Читать книгу Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst - Käthe Lachmann - Страница 6

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Ehe du dich’s versiehst

Inzwischen hatten wir uns einer Gruppe junger Männer genähert. Grund genug für Sabine, loszuposaunen: »Los jetzt, Kundschaft! Vertick mal ein paar von den Kleinen Feiglingen, unser Prosecco ist bald alle, wir brauchen Geld für ’ne neue Flasche!«

»Prosecco, Mädels, das ist so Klischee ... Wir trinken doch sonst auch nie Prosecco!«, versuchte ich abzulenken. Dämlicher konnte man sich überhaupt nicht vorkommen, wie als Teil einer dieser Gruppen, deretwegen allein ich in den letzten Jahren immer einen großen Bogen um die Reeperbahn gemacht hatte.

Wie um mir weiteren Grund dafür zu geben, mich fehl am Platz zu fühlen, bemerkte ich jetzt, dass die Männer vor uns auch alle das gleiche T-Shirt trugen. Das Motiv: ein abgeknickter Penis, darunter der Schriftzug »Internationales Zeichen für Ehe«.

»Hihi, die feiern Junggesellenabschied!«, kreischte Sabine, deren Alkoholpegel bald ernsthaft gesundheitsgefährdend zu sein schien. Beim Versuch, sich vorsichtig um die fröhlichen jungen Herren herumzubugsieren, kippte sie gegen einen von ihnen, und sofort standen wir im Mittelpunkt des Interesses: »Hey, wollt ihr einen Kleinen Feigling? Oder ein Gummi?«

»Mist, die waren schneller.« Caro schien wirklich verärgert und zog so an meinem Bauchladen, dass ich fast vornüberkippte. »Wir verkaufen auch! Und zwar den Guten! Nicht diesen Billigfusel wie ihr!«

Die Jungs sahen sie mit ihren glasigen Augen verdutzt an.

»Na, was soll eurer denn kosten?«

Caro war in ihrem Element, und es half auch nichts, dass ich sie beschwichtigend am Arm fasste.

»Caro, es gibt, glaub ich, nur die eine Marke, die so heißt ...«

»Das ist mir egal! Unserer ist besser!«

Ich hatte inzwischen Blickkontakt mit einem attraktiven Kerl mit großem Mund und runden braunen Kulleraugen aufgenommen. Er zeigte auf meine Brüste, die ich heute mit einem Turbo-Push-up auf Melonengröße gepimpt hatte, na ja, zumindest auf Galiamelonengröße – es gibt ja auch sehr kleine Galiamelonen –, und grinste mich an: »Netter Spruch!«

»Danke! Eure T-Shirts sind auch ...« Ich hielt inne, weil ich zum Glück noch rechtzeitig merkte, dass mir beim besten Willen nichts Positives zu ihren T-Shirts einfiel, und so bekam ich gerade noch die Kurve und sagte, während ich ihn anstrahlte: »Schön, also, ich mag die Farbe ...«

Caro war unterdessen tatsächlich in ernsthafte Geschäftsverhandlungen mit den Jungs eingestiegen, was sie aber nicht davon abhielt, mir zuzuzischen: »Der ist viel zu jung für dich! Außerdem willst du ja wohl keinen auf der Reeperbahn akquirieren! Ich bitte dich! Du brauchst jetzt mal endlich einen anständigen Kerl!«

Anscheinend war ihr mein Erstkontakt mit dem Teddyauge also nicht entgangen. Manchmal war es schon lästig, mit seiner besten Freundin so im Gleichklang zu sein. Aber vielleicht hatte sie recht. Der letzte Typ, den ich beim Tanzengehen auf dem Kiez kennengelernt hatte, war ein ungarischer Architekt gewesen, der mich vom Fleck weg heiraten wollte und mich von unserem ersten Treffen an mit SMS bombardiert hatte, und der außerdem unter einem ausgeprägten Kontrollzwang zu leiden schien. Bei unserem zweiten Treffen hatte er fast vier Stunden zu früh vor meiner Tür gestanden und mich ausgefragt, wo ich denn gewesen sei (Beim Sport!), warum (Weil das ab dreißig angezeigt war.) und mit wem (Alleine! Aber ich hatte Zeugen!). Meine Freunde hatte er von vornherein blöd gefunden. Er war krankhaft eifersüchtig auf Caro gewesen, vor allem aber auf Paul, denn er hatte überhaupt nicht verstehen können, wie ich mit einem Mann »nur befreundet« sein konnte. Weil alle Männer »bloß mit mir ins Bett« wollten – eine Ansicht, die mich natürlich auch ehrte, sprach das doch für eine gewisse Attraktivität meinerseits.

Dieser Typ war ja Gott sei Dank Geschichte. Aber ob das mit dem Kiez zu tun hatte, da war ich mir nicht so sicher. Psychos gab es bestimmt auch auf dem Wochenmarkt oder im Philosophischen Seminar. O ja, gab es. Diese Drei-Wochen-Affäre Marcus zum Beispiel. Der Sex nur ohne Küssen wollte, und am liebsten mit möglichst vielen Klamotten an und nur ganz schnell. Wenn er dann wenigstens auch bezahlt hätte, hätte ich das vielleicht noch ein Weilchen länger mitgemacht.

»Dreißig Stück für zehn Euro!« Caro riss mich aus meinen Gedanken, indem sie strahlend einen Karton mit Kleinen Feiglingen vor meinem Gesicht hin- und herschwenkte. »Was für ein Deal! Und die denken, SIE hätten ein Geschäft gemacht!«

»Wie – du hast ihnen was abgekauft?«

»Ja! Dreißig Stück für zehn Euro!«, wiederholte sie stolz. »Also, los jetzt!«

»Das darf doch nicht wahr sein! Ich dachte, wir wollen die Dinger loswerden! Jetzt haben wir noch mal so viel!«

Aber Caro hatte sich schon einer Gruppe Rentner zugewandt, die sich gerade vor dem Schmidt-Theater für ein Gruppenfoto formiert hatten. »Kondome, Kleiner Feigling?«

Ein Herr in grauer Survivalweste und mit Heide-Park-Schirmmütze auf dem Kopf musste sie missverstanden haben.

»Unverschämtheit! Nur weil ich keine Kondome kaufe, bin ich doch kein Feigling!«, polterte er los. »Und überhaupt bin ich hier mit meiner Frau! Roswitha, wir brauchen keine Kondome, ne, bei uns klappt das auch so noch ganz gut! Ihr jungen Dinger, was erlaubt ihr euch eigentlich! Seid noch nicht verheiratet und macht euch lustig über glückliche Ehepaare! Über fünfundvierzig Jahre sind wir schon zusammen, das schafft heutzutage doch keiner mehr von euch!«

Sabine zog Caro ein paar Schritte zur Seite. Dort kamen uns rosa gewandete Mädels entgegen. Auf ihren T-Shirts stand: »Germanys Next Top-Wife« .

»Witzig«, sagte ich trocken.

Sie verkauften, wie ich schnell bemerkte, zusätzlich zum traditionellen Wodka-Mischgetränk und den Verhütungsmitteln auch noch kleine Schokoladenherzen.

»Kreisch!«, kreischte eine Mitte zwanzigjährige, überschminkte Blondine, die zu ihrer rosa Kleidung türkisfarbene Highheels trug. »Witziger Spruch! Hey, Tanni, guck mal, was die auf dem T-Shirt stehen haben!«

»Hä?«, machte eine brünette, schlanke Frau an ihrer Seite, die einen Hut mit Brüsten – ja, auch wenn ich noch so sehr suchte, es gab tatsächlich nur Brüste auf diesem Hut, zwei pralle Gummibrüste, um genau zu sein – aufhatte. Außerdem hatte sie als Einzige noch den Vermerk »Braut, die sich traut« auf dem Shirt.

»Ich kann das nicht lesen!«, sagte die glückliche Braut, wobei sie guckte, als würde sie demnächst einnicken. Sie hatte wohl auch schon die ein oder andere C2H5OH-Verbindung im Blut.

»Ich bin hier und du liegst drauf!«, übersetzte ihr die Blonde.

Tanni schien kurz aufzuwachen und schrie: »Total witzig! Das mach ich bei meinem nächsten Junggesellinnenabschied!«

Ob sie das mit dem Heiraten richtig verstanden hatte? Wenn Junggesellenabschiede zusammen mit dem Partner gefeiert würden, gäbe es sicher wesentlich weniger Scheidungen, weil es gar nicht erst zur Eheschließung käme ... Wahrscheinlich hatte der Heide-Park-Rentner recht, sinnierte ich und begann frustriert, unseren Wodka-Feige-Bestand zu minimieren, auch wenn das Zeug scheußlich schmeckte.

Wie vielen Prä-Hochzeitsgesellschaften wir noch begegneten, wusste ich nicht mehr. Mir fiel nur auf, dass die Aufschriften auf den meist dunklen, grauen oder schwarzen Herrenshirts von ausgesprochenem Pessimismus geprägt waren (»Letzter Tag als Freiwild«, »Das war’s«, »Thorstens letztes Abenteuer«, »Bereit für die kleinsten Ketten der Welt« oder »Game Over«), während die Damen zumeist in Rosa oder Pink ihre positiven Slogans (»Deutschland sucht die Superbraut«, »Ich will, und er hat zu wollen«, »Rainer ist jetzt meiner«) von Schmetterlingen und Blümchen eingerahmt auf der Brust trugen. Wieso sagte dann überhaupt ein Mann »ja« vor dem Traualtar?

»Mädels, wir müssen zu den Chippendales!«, rief Bela plötzlich aus und strahlte uns an wie damals Gerhard Schröder, als er die Wahl gegen Frau Merkel verloren hatte und das nicht wahrhaben wollte. Mir schwante Fürchterliches. Sabine versuchte, den letzten Tropfen Wodka-Feige aus ihrem Fläschchen zu pressen, was bei Glas schwierig war, bevor sie antwortete: »Sind die in der Stadt?«

Ich stöhnte.

»Mädels, das ist nicht euer Ernst. Männer-Strip? Zusammen mit betrunkenen Krankenschwestern und kreischenden Wechseljahr-Opfern? Ich dachte, das hier ist das Gegenteil von einem Junggesellinnenabschied! Wir müssten eher Männern beim Anziehen zugucken!«

»Ja!« Caro warf ihre rote Löwenmähne in den Nacken. »Lasst uns zu Globetrotter gehen! In die Outdoorjackenabteilung!«

»Gibt’s nicht auf dem Kiez. Und außerdem wollen wir heute mal richtig auf die Kacke hauen. Ann soll ja sehen, dass genügend andere Söhne auch schöne Väter haben. Oder so. Also, wo strippt der gemeine Mann auf der Reeperbahn?«

Sabine sah richtig nüchtern aus, wenn sie ihre Stirn so in Falten legte.

Caro hatte anscheinend eine Art Erleuchtung: »Also, ein Männerstriplokal kenne ich auch nicht, aber was Besseres ...«

Ich bin nur noch hier, weil du auf mir liegst

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