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Luise

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, das gilt auch bei der Polizei. Und so ertrug es die junge Kommissar-Anwärterin geduldig, mit dem dickleibigen Polizeihauptwachtmeister Bullrath im Streifenwagen „Düssel 14“ unterwegs zu sein, von ihm etwas lernen zu sollen und dabei ständig von seinem widerlichen Mundgeruch eingehüllt zu werden. Sie mochte diesen Menschen nicht, und er mochte das junge Ding an seiner Seite nicht. Hielt diese Marion Zelenka sich für etwas Besseres? – Musste sie ihn bei jeder passenden Gelegenheit korrigieren, seinen Fremdwörtergebrauch ständig verbessern, ihn auf Rechtschreibfehler in seinen Protokollen hinweisen? – Aber es war nicht nur das allein; er mochte überhaupt keine „Weiber“ im aktiven Polizeidienst.

Er war nicht der einzige Kollege, der sich von ihr genervt fühlte. Aber ihr häufiges Besserwissen, ihr ungefragtes Einmischen in Gespräche, ihre forsch geäußerten Zweifel und ihr Hang zu Eigenmächtigkeiten beruhten weder auf Arroganz noch auf übertriebenes Geltungsbedürfnis. Sie waren vielmehr Ausdruck einer Unzufriedenheit darüber, in ihrem derzeitigen Job unterfordert zu sein. Wie viele Aktionen hätte sie von vornherein anders angepackt! Unkonventioneller, zielstrebiger, härter, statt immer nur von der Sorge getrieben, sich den Rücken frei zu halten.

Es war schon später Nachmittag, da meldete die Zentrale, im Kaufhaus Schlütter werde eine weibliche Person festgehalten, die telefonisch um Hilfe nachgesucht habe. „Düssel 14 übernimmt”, durfte Marion zurückmelden, und PHW Bullrath lenkte den Wagen vor das genannte Geschäftshaus. Beim Aussteigen bemerkte er brummig: „Ich führe hier den Einsatz, klar?“

„Okay, okay”, antwortete die junge Polizistin hastig und ärgerlich und hätte am liebsten „du Arschloch“ hinzugefügt. Sie war eine auffallend hübsche, schlanke Erscheinung, die – trüge sie keine Uniform – so mancher eher auf dem Laufsteg als bei der Polizei vermutet hätte. Ihr mittellanges blondes Haar schimmerte ein wenig rötlich, aus dem schmalen Gesicht leuchtete ein Paar himmelblauer Augen, die je nach Mimik ausdrucksvoll mild und wohlwollend dreinschauten oder aber – wie jetzt – abweisend, kalt und misstrauisch ihr Gegenüber musterten. Ihr Wesen strahlte Ruhe und Besonnenheit aus, - dennoch, manche nannten sie spröde, weil sie mit weiblichem Charme im Alltag arg zu geizen pflegte; in ihren Augen aber blitzte und funkelte es, als seien sie die Bühne all ihrer Emotionen. Sie rede mehr mit den Augen als mit dem Mund, hatte ihr Freund Henning einmal treffend bemerkt.

Eine Verkäuferin schien die beiden zu erwarten und führte sie sogleich eine Treppe hinauf in einen Büroraum. Hinterm Schreibtisch erhob sich ein untersetzter glatzköpfiger Herr mit kugelrundem Kopf und listigen Schweinsäuglein; er stellte sich vor als Berthold Krappe; er sei hier der Filialleiter. Der hagere, etwas ungepflegt wirkende Mann neben ihm sei Herr Jonas, der Hausdetektiv. Und dort in der Ecke auf dem Stuhl, das sei die Diebin, die man am Ausgang erwischte, als sie mit gestohlener Ware das Haus verlassen wollte und dabei den elektronischen Alarm auslöste.

„Die Frau weigert sich, uns ihre Tasche und diese Papiertüte da kontrollieren zu lassen. – Sie war es übrigens, die mit ihrem Handy die Polizei anforderte, - nicht wir“, bemerkte Herr Krappe. „Wir treiben wegen eines einfachen Ladendiebstahls normalerweise nicht solchen Aufwand.“

Wütend sprang die vermeintliche Diebin auf, beteuerte lautstark ihre Unschuld; sie wolle eine Anzeige machen gegen „diesen Schlampladen“ wegen Freiheitsberaubung; denn man hielte sie hier seit über einer Stunde grundlos gefangen.

BHW Bullrath kramte seinen Block hervor und begann die Personalien aller Beteiligten aufzunehmen. Währenddessen wanderten Marions Blicke von einem zum anderen; sie betrachtete auch interessiert die geschmacklosen Einrichtungsgegenstände und den Barockrahmen-Kitsch an den Wänden. Dann musterte sie die Diebin, deren Name Luise Feldmann war: dunkles, leicht gelocktes Haar, gebräuntes Gesicht, gut gekleidet, hübsche Figur und diese Stiefelchen, - super, am liebsten hätte sie gleich gefragt, wo es die zu kaufen gibt. Ein leises Gefühl von Sympathie beschlich sie für diese junge Frau, während Bullrath Luises Papierbeutel nahm und den Inhalt auf dem Schreibtisch ausbreitete.

„Aha. Schauen wir mal ... Also: dieses Parfüm, dieses After-shave, diese Body-Lotion, - ja das sind die Waren, sie stehen nicht auf dem Kassenbon“, konstatierte der Hausdetektiv. „Und das, meine Dame, ist einwandfrei Ladendiebstahl. Und solchen bringen wir zur Anzeige.“

Luises Bräune bekam einen gräulichen Schimmer. „Wie kommt das Zeug in diesen Beutel?“, fragte sie fassungslos und entsetzt. „Diese Marken benutzen weder ich noch mein Mann! – Außerdem habe ich es - weiß Gott - nicht nötig, irgendetwas zu klauen! Und solchen Schrott schon gar nicht!“

„Das sagen alle”, meinte der Detektiv grinsend. Bullrath nickte zustimmend und klappte seinen Schreibblock zu. Der Fall war ja wohl klar. Hilfesuchend blickte Luise zu der jungen Polizistin, die bisher kein Wort gesagt hatte. Auch Marion erschien die Sachlage eindeutig; ihr war nur deshalb nicht recht wohl zumute, weil ihr unter den Anwesenden in diesem Raum drei Leute höchst unsympathisch waren, während ausgerechnet die vermeintliche Diebin Luise so etwas wie positives Interesse in ihr weckte. Wie eine Ladendiebin sieht die nicht aus, dachte sie, - aber wem sieht man so etwas schon an? – Auch ihr Verhalten wirkt echt und ehrlich, - aber vielleicht ist sie ja nur eine gute Schauspielerin ... Schließlich gab sich Marion einen Ruck und trat an den Schreibtisch.

„Ach – kommen Sie doch mal mit”, forderte sie Luise auf, „nehmen Sie Ihre Tüte und packen Sie alles, was unstrittig Ihnen gehört, dort wieder hinein.“

Während die Beschuldigte dem fragenden Blickes Folge leistete, knurrte PHW Bullrath sichtlich genervt: „Frau Zelenka, ich bitte Sie! -Was soll das denn jetzt noch?“

„Bleiben Sie hier und schreiben Sie schon mal in aller Ruhe das Protokoll”, erwiderte Marion schnippisch. „Wir sind gleich zurück.“ Und damit schob sie Luise samt Einkaufstüte zur Tür hinaus, die Treppe hinunter in den Verkaufsraum und dann nach draußen auf die Straße. Dort ließ sie sich erklären, was in der Tüte drin war, bevor sie das Kaufhaus Schlütter betrat.

„Diese zusammengerollte Tischdecke, die ich vorher bei Landwehr gekauft - und übrigens auch bezahlt habe!“, sagte Luise ärgerlich und ratlos zugleich. Sie sollte sich noch weitaus mehr wundern über die junge Polizistin; denn nun musste sie erklären, von welcher Straßenseite aus sie gekommen war, um dann – Schritt für Schritt – genau den Weg durch das Kaufhaus zu gehen, den sie zuvor genommen hatte. Ob sie wirklich so schnell gegangen sei, wollte Marion plötzlich wissen. Nein? – Also bitte das Ganze von vorn! – Ob sie ihre Tüte wirklich am linken Arm hielt? – Nein? – Also bitte nochmals von vorn mit der Tüte am rechten Arm. – An einer Stelle stockte Luise kurz.

„Was war hier?“ – Ach nichts weiter, meinte Luise, aber Marion blieb unerbittlich. Was wichtig und was unwichtig sei, würde allein sie bestimmen. „Also bitte ...“

„Ach ja”, stöhnte Luise, „hier hat mich dieser Klaus plötzlich mal wieder angequasselt. Der Macho belästigt mich seit einiger Zeit in schöner Regelmäßigkeit. Er will nicht kapieren, dass ich glücklich verheiratet bin und absolut nichts mit ihm zu tun haben will.“

Marion ließ sich mehr von dem aufdringlichen Klaus berichten und erfuhr weiter, dass Luise ihm hier im Laden eine eindeutige und überaus krasse Abfuhr erteilt hatte. Dann habe sie ihn stehen lassen und sei einfach weiter gegangen.

„Ist er Ihnen gefolgt?“, fragte Marion, und als Luise den Kopf schüttelte, wollte sie wissen, in welche Richtung denn Klaus gegangen sei. Das wusste Luise nicht, denn sie hatte sich nicht mehr nach ihm umgedreht. Und messerscharf schloss Marion: „Also wissen Sie gar nicht, ob er Ihnen nicht doch gefolgt ist.“

Sie gingen weiter. „Da drüben vor der Flimmerkiste habe ich eine Weile gestanden und zugeschaut”, sagte Luise. „Da wurde ein Film mit Make-up-Tipps gezeigt.“ – Marion bestand darauf, dass Luise sich an gleicher Stelle in gleicher Positur vor den Monitor stellte und ließ sich dann im Einzelnen die Schminktipps aus der Erinnerung erzählen. Währenddessen stellte sie fest, dass alle drei der angeblich geklauten Produkte in einem Regal in unmittelbarer Nähe zu finden waren. Das Regal stand jedoch, so lange sie in den Monitor schaute, außerhalb von Luises Sichtwinkel, die Papiertüte über ihrem Arm war hingegen diesem Regal direkt zugewandt.

„Von hier bin ich dann nach drüben zu den Putzmitteln gegangen”, erklärte Luise schließlich und machte sich dorthin auf den Weg. Sie habe nur ein Anti-Mücken-Spray gekauft und sei damit direkt zur Kasse gegangen. Auch diesen Weg musste sie exakt wiederholen, als sie plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. „Da hinten, der Mann mit der braunen Cord-Jacke, das ist der Klaus. Klaus Vollmer! Was will der denn jetzt noch hier?“

„Das möchte ich auch gern wissen.“ Ein Lächeln huschte über Marions Gesicht, als sie quer durch den Laden zu dem Mann namens Klaus eilte. „Polizei. Bitte ihren Ausweis.“

Verwundert kam der Mann nach erneuter Aufforderung dem nach.

„Herr Vollmer, Sie stehen im Verdacht, einen Ladendiebstahl vorgetäuscht zu haben. Wir müssen das aufklären. Kommen Sie bitte mit.“

Als Klaus Vollmer die von ihm heiß begehrte Luise entdeckte, wurde ihm sichtlich unbehaglich zumute. Er murmelte etwas daher, was in unverständlichem Gestotter endete.

Beschwichtigend und geradezu gutmütig bluffte Marion: „Na ja, das sollte ja wohl nur ein Scherz sein, nicht wahr? – Sie haben der Frau Feldmann damit wirklich einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“

Er druckste noch ein wenig herum. Erst als ihm Marion die wenig attraktive Alternative einer Strafverfolgung aufzeichnete, gab er kleinlaut zu, heimlich ein paar Waren in Luise Tüte bugsiert zu haben, während sie interessiert der Darbietung auf dem Monitor folgte. Natürlich sollte all das nur ein Scherz sein. Schließlich sei er ja deshalb die ganze Zeit über im Laden geblieben, um die Sache selbstverständlich zur rechten Zeit aufzuklären.

Luise fiel ein Stein vom Herzen, auch wenn sie keineswegs an einen makabren Scherz zu glauben vermochte. Nein, diesen Klaus kannte sie als hinterlistigen, verschlagenen Menschen. Aber sie wollte aus Dankbarkeit der netten, hilfsbereiten Polizistin nicht ins Wort fallen. Und so ließ sie den Mann vor dem zornesroten PHW Bullrath seine scheinheilige Aussage machen, - egal, Hauptsache dieser Alptraum würde bald vorbei sein.

Das Schlusswort sprach allerdings die junge Kommissar-Anwärterin, als sie das Wort an Klaus richtete: „Gegen Sie ergeht Anzeige wegen Ladendiebstahls, Vortäuschung einer Straftat und so weiter ... Der Staatsanwalt wird sich schon das Passende heraussuchen. Denn ich glaube Ihnen kein Wort. Sie sind so lange Zeit in den Geschäftsräumen geblieben, um sich daran zu ergötzen, wie Frau Feldmann in Schwierigkeiten gerät, - als Revanche, weil sie kurz zuvor bei ihr abgeblitzt sind. Doch das wird ein Nachspiel haben, dafür werde ich sorgen!“

„Aber Sie haben doch selbst eben gesagt ...“

„Dreist und naiv zugleich, keine gute Paarung. Tja, wer selber schon vor Arglist klebt, braucht anderen nicht erst auf den Leim zu gehen. Ihr Pech! Ich würde Sie gern wieder sehen, - vor Gericht.“

Kaum hatte sich Luise wieder gefangen, da bestand sie darauf, Marions Adresse zu bekommen, um sich in irgendeiner Weise zu bedanken. Sie beharrte darauf, die junge Polizistin habe nicht einfach nur ihre Pflicht getan, sondern weitaus mehr. Und wenn Luise sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wurde jeder Widerstand irgendwann zwecklos.

Tage später trafen sich die beiden Frauen in einem Cafe zu einem kleinen Plausch; irgendwann erblickte man sie gemeinsam beim Einkaufsbummel die Straße entlang schlendern – man sah sie immer häufiger zusammen.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft?

Zelenka - Trilogie Band 1

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