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Eva

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Es leben heute rund dreieinhalb Milliarden Frauen auf der Welt, die alle ihre Mitochondrien von ihren Müttern geerbt haben. Zwar haben auch die heute lebenden dreieinhalb Milliarden Männer ihre Mitochondrien von ihren Müttern geerbt, aber da die Männer ihre Mitochondrien nicht weitergeben können, wollen wir uns hier auf die Frauen konzentrieren.

Gehen wir nun eine Generation zurück und denken an die Mütter der heute lebenden Frauen. Nicht alle diese Mütter hatten Kinder. Und von denen, die Kinder hatten, gab es manche, die nur Söhne, aber keine Töchter zur Welt brachten. Diejenigen, die keine Töchter hatten, konnten ihre Mitochondrien auch nicht an die heutige Generation weitergeben. Das heißt, dass die Mitochondrien der heute lebenden Frauen nur aus einer Untergruppe der Mitochondrienlinien hervorgegangen sind, die in der vorhergegangenen Generation vorhanden waren. Ähnliches gilt für die Generation der Großmütter, von denen auch ein Teil keine Töchter hatte. Zur Mitochondrien-DNA der heutigen Frauen haben also weniger Großmütter als Mütter beigesteuert, so dass die Zahl der Mitochondrienlinien der vorvorigen Generation, die bei den heute lebenden Menschen vorhanden sind, niedriger sein muss als in der Generation der Mütter.

Das bedeutet, dass sich die Zahl der Mitochondrienlinien umso mehr reduziert, je weiter wir von einer Generation zur vorigen zurückgehen. Sie reduziert sich von Milliarden zu Millionen zu Tausenden und Hunderten, bis hin zu Zehnern und Einern. Am Ende schrumpft die Zahl der Mitochondrienlinien, die heute noch in lebenden Frauen vorhanden sind, auf eine einzige. Diese Erkenntnis, obwohl zwingend in ihrer Logik, hat auch die damit beschäftigten Wissenschaftler zunächst sehr verblüfft. Denn sie bedeutet, dass alle heute lebenden sechs Milliarden Menschen von einer einzigen Frau abstammen müssen! Diese eine Frau, die für alle heute lebenden Menschen die Mitochondrien-DNA geliefert hat, wird gerne als Mitochondrien-Eva oder schlicht ‚Eva‘ bezeichnet.

Man muss sich nun allerdings gleich vor einer voreiligen und irrigen Schlussfolgerung hüten: dass nämlich diese ‚Eva‘ die einzige Frau ihrer Zeit gewesen sei. Keineswegs. Vielmehr lebten zeitgleich mit ihr andere Frauen, die andere Mitochondrienlinien aufwiesen, die aber nicht bis heute weitergegeben wurden, sondern deren Mitochondrien im Laufe der Zeit ausstarben, weil sie nicht durchgängig bis heute an nachfolgende Generationen vererbt werden konnten. Nur die Mitochondrien unserer Mitchondrien-Eva haben also überlebt.

Kann man sagen, wann und wo ‚Eva‘ gelebt hat? Die Genetiker, die sich zuerst mit den Mitochondrien beschäftigten – es waren dies Allan Wilson, Rebecca Cann und Mark Stoneking von der Universität Berkeley – kamen 1987 aufgrund von Analysen (der Zahl der Generationen und der vererbten Mitochondrienlinien) zu dem Ergebnis, dass ihre Mitochondrien-Eva vor rund 200.000 Jahren gelebt haben müsse. Inzwischen ist dieses Ergebnis durch genauere Berechnungen auf etwa 150.000 Jahre vor unserer Zeit korrigiert worden.

Obwohl alle heute lebenden Menschen ihre Mitochondrien von einer einzigen Frau empfangen haben, weichen unsere Mitochondrien-DNAs doch allesamt von der ursprünglichen ab. Der Grund: Mutationen. Im Laufe der Zeit haben sich die Mitochondrien immer wieder zufällig verändert, und diese Veränderungen sind entsprechend an die nächste Generation weitergegeben worden. Insofern gibt es mit ‚Eva‘ Ubereinstimmungen, aber auch Abweichungen. Durch sorgfältige Vergleiche lassen sich die Veränderungen nachzeichnen, so dass erkennbar wird, welche Bausteine ursprünglich sind und welche erst später auftraten.

Die Südafrikanerin Himla Soodyall, Humangenetikerin an der University of Witwatersrand, hat sich intensiv mit der Mutationsgeschichte der mitochondrischen DNA beschäftigt. Sie ist eine von vielen Humangenetikern, die sich von dem großen italienischen Professor Luca Cavalli-Sforza haben inspirieren lassen, der seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten lebt und an der Stanford-Universität wie kein zweiter dieses Forschungsfeld der Populationsgenetik geprägt hat. Sie hat Proben von Menschen auf der ganzen Welt untersucht und sich mit ihren genetischen Variationen befasst.

Soodyall fand heraus, dass es unter Afrikanern einen größeren Variantenreichtum der Mitochondrien gibt als unter der übrigen Menschheit. Sie entdeckte auch, dass es bei den Buschmännern im Süden Afrikas einige der ältesten Mitochondrien-Formen gibt, die kurz nach der mitochondrischen Eva entstanden sein müssen. Die Schlussfolgerung, die sie Anfang der Neunziger Jahre daraus zog, war, dass die modernen Menschen zuerst in Afrika entstanden sind, da dort die ältesten Mutationen existieren. Als später eine kleine Gruppe Afrikaner nach Eurasien wanderte, repräsentierten sie allerdings nur einen Teil der in Afrika vorhandenen mitochondrischen Varianten. Steve Olson erklärt das anschaulich so: „Wären Menschen ein Kartenspiel wie die Untertanen der Herzkönigin in Alice im Wunderland, dann hätten nur die Siebenen, Achten, und Neunen Afrika verlassen. Folglich ist bis heute die mitochondriale DNA von Afrikanern immer noch etwas variantenreicher als die von Nichtafrikanern.“

Die Schlussfolgerungen dieser Untersuchungen waren jedenfalls sensationell: Jeder Mensch, der heute lebt, auch wenn er nicht selbst Afrikaner ist, stammt von Afrikanern ab. Afrika ist, wenn wir die mitochondrischen Erkenntnisse zugrunde legen, die Wiege der Menschheit. Diese Erkenntnis ist nicht nur in evolutionsbiologischer Hinsicht eine handfeste Überraschung, sondern auch von erheblicher Tragweite für den Abbau rassistischer Vorurteile. Sagt Soodyall: „Diese Daten bergen das Potential, Rassismus abzuschaffen. Rasse ist ausschließlich durch die Umstände bedingt. Sie etabliert eine soziale Hierarchie, die Menschen ausnutzen können, um andere auszubeuten. Aber diese Hierarchie hat keine biologische Grundlage.“14 Diese humangenetischen Erkenntnisse bestätigen nebenbei auch die paläontologischen Befunde, die ja ebenfalls nach Afrika weisen.

Und sie dreht sich doch!

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