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Berufsmörder

Sie nannten sich stolz „Die Spürnasen“, jene lose Vereinigung von Krimiautoren, die schon etwas veröffentlicht hatten und solchen, die noch darauf hofften. Hin und wieder traf man sich an wechselnden Orten zu geselligem Beisammensein mit Erfahrungsaustausch über Verlage, Redaktionen und Autorenwettbewerben. Im Laufe der Zeit gesellten sich einige Journalisten hinzu, die auch Ambitionen zum perfekten Mord zeigten, - auf dem Papier natürlich. Einer von diesen war Arno Redderkamp, freier Journalist für politische Kommentare und Kultur. Einige Prosa-Werke hatte er zudem veröffentlicht; irgendwann sollte mal ein raffinierter Krimi folgen.

Die Spürnasen waren also Anfänger auf ihrem Gebiet, aber voller Phantasie und Elan. Leider mangelte es jedoch an nützlichen Kontakten zu einflussreichen Stellen, um die überschäumende Kreativität gedruckte Wirklichkeit werden zu lassen. In dieser Hinsicht hatte sich Arno hin und wieder nützlich hervorgetan, indem er zu Zeitungsredaktionen die eine und andere Kurzgeschichte vermittelte. Als einige Mitglieder beklagten, zu wenig Kenntnisse vom Polizei-Alltag und von realistischen Abläufen bei der Kripo zu haben, bot sich Arno an, seine Beziehungen spielen zu lassen, um für die Spürnasen eine Führung durchs Duisburger Polizeipräsidium zu bekommen.

Arno hatte sich diese Aufgabe allerdings etwas leichter vorgestellt; alle Entscheider wimmelten dieses Ansinnen händeringend ab, bis sich ein Duisburger Lokalreporter mit geeigneten Beziehungen dieses Wunsches annahm. Nach einem halben Jahr wurde vom Präsidium endlich ein Termin vorgeschlagen. Da sich die Spürnasen kaum für Diebstahl- oder Verkehrs-Delikte interessierten, sondern handfestes Mord-Fluidum erleben wollten, landete das Projekt bei Kriminalrat Dr. Sowetzko; der fluchte kräftig in sich hinein und beschloss, hier keinesfalls persönlich eine Art Museumsführer zu spielen. Er machte sich folglich auf den Weg zum K21; eine charmante Dame wäre doch optimal für so eine Aufgabe ...

Marion, die vor ein paar Wochen im Prozess gegen Andreas Hohenburghof vor Gericht hatte aussagen müssen, las an diesem Morgen in der Zeitung das Urteil: fünf Jahre Haft wegen Totschlags. Ungläubig las sie den Satz noch einmal. Das durfte doch nicht wahr sein! – Dann verkündete sie wütend ihren Kollegen, welche Begründung es für das Urteil gab: „Der Angeklagte war geständig ... Das stimmt doch gar nicht! – Der hat die Tat bestritten, bis ihm sein Anwalt infolge der Beweislast zu einem Geständnis geraten hat. Seine Drogenabhängigkeit und finanzielle Notlage wurden strafmildernd bewertet. – Ich fasse es nicht!! – Ein psychologisches Gutachten der Verteidigung bestätigen ihm verminderte Zurechnungsfähigkeit wegen Liebesentzug durch die Mutter im Kindesalter. Der Inzest mit seiner Schwester sei dafür ein beredtes Zeugnis. Unfassbar!“ Frustriert schleuderte Marion die Zeitung in den Papierkorb.

Ein paar Minuten später kam Dr. Sowetzko herein, sprach ein paar nette persönliche Worte, druckste ein wenig herum und bereitete Marion schonend auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vor, die Weiterbildung des Krimischreiber-Nachwuchses aktiv zu unterstützen. Es sei nun mal von höchster Stelle gewünscht, man habe zugesagt. Es klang ein bisschen nach Entschuldigung.

„Wie – was? – Eine Abordnung von Berufsmördern?!“ Marion verdrehte die Augen. „O.k., ich beginne die Führung in der Pathologie, spreche dort aber zuvor mit Dr. Woilas, damit er den nach Blut lechzenden Papierkillern hübsch anschaulich und wunderschön detailliert herausgeschnittene menschliche Einzelteile präsentiert. So werde ich vermutlich erst mal die Hälfte der Horde los.“

Der Chef schien verwundert. Mit hoch gezogenen Augenbrauen meinte er: „Die Aufgabe scheint Ihnen nicht zu behagen.“

Wie haben Sie das bloß so schnell festgestellt?, wollte sie ironisch antworten, sagte aber nur knapp und eindeutig: „Nee.“

„Dann kann Petzold das doch übernehmen ...“

„Könnte er, - falls ich ihn für diesen Schwachsinn freistelle.“

Dr. Sowetzko schluckte über diese Anmaßung. Er hätte jederzeit Petzold eine entsprechende Anweisung erteilen können, ohne die Hauptkommissarin oder sonst jemanden fragen zu müssen. Die Dame schien heute wohl etwas unpässlich zu ein. Um eine Eskalation zu vermeiden, ging er wortlos und kopfschüttelnd von dannen. Nachdem der erste Zorn verraucht war, erinnerte er sich zurück an jene Zeit, als er selber noch Kommissariatsleiter war. O, wie wütend machte es ihn damals, wenn von höherer Stelle seine Planungen durchkreuzt wurden! Und erst recht, wenn total unwichtige Dinge oder pure Eitelkeiten der Obrigkeit dafür der Grund waren. Dennoch hätte er sich eine solche „Frechheit“ nicht herausgenommen. „Sollte das ein Lehrstück aus dem Buch „Wie erziehe ich meinen Chef“ sein?“, murmelte er vor sich hin und rang sich allmählich zu der Einsicht durch, dass der Einwand vielleicht doch ein ganz klein wenig berechtigt war. Er griff schließlich zum Telefon. „Tut mir Leid, Frau Zelenka – ich hatte Sie nur um einen persönlichen Gefallen bitten wollen ...“

„In Ordnung”, sagte Marion knatschig nachgebend. „Ich mach’s ja.“ Und dachte bei sich: Na bitte, - es geht doch. -

Elf Spürnasen, sechs Herren und fünf Damen, fanden sich pünktlich eine Woche später im Polizeipräsidium ein und wurden von Marion in einen Raum geführt, der sonst für längere Verhöre zur Verfügung stand. Da sie inzwischen milder gestimmt war und auch mit Rücksicht auf die fünf Damen in der Runde, stellte sie einen kurzen Besuch in der Pathologie an den Schluss, natürlich nur für Freiwillige. Zuerst durften die Gäste mal allgemeine Fragen stellen und auch Wünsche äußern, was sie gern sehen möchten. Da wurde natürlich die Asservaten-Kammer genannt, - dem Wunsch wurde stattgegeben. Die Zellen der Untersuchungs-Gefangenen wollte man sehen, - dem wurde natürlich nicht stattgegeben.

„Auch bei uns gelten allgemeine Datenschutzregeln”, erklärte die Hauptkommissarin.

Als Sprecher tat sich Arno hervor. Der eher zurückhaltende, ja etwas menschenscheue Mann genoss die Rolle, die ihm hier zugefallen war. Gewöhnlich war er zu Hause nur mit sich und seinem Computer allein, um seine Texte zu schreiben. Seit kurzem erst lebte er im Süden von Duisburg, hatte aber hier noch keine engeren Bekanntschaften gemacht, geschweige denn Freunde gewonnen. Jetzt sonnte er sich innerlich in dem Gefühl, anerkannt und wichtig zu sein. Und da er sich trotz seiner zurückhaltenden Art gut zu artikulieren vermochte, entwickelte er in diesen Stunden der hübschen Kommissarin gegenüber ein ungeahntes Maß an Charme.

Bekanntlich geht die Liebe merkwürdige Wege, oft verkleidet sie sich in seltsamen Empfindungen; und oft maskieren sich seltsame Empfindungen als Liebe. Seitdem ihr Jugendfreund Henning sie mit ihrer Tochter Svenja hatte sitzen lassen, war ihr die Lust auf Männerbekanntschaften gründlich vergangen. Die Einarbeitung in ihre neue Position, Umzug, Einschulung von Svenja in einer Duisburger Tagesschule, - all das hätte ihr ohnehin kaum Zeit gelassen, einen neuen Partner kennen zu lernen. Stress gab es zwar immer noch genug, aber seit einigen Monaten geriet sie doch allmählich in etwas ruhigeres Fahrwasser. Vor allem lernte sie es, zu Hause abzuschalten von den harten Anforderungen ihres Kommissarinnen-Daseins. Aber mit dieser Fähigkeit zum Abschalten meldete sich erst versteckt, dann immer bohrender auch ein Gefühl von Einsamkeit.

Gewiss, da gab es unter den Männern in ihrer beruflichen Umgebung einige, die mal versuchsweise den Bagger angeworfen hatten; sie jedoch hatte es sich zum Prinzip gemacht, niemals ein Verhältnis im Kollegenkreis zu beginnen. Selbst bei engsten Mitarbeitern, wie ihrem Stellvertreter Petzold, wahrte sie Distanz mit der förmlichen Sie-Anrede.

Arnos Werben fiel daher zu dieser Zeit auf fruchtbaren Boden, zumal er sich geistreich, rücksichtsvoll und geduldig zeigte. Vielleicht fiel ihm das deshalb nicht schwer, weil er es durch die elterliche Erziehung gewohnt war, immer nur das zu tun, was man ihm vorgab. Das Reagieren lag ihm mehr als das Agieren. Marion empfand das als angenehme Zurückhaltung und deutete es schließlich als Indiz für seine ehrliche Empfindung. Was ihr wohl auffiel, war ein gewisser Mangel an Humor.

Von nun an trafen sie sich häufiger, verbrachten zusammen jede freie Minute, die Marion hatte. In seinem Beruf als freier Journalist konnte er sich seine Zeit weitgehend selber einteilen, und das war dieser Beziehung sehr förderlich. Als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, spukten in ihrem Kopf gleich Zukunftsgedanken.

Wenn es auch nicht die große Liebe im Herzen war, alles andere schien so wunderbar zu passen: Arno könnte tagsüber zu Hause arbeiten und sich nebenbei Svenja widmen, wenn sie aus der Schule käme oder wenn sie selbst plötzlich zu einem Einsatz gerufen würde.

Bis jetzt konnte das Mädchen zwar zu den Wiedmeiers, dem netten Rentner-Ehepaar ausweichen, das unter ihnen wohnte und sich liebend gern um das Kind kümmerte. Aber das durfte kein Dauerzustand werden, zumal Svenja, seitdem der Vater bei Nacht und Nebel verschwand, immer einsilbiger wurde, bisher keine wirklichen Freundinnen hier in Duisburg gefunden hatte und in ihren schulischen Leistungen in letzter Zeit deutlich nachließ. Früher hatte Henning dem Kind hin und wieder mal eine bunte, lustige Postkarte geschickt. Nun aber kam nichts mehr von ihm, außer der monatlichen Alimentenzahlung. Zwei Briefe schrieb sie ihm noch, keine Antwort. Als auch zu Svenjas letztem Geburtstag nichts ankam, wurde dem Mädchen bewusst, dass es wirklich keinen Vater mehr hatte.

Arno suchte zu der Siebenjährigen vorsichtigen Kontakt, aber Svenja verhielt sich überaus reserviert. Würde dieser Mann eines Tages bei ihnen wohnen, - als Mamas Lover, als ihr Ersatz-Papa? – Mehr und mehr ging Marion davon aus, dass es so kommen würde und bereitete ihre Tochter schonend darauf vor. Als Arno aber nie auf diese Möglichkeit zu sprechen kam, ergriff sie die Initiative; sie fragte ihn eines schönen Tages unvermittelt, ob sie nicht zusammenziehen sollten. Er willigte freudig ein, wollte aber vorerst auch seine eigene Wohnung im Duisburger Süden behalten. Marion fand das zwar merkwürdig, war andererseits aber ganz froh, dass er „seinen ganzen Plunder“ – wie sie es nannte – nicht mit in ihre Wohnung brachte.

Ein paar Wochen später, als sie sich gemeinsam eingerichtet hatten und ihr Zuhause das Bild einer kompletten Familie widerspiegelte, lud Marion ihre Düsseldorfer Freunde Luise und Peter zum Abendessen ein. Arno bot sich an, ein Menü zu bereiten und gab sich redlich Mühe, da die besten Freunde seiner neuen Partnerin einen positiven Eindruck von ihm gewinnen sollten. Er wusste sehr wohl, dass er sich an diesem Abend auf eine Art Prüfstand befinden würde.

Als die Hausklingel läutete, raste Svenja überglücklich Peter und Luise entgegen. Beim Abendessen wollte sie zwischen den beiden sitzen. Das eher stille Mädchen war wie verwandelt. Als es Zeit war, zu Bett zu gehen, bekam die Mutter einen Gute-Nacht-Pflichtkuss, Arno bekam artig ein Händchen, und Peter und Luise wurden liebevoll umarmt und gedrückt. Alles sah harmonisch aus, nur Luise blickte skeptisch drein, als man sich zum Plaudern niedersetzte, während Peter eine gute Flasche Rotwein öffnete, die er als Gastgeschenk mitgebracht hatte.

Die sonst sehr redselige Luise blieb am heutigen Abend auffällig ruhig. Ihre Augen wanderten von einem zum anderen, verweilten aber immer häufiger und immer länger bei Arno. Wäre Peter nicht von Natur aus ein robuster Typ gewesen, dem solche Nuancen grundsätzlich nicht auffielen, hätte er vielleicht so etwas wie Eifersucht verspürt.

Es war spät, als der gemütliche Abend zu Ende ging. Peter und Luise verabschiedeten sich herzlich. Auf der Rückfahrt herrschte aber zwischen beiden lange Zeit eisiges Schweigen, als haderten sie wegen irgendetwas miteinander. Peter bemerkte schließlich: „Das Essen war wirklich toll, das muss man dem Arno lassen. Welchen Eindruck hast du denn von ihm?“

Luise dachte an Marion, an das Pech, das ihre beste Freundin bisher mit Männern hatte; sie dachte an die kleine Svenja. Mit ernster Miene blickte sie zu ihrem Mann; Besorgnis und ein Hauch von Traurigkeit lagen in ihrer Stimme, als sie bekannte: „Ich mag diesen Menschen nicht.“

Zelenka - Trilogie Band 1

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