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Paläontologische Erkenntnisse

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Dagegen sprechen nun freilich die Erkenntnisse mehrerer Wissenschaftszweige. Die Paläoanthropologie beispielsweise beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit menschlichen und menschenähnlichen Skelettfunden und deren Datierung, und sie ist aufgrund solcher Funde zu Erkenntnissen gekommen, die etwa wie folgt zusammengefasst werden können:

1. Vor rund sechs Millionen Jahren spaltete sich vermutlich eine bestimmte Affenpopulation in zwei separate Arten, von denen sich die eine über zahlreiche Zwischenstufen zum Menschen und die andere ebenfalls über Zwischenstufen zum heutigen Schimpansen entwickelte.

2. Vor rund vier Millionen Jahren begann die Art, die zum heutigen Menschen führen sollte, aufrecht zu gehen, entwickelte größere Gehirne und erwies sich aufgrund dessen als besonders überlebensfahig. Diese Gattung wird Australopithecus genannt.

3. Vor rund zwei Millionen Jahren begann eine dieser Spezies, Gegenstände der Natur – etwa scharfkantige Steine – als Werkzeuge zu benutzen, mit der sie einen neuen Stand der Überlebensfähigkeit erreichte. Diese Spezies erhielt von den Experten den Gattungsnamen Homo.

4. Vor rund 100.000 bis 200.000 Jahren trat schließlich eine Art innerhalb der Gattung Homo in Erscheinung, die einen feineren Körperbau und vor allem eine bis dahin ungeahnte mentale Effizienz an den Tag legte. Sie zeigte sich auch zunehmend mobil und sollte schließlich die ganze Erde bevölkern. Es ist die Spezies homo sapiens.8

Aufgrund der nur spärlichen Fossilfunde menschlicher und vormenschlicher Skelette lässt sich diese Entwicklung nur in Umrissen nachzeichnen, und weitere Fossilfunde werden sicherlich zu einzelnen Korrekturen dieses Modells führen, ohne es im Ganzen in Frage zu stellen. Man darf sich die Entwicklung hin zum Menschen aber nicht als einen gradlinigen Weg vorstellen, sondern muss eher von einem Gewirr von Verzweigungen, Sackgassen, Richtungswechseln und Umwegen ausgehen. Es ist auch davon auszugehen, dass über lange Zeiträume mehrere menschenähnliche Lebewesen die Erde bevölkerten, bevor sich schließlich der heutige homo sapiens sapiens durch seine Überlegenheit vollends durchsetzte.

Zu den Ergebnissen der menschlichen Paläontologie gehört auch die Erkenntnis, dass sich die wichtigsten Evolutionsschritte in Afrika, vorzugsweise in Ostafrika, ereignet haben. Das Hochland von Kenia und Tansania gilt bis heute als ein biologisches Paradies, in dem das Leben in sonst ungeahnter Weise erblühte. In diesem Gebiet leben bis auf den heutigen Tag mehr große Säugetiere als sonst irgendwo auf der Welt.9 Hier hat es nicht nur eine Fülle von Tierarten gegeben, sondern auch eine Vielzahl menschenähnlicher Arten, was an der Konzentration entsprechender Fossilfunde abzulesen ist. Es ist offenbar so, dass sich aus dichten Populationen, auch hot spots genannt, eine Fülle von genetischen Spielarten ergeben hat.

Wie kommen solche Spielarten zustande? Im Wesentlichen durch drei Methoden: durch natürliche Auslese, durch Mutationen und durch epigenetische Veränderungen.

Natürliche Auslese bedeutet, dass sich bei der Paarung die Chromosomensätze des Weibchens mit den Chromosomensätzen des Männchens verbinden und in der nachfolgenden Generation zu ganz neuen, individuellen Chromosomenkombinationen zusammenfügen, mit je eigenen Stärken und Schwächen, wie wir das von unseren eigenen Kindern kennen. Die überlebensfähigeren Nachkommen werden von potentiellen Bewerbern eher als Sexualpartner ausgewählt als die überlebensschwachen, so dass sich allein aufgrund dieser sexuellen Selektion eine Höherentwicklung im Sinne einer besseren Angepasstheit und Überlebensfähigkeit ergibt.

Dieser Prozess wird jedoch noch unterstützt durch Veränderungen der genetischen Bausteine, die wir Mutationen nennen. Das ist die zweite Methode, genetische Spielarten hervorzubringen. Wenn sich die Chromosomensätze der Weibchen mit denen der Männchen verbinden, kommt es immer wieder zu minimalen Veränderungen der DNA, also des genetischen Codes. Die meisten dieser Mutationen sind bedeutungslos, weil sie sich überhaupt nicht auf den Körper auswirken – wie übrigens nur ein kleiner Teil unserer DNA für unseren Körper eine erkennbare funktionale Bedeutung hat. Veränderungen in dem Teil der DNA, der keinerlei Funktionen ausübt, machen sich also überhaupt nicht bemerkbar, weder im positiven noch im negativen Sinn. Aus diesem Grund haben die meisten Mutationen keine Auswirkungen.

Doch nicht alle Mutationen sind harmlos. Einige genetische Veränderungen schädigen den Organismus und führen entweder zu Fehlgeburten (20 Prozent der Fehlgeburten sind genetisch verursacht) oder, wenn die Schwangerschaft doch ausgetragen wird, zu Behinderungen, die das weitere Überleben erschweren. Die meisten körperlichen Schädigungen, mit denen behinderte Kinder geboren werden, sind auf genetische Mutationen zurückzuführen. Die heutige Gesellschaft mit ihrem modernen ethischen Bewusstsein hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Menschen trotz ihrer Behinderungen in die Gesellschaft zu integrieren und ihnen Chancengleichheit einzuräumen. Doch in der Geschichte der Evolution wurden solche Schädigungen durch einen unerbittlichen Selektionsprozess aussortiert und hatten nur geringe Überlebenschancen.

Die dritte und seltenste Art der Mutationen sind solche, die für den Organismus von Vorteil sind, Mutationen, die die Reproduktionswahrscheinlichkeit erhöhen und die Überlebenschancen verbessern. Solche Veränderungen tragen, in Verbindung mit den als Methode eins beschriebenen selektiven Modifikationen, im Laufe der Generationen zu einer Höherentwicklung bei.

Seit einigen Jahren diskutieren Genetiker über eine weitere Methode der evolutionären Weiterentwicklung. Sie fanden heraus, dass gewisse Merkmale von Zellen entweder aktivitiert oder de-aktiviert werden können, je nachdem, welche Eigenschaften jeweils gefordert sind. Grundsätzlich gehen ja alle Körperzellen auf eine einzige Zellstruktur zurück, die sich aber – gemäß dem jeweiligen Bedarf – anders „konfiguriert“; man spricht hier von Genexpression. Gerade in besonderen Stresssituationen kann es sein, dass bestimmte Zellmerkmale, die normalerweise brach liegen, aktiviert werden, oder zelluläre Eigenschaften, die normalerweise aktiv sind, ruhig gestellt werden, um den Organismus besser an veränderte Umweltbedingungen anzupassen und auf diese Weise das Überleben zu sichern.

Das Sensationelle dieser Erkenntnis ist, dass sich solche erworbenen Zelleigenschaften (die also nicht durch Mutationen, sondern durch Umwelteinflüsse oder soziale Faktoren hervorgerufen wurden) sehr wohl vererben können. Die Wissenschaft, die sich mit diesen Dingen beschäftigt, ist die Epigenetik, und es ist noch nicht lange her, dass Genetiker und Biologen die Möglichkeit einer epigenetischen Vererbung von erworbenen Eigenschaften in Betracht zu ziehen begannen. Denn lange Zeit galt es – bis auf wenige Ausnahmen10 – als ausgemacht, dass sich erworbene Eigenschaften keineswegs vererben können. Einige Wissenschaftler sprechen im Zusammenhang mit dieser epigenetischen Vererbung auch von sozialer Selektion.11

Die Verbindung von natürlicher Auslese durch sexuelle Selektion, soziale (epigenetische) Selektion und genetische Mutation ist offenbar ein wirksames Instrument der Natur, angesichts eines immer härter werdenden Überlebenskampfes eine bessere Anpassungsfähigkeit und somit die Höherentwicklung der Arten voranzutreiben. Die größten Überlebenschancen hat, wer beweglicher, schneller, wahrnehmungsfähiger und intelligenter als andere ist. Die Spezies homo sapiens scheint dieses Rennen – zumindest vorläufig – gewonnen zu haben. Unsere Art bevölkert die Erde explosionsartig, während viele andere Lebewesen vom Aussterben bedroht sind. Der Mensch hat sich durch seine eigene Überlebensfähigkeit die Macht angeeignet, zu entscheiden, welche Arten geschützt, gezüchtet, gejagt, ausgerottet oder nur in zoologischen Gärten als Anschauungsobjekte gehalten werden sollen.

Und sie dreht sich doch!

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