Читать книгу Götterglaube - Kristina Licht - Страница 15
8. wer nicht reden will, muss fühlen
ОглавлениеBis du an mir zerbrichst, bis ich an dir zerbreche.
Und wir aneinander tiefe Schnitte lassen.
- aus den Briefen eines Gejagten -
»Ich wollte mich an ihre Fersen heften und dafür brauchte ich ihr Vertrauen, okay?«, krächzte Falk, als er ein und dieselbe Frage schon zum vierzehnten Mal beantworten musste.
Der Schwarzhaarige, Gabriel, hatte schon vor einigen Tagen ein Seil um seine Hand- und Fußgelenke geschlungen. Es schnitt in seine Haut, brannte an seinen aufgeschürften Handgelenken. Trotz besseren Wissens konnte Falk nicht aufhören, daran zu zerren und zu versuchen, das Seil zu lockern, um an den Dolch zu kommen, den er unter seinem Pullover am Steißbein trug.
Ein erneuter Faustschlag landete in seinem Gesicht und riss seinen Kopf herum.
»Gabriel, er sagt die Wahrheit«, ertönte Michaels Stimme. Der Engel stand wieder an die Küchentheke gelehnt da und beobachtete das Ganze, ohne selbst einen Finger zu rühren.
Das Spiel spielten sie schon wie lange? Drei Tage? Vier? Falks Gehirn fühlte sich wie ein Haufen Matsch an, dabei prügelten sie nur sein Gesicht zu Brei.
»Warum sollte ein Verdammter ausgerechnet die beiden Seelen verfolgen, die wir jagen?«, fragte Gabriel aufgebracht. Seine Nerven hatten sich seit ihrer ersten Begegnung nicht beruhigt – im Gegenteil, der Engel schien mit jedem neuen Tag einen kürzeren Geduldsfaden zu besitzen. Vielleicht lag es auch daran, dass die anderen beiden Gesandten noch nicht zurück waren.
»Weil ich …« Falk rang nach Luft. »… nach einer Möglichkeit suche, die Apokalypse zu verhindern.«
»Blödsinn!«
Der Fausthieb kam unerwartet. Falks Nase knackte und ein Schwall Blut ergoss sich über den Küchenboden.
»Gabriel!« Darian war einen Schritt vorgetreten, seine Miene besorgt.
Gabriel hielt mahnend die Hand hoch. Er war noch nicht fertig. »Wie gut kennst du Ewan?«
»Gut genug«, keuchte Falk, seine Lippen mit Blut benetzt, das ihm aus der Nase lief.
»Weißt du auch, warum er von uns nicht gefunden werden kann?«
»Gabriel, woher soll er …« Doch Darian verstummte. Als Falk aus geschwollenen Augen zu ihm hochblickte, sah er diesen nachdenklichen Ausdruck in Darians Gesicht. Als würde es tatsächlich Sinn ergeben, wenn Falk eine Antwort auf diese Frage hätte. »Göttin Elaia steht unter Bewachung«, murmelte der Engel und blickte grüblerisch auf Falk hinunter. »Sie kann keinen Schutzzauber wirken, das würden die Höchsten mitkriegen. Also gibt es jemand anderen, der die Spuren des Sünders verwischt.« Darian nickte zu seinen Worten, als müsste er sie selbst bestätigen. »Dieser Verfluchte hier weiß mehr, als er uns glauben lassen will. Ich weiß zwar nicht, woher er sein Wissen hat. Aber er hat eindeutig zu viel davon.«
Falk presste die Lippen zusammen. Dass er zu viel wusste, wollte er nicht einmal abstreiten. Aber er konnte den Gesandten nicht die Antwort geben, nach der sie verlangten. Er wusste ebenfalls nicht, wer der Verräter aus dem Himmel war.
»Darf ich meine Befragung dann fortführen?«, fragte Gabriel höhnisch.
Bittend sah Falk zu Darian hoch. Binde mich los und lass uns gemeinsam arbeiten. Faustschläge helfen euch auch nicht weiter.
Darian sagte nichts und als Falk ein metallisches Klacken hörte, sackte ihm das Herz in den Magen. Er schloss resigniert die Augen.
Eine Sekunde später fuhr ein atemraubender Schmerz durch seinen linken Oberschenkel, als Gabriel die Klinge seines Taschenmessers darin versenkte.
»Jetzt rede!«, befahl der schwarzhaarige Engel.
»Gabriel, wir sollten –«
»Dein Gewissen ist fehl am Platz, Michael!«, zischte er. »Ich habe genug davon, die ganze Zeit hier festzusitzen und darauf zu warten, dass er redet! Er ist kein Mensch. Er ist eine verstoßene Seele. Er hat sich gegen Vater gewandt, gegen das System, gegen alles, was wir Leben nennen!«
Angestrengt öffnete Falk die Augen und sah hinunter auf das Messer in seinem Bein. Blut tränkte seine Jeans und vor seinem Blick verschwamm alles für ein paar Herzschläge. Dunkel. Hell. Er blinzelte.
»Du meinst, ich hab’ mich gegen den Gefängniswärter gestellt«, erwiderte Falk, konnte es nicht unkommentiert lassen, obwohl seine Stimme nur noch ein Röcheln war, weil er keinen Muskel im Gesicht mehr spürte und sein Mundraum voller Blut war.
»Siehst du? Kreaturen wie er wissen das Leben nicht einmal zu schätzen! Es ist doch immer das Gleiche mit diesen Verdammten!«
»Nein«, erwiderte Falk schwach. Obwohl er in seinem Zustand nicht mehr sprechen sollte, war sein Wille, sich gegen diese Gesandten zu behaupten, ungebrochen. Er würde nicht kleinbeigeben. Er war hier, um die Welt zu retten. Er war hier, um sie zu retten. »Da liegst du falsch, Engel. Gefängnis hin oder her. Eine ewige Zeitschleife hin oder her – ich bin hier, weil ich für das Leben kämpfe. Für das eines jeden Menschen. Wir stehen auf derselben Seite.«
Gabriel hockte sich vor Falk, sodass sie sich auf Augenhöhe trafen. Falks Blickfeld war getrübt, doch die stahlgrauen Augen des tätowierten Bikers musterten ihn so intensiv, dass es ihn daran hinderte, sein Bewusstsein zu verlieren.
»Was glaubst du denn, ist der Auslöser für die Apokalypse, hm?«, fragte sein Folterer.
»Gabriel, nicht –«
»Nein, ich will seine Antwort hören. Verdammte wissen doch nichts von unserer Mission hier. Sie sind egoistisch und kurzsichtig, egal wie viele Jahrhunderte sie schon gelebt haben.«
»Ich habe noch kein einziges gelebt«, murmelte Falk.
Gabriel lachte. »Siehst du. Ein Frischling weiß erst recht nichts von dem, was sich hinter den Säulen des Systems abspielt.«
»Ich weiß, dass –« Falk stöhnte und schloss kurz die Augen. »Dass zu viele Verfluchte das System einstürzen lassen. Diese Welt wird auseinanderbröckeln, wenn zu viele von ihnen auf einem Fleck existieren.«
Der Gesandte kniff skeptisch die Augen zusammen. »Und wieso bist du dann ausgerechnet hinter Ewan und seiner Blutsverbundenen her? Gibt es keine anderen Verdammten, an deren Fersen du dich heften kannst?«
Falk spuckte das Blut aus, das sich in seinem Mund gesammelt hatte. Mit letzter Kraft hob er den Kopf und blickte Darian in die Augen. Er war derjenige, den er überzeugen musste. Bei Gabriel redete er ohnehin nur gegen eine Wand.
»Weil ich ganz genau weiß, wie und wann es zum Weltuntergang kommen wird. Und wer der Auslöser sein wird.«