Читать книгу Weltweit sicher unterwegs - Kundri Böhmer-Bauer - Страница 12
Оглавление5. Wahrnehmung schulen
Wie in der Einleitung erwähnt, zeichnen sich Überlebenspersönlichkeiten durch rechtzeitige Gefahrenerkennung und daraus resultierend Gefahrenvermeidung aus. Es geht also darum, deine Wahrnehmung zu schärfen. Um dir verschiedene Wahrnehmungsstufen bewusst zu machen und damit dein Situationsbewusstsein zu erhöhen, helfen drei Dinge:
■ der Cooper Color Code
■ dein Bauchgefühl
■ sensibilisierende Vorbereitung (die machst du gerade, indem du das Buch liest)
5.1. Cooper Color Code
Jeff Cooper (1920–2006) war ein United States Marine, auf ihn geht der Cooper Color Code zurück. Dieser hat nichts mit taktischen Situationen oder Alarmstufen zu tun, sondern mit dem Status der eigenen Aufmerksamkeit je nach Gefährdung. Cooper unterscheidet vier Stufen der Aufmerksamkeit:
Weiß → Der Umgebung wird keine Aufmerksamkeit geschenkt, da eine Gefährdung nicht nur ausgeschlossen, sondern überhaupt nicht bedacht wird. Leider ist das der Zustand, in dem die meisten Menschen unterwegs sind, wenn sie in der U-Bahn mit ihren Handys beschäftigt sind, in Gedanken versunken vor sich hin träumen oder nur darauf gepolt sind, Geschäfte zu erledigen. In einem solchen Zustand kannst du nur auf die Unfähigkeit des Angreifers hoffen. Coopers Rat: Never go out in condition white!
Gelb → Die Umgebung wird entspannt und gleichzeitig aufmerksam betrachtet. Eine Gefahr ist unwahrscheinlich, aber möglich, und du solltest darauf reagieren können. Beobachte deine Mitmenschen, registriere Notausgänge, Feuerlöscher, Deckung, Sicherheitspersonal usw.
Orange → In einer orangen Situation bist du mehr als aufmerksam. Du bist durch irgendetwas alarmiert und willst dir klar werden, ob es eine Bedrohung gibt. Möglicherweise musst du dich gleich wehren. Deshalb bis du angespannt und überlegst, wie du reagieren kannst. Du hast das Pfefferspray, einen Metallkugelschreiber, Schlüssel oder die Trillerpfeife in der Hand. War die Bedrohung unbegründet, schaltest du auf Gelb zurück.
Rot → Eine Gefahr ist erkannt, unmittelbares Handeln ist erforderlich!!! Es geht darum, zu kämpfen, zu fliehen oder Hilfe zu holen. Ich persönlich bevorzuge es abzuhauen, so lange es noch geht.
5.2. Abwehrmittel
Wenn ich abends alleine unterwegs bin, habe ich immer einen Stahlkugelschreiber bei mir und/oder meine Schlüssel griffbereit mit der Polizei-Trillerpfeife am Schlüsselbund. Die meisten Angreifer möchten möglichst unbemerkt eine Tat begehen. Durch Lärm, ob Schreie oder Trillerpfeife, lassen sich etliche potenzielle Täter in die Flucht schlagen, weil sie keine Aufmerksamkeit erregen wollen.
Nicht nur unsere Stimme kann der Abwehr dienen, auch unsere Zähne, Hände, einschließlich Fingernägel, und unsere Füße lassen sich vielfältig einsetzen: beißen, schlagen, kratzen, treten, rennen.
Pfefferspray halte ich für trügerisch. Wenn es blöd läuft, steht der Wind ungünstig und du setzt nicht den Täter, sondern dich außer Gefecht. Oder der Täter nimmt es dir weg und sprüht es in dein Gesicht. Es ist außerdem nicht lange haltbar, du weißt also gar nicht, ob das Spray noch wirksam ist. Allzu oft testen kannst du es auch nicht, weil es dann leer ist, solltest du es brauchen. In Deutschland ist Pfefferspray nur zur Tierabwehr zugelassen. Ohne Beschriftung „zur Tierabwehr“ fällt es unter das Waffengesetz und schon der Besitz ist strafbar. Der Einsatz gegenüber Menschen ist nur im Fall von Notwehr zulässig, definiert als Handlung, die erforderlich ist, um einen „gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff“ abzuwenden. Wer unberechtigt Pfefferspray einsetzt und andere verletzt, macht sich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar. Eine Notwehrlage kann auch zu Gunsten Dritter bestehen, also wenn du jemandem mit Pfefferspray zur Hilfe kommst. Der Einsatz von Pfefferspray kann beim Angreifer erhebliche gesundheitliche Folgen haben, wofür du in Deutschland juristisch belangt werden kannst. Wähle deshalb (in Deutschland) den Notruf, wenn du in Sicherheit bist.
Wenn du dich mit Pfefferspray sicherer fühlst:
■ Kaufe 2 Dosen, eine zum Üben, eine für den Notfall.
■ Skizziere ein Gesicht auf ein Blatt Papier und übe an der frischen Luft es zu treffen.
■ Achte auf die Windrichtung.
■ Sprühe aus 1 bis 2 Meter Entfernung möglichst in die Augen
■ Gib mehrere kurze Sprühstöße ab.
■ Kontrolliere, ob du getroffen hast und wiederhole die Übung, bist du es kannst.
Pfefferspray darf frei verkauft werden, auch online. Bei Importware fehlt manchmal die vorgeschriebene Bezeichnung „Tierabwehrspray“. Kaufe es lieber in einem Waffen- oder Jagdgeschäft. Dort wirst du beraten. Sei vorsichtig bei Sprays mit einer Fächerwirkung, leicht kannst du damit Unbeteiligte treffen. Denke daran, dass es bei öffentlichen Gebäuden in den USA und vielen weiteren Ländern einen Sicherheitscheck gibt, bevor du hinein darfst. Sollte man das Pfefferspray in deiner Tasche entdecken, kann das sehr schnell zu einer unliebsamen Reaktion des Wachpersonals führen.
Eine Körperverletzung begehst du übrigens auch, wenn du mit Kugelschreiber oder Schlüssel auf den Täter einschlägst. Natürlich kann das gerechtfertigt sein, es wird aber möglicherweise in einem gegen dich geführten Ermittlungsverfahren überprüft.
Manche schwören auf einen Taschenalarm. Der ohrenbetäubende Lärm von 110 bis 140 Dezibel ist kaum auszuhalten und schmerzt. Es gibt verschiedene Versionen. Bei den Panik-Alarmen musst du 1 bis 2 Knöpfe drücken und halten. Bei Alarmen mit Sicherheitsstift zum Herausziehen hast du danach die Hände wieder frei. Ebenso wie Pfefferspray musst du den Alarm griffbereit in der Hosentasche oder am Gürtel tragen. Und kontrolliere in regelmäßigen Abständen, ob er noch funktioniert. Dabei gewöhnst du dich gleich an den Ton, er soll ja nicht dich erschrecken, sondern den Angreifer.
Wenn wir uns mit einem Gegenstand wehren und den Täter verletzen, ist es wichtig, so schnell wie möglich nach den Geschehnissen ein Protokoll zu schreiben, das sehr emotional sein darf. Schreibe einen Tag später ein weiteres Protokoll und eine Woche später ein drittes Protokoll im Rückblick. Es geht dabei vor allem um deine emotionalen Erlebnisse und Wahrnehmungen und deine daraus resultierenden Handlungen oder auch Handlungseinschränkungen. Alle Protokolle werden bei der Polizei bzw. bei Gericht herangezogen und können dich entlasten.
32 Strafgesetzbuch
1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Der Paragraph im Kasten bezieht sich auf deutsches Gesetz, im Ausland kann das selbstverständlich anders sein.
5.3. Bauchgefühl
In meinen Seminaren zu Sicherheit auf Reisen sind es immer die erfahrenen Servicetechniker und Monteure, die auf ihr Bauchgefühl vertrauen. Je älter und erfahrener, desto mehr nehmen sie ihr Bauchgefühl nicht nur zur Kenntnis, sondern achten darauf, was es ihnen rät. Warum? Weil sie vom Bauchgefühl oft genug vor Gefahren gewarnt bzw. zur richtigen Reaktion inspiriert wurden.
Beispiele: Die Beispiele für Bauchgefühl sind vielfältig und sehr unterschiedlich, z. B. hatte ein Seminarteilnehmer ein schlechtes Gefühl, als er ins Auto stieg und ist tatsächlich wenig später wegen nasser Fahrbahn im Graben gelandet. Wegen des Bauchgefühls ist er aber langsamer gefahren als üblich, weshalb er ohne Verletzungen davon gekommen ist. Ein anderer hatte ein ungutes Gefühl, bevor er begann, ein Getriebe auszubauen und hat sich dann dabei einen Arm ausgekugelt. Wieder ein anderer hatte ein schlechtes Gefühl beim Autokauf, das Auto wurde bald darauf durch Reparaturen sehr teuer. Ich selbst war mir auf dem Weg zwischen Lamu und Malindi sicher, dass der Busfahrer das Fahrzeug in den Graben fahren wird. Keine 30 Minuten nach dem Start war es soweit. Innerlich darauf vorbereitet, hatte ich mein Gesicht geschützt und kam mit einer blutigen Nase davon. Es gab Schwerverletzte, die dieses Glück nicht hatten.
Wie sieht es bei dir selber aus? Warst du schon in Situationen, in denen sich dein Bauchgefühl deutlich bemerkbar gemacht hat? Wann war das und was war der Anlass? Wie hast du daraufhin gehandelt und was war das Ergebnis?
Schreibe es auf:
Laut Tim Bärsch, Deeskalationstrainer, bekommt jeder Mensch über Sinnesorgane ungefähr zwei bis elf Millionen Infos pro Sekunde. Bewusst verarbeiten wir davon allerdings nur fünf bis 35. Unser Unterbewusstsein weiß also definitiv mehr als unser Bewusstsein! Sei immer hellwach und achte gleichzeitig auf dein Bauchgefühl, z. B. wenn sich Menschenmengen plötzlich auflösen, die Stimmung kippt, wenn es laut oder plötzlich still wird.
5.4. Selbstverteidigungskurse
Eine gute Möglichkeit, die eigene Wahrnehmung zu schulen und gleichzeitig nützliche Verteidigungstechniken zu lernen, sind Selbstverteidigungskurse. Es gibt Wochenendkurse, die für Gefahren sensibilisieren und die wichtige Handgriffe und wichtiges Wissen für den Fall des Falles vermitteln. Ich selbst habe im Lauf der Jahre fünf verschiedene Selbstverteidigungskurse absolviert, bei Männern, bei Frauen, bei Polizist*innen, bei Kampfsportler*innen. Jeder Kurs war anders und jeder war sehr gut. Wenn ich in den Sicherheitsseminaren über Selbstverteidigungskurse spreche, kommt manchmal der Einwand, dass diese Kurse zu kurz seien und nichts bringen würden. Diese Behauptung weise ich entschieden zurück. Nicht nur, dass die Kurse für Gefahren sensibilisieren und damit helfen, brenzlige Situationen zu vermeiden; in den Kursen werden zudem wichtige erste Griffe und Reaktionen für einen Überfall eingeübt. Ich bin Dank dieser Kurse aus einem Überfall auf offener Straße in Harare herausgekommen und habe etliche Situationen entschärft bzw. mich nicht auf Situationen eingelassen. Meiner Meinung nach sind Selbstverteidigungskurse besser als reiner Kampfsport zur Verteidigung geeignet. Es geht nicht darum, viele und ausgefeilte Techniken zu lernen, sondern um sofort einsetzbare Griffe, um dich im Notfall spontan und ohne Hemmungen zu wehren. Melde dich einfach zu einem Kurs an und probiere es aus.
Selbstverteidigungskurse sind nützlich und machen großen Spaß. Sie sind bestens als Teambuilding-Maßnahme oder als Alternative zu einem Betriebsausflug geeignet.