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Sieben
ОглавлениеWas für ein Wochenende – schlechterdings zum Abhaken!
Carlo, nobel herausgeputzt mit Jeans, Seidenschal und schwarzem Rolli, wartete nicht einmal den Nachtisch ab, um sie über ihr aktuelles Liebesleben auszuquetschen. Dabei gab es diesbezüglich im Moment ohnehin so gut wie nichts zu berichten. Aber ging ihn das wirklich etwas an, nur weil er sich als väterlicher Freund vom Dienst aufspielte? Trotz mehrfacher Warnungen ließ er nicht locker, selbst während des Krimis, auf den Sina sich immer wieder vergeblich zu konzentrieren versuchte, weil der Held, ein ausgebuffter Schnüffler aus Big Easy, das wenige, was er überhaupt hervorbrachte, in einem grauenhaften Südstaatendialekt nuschelte.
Schließlich hatte sie die Nase voll. Und schlug zurück.
Mit einem rotzig hingeworfenen »unverbesserlicher Seelenklempner!« traf sie ihn offenbar zutiefst in seiner Psychiaterehre. Frustriert sprach er dem Wein intensiver zu, als ihm guttat, bis die grauen Haare zerzaust und die blitzeblauen Augen leicht unterlaufen waren. Sina schaute ihm nach, wie er nach einem für beide Seiten ungewohnt frostigen Abschied kerzengerade und ohne das Geländer zu berühren, die Treppen hinunterstieg, und beschloß, ihn zumindest ein paar Tage im eigenen Saft schmoren zu lassen. Strafe mußte sein – schließlich wußte keiner besser als Carlo, was passierte, wenn jemand versuchte, sie vorsätzlich in die Enge zu treiben.
Nachdenklich schloß sie die Tür hinter ihm, froh, wieder allein zu sein. Und das, obwohl sie mit Carlo eine wunderbare Freundschaft verband, originell, vielseitig und in langen Jahren organisch gewachsen, um die viele sie zu Recht beneideten. Sie konnten zusammen ebensogut philosophieren wie ganz Alltägliches belabern; sie hatten beide Spaß an Kunst, Filmen und Theater; sie zelebrierten mindestens einmal im Monat ihren schon obligatorischen Restaurantbesuch mit anschließender Gourmetkritik. Und sie hatte, last but not least, mit seiner kreativen Unterstützung mehr als eine Handvoll seltsamer Mordfälle aufgeklärt.
Carlo van Rees, ein Psychiater mit ein paar Lehrstunden an der Uni, verwitwet, vermögend, war beinahe zwei Jahrzehnte älter als sie und deshalb, wie Sina ihn aufzuziehen zu pflegte, schon notgedrungen um vieles abgeklärter und zumindest einiges weiser. Sie empfand ihn als männliches Alter ego und als Fixpunkt in ihrem sonst eher chaotischen Gefühlsleben, den sie sich gar mehr wegdenken konnte.
Alles also bestens – hätte sich Carlo nicht plötzlich vor ein paar Monaten in die Idee verrannt, wenn schon nicht er, dann sei zumindest sein charmanter Neffe aus Amsterdam der ideale Mann für sie. Ein Spleen, den sie zunächst belächelt hatte. Aber Carlo meinte es offenbar ernst. Dabei hatte anfangs seine Kuppelei zwischen Willem und ihr gar nicht übel funktioniert. Beiderseits waren Funken geflogen, Wünsche und Hoffnungen erwacht, aber leider fehlte in Sinas geläufigem Repertoire der richtige Umgang mit dem beständigen Glück.
Obwohl sie sich manchmal einsam fühlte.
Beispielsweise am nächsten Morgen, einem regnerischen Samstag. Leicht verkatert ließ sie den geplanten Einkauf sausen und verbrachte, einen unermüdlich schnurrenden Taifun neben sich, den Tag im Bett mit Lesen, dem Erledigen diverser Anrufe und einiger persönlicher Briefe, die sich selbst im Zeitalter moderner Medien nicht länger aufschieben ließen. Später gab sie es auf, Louis ans Telefon zu bekommen, und durchforstete Berge juristischer Literatur, um soviel wie möglich über die Rückgabe ehemals jüdischen Vermögens in Ostdeutschland herauszufinden. Am Abend schließlich versumpften Frau und Tier einträchtig mit gebratenen Krabbennudeln aus dem Thai-home-service vor dem Fernsehapparat.
Wenigstens am Sonntag bekam sie dann doch noch einigermaßen die Kurve. Hanne, die sie aus einem Einfall heraus spontan zum Mitkommen animieren wollte, schien ausgeflogen; jedenfalls hob niemand bei ihr ab. So brach sie wie so oft alleine auf. Mehr als die aktuelle Kandinsky-Ausstellung hatten es Sina die kühnen Kompositionen seiner Lebensgefährtin Gabriele Münter angetan, im Lenbachhaus seit ein paar Jahren von einem mutigen Museumsdirektor auf wahlweise tomatenroten, zitronengelben, orangeroten oder azurblauen Hintergrund gehängt und seitdem strahlender und eindrucksvoller denn je. Sie liebte die Werke dieser mutigen, kleinen Frau mit den todtraurigen Augen, die ein langes Leben vergeblich gegen die unstillbare Faszination gekämpft hatte, die sie an den weitaus berühmteren Freund fesselte.
Sina schaute, verglich, schlenderte langsam von Bild zu Bild, sog Farben und Formen in sich auf. Vergaß die Zeit, vergaß alles um sich herum. Später jedoch, beim Kaffeetrinken in der lichten, sonntäglich überfüllten Museumscafeteria, fühlte sie sich zwischen all den lachenden, aufeinander einredenden Paaren plötzlich merkwürdig deplaziert. Was wollte sie eigentlich hier mutterseelenallein?
Sina war richtig froh, als ein grauer, verregneter Montagmorgen heraufdämmerte, sie Taifun mit Futter und frischem Wasser versorgen und anschließend guten Gewissens wieder in die Kanzlei gehen konnte. Zu ihrer Überraschung war sie trotz der frühen Stunde nicht die erste. Tilly Malorny schien ihr Zuhause ebenfalls nur allzu bereitwillig verlassen zu haben. Der violette Fleck unter dem Auge, den nicht einmal das sorgsamer als sonst aufgetragene Make-up ganz kaschierte, deutete auf neuerliche Wettschulden ihres Ehemanns hin – unweigerlich von mehr oder weniger gewaltsamen Handgreiflichkeiten gefolgt –, wurde aber von Sina standhaft ignoriert. Ebensowenig verlor sie ein Wort über die aufgeplatzte Lippe. John litt am nächsten Tag mehr unter seinen Untaten als seine Frau. Was ihn nicht daran hinderte, im nächsten Suff wieder böse zuzuschlagen.
Und seine Gattin? Die jammerte, schmollte, verzieh schließlich und blieb standhaft weiterhin bei ihm. Keine Szene heute – zu diesem leidigen Thema war bereits viel zu viele Male zuvor alles gesagt worden!
Tilly, erleichtert über die Zurückhaltung ihrer Chefin, bot geradezu überschwenglich an, für frischen Kaffee zu sorgen.
Etwas später läutete es mehrmals. Schritte, Stimmen, dann ein Zerren, als würde ein schwerer Gegenstand über den Teppichboden gezogen. Sina spitzte die Ohren. Was war das nur für ein seltsames Plätschern nebenan?
Neugierig öffnete sie die Verbindungstür.
Vor Hannes Schreibtisch stand ein etwa kniehohes Steingebilde, reichlich stümperhaft einem römischen Brunnen nachempfunden. Ein dünner Permanentwasserstrahl floß aus einem aufgerissenen Puttenmund und ergoß sich in eine plumpe, blaßrosa Muschel.
»Komm schon, Hanne, raus damit! Welchen deiner Mandanten hast du mit Mann und Maus bei der Steuerprüfung absaufen lassen?«
»Red keinen Stuß! Wer außer Bill könnte sich einen Schwachsinn dieses Kalibers schon ausdenken?« Hanne warf ihr einen wunden Blick zu. Ausnahmsweise schien sie empfänglich für Kritik an ihrem Herzallerliebsten zu sein. »Wenn ich ihm den Schrott zurückgebe, ist er unter Garantie für immer tödlich beleidigt. Aber kannst du mir mal verraten, was ich damit anfangen soll?«
»Auf die Toilette damit!« schlug Sina vor. »Da stört er noch am wenigsten.«
»Damit uns ein paar weitsichtige männliche Mandanten gleich mal kräftig reinpinkeln?«
Jetzt kicherten beide.
»Auf diesen Schreck hilft nur eins – Tillys berüchtigter Montagskaffee, der auch Langzeittote wieder erweckt! Vielleicht sollten wir das Ding ihrem John zum Geburtstag schenken. Schließlich haben Iren manchmal einen etwas seltsamen Geschmack!« Hanne schenkte beiden ein. »Nußhörnchen sind auch da. Willst du?«
»Du weißt doch, daß ich vor elf Uhr jede Art fester Nahrung verweigere! Wird allerhöchste Zeit, deinem lettischen Gigolo mal ein bißchen Stil beizubringen, meinst du nicht?« Es war ein offenes Geheimnis, daß Sina Bill Bergis nur wenig abgewinnen konnte. Sie war der festen Überzeugung, er schade ihrer Freundin nur, mache sie traurig und verdrießlich. Aber Hanne hielt trotz allem Ärger eisern an ihm fest. Zum Glück war er zur Zeit vorwiegend in Berlin, wo er mit Freunden ein Filmcafé eröffnen wollte. »Was macht eigentlich sein neuer Laden? Sollte nicht schon vor Wochen Eröffnung gewesen sein?«
»Sollte. Wird aber wohl noch dauern. Erst gab es Probleme mit der Baugenehmigung, dann mit der Feuerpolizei, und jetzt scheint etwas mit der Konzession zu klemmen. Von den Verhandlungen mit der Brauerei ganz zu schweigen, die noch immer laufen. Ich hab’ ihm mehrfach meine Hilfe im Behördendschungel angeboten, aber du kennst doch meinen Mr. Neunmalklug! Angeblich kommt er bestens ohne mich klar. Und halb Lettland hilft ihm dabei. Wenn man Bill so hört, könnte man meinen, sein Vaterland sei entvölkert und die Mehrzahl der Bewohner lebe jetzt in Berlin und Umgebung.«
»Aber er fehlt dir trotzdem«, konstatierte Sina. »So krätzig, wie du dich seit Wochen aufführst.« Sie hatte längst gelernt, mit Tatsachen zu leben. Meistens wenigstens.
»Ja. Leider. Und wie! Deshalb war ich die letzten beiden Tage auch ständig unterwegs, damit mir zu Hause nicht endgültig die Decke auf’n Kopf fiel. Fraueninsel, Chiemsee in wallenden Herbstnebeln, na ja, war nur so eine Idee, ganz stimmungsvoll natürlich, aber vielleicht doch nicht ganz das Wahre, um in ausgelassene Stimmung zu kommen. Zum Trübsalblasen hingegen geradezu ideal!«
»Wieso setzt du dich eigentlich nicht in den nächsten Flieger nach Berlin und besuchst ihn?« Die Bemerkung, warum Hanne sie nicht einfach zum Mitkommen übers Wochenende aufgefordert hatte, verkniff sie sich. Manchmal, das wußte sie aus eigener Erfahrung, mußte man allein sein, auch wenn es weh tat.
»Bisher hat er mich noch nicht eingeladen.« Hanne preßte die Lippen zusammen, und ihr Kinn bekam ein kleines Grübchen wie immer, wenn sie besonders tapfer sein wollte. »Und ich unterstelle mal, er hat seine Gründe dafür.«
Sina hielt ihren Zeigefinger unter den mickrigen Permanentwasserstrahl und hielt ihn erst sich, dann ihrer Sozia unter die Nase.
»Puh, riech mal! Stinken tut das Zeug auch noch!«
Hanne wich zurück und machte schon wieder ein langes, trauriges Gesicht. Jetzt hatte sie nur noch wenig Ähnlichkeit mit der eleganten, fast schon einschüchternden Anwältin, die am liebsten strenge Kostüme trug und allerorts wegen ihrer Schlagfertigkeit gefürchtet war.
Männer! dachte Sina. Gibt es eigentlich keine anderen Themen? Immer und immer wieder schaffen sie uns! Und weshalb? Weil wir uns immer wieder von ihnen schaffen lassen.
Gerade noch rechtzeitig redete sie wie ein Wasserfall weiter. »Zum Stichwort Berlin hab’ ich übrigens eine reizende Story auf Lager.« Sie berichtete über ihr unerfreuliches Telefonat mit dem Kollegen Schreck und geriet beim Erzählen mehr und mehr in Rage. Zu ihrer Überraschung schien Hanne ihre Empörung nicht im mindesten zu teilen.
»Wäre es nicht klüger gewesen, die Sache diplomatisch anzugehen, anstatt gleich wie eine Dampfnudel aufzugehen? Schließlich sitzt er auf einer Menge Informationen, die du dir erst mühsam beschaffen mußt. Außerdem geht es ja um kein gerade unlukratives Mandat. Auch daran solltest du ab und zu denken!«
»Ach, daher weht der Wind!« gab Sina zurück, insgeheim froh, daß Hanne offenbar ihre Stacheln wiederentdeckt hatte. »Keine Panik, verhungern werden wir nicht gleich, auch wenn ich mal patze.« Das Thema Finanzen war einer der wenigen heiklen Punkte zwischen ihnen. Ihre Sozia wurde schon unruhig, wenn die Kanzleiumsätze nicht jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich stiegen, weigerte sich aber nach wie vor standhaft, eine junge Kollegin zur Entlastung einzustellen. Selbst Ankes Heimarbeit, ohne die über kurz oder lang alles im Sekretariat zusammengebrochen wäre, war ihr ein Dorn im Auge.
»Und Louis, der unter Umständen mehr darüber weiß, hab’ ich das ganze Wochenende nicht erreicht. Hast du vielleicht eine Idee, wo er gesteckt haben könnte?«
»Meinst du, L. L. verrät ausgerechnet mir, in welches Paradies er seinen neuesten Lover entführt?«
»Inzwischen habe ich mir ohnehin alles an Literatur reingezogen, was ich zu dem Thema auftreiben konnte.« Sina zögerte einen Augenblick. »Ja, du hast recht, dieser Berliner Widerling hat mich kalt erwischt«, räumte sie dann unwillig ein. »Aber mußte er mich deswegen gleich wie eine Anfängerin abfertigen?«
Hanne lächelte vielsagend. »Wie viele Mandanten hast du schon gehabt, die nach der Wiedervereinigung Grundstücke in Berlin erwerben wollten? Und dann auch noch unter diffizilen Bedingungen? Na also! Ist doch eigentlich gar nichts dabei, zuzugeben, daß man mal etwas nicht genau weiß und daher jemand Kompetenteren um Hilfe bitten muß, oder? Ruf ihn einfach an und sag, wie die Dinge liegen! Ich meine mich jedenfalls deutlich daran zu erinnern, daß mir das eine gewisse Frau Dr. Teufel noch vor nicht allzu langer Zeit gepredigt hat.«
Sinas Antwort war der ausgestreckte Mittelfinger der rechten Hand.
Nebenan klingelte das Telefon. Immer noch feixend, ging Hanne hinüber und nahm ab.
»Nein, nicht selbst am Apparat. Einen Moment, bitte«, sagte sie ungewöhnlich zuvorkommend. »Für dich!« trompetete sie Sina zu, ohne ihre Stimme auch nur ansatzweise zu dämpfen. »Dein Widerling aus Berlin!«