Читать книгу Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst - Käthe Lachmann - Страница 10

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Koch dich glücklich

Der Kochkurs fand in einer ehemaligen Brauerei statt. Ich mochte die hohen Decken, die Backsteinwände und die nachträglich eingesetzten, fast bodentiefen Glasscheiben. Von draußen musste das toll aussehen, wenn man hier hereinblickte und eifrigen Pärchen beim Kochen zusah. Eifrigen Pärchen und einer einzelnen Frau und einem Mann.

»Hat die Köchin eben gesagt: Willkommen beim Kochkurs für Paare?«, flüsterte Tim grinsend, während Rosa Minster fortfuhr: »Also, wir machen heute Tonka-Topfen-Mousse auf Blutorangenragout mit frittierten Karamell-Wan-Tan und ein Schokoladenmalheur mit Bananen-Physalis-Ragout, außerdem Eisbömbchen auf Rhabarberspiegel.«

Ich nickte. »Erklär ich dir gleich.«

Rosa guckte in die Runde. »Stellt euch doch mal kurz vor, ihr bekommt dann von meiner Assistentin Susanne ein Namensschild. Wenn es o. k. ist, dass wir uns alle duzen?!«

Die anderen murmelten beifällig und stellten sich nacheinander kurz vor, hielten sich an den Händen, küssten sich und sahen sich verliebt an.

Mein Gott, man kann sich doch auch mal einen Moment zusammenreißen, dachte ich und sagte, als wir an die Reihe kamen: »Ich bin Ann, das ist Tim, wir sind nicht zusammen, wir sind ...« Ich stockte und überlegte, ob ich »nur Freunde« oder einfach nur »Freunde« sagen sollte, schließlich konnte er das »nur« als eine Art Enttäuschtsein meinerseits auffassen, und so war es ja nun wirklich nicht. Da mich alle erwartungsvoll ansahen, inklusive Tim, grübelte ich nicht länger nach, sondern fuhr fort, selbst gespannt darauf, was ich denn nun sagen wurde: »... Freunde, bisher jedenfalls noch, wir haben nämlich noch nie gemeinsam gekocht!«

Ich erntete einen großen Lacher. Irrte ich mich, oder guckte Tim tatsächlich ein wenig enttäuscht?

»Entschuldige«, flüsterte ich ihm zu, während wir die Schürzen entgegennahmen und umbanden. »Ich dachte, es wäre dir unangenehm, mit mir als Paar zu gelten, und schließlich sind wir das ja auch nicht, und –«

»Du wirst rot!«, unterbrach er mich lachend. »Ist schon in Ordnung. Aber warum schleppst du mich zu einem Paarkochkurs?«

Nachdem ich es ihm erklärt hatte, seufzte er. Er wollte gerade etwas sagen, da brummte sein Handy.

»SMS«, sagte er, las und runzelte die Stirn, schrieb kurz etwas und steckte das Telefon in die Hosentasche seiner Jeans.

»Na, dann wollen wir uns mal dem Schokoladendesaster zuwenden!«

»Malheur«, sagte ich vorsichtig. Irgendwie fühlte ich mich in seiner Gegenwart unsicherer, als ich das in Erinnerung hatte. Er sah aber auch einfach total gut aus. Sein Teint schien von der Sonne verwöhnt zu sein, das Haar war etwas länger und hatte diesen Out-of-Bed-Charakter, früher hätte man ungekämmt dazu gesagt. Out of Bed war eigentlich auch eine gute Geschmacksrichtung für eine Zahncreme. Dass da noch niemand draufgekommen ist, rätselte ich, während ich Tims Halbprofil abspeicherte.

Ich musste ihn wohl etwas zu intensiv angesehen haben, denn er sagte unvermittelt: »Du hast schöne Augen.«

Ich merkte, dass ich erneut rot wurde, sagte nur »Danke!« und beschloss, mich jetzt ausschließlich unseren Desserts zu widmen.

»Kannst du schon mal die Schokolade erhitzen? Ich pule solange die Vanille aus den Schoten.«

»Ja, prima.« Sein Handy hatte sich anscheinend abermals gemeldet, denn er griff wieder in seine Tasche und las eine Nachricht. »Sorry, ich geh mal kurz raus, telefonieren.«

Wer das wohl war? Vielleicht etwas Berufliches. Wobei, es war ja eigentlich schon Feierabend.

»Was Wichtiges?«, fragte ich, als er zurückkam, weil man das fragte, wenn man eigentlich fragen wollte »Wer war das?«, und man das Gefühl hatte, dass es einen nichts anging.

»Ach, das war Marie. Meine Exfreundin.«

Irrte ich mich, oder klang er ein wenig wehmütig?

»Ah, verstehe«, sagte ich nickend, als verstünde ich, und rührte in der Schokolade. »Kannst du mal gucken, wann die Vanille da reinkommt?«

Es fiel mir nun wirklich nicht schwer, mich wieder aufs Kochen zu konzentrieren. Was interessierte mich seine Exfreundin?

»Sie sucht eine Wohnung in Hamburg. Ich helfe ihr.«

Hatte irgendjemand das wissen wollen? Nun, wenn er unbedingt über sie sprechen wollte: bitte.

»Wo ist sie denn?«

»Sie ist Meeresbiologin. Sie war in Norwegen. Hatte dort einen Freund. Und irgendwie hat das wohl nicht geklappt, und jetzt kommt sie wieder, weil ihr hier ein Job angeboten wurde.«

Obwohl es mich ja eigentlich überhaupt nicht interessierte, fragte ich: »Was hat nicht geklappt? Das mit dem Job oder mit dem Freund?«

»Beides wohl. Ich glaube, kochen darf die Schokolade nicht. Ich stell sie mal runter.«

Schon wieder vibrierte sein Handy, das er neben den Herd gelegt hatte. Wie anstrengend. Wenn ich gewusst hätte, dass wir zu dritt kochen würden, hätte ich noch jemanden mitgenommen. Dann wäre ich wenigstens nicht allein gewesen.

Er zuckte mit den Schultern. »Sorry, da muss ich wohl noch mal ran.«

»Kein Problem, telefonier ruhig. Ich mach schon mal weiter.«

Ich las das Rezept bestimmt zum zwanzigsten Mal, konnte aber das, was ich las, gar nicht wirklich aufnehmen. Natürlich nervte es mich, dass ständig diese Frau anrief. Aber das hätte mich bei einer meiner Freundinnen genauso geärgert. Es lag nun wirklich nicht daran, dass es Tim war.

Ob ich jetzt schon mal anfangen sollte mit dem Physalisragout? Ich konnte ja wenigstens die Früchte kleinschnippeln.

Rosa, die Köchin, kam zu mir. »Bei euch alles klar?«

»Ja, danke, Tim ist nur kurz telefonieren. Aber Obst schneiden kann ich auch alleine. Muss ich ja sonst auch ...« Ich seufzte gespielt theatralisch.

Sie lachte. »Ihr seid also wirklich nicht zusammen? Wobei ihr ja ein tolles Paar wärt ... Aber du bist Single?«

»Ja, bin ich. Und ich genieße es wie blöd.« Um das zu untermauern, riss ich die Augen verzückt auf.

»Ach so, na dann ... Schade, ich hätte nämlich jemanden für dich.«

»Nein, echt? Aber du kennst mich doch kaum!«

»Du machst einen sehr sympathischen Eindruck, und ich habe das Gefühl, dass du zu ihm passen könntest. Einen Versuch ist es doch wert, oder? Er heißt Yves, ist siebenunddreißig und ein Bekannter von mir. Echt ein Netter. Also, er ist noch nicht lange Single. Ein Frauentyp.« Letzteres flüsterte sie beinah bedeutungsschwanger. »Ich mache am Sonntag hier einen Brunch, einjähriges Bestehen von meiner Kochschule. Er kommt, du kommst, ihr lernt euch kennen. Ist ein ganz interessanter Mensch.«

»Das nenn ich mal eine Einladung! Danke! Warum nicht? Ich überleg’s mir.«

Hmm. Was dieser Yves wohl für einer war? Wie kam Rosa dazu, mich einfach mit einem Freund verkuppeln zu wollen, wo sie mich kaum kannte? Hatte er alle ihre Freundinnen schon durch, oder war er ein schwer vermittelbarer Ladenhüter? Obwohl – klang ja irgendwie nicht danach.

»Komm einfach vorbei. Ab elf. Wenn du da bist, ist es gut, wenn nicht, verpasst du was. Zumindest ein sehr leckeres Frühstück!«

»Ich wäre dämlich, wenn ich der Einladung einer Köchin zum Brunch nicht folgen würde!«

Das war ja nett. Ich konnte da ja mal hingehen und mir diesen Typen angucken. Warum nicht? Aber Tim musste ich nicht unbedingt davon erzählen. Da kam er auch schon.

»Du strahlst ja so. Freust du dich auf das Dessert?«

»Hmm, ja! Würdest du jetzt das Nougat würfeln, bitte? Und, konntest du deiner Ex helfen?«

»Tja, das ist nicht so einfach. Aber das ist jetzt nicht unser Problem. Ich mach mein Handy einfach jetzt aus. Es war blöd, dass ich da zweimal rangegangen bin. Sie kann mir wirklich mailen, oder wir klären das morgen. Entschuldige.«

»Kein Problem ... Obwohl, allein krieg ich das tatsächlich nicht hin. Ich hab’s nicht so mit alles gleichzeitig machen.«

»Obwohl du eine Frau bist?«, spottete er und schüttete das Nougat in den Topf.

*

Während wir unsere Köstlichkeiten zubereiteten, guckte Tim nur noch einmal auf sein Handy. Es schien ihm allmählich wirklich unangenehm zu sein.

»Ach, Mann, sie weiß doch, dass ich gerade nicht telefonieren kann«, sagte er mehr zu sich selbst.

»Hast du ihr gesagt, dass du gerade deine Kochkünste pimpst?«

Er grinste. »Ja, so in der Art.«

»Hast du denn eine Wohnung für sie in Aussicht?«

»Das ist ja in Hamburg nicht so einfach. Haben wir gemahlene Mandeln, oder müssen wir die selbst mahlen?«

Anscheinend wollte er das Thema wechseln. Nun gut.

»Ja, hier, wir brauchen aber nur fünfzig Gramm.«

Es machte Spaß, mit Tim zu kochen. Mir gefiel seine ruhige, besonnene Art. Außerdem roch er verdammt gut.

»Weißt du, Marie und ich, wir waren fast fünf Jahre zusammen. Und dann, kurz bevor wir eine Familie gegründet haben, kam dieses Angebot in Norwegen.«

Offenbar wollte er doch über sie reden. Versteh eine die Männer.

»Mhm«, machte ich bloß.

»Und ich wollte nicht mit. Ich meine – Norwegen. Das ist ja nicht gerade um die Ecke. Und überhaupt hatten wir uns wohl ein bisschen auseinandergelebt. Sie ist ein toller Mensch, aber irgendwie hat das mit uns doch nicht so gepasst. Sie ist so ernst und karrierefixiert, ich bin eher –«

Rosa unterbrach seine Ausführungen: »So, liebe Leute, wie sieht’s aus? Seid ihr alle so weit? Wir wollen demnächst gegenseitig unsere Kreationen probieren.«

Tim schien froh zu sein über den Themenwechsel. Und auch ich zögerte keine Sekunde, mich wieder dem Hier und Jetzt zu widmen: »Na, da können wir uns aber wirklich sehen lassen. Wenn das alles nur halb so gut schmeckt, wie es aussieht, gewinnen wir den goldenen Pokal!«

*

Es schmeckte phantastisch. Nicht nur, was Tim und ich gemacht hatten.

»Puh, das war lecker! Aber ich kann nicht mehr. Ich glaube, mir wird schlecht.« Ich unterdrückte ein Rülpsen, obschon das bestimmt nicht gesund war. Schließlich wollte die Luft ja nicht ohne Grund raus.

Draußen auf der Straße fragte ich ihn: »Noch Lust auf einen Verdauungsschnaps?«

Er sah auf die Uhr und sagte mit Bedauern in der Stimme: »An sich total gern, aber ich muss leider noch ein bisschen arbeiten. Hab noch eine Sendung für morgen fertig zu machen.«

Ich sah wohl sehr enttäuscht aus, denn er fügte hinzu: »Aber lass uns das ein andermal nachholen. Ruf mich an! Und vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast!«

Er deutete Küsschen links und rechts an. Früher hatte ich das gehasst, inzwischen gefiel es mir ganz gut. Manche küssten ja sogar richtig und hauchten nicht nur, das konnte allerdings ziemlich nass werden. Ich selbst berührte nur ganz leicht mit meiner Wange die Wange meines Gegenübers.

»Worum geht’s denn in der Sendung?«, fragte ich, während wir unsere Räder aufschlossen, und im selben Moment wurde mir bewusst, dass er meinen könnte, ich glaubte ihm nicht, dass er noch zu tun hatte. Ich wollte aber wirklich wissen, woran er gerade arbeitete, und außerdem fand ich es schade, ihn jetzt so schnell ziehen zu lassen.

»Ach, interessiert dich das wirklich? Ich hab die Hamburger Independent-Musikszene interviewt, also sowohl richtig erfolgreiche Bands und MusikerInnen ...«, ich hörte, wie er das große »I« mitsprach, und die emanzipierte Frau in mir freute sich darüber, »als auch welche, die ganz am Anfang stehen, sowie einige, die mal erfolgreich waren. Daraus hab ich Porträts gebastelt, und die präsentiere ich jetzt einmal die Woche. Hat tierisch Spaß gemacht, aber ich muss für die erste Folge noch ein bisschen dran frickeln.«

»Oh, das klingt gut! Wann wird es gesendet? Das hör ich mir an!«

Tim strahlte. »Morgen um neun Uhr fünf. Freut mich, wenn du’s hören willst. Also, mach’s gut!«

Auf dem Weg nach Hause musste ich fast ununterbrochen über Tim nachdenken. Was war das mit ihm? Es kribbelte schon ein wenig im Bauch, wenn ich mir sein Lächeln vorstellte. Aber was war da mit seiner Exfreundin? Es wirkte schon so, als würden sich die beiden noch oder wieder sehr nahe stehen. Egal – jetzt würde ich erst mal am Sonntag schön brunchen.

Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst

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