Читать книгу Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst - Käthe Lachmann - Страница 7

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Nackte Fakten

Das Safari war meines Wissens der einzige Club auf dem Kiez, in dem tatsächlich Live-Sex auf der Bühne praktiziert wurde. Und zwar von einem einzigen alternden Typen mit Backenbart und Hängebauch, der in den verschiedensten Kostümen zahlreiche »Stars« aus der Weltgeschichte begattete. Die Bühne war klein, der Zuschauerraum so schummrig und plüschig, wie sich das für einen Laden in diesem Metier gehörte. Rot war die vorherrschende Farbe, natürlich war alles ein wenig schmuddelig und angeranzt, aber das schien die zahlreichen Gäste nicht zu stören.

Bisher hatten wir Marilyn Monroe, Biene Maja, eine namenlose Prinzessin, Mona Lisa und eine Mischung aus Angela Merkel und Margaret Thatcher gesehen. Der Sexarbeiter verrichtete seinen Dienst geduldig wie ein alter Esel an der Leine. Wen dieses mechanische Rein-raus-Spiel anturnte, der musste entweder etwas genommen haben oder schon sehr, sehr lange verheiratet sein.

»Pass auf, jetzt kommt Lady Gaga!«, flüsterte Caro mir zu.

»Und er ist weiterhin Albert Einstein?«, fragte ich mäßig begeistert. »Das passt zeitlich nicht!«

»Ist doch egal. Ich find’s jedenfalls super. Und wie sie die ganzen Stars imitieren! Toll!«

Manchmal machte mir meine beste Freundin etwas Angst.

»Na ja, Stars ... Biene Maja und Star ...«, wagte ich zu bedenken, während ich an meiner 25-Euro-Cola nippte. Dafür bezahlte man hier keinen Eintritt.

»Weltberühmt ist sie auf jeden Fall – schau, da ist Lady Gaga!«

»Wird die jetzt von Willi rangenommen? Oder von Napoleon, oder von wem? Ich will lieber tanzen gehen. Ich finde das öde. Und der Typ ist ja auch eher ein Weggucker. «

»Ja, Ann hat recht«, unterstützte mich Bela. »Das ist doch mehr was für Männer. Gut, es ist wirklich beachtlich, wie lang die Erektion von Willi-Charlie-Chaplin-Elvis-Presley-Spiderman-Albert-Einstein-Frankensteins-Monster jetzt schon anhält, aber allein wegen der Getränkepreise bin ich dafür, dass wir noch anderswo hingehen.«

»Ach, jetzt habt euch nicht so, noch fünf Minuten, o. k.?«

»Na gut«, brummelten wir zustimmend.

Ich sah mich im Publikum um. Es bestand zumeist aus alleinsitzenden Herren, aber das ein oder andere Paar war auch darunter. Wahrscheinlich wollten sie ihr Liebesleben etwas aufpeppen. Ob das der richtige Weg war? Es gab doch bestimmt auch wahnsinnig ästhetische Pornos. Solche, die auch Frauen gefielen. Mit Handlung. Also, mit richtiger Handlung. Nicht wie hier: Willi fliegt umher, sieht Maja und stürzt sich auf sie mit seinem Stachel. Konnte das irgendjemandem wirklich gefallen? Ich sah mich um. Und stutzte.

Zwar konnte ich im Halbdunkel nicht viel erkennen, aber die beiden, die da ganz vom an der Bühne saßen, sahen original so aus wie mein Frauenarzt und seine Sprechstundenhilfe. Witzig.

Das Stöhnen von der Bühne klang eher gequält als lustvoll. Schon eigenartig, dass das von der Natur so eingerichtet war, dass man es aus der Ferne kaum unterscheiden konnte. Bestimmt wurde sich begattenden Paaren häufig fälschlicherweise zu Hilfe geeilt. Von Nachbarn oder gar von der Polizei. Während ich so nachdachte, schweifte mein Blick noch mal zu dem Paar am Bühnenrand, das sich gerade innig küsste. Iiih. Bei Livesex auf der Bühne. Als sie sich voneinander lösten, bestätigte sich, was ich befürchtet hatte: Das waren tatsächlich mein Frauenarzt und seine Sprechstundenhilfe! Aber er war doch verheiratet? Und nicht mit ihr ... Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Die fünf Minuten waren um, also drängelte ich: »Ich fänd’s wirklich gut, wenn wir jetzt tanzen gehen würden.« Schon allein, weil ich auf keinen Fall wollte, dass Dr. Frielinghaus mich bemerkte.

Irgendwie stieß ich damit aber nicht auf Gegenliebe. Es lag etwas in der Luft, das ich nicht fassen konnte, eine freudige Erregung bei meinen Mädels, die nichts mit dem zu tun hatte, was die zahlreichen Herren im Publikum wohl gerade empfanden, als der Kaiser der Franzosen ein etwas dickliches Lady-Gaga-Double routiniert von hinten nahm.

Angewidert drehte ich den Kopf zur Seite, und jetzt bemerkte ich, was meine Freundinnen wohl schon vor mir gesehen hatten: Am rechten Bühnenrand war ein muskulöser junger Mann mit einer Wahnsinnsfigur in einem etwas zu engen Batman-Kostüm auf der Bühne erschienen. Die Musik änderte sich.

Caro strahlte ihn an und knuffte mich in die Seite. »Na, das ist doch jetzt was für dich!«

»Oh«, machte ich überrascht und von dem Anblick angetan, gleichzeitig war ich aber auch etwas irritiert. Ja, ich war Batman-Fan, ja, ich fand die Filme spannend, und ja, ich war froh, dass sich der Esel nun zurückgezogen hatte, um Platz zu machen für den Superhelden, aber warum um alles in der Welt leuchtete der Verfolger-Scheinwerfer jetzt in unsere Richtung, und wieso kam Batman auf mich zu? Ich trug ja zu allem Überfluss auch noch diesen dämlichen Haarreif – so sollte er mich nicht sehen. Als ich mir mit einer, wie ich fand, ziemlich unauffälligen Bewegung meinen Schmuck vom Kopf riss, hatte ich auch gleich ein großes Haarbüschel in der Hand.

Der Einsatz hatte sich leider nicht gelohnt, denn Batman stand schon direkt vor mir. Und nicht nur das, er schnappte sich zu meinem Entsetzen meine Hände und führte sie gekonnt an seinen Fledermaushintern, der, was ich bei dieser Gelegenheit mit Grausen deutlich spüren konnte, eines der wenigen Körperteile war, die nicht von gummiartigem Kostümstoff umhüllt waren. Kurz: Ich fasste ihn an sein nacktes Hinterteil. In einem anderen Kontext hätte sich das ziemlich sicher sehr gut angefühlt. So aber verspürte ich nichts außer dem dringenden Wunsch, wieder frei über meine Hände verfügen zu können. Der Versuch, sie zu befreien, scheiterte am stahlharten Griff des Superhelden. Ich musste mit ihm reden.

»Entschuldigen Sie, ich möchte das hier nicht«, sagte ich mit fester Stimme, und als er nicht reagierte, fuhr ich anderssprachig fort, vielleicht hatte er mich ja einfach nicht verstanden: »I don’t want this, je ne veux pas.«

Nach kurzem Überlegen fügte ich, nicht zuletzt wegen seiner schwarzen Augen und der dunklen Haare, die aus dem Batcap quollen, ein »non voglio« hinzu, was unter Umständen auch »ich fliege nicht« heißen konnte, ich erinnerte mich in dieser heiklen Situation leider nicht mehr so genau an den Italienischkurs bei Giuseppe in der Volkshochschule. Dann kam mir glücklicherweise noch das international anerkannte Zeichen für »Nein!« in den Sinn, und ich schüttelte wie wild den Kopf.

Das schien meine Mädels nur anzufeuern, denn sie kreischten wie Sekretärinnen bei den Chippendales, während der Verfolger meinen Superhelden und mich wie in einem gleißend hellen Licht erstrahlen ließ. Konnte es eine unangenehmere Situation geben als diese? Mir fiel keine ein.

Warum rettete mich denn keiner? Es war eher das Gegenteil der Fall: Die Herren im Halbdunkel um uns herum applaudierten und pfiffen, Batman entledigte sich zu meinem Leidwesen nach und nach seiner einzelnen Kostümteile, während er sich an sämtlichen meiner Körperregionen rieb. Wie konnte ich mich nur aus dieser Situation befreien? Gott, er war ja nicht hässlich, im Gegenteil, und frisch gewaschen schien er auch zu sein, aber für diese Art von Freizeitbeschäftigung war mir für gewöhnlich ein intimerer Rahmen wesentlich willkommener.

Hilfesuchend schaute ich mich nach meinen Freundinnen um. Vielleicht konnte ich ihn ja an Caro, die mit ihrem Handy eifrig Aufnahmen machte, loswerden. Doch er schien sich auf mich eingeschossen zu haben. Ich kam gar nicht dazu, weiter an einen Befreiungsschlag zu denken, denn nun begann Batman, auch noch seine restlichen Klamotten abzuwerfen. Währenddessen tanzte er geschmeidig wie eine Wildkatze zur Batman-Titelmelodie, packte immer wieder meine Arme, die ich ihm zu entreißen versuchte, und presste sie an die denkbar unschicklichsten Stellen an seinem Körper.

Als ich ihm in einem glücklichen Moment endlich meine oberen Gliedmaßen mit einem gewaltsamen Ruck entreißen konnte, setzte sich der muskulöse Gotham-City-Beschützer schließlich auf meinen Schoß und rieb seinen nackten und, wie ich trotz meiner verzweifelten Abwehrversuche wohlmeinend registrierte, glattrasierten, glänzenden Sixpack an meinem T-Shirt. Obschon ich nun wirklich vollauf mit Schämen und Unwohlfühlen beschäftigt war, konnte ich dennoch erkennen, dass mein Frauenarzt und seine Assistentin sich zu uns umgedreht hatten, und anscheinend war auch ich von ihm erkannt worden, denn er versuchte nun, sich mit Frau Lüders unauffällig in Richtung Ausgang zu bewegen. Als er einmal den Kopf ein wenig zur Seite drehte, um Frau Lüders etwas zuzuflüstern, hatten wir für einen Moment Blickkontakt, und ich merkte, dass er gesehen hatte, dass ich ihn erkannt hatte. Wem das nun peinlicher war, ihm oder mir – ich hatte keine Ahnung.

»Das ist Doktor Frielinghaus!«, zischte ich Caro zu, während ich damit beschäftigt war, mir ein Haar aus der inzwischen freigelegten schwarzen Lockenmähne meines Superhelden aus dem Mund zu wischen.

Caro hörte kurz auf, Fotos von meiner misslichen Lage zu machen, und fragte laut zurück: »Wie, dein Frauenarzt? Krass!«, nur um dann wieder ihr iPhone auf die riesige Beule im superknappen String vor meinem Gesicht zu halten.

»Die Fotos poste ich auf Dominics Facebookseite!«, freute sie sich.

»Auf keinen Fall!«, wollte ich protestieren, aber das ging in Belas und Sabines zustimmendem Jubel unter.

*

»Mir hat als T-Shirt-Aufdruck am besten ›Ich Depp hab auch noch ja gesagt‹ gefallen«, kicherte Caro in der U-Bahn. Bela und Sabine hatten es sich auf ihrem Sitz bequem gemacht und schliefen friedlich neben uns. Es war halb sechs, und draußen wurde es langsam hell. Auch auf dem Weg zur U-Bahn waren uns noch diverse Junggesellenabschiede begegnet.

»Lenk nicht ab! Warum habt ihr mich nicht gerettet?«

Ich wollte mich gerade richtig echauffieren, als mich ein sichtlich angeschlagener junger Mann mit Pali-Tuch und Free-Tibet-Button an der Cordjacke annuschelte: »Wie spät ist es?«

Als ich es ihm sagte, überlegte er kurz und fragte dann: »Fünf Uhr dreißig oder siebzehn Uhr dreißig?«

»Respekt!«, sagte Caro. »Goldene Jugend!«

In der Bahn roch es nach Alkohol und Zigarettenrauch, und nur noch einzelne Pistengänger hingen verschlafen in den Sitzen.

»Du sollst beim Thema bleiben! Das war der absolute Horror mit dem Typen! Und statt mir zu helfen, habt ihr Fotos gemacht!« Noch während ich sprach, merkte ich, dass ich zu müde war, um richtig wütend zu sein, versuchte aber dennoch, meinem Unmut Luft zu machen.

»Hey, wir haben ihn von dir gepflückt, vergiss das nicht! Sonst säße er jetzt noch auf dir.« Caro giggelte: »Der hat eben den Spruch auf unseren T-Shirts wörtlich genommen.«

»Toll! Runtergepflückt! Allerdings erst nach einer gefühlten Ewigkeit, nachdem ihr gute Fotos hattet!«

»Ja, aber hey, das war doch wirklich lustig.«

»Ich hätte es bestimmt auch lustig gefunden, wenn er auf dir gesessen hätte und dir sein riesiges Geschlechtsteil ins Gesicht gehalten hätte! Es ist immer eine Frage der Perspektive ...« Es schüttelte mich, als ich daran dachte. Gut, er hatte noch einen hauchdünnen Stringtanga an, aber trotzdem ... »Meinst du, der hatte da noch irgendwas in der Hose? So groß ist doch sonst nur ein Pferdepenis ... Apropos – was mach ich bloß mit meinem Frauenarzt? Der hat was mit seiner Sprechstundenhilfe! Gut, kann ich verstehen, Frau Lüders ist ein heißer Feger und bestimmt zwanzig Jahre jünger als er, aber ich hab Dienstag einen Termin bei dem! Kann ich da überhaupt hin?«

»Ad eins: Pferdepenis, ich weiß nicht. Ich fand den gar nicht sooo groß. Also, um ehrlich zu sein, fand ich ihn eigentlich ziemlich normal. Ich weiß ja nicht, mit welchen Gürkchen du bisher vorliebnehmen musstest, aber Björn–«

»Stopp!«, unterbrach ich sie, »zu viel Information. Also, zu zweitens: Kann ich Dienstag zu Doktor Frielinghaus?«

Caro gähnte. »Natürlich! Und jetzt hast du was gegen ihn in der Hand. Du kannst alle teuren Untersuchungen umsonst bekommen. Alle.«

»Welche zum Beispiel? Sag mir nur eine, die die Kasse nicht zahlt und die ich brauchen könnte. Ich bin gesund!«

Caro überlegte. »Na, dann eben Tabletten. Die Pille! Oder so.«

»Ja, oder so. Du als Anwältin rätst mir zu Erpressung? Sehr witzig.« Ich schüttelte genervt den Kopf und seufzte: »Mir wird ganz anders, wenn ich an den Termin denke. Aber deshalb den Arzt wechseln? Ich bin da seit so vielen Jahren und war immer so zufrieden, und es ist bei mir um die Ecke ...«

Caro brauste auf: »Ich finde das super eklig! Wenn das dein Zahnarzt wäre, o. k. Aber es geht ja um das andere Ende ...« Ihre Stimme verschwamm mit einem ausführlichen Gähnen, sie schüttelte sich kurz und fügte dann hinzu: »Klar, geh da hin!«

»Was denn nun? Eklig oder hingehen?«

»Mit Ekelgefühl hingehen. Und wir überlegen uns bis Dienstag noch, wie du auf ihn reagierst.«

»Der ist verheiratet! Und zwar nicht mit seiner Sprechstundenhilfe!«

»Und du musst dich da nicht einmischen. Du bist nicht verantwortlich für die Schlechtigkeit der Welt.«

»Nein. Aber ich würde sie gern ein wenig besser machen.«

Caro rollte mit den Augen und war im nächsten Moment eingenickt.

Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst

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