich mit wehender roter Mähne hinters Steuer setzte.

Ich blinzelte, fasste mich wieder und öffnete die Wagentür. Dass diese junge Frau mir irgendwann tatsächlich noch eine Hilfe sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ehe ich eine Antwort gefunden hatte, rasten wir bereits Richtung Autobahn.

»Milan wird nicht erfreut sein«, gab ich irgendwann von mir, als die Stille selbst mir zu drückend wurde. Paige erwartete offensichtlich ein Dankeschön oder eine Entschuldigung, vielleicht auch nur ein nettes Mädelsgespräch, doch ich konnte mit nichts davon dienen.

»Sisters before Misters«, antwortete Paige, ohne von der Straße zu sehen, und schob sich mit dem Zeigefinger die Brille zurecht.

Ich schüttelte den Kopf über sie und sank etwas entspannter in die Polster. Besser hätte meine Flucht gar nicht laufen können. Sie war spontan und übereilt, doch einfach dazusitzen und auf Ewan und Falk zu warten, war keine Option gewesen.

»Also sind wir wieder Freunde?«, fragte Paige, als ich immer noch nichts sagte.

»Paige, ich habe dir doch gesagt, dass –«

»Dass du keine Freundin suchst, ja. Aber weißt du was?«, fuhr sie mir dazwischen. »Freundschaft sucht man nicht. Sie findet dich. Ist genauso wie mit der Liebe. Nur besser.«

Ihre Antwort ließ mich schmunzeln. Und während wir die Stadt immer weiter hinter uns ließen, löste sich die Anspannung in meinem Inneren. Je fremder für mich die Ortsnamen an den Autobahnausfahrten klangen, desto leichter fiel mir das Atmen.

»Läuft es denn gut bei dir mit der Liebe?«, fragte ich irgendwann. Ich wollte ihr zumindest ein bisschen entgegenkommen und mit ihr über das reden, über was Frauen auch sonst redeten. Da ich Paige beobachtete, bemerkte ich ihr irritiertes Blinzeln.

»Nein. Wie kommst du darauf?«

»Du hast das Thema gerade angeschnitten.« Und mir fiel nichts anderes ein, worüber Frauen sich sonst noch unterhielten. »Außerdem fliehen wir jetzt wegen einem Kerl – es wäre schön, wenn zumindest eine von uns Glück mit Männern hätte.«

Sie lächelte. »Und warum genau fliehen wir vor Ewan?«

»Du meinst außer, dass er mich vor knapp zwei Wochen noch umbringen wollte?«

Sie errötete und rümpfte die Nase. »Genau. Außer deswegen.«

Ich seufzte. »Weil er mich schwach macht.« Es einzugestehen, war erniedrigend, doch Paige hatte es vermutlich ohnehin schon geahnt. Die Gefühle, die er in mir auslöste, gingen mittlerweile weit über das übliche Maß an Anziehung und gefährlicher Aufregung hinaus.

Sie kicherte wie ein Teenager, machte »Uhh« und ich verdrehte die Augen.

»Er ist heiß, wenn man auf diese Grobian-Kerle steht, die pure Gefahr ausstrahlen«, pflichtete sie mir nickend bei. »Lief in der Ferienhütte was?« Sie warf mir einen schnellen Seitenblick zu und ich schüttelte – vermutlich zu vehement – den Kopf.

Sie schmunzelte wissend. »Deine Mumu hat bestimmt mehr Action gesehen als meine in den letzten Monaten.«

»Mumu?« Ich verzog die Augenbrauen und wusste nicht, ob ich über Paiges Ausdrucksweise lachen oder mir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen sollte. »Dein Ernst?«

Ihre Wangen wurden noch röter und sie nuschelte etwas, das ich nicht verstand.

»Du liegst falsch, Paige. Seit über einem Jahr hat meine Mumu Betriebspause.« Außer dem kurzen Fummeln mit Falk lief schon länger nichts mehr bei mir, aber das wollte ich dringend aus meinem Gedächtnis löschen.

»Echt?« Das schien den Rotschopf zu überraschen. Wie viele fremde Leute wollten mich eigentlich noch für eine Schlampe halten?

»Echt«, gab ich gereizt zurück. »Weißt du, man braucht nicht für alles einen Mann. Frauen können es sich auch durchaus selbst besorgen.«

Paige zuckte zusammen und ihr Hautton war nun bei dem ihrer Haare angelangt. Als sie nichts darauf zu erwidern wusste, seufzte ich theatralisch.

»Fahr mir vor Scham aber jetzt bitte nicht gegen einen Baum«, bat ich.

Sie räusperte sich. »Du brauchst keinen Mann. Message angekommen. Und du willst Ewan nicht sehen, weil er dich schwach macht. Aber was ist jetzt dein Plan? Wo soll ich dich hinbringen?«

»Du lässt mich an irgendeinem Bahnhof raus. Ich fahre mit dem Zug in eine Stadt, die selbst du nicht kennst. Dann wird keiner der Männer eine Möglichkeit haben, mich je ausfindig zu machen.« So viel zu meinem Plan.

»Hast du gar keine Angst vor den Gesandten?«, fragte Paige und warf mir einen unsicheren Seitenblick zu. »Milan könnte dich zumindest beschützen.«

»Bisher ist mir keiner von denen begegnet. Hast du schon einen Engel gesehen?«

Paige schüttelte den Kopf, aber ihr schien mein Plan dennoch nicht zu gefallen. »Und wo willst du schlafen? Wovon willst du leben? Was ist, wenn du an dem Bahnhof überfallen und ausgeraubt wirst?«

»Was ist, wenn du auf der Rückfahrt einen Anhalter mitnimmst und er dich absticht?«, konterte ich galant wie immer.

Statt mir zu antworten, schmollte Paige und drehte nach ein paar Minuten das Radio auf. Die leisen Klänge eines Popsongs füllten das Wageninnere. Das schien zumindest Paige zu entspannen, denn ihr Gesicht nahm wieder seine normale Farbgebung an. Als sie von der Autobahn runterfuhr und uns durch die Straßen einer mir fremden Stadt lenkte, wusste ich, dass es Zeit für den Abschied war.

»Mir ist trotzdem nicht wohl dabei, dich einfach hier abzusetzen«, murmelte sie. Wir folgten einem Straßenschild, das uns zu einem Bahnhof wies.

»Ich werde schon klarkommen«, versicherte ich ihr.

Es war keine Großstadt, weshalb auch der Bahnhof winzig war. Ein paar Busse standen an ihren Haltestellen und vereinzelte Menschen warteten an den Gleisen auf den nächsten Zug. Paige parkte den Wagen und sah mich lange an.

»Hör auf damit«, forderte ich. Da wir uns kaum kannten, bestand kein Grund, jetzt irgendwie sentimental zu werden.

»Was, wenn ich dich nie wiedersehe?«

Das gehört zum Plan. Stattdessen sagte ich: »Ich werde nicht sterben, Paige. Ich gehe, damit ich endlich leben kann.«

Sie nickte, dann griff sie nach hinten und zog ihre Handtasche vom Rücksitz. Als sie nach ihrem Portmonee kramte, schüttelte ich den Kopf.

»Das ist nicht nötig«, sagte ich schnell, doch Paige streckte mir trotzdem eine Handvoll Geldscheine entgegen.

»Das ist alles, was ich an Bargeld habe.«

Ich wollte wieder ablehnen, doch sie drückte mir das Geld in die Hand.

»Geh und pass auf dich auf.«

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