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Positive Folgen eines politischen Zerfalls

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Der Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums markierte Anfang der Neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts das Ende des Kalten Krieges und ermöglichte als positiven Nebeneffekt auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen westlichen und östlichen Wissenschaftlern. So kam es, dass amerikanische, russische und bulgarische Meeresforscher teilweise gemeinsam das Schwarze Meer erkundeten und eine der größten wissenschaftlichen Sensationen der letzten Jahrzehnte ans Licht brachten: dass nämlich das Schwarze Meer Schauplatz der wahrscheinlich größten Natur- und Umweltkatastrophe der Menschheitsgeschichte war, in seiner Größenordnung nur zu vergleichen mit der Tsunami-Flutwelle von 2004, aber in seinen langfristigen Auswirkungen von enormer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Menschheit. Um dies näher zu erläutern, müssen wir zunächst noch weiter in die Vergangenheit zurückblicken:

Nach den Erkenntnissen der heutigen geologischen Wissenschaft gab es zwischen 120.000 und 20.000 v. Chr. die letzte große Eiszeit mit dicken Eisschichten an beiden Polen. Aber auch Skandinavien, die Ostsee und große Teile Europas waren vom Eis bedeckt, das so schwergewichtig war, dass es den halben Kontinent niederdrückte. Die Wasserbindung des Eises war so stark, dass der Wasserspiegel der Weltmeere rund 120 Meter unter dem heutigen Stand war.

Zwischen 20.000 und 12.500 v. Chr. kam es zu einer globalen Erwärmung, die bewirkte, dass viele Gletscher und das Eis an den Polen zu schmelzen begannen und sich aufgrund dieses Schmelzprozesses große Süßwasserreservoire bildeten: der Aralsee, das Kaspische Meer und auch das Schwarze Meer. Zeitweilig gab es so viel Schmelzwasser, dass sogar Süßwasser vom Schwarzen Meer über den Bosporus ins Mittelmeer hinüberlief.

Zwischen ca. 9500 und 6200 v. Chr. ließ die Eisschmelze etwas nach, so dass der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres absank und Mitte des 6. Jahrtausends v. Chr. etwa 100 Meter unter dem des Weltmeeres und damit auch unterhalb des Mittelmeeres lag, von dem das Schwarze Meer nur durch die damals noch geschlossene Bosporus-Landenge getrennt war. Zu jener Zeit konnte man also noch über diesen Verbindungsweg trockenen Fußes von Kleinasien nach Griechenland und damit nach Europa wandern. Dieser Umstand erklärt vermutlich auch, warum die Volksgruppen diesseits und jenseits des Bosporus einen genetisch engen Verwandtschaftsgrad aufweisen.

Der Leser möge sich einmal einen riesigen Süßwassersee vorstellen, der mehr als 750mal so groß wie der Bodensee ist und in den hinein sich vier bis fünf große Flüsse ergießen: der Don im Nordosten, der Dnjepr, der kleinere Bug und der Dnjestr im Nordwesten, dazu die mächtige Donau mit ihren zahlreichen Zuflüssen im Westen. Waren Flussläufe und Flussdeltas immer schon ein kräftiger Anziehungspunkt für die Menschen, so muss der riesige Süßwassersee erst recht wie ein Magnet die Menschen angezogen haben, die an seinen Ufern siedelten, in ihm fischten und sein süßes Trinkwasser auch zur Bewässerung ihrer Felder nutzten.

Um den See herum gab es eine reiche Vegetation, große Wälder, eine Vielzahl von Bäumen mit Obst und Nüssen, dazu Buschwerk und Sträucher mit Beeren und Früchten. Es war ein feuchtwarmes Klima, in dem es sich gut leben ließ. Im See selbst gab es ein reichhaltiges Angebot an Süßwasserfischen und Meeresfrüchten. Weil vermutlich immer mehr Menschen an den Schwarzmeerküsten ansiedelten, dürfte es auch einen regen Handelsaustausch und damit eine prosperierende Gesellschaft gegeben haben. Jedenfalls lässt sich das vermuten.

Marija Gimbutas gilt vielleicht als die bedeutendste Archäologin des letzten Jahrhunderts – sie stammte aus Litauen, studierte in Tübingen und lehrte bis in die Neunziger Jahre an der Universität von Los Angeles in Kalifornien. Sie befasste sich intensiv mit der Frühgeschichte Europas, wusste aber noch nichts von der hier noch zu beschreibenden Katastrophe. Doch hat sie in ihrem monumentalen Werk „Die Zivilisation der Göttin. Die Welt des Alten Europa“18 die Verhältnisse nordwestlich des Schwarzen Meeres und dem angrenzenden Osteuropa wie folgt beschrieben:

In den Wäldern gab es Wild im Überfluss. In manchen Gegenden, wie Ungarn, der Moldau, der Westukraine und Nordostbulgarien, stammten rund 40 Prozent der in den Siedlungen gefundenen Tierknochen von wildlebenden Arten. Unter den gejagten Tieren war der Auerochse (Alt-Büffel) als Fleischlieferant von großer Bedeutung; es folgten Wildschwein, Hirsch und Reh. Früchte, Beeren und Nüsse, die in höher gelegenen Wäldern wuchsen, wurden ebenfalls gesammelt. Holzäpfel, Kornelkirschen, Erdbeeren, Holunder- und Stachelbeeren, Haselnüsse und Eicheln sind in einer ganzen Reihe von Siedlungen gefunden worden. Zahlreiche Harpunen mit Widerhaken, Angelhaken und Speerspitzen aus Knochen oder Geweihmaterial im Gebiet von Theiß-, Vinca-, Karanova- und anderen Siedlungen zeugen von vermehrter Flussfischerei. Große Fische wie Karpfen, Wels und Stör trugen zur Ernährung bei, ebenso aber auch Schnecken und an der Küste Muscheln. Die Kupferverarbeitung begann um 5500 und nahm während des 5. vorchristlichen Jahrtausends zu … Mitte des Jahrtausends wurde Gold entdeckt und für die Herstellung von kultischen Symbolobjekten und Schmuck verwendet. Handwerk und Handel erreichten einen Höhepunkt, und Keramik und Architektur blühten. 19

Und sie dreht sich doch!

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