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Die Katastrophe am Bosporus

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Aber kehren wir zurück zur geologischen Entwicklung jener Zeit: Zwischen 5800 und 5500 v. Chr. gab es eine weitere Eisschmelze, so dass der Wasserspiegel des Weltmeeres um weitere 20 Meter anstieg, bis sich schließlich – und das war die sensationelle geologische Erkenntnis der Neunziger Jahre – das Wasser des Mittelmeeres um das Jahr 5500 v. Chr. unter großem Getöse und Gebrause einen Weg durch den Bosporus bahnte und in das 100 Meter tiefer gelegene Schwarze Meer ergoss.

Ob dieser Durchbruch allein aufgrund des steigenden Meeresspiegels oder vielleicht auch aufgrund eines schweren Erdbebens erfolgte, weiß man nicht sicher. Auf jeden Fall war dieser Durchstoß am Bosporus kein über viele Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte sich hinziehender gradueller Prozess, sondern ein unerwarteter, plötzlicher und sehr dramatischer Vorgang, der die Menschen wie aus heiterem Himmel überraschte.

Der Wasserfall, der sich vom Mittelmeer ins Schwarze Meer ergoss, war von unvorstellbarer Wucht und hatte die 200fache Wassermenge der Niagarafalle. Er war gekennzeichnet von ohrenbetäubendem Lärm und einer viele hundert Meter aufschäumenden Gischt, weithin sicht- und hörbar. Tage-, Wochen-, ja monatelang floss das salzige Wasser des Mittelmeeres in den Süßwassersee, den die Griechen damals noch den Pontos Euxeinos – das „gastliche Meer“ – nannten. Das Salzwasser, das sich da ins Schwarze Meer ergoss, nährte sich vom unerschöpflichen Reservoir des Weltmeeres, so dass der Wasserdruck keine Sekunde nachließ, bis sich der Meeresspiegel des Schwarzen Meeres dem des Mittelmeeres angeglichen hatte. Ungefähr ein Jahr muss es nach Berechnungen der Experten gedauert haben, bis sich das Tosen abschwächte, der Wasserfall allmählich zum Erliegen kam und am Bosporus wieder eine allerdings unheimliche und beunruhigende Stille einkehrte.

Die beiden amerikanischen Geologen und Meeresforscher Walter Pitman und William Ryan veröffentlichten in den Neunziger Jahren ihr sensationelles Buch Sintflut – ein Rätsel wird entschlüsselt.20 Darin zeigten sie auf, welche Hinweise es auf den großen Bosporus-Durchbruch und die Schwarzmeerflut gibt. In einem Prolog beschreiben sie auf literarisch ansprechende Weise, wie sie sich das Ereignis aus der Sicht von Zeitzeugen vorstellen:

Über bebenden Boden bewegen sich die Menschen auf das ohrenbetäubende Tosen zu. Der Wind blies ihnen einen salzigen, kalten Nebel ins Gesicht, in dem sich das Sonnenlicht brach; es gab keinen Schatten an diesem unheimlichen Ort. Von einer Anhöhe aus starrten sie furchtsam auf die gigantischen Sprühwasserfontänen, die sich aus der vor ihnen liegenden Kluft in den Himmel erhoben. In ihrem verborgenen Innern rumorte es furchtbar. Die Mutigsten wagten sich bis an die Kante der Klippe vor und blickten entsetzt in die Tiefe: Ihnen bot sich ein Bild der Zerstörung. Die Landschaft des einst fruchtbaren Talbodens existierte nicht mehr. Die Flanken, die sie als steile, bewaldete Hänge in Erinnerung hatten, waren ihrer Pflanzendecke beraubt. Das einstmals so friedvolle Tal hatte sich in eine einzige offene Wunde verwandelt, erfüllt von einem monströsen Leviathan, der sich schlangenhaft zum See hinabwand.

In einem Talknick donnerte das Wasser mit voller Wucht auf den Hang, fräste sich durch das Gestein und schwappte beinah bis zu dem Plateau herauf, auf dem die Wanderer standen. Das Wasser schien zu kochen, so wild schäumte und brodelte es. Ganze Bäume rotierten in den Strudeln, Stämme wurden wie Splitter in die Luft geschleudert und stürzten an anderer Stelle wieder in die Wellen oder auf die umtosten Felsblöcke. Ein großes Stück Steilhang löste sich von der Böschung, glitt ins Wasser und wurde augenblicklich davongetragen.

In weiter Ferne, wo sich der Ozean in den See stürzte, hatte sich ein gigantischer Mahlstrom aus Strudeln gebildet, in dem sich Wasser, Erdreich und Trümmer vermengten. Die Wasserströme schossen mit Hochdruck tief in den See hinein, und wo sie wieder auf seine Oberfläche trafen, hatten sich riesige Strudeltrichter gebildet. Dahinter erhob sich eine gewaltige Fontäne, von der andere Wellen zurückprallten. Und über dem ganzen Chaos ragte eine pilzförmige, schwarze Wolke auf, ständig genährt von der zu Nebeltröpfchen atomisierten Gischt und von innen durch unaufhörliche Blitze erleuchtet.

Die Druckwellen dieses Hexenkessels raubten den Augenzeugen die Sinne. Wie betäubt durch den Anblick der Vereinigung von Meer und See stolperten sie von der Klippe zurück und flohen in ihr Dorf, um den Daheimgebliebenen zu berichten, dass die Götter das Chaos entfesselt hatten und ihr aller Schicksal besiegelt sei.

Aber wer glaubt schon Berichten über eine verrückt gewordene Welt? Über eine Welt, in der die Flüsse rückwärts fließen, in der das Gebrüll eines rasenden Meeresungeheuers den Boden erbeben lässt, in der die Wasser aus der Tiefe aufsteigen und alles Leben auslöschen, das sich ihnen in den Weg stellt – und in der die Überlebenden ihre Flöße in den Baumwipfeln eines Bergwaldes festmachen … 21

In ihrem Buch, dem dieses Zitat entnommen ist, beschreiben Pitman und Ryan dann in weniger poetischer, aber gleichwohl hochspannender Weise, wie sie die überzeugenden geologischen Beweise für die Schwarzmeerflut entdeckt haben. Ich gebe hier die wichtigsten Anhaltspunkte nur in aller Kürze wider. Die Seitenangaben zu den aufgelisteten Punkten beziehen sich auf die deutsche Fassung des Buches von Pitman und Ryan:

1. Im Sommer 1967 wollte ein Team von Geologen und Chemikern der Woods Hole Oceanographic Institution eine Expedition ins Rote Meer unternehmen. Das Forscherteam wurde aber durch den Sechstagekrieg in Palästina an diesem Vorhaben gehindert und schiffte mit der „Atlantis II“ stattdessen ins Schwarze Meer, wo sie Bodenbohrungen machten und Proben entnahmen.

Was sie dort fanden, war zunächst nicht spektakulär, sollte sich aber hernach als Sensation herausstellen: Der Bohrkern bestand aus einer hellgrauen unteren Schicht und einer tiefschwarzen gelatinösen oberen Schlammschicht. Der untere, hellgraue Kern stellte offenbar Ablagerungen dar, die die Süßwasserflüsse Donau, Dnjestr, Dnjepr und Don in das Schwarzmeerbecken gespült hatten, als sie weitgehend noch aus mineralienreichem Schmelzwasser bestanden, wie man es im Verlauf der Schmelze der riesigen nordeuropäischen Eismassen der Eiszeit erwarten konnte.

Der schwarze gelatinöse Schlamm darüber war jedoch von ganz anderer Beschaffenheit. Er enthielt viele pflanzliche und tierische Überreste mit hohem Kohlenstoffgehalt. In manchen Tiefen erreichte dieser organische Kohlenstoff phänomenale 50 Prozent der gesamten Schlammmasse. Ähnliche organische Ablagerungen im Atlantik oder Pazifik enthalten normalerweise lediglich ein Prozent organischer Überreste.

Mikroskopische Vergrößerungen zeigten, dass dieser organische Schlamm vor allem aus einer Planktonart bestand, die normalerweise dicht unter der Meeresoberfläche lebt, wo sie ausreichend Sonnenlicht erhält. Die Forscher Ross und Degens schlussfolgerten, dass diese Organismen deshalb abstarben, weil sich das Süßwassermeer zu einem Salzwassermeer gewandelt hatte und sich infolge dessen diese Organismen am Meeresboden ablagerten. Aber diese beiden Forscher hatten damals noch keinen Grund anzunehmen, dass dieser Wechsel von Süßwasser zu Salzwasser sehr rasch vonstatten ging. (P/R, S. 133–135)


Das Schwarze Meer.

2. Etwa zur gleichen Zeit, als die oben erwähnten Amerikaner ihre Bohrungen durchführten, gewannen sowjetische Forscher die erstaunliche Erkenntnis, dass der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres einstmals viel niedriger gewesen sein musste als heute und dass das Meer zu einem früheren Zeitpunkt teilweise ausgetrocknet gewesen war. Zu dieser Schlussfolgerung kamen sie bei Planungsarbeiten für eine Eisenbahnbrücke quer über die Straße von Kertsch, einer 6 Kilometer breiten und 30 Kilometer langen Passage zwischen dem Schwarzen Meer und seinem nordöstlichen Ausläufer, dem Asowschen Meer.22 Um zu wissen, in welchen Boden hinein sie die Brücke gründen mussten, entnahmen sie eine Reihe von Bohrungen, um die Tiefe des Grundgesteins zu ermitteln. Dabei stießen sie in der Mitte der Wasserstraße auf eine merkwürdige Kluft, die über 60 Meter tiefer reichte als der übrige Boden der Straße von Kertsch. In der Mittelrinne dieser Schlucht hatten sich Sand und Schotter abgelagert, und dazwischen fanden die russichen Wissenschaftler die Gehäuse typischer Flussschnecken – ungewöhnlich für ein Salzwassermeer.

Dieser Umstand zwang ihnen die Erkenntnis auf, dass das Asowsche Meer einst ein trockener Landstrich gewesen sein musste, durch dessen Erdreich sich ein Fluss, offenbar der alte Don, sein Bett gegraben hatte, um sich mehr als 150 Kilometer weiter südlich in den damals noch weit kleineren Schwarzmeer-See zu ergießen, und dass dieser Flusslauf samt der Asowschen Tiefebene später vom Salzwasser überflutet wurde. (P/R, S. 135) Weitere Analysen führten die sowjetischen Forscher dann zu der erstaunlichen Schlussfolgerung, dass dieser Übergang vom Süßwassersee zum Salzwassermeer relativ rasch erfolgt sein musste.

3. Um mehr über die Ablagerungen am Boden des Schwarzen Meeres zu erfahren, untersuchten die inzwischen neugierig gewordenen Forscher der Moskauer Staatsuniversität weitere Bohrkerne entlang der Schwarzmeerküste. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild: Ob 15 oder 150 Kilometer vor der heutigen Küste: Üerall überlagerte eine etwa meterdicke dunkle Schlammschicht ehemalige Festlandbereiche wie Flussbetten, Grasssteppen und Sandwüsten. Entlang der Kante des Kontinentalsockels (also dort, wo der flache Meeresboden sich zu größerer Tiefe hinabneigt) fanden die Wissenschaftler typische Strandablagerungen, die heute aber rund 100 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. So wiesen die russischen Experten nach, dass das ehemalige Ufer des Schwarzen Meeres einstmals viel tiefer gelegen haben musste als das heutige. Alle Zuflüsse hatten damals einen deutlich längeren Weg zurückzulegen, um den Wasserspiegel des im Vergleich zu heute viel kleineren Gewässers zu erreichen. (P/R, S. 136–137)

4. Ein Forscherteam um den Bulgaren Petko Dimitrov führte Anfang der Neunziger Jahre vor der bulgarischen Küste ebenfalls eine Reihe von Sedimentbohrungen durch, deren Bohrkerne mit der C-14-Methode datiert wurden. Aus 28 Einzelanalysen ergab sich ein umfassenderes Bild als dasjenige der anderen Forscher. Überall war Dimitrov bis in eine Tiefe von 120 Metern auf sogenannte „Sedimentauswaschungen“ gestoßen, die seiner Meinung nach nur dadurch erklärt werden konnten, dass sein Boden vor rund 10.000 Jahren den Auswirkungen von Regen, Wind und Brandung ausgesetzt war. Und dies erschien nur möglich, wenn der Wasserspiegel des Schwarzen Meeres damals so niedrig gewesen war, dass weite Teile nicht von Wasser bedeckt waren. In einem Fax vom 19. März 1993 an Pitman/Ryan versicherte er den Amerikanern, „dass die Oberfläche des Schwarzen Meeres vor 9750 Jahren etwa 100 Meter tiefer lag als heute“. (P/R S. 152–153)

5. Kurze Zeit darauf wollten russische Wissenschaftler vom Schirschow-Institut für Meeresforschung in Moskau klären, ob die radioaktive Wolke der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auch das Schwarze Meer erreicht und sich in dessen schwarzem Schlamm niedergeschlagen hatte, der viele organische Stoffe enthielt. Da sie für diese Untersuchung finanzielle Unterstützung brauchten, bemühten sie sich um die Teilnahme westlicher Forscher Pitman und Ryan sahen darin eine willkommene Gelegenheit, noch mehr über die Beschaffenheit des Schwarzmeerbodens zu erfahren. Denn wer vor der russischen und ukrainischen Küste Bodenproben entnahm, hatte gute Aussichten, mit Hilfe dieser Proben auch Dimitrovs Theorie einer versunkenen Küstenlinie entweder zu bestätigen oder zu widerlegen.

Pitman und Ryan wollten aber nicht nur Bodenproben entnehmen, sondern mit Hilfe eines Sonargerätes Verlauf und Zusammensetzung des Küstenbodens und eventueller Flussläufe ausmachen. Dazu wurde den Amerikanern von einer Spezialfirma ein mobiles Sonargerät geliehen, das CHIRP (wörtlich: „Zwitschern“) getauft wurde. Die Töne, die CHIRP Richtung Meeresboden sandte und die von dort reflektiert wurden, konnten dank moderner Technik in Echtzeit am Computer in ein CAT-Bild (eine Art Ultraschall)23 des Schwarzmeerbodens umgewandelt werden. Auf ihrem Bildschirm konnten sie deutlich die obere, wassergesättigte Schlammschicht erkennen, und darunter andere Schichten, die so beschaffen waren, dass sie vormals starken Einflüssen von Wind, Regen und Brandung ausgesetzt gewesen sein mussten. (P/R, S. 159)

Die Forscher erkannten auch einige eingeschlossene Gasblasen, die wahrscheinlich aus den noch nicht vollständig verrotteten Pflanzenresten ehemaliger Lagunen und Sümpfen stammten. Einmal beobachteten sie, wie ein Schwall von Gasblasen aus dem Boden aufstieg. Solche Freisetzungen können – bei entsprechender Größe – sehr gefährlich sein, weil durch sie die Dichte des Seewassers und damit auch die Schwimmfähigkeit des Bootes darüber verringert wird. So sind in der Vergangenheit Bohrplattformen und Bohrschiffe urplötzlich gekentert, haben Feuer gefangen oder sind mit Mann und Maus gesunken. Es verwundert deshalb nicht, dass die Türken das einstmals „gastliche Meer“ (Pontos Euxeinos) im Mittelalter in das todbringende „Schwarze Meer“ umtauften. (P/R, S. 156, 162)

6. Von großer Wichtigkeit waren auch die Erkenntnisse, die Russen und Amerikaner mit ihrem Schiff Aquanaut und dem Sonargerät CHIRP über den Verlauf des Ur-Dons vor seiner Überflutung und Verschlammung gewannen. Sie überquerten ihn mehrfach in Höhe der damaligen Küste, konnten zeigen, dass er ca. 400 Meter breit war und sich kurz vor seiner Mündung ins abgesunkene Schwarze Meer in ein Delta aufzweigte. Und: Sie konnten jetzt deutlich die ehemalige Küstenlinie ausmachen, in die hinein sich einst der Don ergoss. (P/R, S. 159–162)

Anschließend fuhren sie mit der Aquanaut noch an der nordwestlichen Flachküste entlang, wo die Flüsse Dnjestr und Dnjepr ins Meer flössen. Hier, am Rande des Kontinentalsockels, wo man nunmehr den abgesunkenen Meeresspiegel vermutete, machte das Sonargerät regelrechte Sanddünen aus. Hätte die See das Land nur allmählich überflutet, so wussten die erfahrenen Forscher, wären die Dünen beim Übergang vom Land durch die Brandungszone zum Meeresgrund vom Wasser abgetragen, zumindest aber stark deformiert oder eingeebnet worden, denn lockerer Sand hätte den starken Küstenwellen wenig entgegen halten können. Doch das Sonarbild zeigte am Meeresboden eindeutige Dünenlandschaften, die immer noch gut erhalten waren. Dies belegte wiederum, dass die Überflutung sehr schnell vonstatten gegangen sein musste.

7. Später schifften die Forscher noch an der viel steileren Ostküste am Kaukasus vorbei. Auch hier kam alle paar Kilometer ein Fluss aus den Bergen, der sich eine klaffende Schlucht in den Kalk- und Sandstein gegraben hatte. Doch flachten diese Einschnitte in Ufernähe nicht etwa ab, wie man das normalerweise erwarten würde, sondern führten einfach ins Meer hinein, als wäre dieses nie da gewesen. Die Küste war in lauter tiefe, geschützte Buchten untergliedert. Dies bestätigte wiederum, dass der Schwarzmeerspiegel ursprünglich tiefer gelegen haben musste und dann überflutet worden war (P/R, S. 178).

Weil sie mit ihrem Sonargerät den Meeresuntergrund so hervorragend abtasten konnten, beschloss der russische Expeditionsleiter, so nebenbei auch noch ein an dieser Küste versunkenes Vergnügungsschiff zu orten, dessen genaue Lage bisher niemand hatte bestimmen können. Des Schiffes geisterhafte Umrisse zeichneten sich alsbald auf dem CAT-Bildschirm ab.

8. Von immenser Bedeutung für die russischen und amerikanischen Wissenschaftler waren aber vor allem die Gesteinsproben, die die Crew der Aquanaut dem Boden des Schwarzen Meeres entnahm. Alle Proben zeigten dasselbe Muster: oben eine circa ein Meter dicke Schicht olivgrauen Schlammes, unten harter, trockener Lehm. Dazwischen eingeschlossen eine ca. 30 Zentimeter dicke Schotterschicht.

Der harte Lehmboden war der deutliche Hinweis darauf, dass dieser Boden einst oberhalb des Wassers lag und ausgetrocknet war, da er bei der späteren Überflutung nicht mehr viel Wasser aufnehmen konnte. Hätte der Boden nie freigelegen, wäre er viel poröser und wasserhaltiger gewesen. Der Wassergehalt betrug jedoch nur einen Bruchteil dessen, was in Meeresböden sonst üblich ist.

Die harte Schotterschicht zwischen Lehm und Schlamm entpuppte sich bei näherer Untersuchung als eine Schicht klein zermalmter Süßwassermuscheln der Art Dreissena rostriformis, auch als Zebramuscheln bekannt. Pulverisiert waren diese Muscheln offenbar deshalb, weil sie trockengefallen, ausgedörrt und der Luft bzw. Wind und Wetter ausgesetzt und darum platt getrampelt waren.

Die obere Schicht mit dem olivgrünen gelatinösen Schlamm enthielt Muscheln und Salzwassertiere, die ein Hinweis darauf waren, dass die Überflutung des exponierten und hartgewordenen Lehms durch Salzwasser erfolgte.

9. An der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA wurden die Süßwassermuscheln der unteren und die Salzwassermuscheln der oberen Bohrkerne einer neuartigen Datierungsmethode (AMS) untersucht. Diese Accelerator Mass Spectrometry ist ein wesentlich genaueres Datierungsinstrument als die herkömmliche C-14-Datierungsmethode. Auch braucht man dazu nur einen Bruchteil des Materials.

Das Rätsel, das es bei dieser Datierung zu lösen galt, war das Folgende: Würden die Datierungen der unteren Muscheln stark vom Alter der oberen abweichen, so wäre dies der Hinweis für einen entsprechend langsamen Übergang vom Süßwassersee zum Salzwassermeer. Eine dicht beieinander liegende Datierung hingegen wäre der letztgültige Beweis für eine plötzliche, katastrophenartige Überflutung, falls es eines solchen Beweises nach den oben beschriebenen Befunden überhaupt noch bedurfte.

Es zeigte sich bei der Datierung, dass alle Muscheln, ob Süßwassermuscheln oder Salzwassermuscheln, praktisch dasselbe Alter hatten. Bei einer Fehlerabweichung von +/− 35–50 Jahren, wurden die Muscheln allesamt auf die Zeit um 5550 v. Chr. datiert. (P/R, S. 191) Dieses Datum wird im wesentlich auch von den bulgarischen Forschern Petko und Dimitar Dimitrov bestätigt (S. 29 u. 50).24

10. Gänzlich unabhängig von Pitman und Ryan war Bob Karlin, ein Geologe der University of Nevada in Reno, zu der Erkenntnis gekommen, dass es am Bosporus einen großen Durchbruch gegeben haben musste. Karlin hatte am Boden des Schwarzen Meeres eine Ablagerungsschicht gefunden, die er sich nur durch eine gigantische Unterwasserlawine erklären konnte. Mit Echoloten hatte er am Bosporus einen großen unterseeischen Canyon entdeckt, der in eine strahlenförmige „Schürze“ aus Sedimenten auslief. Karlin glaubte, dass einströmendes Salzwasser des Mittelmeeres die Lawine ausgelöst und den Canyon geflutet hatte. Die mitgerissenen Sedimente wurden über Hunderte von Kilometern verteilt. Doch Karlin war mit seiner Entdeckung vom Bosporus-Durchbruch nicht an die Öffentlichkeit gegangen, weil er sich nicht hatte vorstellen können, dass ihm irgendjemand diese wahnwitzige Theorie allein aufgrund dieses einzelnen Befundes abkaufen würde. (P/R, S. 208) Als er aber später von Pitman und Ryans Forschungen hörte, nahm er Kontakt mit ihnen auf, weil er nunmehr seine eigene Vermutung voll bestätigt sah.

Soweit die kurze Darstellung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, die zur Erkenntnis der Schwarzmeerflut geführt haben.

Walter Pitman hat übrigens aus der heutigen Tiefe des Mittelmeeres und seiner damaligen Wasserhöhe den Wasserdruck berechnet, mit dem sich das Mittelmeer damals, um 5500 v. Chr., in das Schwarze Meer ergossen haben musste. An den engsten Stellen musste der Strom eine Geschwindigkeit von 80 Kilometer pro Stunde erreicht haben. Das Schwarze Meer wäre bei diesem Zustrom täglich um 15 Zentimeter angestiegen. Menschen auf dem schwach abfallenden Schelf im Norden des Schwarzen Meeres hätten täglich mindestens 400 Meter weiterziehen müssen, um mit dem Ansteigen des Wassers Schritt zu halten. Für einen einzelnen Fußgänger wäre dies ohne weiteres möglich gewesen. Für ganze Dörfer und Siedlungen hingegen musste dieser rasche Wasseranstieg einer Katastrophe gleichkommen, weil diese Dörfer innerhalb weniger Wochen unwiederbringlich überflutet wurden.

Es ist möglich, dass viele Bewohner frühzeitig gewarnt wurden, da sie bei einem Wasserfall der 200fachen Größe der Niagarafälle die Vibrationen unter ihren Füßen gespürt haben müssen. Wer die Warnungen und alarmierenden Vorzeichen jedoch außer Acht ließ und darauf vertraute, dass die Fluten irgendwann wieder zurückweichen würden, kam unweigerlich darin um. (P/R, S. 207–208) Viele Menschen werden sich vermutlich auf Anhöhen geflüchtet haben, in der Hoffnung, die Flut würde nach einer Weile wieder zurückweichen. Doch das Wasser stieg unaufhaltsam weiter, bis es diese Menschen verschlang und unter sich begrub.

Und sie dreht sich doch!

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