Читать книгу Nachtspiele - Lara Stern - Страница 11

Sechs

Оглавление

Der Mann nimmt ihr die schwarze Binde ab. Sie blinzelt, geblendet von grellem Scheinwerferlicht. Alles weiß. Unwirklich. Wie in einem seltsamen Traum.

»Willkommen in meinem Königreich!« Seine Stimme klingt satt und stolz. »Ja, das hier ist Kings kleine private Festung!«

Wie von Geisterhand schließt sich das schmiedeeiserne Tor hinter ihnen. Oben sind dicke, mehrfach gerollte Stacheldrahtballen angebracht.

»Ein Hoch auf die Segnungen moderner Technik!« Er klopft auf die mattschwarze Fernbedienung, kaum so groß wie eine Zündholzschachtel. »Du siehst, Baby, hier kommt keiner rein, der nicht erwünscht ist.«

Noch niemals zuvor ist sie in einem Pullman gefahren. Das leise Surren des Motors und die weiche Polsterung haben sie beinahe schläfrig gemacht. Aber sie ist alles andere als entspannt. Vielmehr fühlt sie sich leicht benommen von dem vielen Champagner, den er ihr während der Fahrt aufgenötigt hat. Sie ist immer noch nicht richtig an Alkohol gewöhnt. Im Club war stets dafür gesorgt worden, daß sie genügend Brause im Glas hatte. Aber jetzt ist sie allein auf sich gestellt. Und sie will ihn doch nicht kränken. Schon gar nicht gleich am ersten Abend.

»Baby ist doch okay?«

Sie nickt. Wieso hält sich ihr komisches Gefühl so hartnäckig? Fast kann sie Tantchens hohe, stets klagende Stimme hören. Und die ihrer Mutter.

Ein braves Mädchen tut das nicht. Niemals würde das ein Mädchen tun, das auf seinen Ruf achtet. Du wirst schon sehen, wohin dich das bringt!

Sie hat Lust, zu lachen, den Kopf in den Nacken zu werfen und aufzustampfen.

Erst recht, hört ihr, jetzt erst recht!

»Ich hab’ nämlich nichts übrig für diese komischen französischen Namen.« Ganz Kavalier, öffnet er ihr die Autotür und hilft ihr beim Aussteigen.

»Und mein Gepäck?«

»Darum kümmern wir uns später. Jetzt komm erst einmal rein!«

Das Haus ist groß und weiß getüncht. Ein Bungalow mit vielen Fenstern. Alle kunstvoll mit schmiedeeisernen Blüten vergittert. Hohe Baumwipfel bewegen sich leicht im Nachtwind. Nach hinten muß ein beachtlicher Garten liegen.

Er bemerkt ihren Blick und lacht.

»Nein, Einbrecher haben bei mir keine Chance. Schließlich habe ich nicht so hart geschuftet, um mir dann von anderen etwas wegnehmen zu lassen. Was mir gehört, gehört mir! So lautet mein Gesetz.«

Sie schwankt beinahe und reißt sich zusammen, um es ihn nicht merken zu lassen. Was ist nur los mit ihr?

Er scheint es doch registriert zu haben. Fürsorglich reicht er ihr den Arm und geleitet sie zur Haustür. Wieder wird die Fernbedienung eingesetzt. Die Tür schwingt auf. Sie schaut in eine große, dämmerige Diele und erschrickt.

»Mein Raubtier? Keine Angst, Panther ist nur aus Porzellan!«

Noch immer zögert sie einzutreten. Sie dreht sich halb um und schaut über die Schulter zurück. Das Flutlicht ist erloschen. Hinter ihr ist alles ruhig und dunkel. Kein Licht, kein Geräusch. Als wären sie ganz allein auf einer einsamen Insel.

»Na, komm schon, hier beißt dich niemand!«

Er steht unmittelbar hinter ihr und versetzt ihr einen leichten Schubs. »Das Spielzimmer zeig’ ich dir dann hinterher.« Er wirkt aufgeregt und riecht anders als sonst. Stechender. Als sei sein Schweiß mit unterdrückter Wut versetzt.

Ist er ärgerlich auf sie? Aber weshalb?

So sehr sie sich auch anstrengt, ihr fällt kein Grund dafür ein. Das Denken strengt sie an. In ihrem Kopf bewegen sich wirbelnde Spiralen in Zeitlupe. Sie geht langsam weiter.

Es klappt nicht, was du dir erträumt hast Da sind sie wieder, die beiden Alten! Und weißt du auch, warum? Weil man mit Beinebreitmachen kein Glück machen kann. Nirgendwo!

Haltet den Mund, befiehlt sie ihnen streng. Was wißt ihr denn schon? Nichts! Gar nichts! Also seid so freundlich und haltet gefälligst euren Mund!

Das Wohnzimmer ist das größte, das sie bisher gesehen hat. Heller, kühler Marmorboden, viele bunte Teppiche, eine massige, schwarze Ledergarnitur vor dem Kamin, in dem ein kräftiges Feuer lodert. Ein bißchen unsicher läßt sie sich auf dem Boden vor der Couch nieder. Sie möchte nicht, daß er es mitbekommt.

Der Eiskübel mit einer geöffneten Flasche steht schon bereit. Er schenkt wieder Champagner ein, obwohl sie gar nichts mehr möchte.

»Auf deine Zeit hier, Baby!«

Es schmeckt leicht seifig. Sie trinkt ihr Glas aus, um das hinter sich zu bringen. Er schenkt sofort nach.

Wer trinkt, verliert den Kopf. Und wer den Kopf verliert, verliert die Moral. Und ist die Moral erst einmal verloren, dann

Prost, Tantchen! Prosit, Mama, auf euch! Damit ich niemals so ende wie ihr – in einem polnischen Nest, arm, alt, fett und einsam!

Zwei Bilder hängen an der Wand, Acrylgemälde in häßlichen, verwaschenen Farben. Wenn sie nicht so müde wäre, könnte sie aufstehen und zu verstehen versuchen, was sie bedeuten.

»Wo werde ich wohnen?«

»Damit müssen wir wohl warten, bis Lady kommt.« Er registriert ihr Unverständnis. »Die Dame des Hauses.«

Am liebsten würde sie auf der Stelle einschlafen, hier vor dem Feuer, aber dafür wird sie schließlich nicht bezahlt. Sie kennt die Abmachungen, weiß, was zu tun ist. Der Impuls jedoch ist stark. Zu stark. Sie lehnt sich an das Sofa und schließt ganz kurz die Augen.

Wer nicht sehen will, muß fühlen.

Mist! Es will ihr trotz aller Anstrengung nicht gelingen, die beiden keifenden Alten in ihrem Kopf zur Ruhe zu bringen.

Hecheln. Schnauben. Sie erstarrt. Etwas Warmes, Großes, Muskulöses drängt sich von jeder Seite an sie.

Jetzt ist sie hellwach.

»Angst vor Hunden?«

Sie weiß auf einmal genau, was er hören möchte, und nickt.

»Kluges Mädchen! Das sind Max und Bubi. Die gehorchen mir aufs Wort.«

Zwei riesige Doggen glotzen sie sabbernd an, schwarz die eine, die andere kalkig weiß, mit häßlichen schwarzen Flecken.

»Natürlich Rüden. Ich hab’ sie nach den beiden berühmtesten deutschen Boxern genannt, Schmeling und Scholz. Beide Weltklasse. Soll ich dir was verraten, Baby?«

Seine Stimme wird auf einmal ganz komisch. Beinahe so hoch und kieksig wie bei einem Jungen in der Pubertät.

»Max, der schwarze, hat den besseren Charakter. Aber das muß natürlich unter uns bleiben. Weißt du auch, warum?«

Wenn du nichts zu sagen hast, dann schweig! Lieber immer brav geschwiegen, als einmal zuviel dummes Zeug geredet.

Er hat sich hinter sie gequetscht. Sie kann seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren. Er beginnt über ihren Hals zu lecken, und sie macht sich steif, weil sie weiß, was gleich kommen wird.

Er wartet eine ganze Weile. Dann beißt er zu. Fester als jemals zuvor.

Sie schreit auf.

Die Doggen beginnen zu knurren.

»Das macht dich heiß, oder? Sag, daß es dich heiß macht!«

Sie wiederholt es. Vielleicht eine Spur zu lustlos. Wenigstens sind die beiden Alten nun stumm.

Er beißt wieder zu. Es tut so weh, daß ihr fast die Luft wegbleibt.

»Es macht mich geil!« stöhnt sie. Ist das wirklich ihre Stimme? So rauh? So fremd?

Wieder stellen die Tiere die Ohren auf.

»Na also, Baby! Schon viel besser so!« Er steckt die Zunge in ihr Ohr, bis ihr sein Speichel auf die Bluse tropft. Sie versucht, auszuweichen, aber er hält sie mit den muskulösen Beinen wie in einem Schraubstock umklammert.

Sie kann spüren, wie erregt er inzwischen schon ist. Knüppelhart.

»Willst du wissen, Baby, weshalb wir bei Bubi auf der Hut sein müssen?«

»Ja«, sagt sie, plötzlich beklommen.

Er hat begonnen, ihre Brüste zu kneten. Plötzlich reißt er an der Bluse. Der dünne Stoff ist sofort in Fetzen.

»Bubi Scholz hat seine Frau auf dem Gewissen.« Es klingt beinahe träumerisch. »Die Alte abgeknallt. Im Badezimmer.« Er nimmt einen genießerischen Schluck. »Und das sollte uns eine Lehre sein, meinst du nicht?«

Sie konzentriert sich darauf, möglichst ruhig weiterzuatmen. Er dreht ihr Gesicht zu sich herum. Es tut weh, verdammt weh sogar, aber sie verzieht keine Miene. Schließlich hat er versprochen, eine Menge für diese und andere Spiele zu bezahlen.

»Soll ich dir zeigen, wo unser Badezimmer ist, Baby?«

Er lächelt. Aber seine Augen sind hart und grau wie Granit.

Nachtspiele

Подняться наверх