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Adel verpflichtet?

Die Lokalpresse kannte seit Tagen nur ein Thema: Den Spuk in der Villa des Grafen Hohenburghof. Da wanderten nachts geheimnisvolle Nebel durchs Haus, begleitet von unsäglich klagenden Stimmen, die Worte von Tod und Vernichtung zelebrierten. Nach etwa fünf Minuten endete der ganze Zauber mit einem langen markerschütternden Schrei, der immer lauter wurde und mit einem dumpfen Aufschlag endete, als sei jemand im Flur von der obersten Etage übers Geländer zu Tode gestürzt. Und das alles wiederholte sich manchmal bis zu fünfmal in der Nacht.

So jedenfalls hatte die völlig entnervte Gräfin Hohenburghof den Fall der Polizei geschildert, von der sie sich aber völlig unverstanden fühlte, weil die Beamten sie nach Aufnahme eines Protokolls an eine Psychologische Praxis verwiesen.

Menschen in Not, deren Sorgen die Obrigkeit ignoriert, finden zum Glück oft Trost und Gehör bei der Presse. Und so machten sich zwei Lokalreporter auf, der Gräfin beim Schlaf zuzusehen und den Spuk selber mit zu erleben. In der ersten Nacht passierte nichts, doch in der zweiten, als diese heulenden Nebelgestalten auf die beiden Presseleute zukamen, innerlich anfingen zu glitzern, riesige schreckliche Fratzen zeigten und mit klobigen Händen und langen knochigen Fingern sie zu greifen drohten, da suchten die beiden Helden das Weite und machten sich flugs daran, schaurige Erlebnisberichte zu schreiben, wobei Armin Junkers eine ganz besonders farbige Reportage gelang.

Mit diesen Presseberichten in der Hand machte sich am nächsten Tag der Graf persönlich auf, um behördlichen Schutz für seine Gattin anzufordern. Kirche, Stadtrat, Bauamt, Polizeibehörde – überall wo alte Freunde, Verwandte oder Abhängige der gräflichen Familie saßen, wurde er vorstellig, bis ihm schlussendlich zwei Polizeibeamte zur Klärung des Falles zugesagt wurden.

Nun genossen die beiden Reporter in der Stadt ein recht hohes Ansehen wegen der Objektivität ihrer Berichte. Natürlich äußerten die meisten Leser im Brustton der Überzeugung, nicht an Spuk zu glauben, - aber wer weiß, vielleicht könnte ja doch etwas dran sein. Bekanntlich gibt’s ja zwischen Himmel und Erde mehr Dinge, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt. Und angesichts solcher Zweifel ließen sich auf die Schnelle keine uniformierten Beamten finden, die zu diesem Geister-Einsatz bereit waren. Alle Angesprochenen erfanden wohlklingende Ausreden.

Von mehreren Stellen bekniet, schaltete sich auch Kriminalrat Dr. Sowetzko ein. Vielleicht würden die harten Kerle der Mordkommission genügend Mumm mitbringen, die Frau Gräfin nächtens zu bewachen und eine Erklärung für den Spuk zu finden. Mit diesem Anliegen betrat er das K21, allerdings in einem höchst unpassenden Augenblick.

Denn Marion, die zuvor erfahren hatte, welche Probleme es gab, zwei Uniformierte zur Geistervertreibung abzustellen, hatte gerade bei ihren Jungs eine Mordsgaudi und ein Hohngelächter ausgelöst, als sie spöttisch bemerkte: „Am Ende werden die uns noch fragen. - K21, der neue Fachbereich für Geister, Schwachsinn und Gruselfälle ...“

Dr. Sowetzko winkte daraufhin nur freundlich in den Raum und schloss rasch wieder die Tür. Er verspürte keine Lust, sich von seiner Hauptkommissarin sagen zu lassen, dass niemand in ihrem Bereich Lust oder Zeit zu solchem Geister-Theater habe. Und er hätte ihr das nicht einmal verübeln können. Prompt musste er am anderen Morgen in der Lokalpresse von dem Skandal lesen, dass die Polizei bedrohter Gräfin jeglichen Schutz verweigere. Er nahm es gelassen zur Kenntnis. Aber dieser Gleichmut war nur von kurzer Dauer; denn wenig später erhielt er eine erschreckende Meldung ...

Im K21 zog man gerade deftige Witze über die neusten Pressemeldungen zum Geister-Thema, als Dr. Sowetzko aufgeregt hereinstürmte. „Frau Zelenka, entschuldigen Sie, wenn ich die heitere Stimmung hier im Raum etwas dämpfe ... Gräfin Hohenburghof ist ermordet worden. Und wissen Sie warum?“

Marion schüttelte verwundert den Kopf. Welch blöde Frage!

„Wissen Sie denn wenigstens von wem?“

Marion hob bedauernd die Schultern. Eine noch blödere Frage!

„Nicht? - Dann seien Sie so liebenswürdig, es möglichst bald heraus zu finden! – Gräfin Hohenburghof erwartet Sie bereits voller Ungeduld in der Pathologie, übrigens mit acht Messerstichen im Bauch.“

Schon in der Pathologie? - Marion sah ihren Chef strafend an: „So – so. Und warum kriegen wir diesen Fall erst dann, wenn andere schon drin rumgerührt haben?!“

Dr. Sowetzko zog die Stirn in Falten; er verkniff sich ein Lächeln, weil der Vorwurf sachlich durchaus berechtigt war. Da er aber nicht einsah, seine Entscheidung vor Untergebenen rechtfertigen zu müssen, entgegnete er ironisch: „Ist angekommen, Frau Zelenka. Künftig informiere ich Sie über Verbrechen, bevor sie geschehen. Einverstanden?“ Sprach’s und wandte sich zur Tür.

„Ha – ha!“ erwiderte Marion gedehnt. Sie leitete dieses Kommissariat inzwischen über sechs Monate und hatte sich hier fest etabliert. Selbst Petzold, dem diese junge Polizistin jüngst vor die Nase gesetzt worden war, erkannte inzwischen ihre Führungsqualitäten an und bewunderte ihr beharrliches Durchsetzungsvermögen, insbesondere dann, wenn es gegen Vorgesetzte, sinnlose Vorschriften oder bürokratische Hindernisse ging. Das trug ihr zwar regelmäßig lautstarke emotionsgeladene Rüffel von Dr. Sowetzko ein, doch daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt, zumal er nie zum Abschluss ein versöhnliches Wort vergaß.

Als kinderloser Witwer hatte er an ihr seit langem einen Narren gefressen; so wie diese Marion, so hätte er sich vermutlich eine Tochter gewünscht. Ob bewusst oder unbewusst, - er verhielt sich im Dienst ihr gegenüber manchmal wie ein Vater: streng, aber liebevoll.

Zwar musste er – wie’s Väter Schicksal ist – auch so manche Kröte schlucken, zum Beispiel als Marion innerhalb ihrer Truppe Seminare abhielt, um die Zusammenarbeit zu optimieren, wobei auch Fallstudien aus der Praxis simuliert wurden. Immer wieder wurde mit hoher Präzision geübt, wie einer für den anderen bei einer akuten Gefahr einzustehen habe; sie ahnte dabei nicht, wie bald schon ein solcher Fall für sie selbst in gefährlicher Weise eintreten sollte.

Als das Thema aber einmal „Kontrollierter Ungehorsam“ hieß, nahm er spontan selber teil, saß voller Unmut auf einem Stuhl an der hinteren Wand und wartete nur auf eine passende Gelegenheit, gegen diese Disziplin zersetzende Veranstaltung einzuschreiten. Doch er musste erkennen, dass es Marion darum ging, verkrustete Strukturen und Verhaltensmuster, die ihr Vorgänger Schmölder jahrelang gepflegt hatte, aufzubrechen und ihre Kollegen zu mehr Selbstständigkeit, Initiative und Urteilsfähigkeit anzuregen. Zuvor ergangene Anweisungen könnten in bestimmten Situationen sinnlos und kontraproduktiv werden. Und dafür wurden nun Beispiele diskutiert. Irgendwann hatte sich Dr. Sowetzko dann ganz still verdrückt. –

„Übrigens”, rief Marion nun dem Kriminalrat nach, „es wäre für uns trotz allem hilfreich, wenn Sie die Unterlagen hier ließen, die Sie da unterm Arm halten!“ Er holte tief Luft, legte dann die kleine Mappe wortlos auf Petzolds Schreibtisch und verließ den Raum. Na ja, Ironie gegen Ironie - oder - wie du mir so ich dir, das musste man mal ertragen.

„Frühstücken Sie jetzt schön und ausgiebig”, sagte sie zu Petzold, „damit Sie was im Magen haben, wenn Sie in die Pathologie gehen. Ich werde mich aufmachen zum Tatort, zu den bösen Geistern in den adeligen Kreisen.“ –

Am schmiedeeisernen Tor meldete sich Marion über die Sprechanlage in der gräflichen Villa an. Eine kugelrunde behäbige Hausdame öffnete und führte sie ins Arbeitszimmer zum Herrn Grafen.

„Schon wieder die Polizei”, knurrte der. „Ihr habt doch hier schon alles auf den Kopf gestellt.“

Dennoch wollte die junge Polizistin den Tatort inspizieren, ließ sich genau erklären, wer wann die Tote gefunden hatte, wer zur Tatzeit im Hause war und wer Zugang zu dem Anwesen hatte. Ihre nervende Angewohnheit, urplötzlich längst beantworte Frage zu wiederholen, um festzustellen, ob der Betreffende erst überlegen musste oder sich sogar in einem Widerspruch verfing, empörte den Grafen. Schließlich fühlte er sich im kommunalen Bereich als ein hohes Tier, und eine solche Behandlung wollte er sich nicht gefallen lassen.

Als er im Arbeitszimmer wieder hinter seinem Schreibtisch saß, formulierte er daher eine gräflich vornehme Warnung, die Marion nur mit einem leichten Grinsen quittierte. Sie erkundigte sich nach den Familienverhältnissen, hörte aufmerksam, was der Graf ihr dazu erzählte und las zugleich, was dazu in ihren Unterlagen stand. Und da schossen die Widersprüche und Ungereimtheiten wie Pilze aus dem Boden. Genau das liebte Marion in solch einer Situation; da konnte sie durch eigene Vermutungen, durch Bluffen und Unterstellungen die Leute oft sehr nutzbringend aus der Reserve locken.

Der um sein Ansehen peinlich bemühte Graf erlebte eine seiner schwersten Stunden. Wer erbt was? – Mit dieser Frage begann es. Aus welchem Grunde wurde ein Ehevertrag geschlossen? – Warum ist Andreas, der Bruder der Gräfin, der Haupterbe? – Was bleibt dem Grafen? – Gibt es weitere Erben? – Kinder? Nein. – Nein??

„Das ist offensichtlich die Unwahrheit”, sagte Marion streng. „Wo ist Ihr Sohn Markus?“ Der Graf verweigerte weitere Auskünfte; er werde sich an höchster Stelle gegen diese Behandlung beschweren. „Tun Sie das, es beeindruckt mich nicht im Geringsten. Ich werde Sie kurzerhand vorladen lassen und wenn Sie nicht erscheinen, schicke ich Ihnen ein wunderschönes grünes Taxi. Aber gemütlicher wird es dadurch für Sie nicht!“

Eine Tür öffnete sich, und herein humpelte ein etwas schief gebauter Mann, dessen Gesicht deutlich eine Behinderung anzusehen war. Der Graf erbleichte, sprang auf und wies ihn barsch aus dem Zimmer. „Markus?“, fragte Marion, einer Vermutung folgend. „Ich bin von der Polizei und habe ein paar Fragen an Sie.“

Der Angesprochene ging ein paar Schritte auf Marion zu, blieb plötzlich stehen und nahm eine drohende Haltung an. Er wolle nicht ins Gefängnis, zischte er. Die Polizistin solle verschwinden. Als diese sich nicht rührte, kam er auf sie zu und holte zu einem Schlag aus.

Marion wich einen kleinen Schritt nach links aus, wechselte blitzschnell das Standbein und schlug Markus ihren linken Fuß in die Kniekehle seines rechten Beines, während sie gleichzeitig mit aller Kraft einen Stoß gegen seine linke Schulter ausführte. Er verlor sofort das Gleichgewicht, stürzte zu Boden, und schon kniete sie auf seinem Rücken. Handschellen klickten. „Liegenbleiben!“, befahl sie und rief über ihr Handy eine Streife zur Verstärkung. Wenige Minuten später trafen die Kollegen ein. „Ab mit ihm zum Erkennungsdienst.“

Unter dem Vorwand, einen eventuellen Mittäter im Haus suchen zu müssen, forderte sie weitere Beamte an für eine gründliche Durchsuchung der Villa. Die Gunst der Situation galt es zu nutzen; denn bis sie einen offiziellen Durchsuchungsbescheid in Händen hätte, könnten Tage vergehen, - besonders wenn der Graf all seinen Einfluss spielen ließe. Nach Abschluss der Aktion kehrte eine höchst zufriedene Kommissarin an ihren Schreibtisch zurück.

Aber auch Kollege Petzold war nicht untätig gewesen. Trocken berichtete er: „Die Gräfin wurde in ihrem Bett gegen Mitternacht durch vier Messerstiche in Brust und Herz getötet. Zwei Stunden später wurde ihre Leiche dann noch einmal ermordet: durch vier Stiche in Brust und Herz. Mit demselben Messer, das wir gut sichtbar auf dem Nachttisch fanden. Mit bildschönen Fingerabdrücken.“

„Häh ...?!“, entfuhr es Marion ungläubig. Waren dem Täter Zweifel gekommen, ob die Gräfin wirklich das Zeitliche gesegnet hatte, und hatte er daher sicherheitshalber seine Tat zwei Stunden später wiederholt? – Oder war hier ein Verrückter am Werk? Markus zum Beispiel? Ein Vergleich der Fingerabdrücke bewies eindeutig, dass es seine waren. Nun fehlte noch das Tatmotiv. Das zu finden, sollte erst mal Aufgabe der Polizeipsychologen sein.

Marion widmete sich dem vermeintlichen Täter von einer anderen Seite. Zunächst ermittelte sie seine genaue Identität, um sich dann seinen Neigungen zu widmen. Er war ein nicht unbegabter Techniker, hatte sogar einige Jahre an einem Theater gearbeitet und dort gewünschte Spezialeffekte realisiert. Entlassen hatte man ihn wegen schizophrenem Verhalten; er lebte zeitweise in einer Welt von Geistern und Gespenstern. Im Keller des gräflichen Anwesens hatte man sein Labor entdeckt mit teuren optischen Geräten, Projektoren, Lichtleitern, Prismen, Lasern sowie Nebelkanonen, wie er sie einst am Theater nutzte. Kein Zweifel, die Geistererscheinungen, welche die Gräfin so erschreckt hatten, waren sein Werk. Stand das aber im Zusammenhang mit dem Mord?

„Bei Verrückten darf man nicht nach Logik fragen”, meinte Petzold, doch ganz so einfach mochte Marion das nicht sehen. Es gab noch Wichtiges zu klären. Wem zum Beispiel hatte die schwere Limousine gehört, die in der Tatnacht in der Nähe des gräflichen Anwesens von Spaziergängern gesehen wurde? Zu wem gehörten die Abdrücke schmutziger Schuhe, die man im Schlafzimmer der Toten gesichert hatte? Marion liebte penibel gründliche Recherchen; dringender Tatverdacht gegen Markus bedeutete noch längst keinen Beweis.

Beim erneuten Studium der Berichte von Pathologie und Spurensicherung rief sie plötzlich erbost aus: „Was ist denn das wieder für eine Schlamperei!? – Hat der Täter das Messer mit der linken oder mit der rechten Hand geführt? Das gehört doch da hinein, verdammt noch mal!“ Petzold bekam den Auftrag, dies zu klären und festzustellen, ob Markus Links- oder Rechtshänder war. Er musste die Tatwaffe mehrmals anfassen und in ein Kissen stechen, - eine Probe fürs Theater, gaukelte man ihm vor. Arglos folgte der Mann dieser Aufforderung. Er sagte sogar von sich aus verwundert, das sei ja sein Messer und er wolle es zurück haben.

Als er seine Recherche beendet hatte, stöhnte Petzold verzweifelt: „Der Täter ist Linkshänder, und der Markus ist Rechtshänder. Jetzt fangen wir also von vorn an.“

„Im Gegenteil.“ Marion schien mit dieser Auskunft sehr zufrieden und schüttelte geheimnisvoll den Kopf. Denn sie war zwischenzeitlich keineswegs untätig gewesen, sondern hatte die gräfliche Familie noch einmal näher durchleuchtet, Verwandte, Bekannte und ehemaliges Hauspersonal ermittelt und möglichst sogleich befragt. Und dabei geriet sie auch an die alte Martha Sennwald, die früher im Schloss Hohenburghof bei Paderborn als Kinderfrau angestellt gewesen war und den kleinen behinderten Markus zu betreuen hatte. Zunächst wollte sie nicht mit der Sprache heraus, obwohl Marion ihr andeutete, dass sie vor Gericht später ohnehin aussagen müsse. Als sie jedoch erfuhr, dass Markus in Haft war unter dem Verdacht, seine eigene Mutter erstochen zu haben, da meinte sie erschüttert, nun käme ja doch alles ans Tageslicht und berichtete unter Tränen die ganze traurige Geschichte des Hauses Hohenburghof.

Dem verblüfften Petzold erklärte Marion: „Ich denke, der Fall liegt nun klar. Lassen wir den armen Markus frei. Den wahren Täter kassieren gerade unsere Kollegen in Paderborn ein. – Kommen Sie mit zum Chef, - der will von mir vorab eine Kurzinformation haben.“

„Ich höre”, sagte Dr. Sowetzko skeptisch, lehnte sich in seinen Sessel zurück und verschränkte die Arme. Dieser angeblichen Blitzaufklärung mochte er ohne nähere Erläuterung nicht trauen. Wegen des großen öffentlichen Interesses war auch Oberstaatsanwalt Dr. Kämmereit erschienen.

„Machen wir’s kurz”, sagte Marion, „ich hab’ nämlich heute Abend noch etwas vor. – Also, die gräfliche Sippe stammt aus Hohenburghof bei Paderborn, - inzwischen nicht unbedingt verarmter, aber doch sehr verlotterter Adel. – Die ermordete Gräfin Hohenburghof betrieb mit ihrem Bruder Andreas Inzest, was nicht ohne Folgen blieb. Vor etwa zwanzig Jahren wurde Markus geboren, mit einer schweren geistigen Behinderung. Um den Skandal zu vertuschen, heiratete die Gräfin einen Bürgerlichen, der die Vaterschaft für Markus übernehmen musste. Dafür setzte sie ihm testamentarisch eine Apanage aus. Außerdem durfte er als ihr Gatte ein höchst angenehmes Leben führen, - eine Rolle, in der er sich sehr schnell und perfekt einfand, - auch als man das Schloss verkaufte und in eine Villa hier nach Duisburg zog. Irgendwie erwarb er einen Grafentitel, gekauft oder auf der Kirmes geschossen, - ich weiß es nicht. Auf alle Fälle hatte er immer genug Material in Händen, die Gräfin unter Druck zu setzen.“

„Das ist doch nicht Ihr Ernst, Frau Zelenka!“, rief der Oberstaatsanwalt, bislang ein Freund des Grafen, empört dazwischen.

„Keine Sorge, es kommt noch besser”, erklärte Marion ungerührt. „Das adlige Ehepaar verbarg ihren schwachsinnigen Sohn Markus in großzügig ausgebauten Kellerräumen, wo er im Geheimen nur für seine optischen Experimente und seine Scheinwelt von Geistern und solchem Quatsch lebte. Niemand kümmerte sich um ihn, und keiner wusste auch, was er da unten so trieb. Dem honorigen Grafenpaar war es wohl am liebsten, wenn sie ihn nie zu Gesicht bekamen. Als es Markus gefiel, seine Experimente in den letzten Tagen an seiner Mutter auszuprobieren, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen, nutzte Andreas, der Haupterbe, diese einmalige Gelegenheit, ans Vermögen seiner Schwester zu kommen, indem er sie mit einem Messer erstach, das Markus gehörte und auf dem dessen Fingerabdrücke waren. Dazu war er eiligst mit seinem auffälligen Auto in der Nacht von Paderborn nach Duisburg gekommen und nach der Tat wieder zurückgefahren. Der Verdacht sollte eindeutig auf Markus fallen. – Um das Ganze noch deutlicher wie die Tat eines Schwachsinnigen aussehen zu lassen, stach er zwei Stunden nach dem Mord noch viermal auf die Tote ein und präsentierte uns die Tatwaffe auf dem Nachttisch. Soviel freundliche Hinweise auf einmal machten mich gleich stutzig. Pech für den Mörder, dass er Linkshänder, Markus aber Rechtshänder ist.“

„Beweise bitte”, forderte Dr. Sowetzko, worauf ihm Marion erklärte, dass jenes Auto, das in der Mordnacht in der Nähe der Villa gesehen worden war, mit hoher Wahrscheinlichkeit Andreas gehöre. Andreas sei zudem hoch verschuldet und habe Drogenprobleme. Man werde jetzt noch Fußspuren vergleichen und sich auch seine Majestät, den Grafen, noch einmal vorknöpfen, nachdem der nun recht unsanft vom Thron gekullert sei.

„Das ist nur Restarbeit, reine Routine”, erklärte Marion. „An den Fakten wird sich nichts mehr ändern. Da wette ich um jeden Preis.“

„Ich wette nicht um Mörder. Und schon gar nicht mit Ihnen, Frau Zelenka! – Übrigens wurde mir zugetragen, dass Sie ganz allein dieses Geisterhaus aufgesucht und sich dort auf einen Zweikampf eingelassen haben. Wissen Sie nicht, dass dies ...“

Respektlos unterbrach Marion ihren Chef: „Alle meine Jungs stecken bis zur Halskrause in wichtiger Arbeit. Ich kann dort niemanden entbehren. Diesen Fall mussten wir so ganz nebenbei klären.“

Als Marion und Petzold gegangen waren, zündete sich Kriminalrat Dr. Sowetzko gemächlich eine Zigarre an, blies tief in Gedanken einige dicke blaue Wolken in den Raum und murmelte: „Nebenbei ... So sieht das also aus, wenn diese Frau etwas nebenbei löst.“ Den Oberstaatsanwalt blickte er dabei überlegen lächelnd und voller Stolz an, so als habe er die Geistergeschichte soeben höchst persönlich aufgeklärt.

Zelenka - Trilogie Band 1

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