Читать книгу Götterglaube - Kristina Licht - Страница 16
9. plan no. 1
ОглавлениеManchmal kann das Verlangen nach einer anderen Seele einen verzehren.
Als wenn man allein nicht vollständig wäre.
- aus dem Tagebuch eines Reisenden -
Warum ist er mich holen gekommen?
Ja, ich wusste, dass die Gesandten irgendwo da draußen waren und dass Ewan Angst um seine Unsterblichkeit hatte. Aber dachte er wirklich, dass ich sofort draufginge, wenn er mich ein paar Wochen allein ließ?
Ich war quicklebendig und weit davon entfernt, auf übernatürliche Weise ermordet zu werden. Ob es sich wohl lohnte, noch einmal mit ihm darüber zu diskutieren?
Ich bemerkte, dass ich ihn die ganze Zeit unverhohlen anstarrte. Schnell sah ich nach rechts aus dem Seitenfenster, bevor es Ewan ebenfalls auffallen konnte. Ich hatte wirklich gehofft, dass meine alberne Schwärmerei in den zwei Wochen ohne ihn abgeklungen wäre. Aber hier saß ich wieder in seinem schicken teuren Sportwagen und fühlte mich genauso wie am ersten Tag unserer Bekanntschaft.
Sein Gesicht war so schön, seine Wangenknochen so markant, seine leicht gebräunte Haut so ebenmäßig, dass ich den Kopf am liebsten wieder zu ihm drehen wollte. Stattdessen schloss ich die Augen und tat so, als würde ich schlafen. Da Ewan die letzten zwanzig Minuten keinen Ton gesagt hatte, ging ich davon aus, dass er nach wie vor nicht das Bedürfnis verspürte, mit mir zu reden oder mir sein Innerstes zu offenbaren. Sein Schweigen war mir mittlerweile vertraut. Genauso wie das Autofahren mit ihm. Irgendwie hatte dieser Moment etwas von einer Heimreise – obwohl ich dank Ewan mein Heim verloren hatte. Falls ich überhaupt je eins besessen hatte.
Die Richtung, die meine Gedanken nahmen, zeichnete tiefe Falten in meine Stirn. Ich sollte wahrlich besorgt darüber sein, dass dieser Mann, der eine Mischung aus Entführer, Stalker und Mobber war, ein Gefühl von Geborgenheit in mir auslöste.
Ich atmete tief durch, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht wirkte noch der Restalkohol? Doch stattdessen stiegen mir all die vertrauten Gerüche in die Nase: das Leder der Sitze, der Pfefferminzduft seines Wagenerfrischers, gemischt mit Ewans Parfum und dem Hauch von Zigarettenqualm.
Ewan hatte mich zurück zu sich geholt. Und ich war nicht einmal wütend darüber.
Falk.
Elaia.
Die Engel.
All diese Personen waren so weit weg. Ich öffnete die Augen und schielte unauffällig nach links. Er war nicht weit weg. Egal wie oft und wie weit ich floh – er holte mich immer zurück. Das war verrückt. Und noch verrückter war es, dass ich deswegen lächeln musste.
Erst am Nachmittag hielten wir das erste Mal an. Da ich so weit wie möglich hatte fliehen wollen, war nun die Rückreise umso länger. Obwohl ich die ganze Nacht wach gewesen war, hatte ich im Auto nicht schlafen können. Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf.
Dankbar für die Rast schnallte ich mich ab und öffnete die Wagentür. Meine Blase drückte schon seit Stunden.
»Können wir dort auch was essen?«, fragte ich mit einem Blick auf das Lokal neben der Tankstelle.
Ewan antwortete nicht, sondern steckte wortlos den Tankschlauch in seinen Wagen.
»Ich geh schon mal rein«, setzte ich ihn in Kenntnis. Erstens war es arschkalt und zweitens musste ich wirklich dringend.
Als ich die Toiletten verließ, schweifte mein Blick durch das Lokal. Ich entdeckte meinen wortkargen Begleiter, Schrägstrich Entführer in einer Ecke auf einem mit rotem Leder überzogenen Hocker. Auf dem dunklen Tisch vor ihm standen zwei Gläser mit Cola.
Als ich mich gegenüber von ihm hinsetzen wollte, heftete er den Blick auf mein Gesicht. Länger als üblich starrte er mich an.
»Hättest du dir nicht auch das Zeug von den Lippen wischen können?«, fragte er.
Ein kurzer Stich zwischen meine Rippen. Ich biss die Zähne zusammen. »Tut mir leid, du musst dich wohl so mit mir sehen lassen«, giftete ich zurück und griff nach dem kühlen Glas vor mir. Etwas zu energisch nahm ich den Strohhalm zwischen die rot geschminkten Lippen und sog an dem Getränk. Meine trockene Kehle dankte es mir.
Als ich von unten aufschaute, starrte Ewan aus dem Fenster und rührte mit dem Strohhalm in seinem Getränk herum, sodass die Eiswürfel gegen das Glas klirrten. Woran er wohl dachte? Warum er immer etwas an mir auszusetzen hatte? Wenn ihm mein Look nicht gefiel, konnte er doch einfach die Klappe halten, wie andere Menschen es höflichkeitshalber auch taten. Ich hatte ihn schließlich nicht nach seiner Meinung gefragt.