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Prolog

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Tagebuchauszüge des Stasiobersts

Dr. med. Werner Stocher

Montag, 02. Januar 1989

Habe Jutta Nentwich geschwängert! Hat´s mir heute gesagt. 3. Monat. Dumm! Wo lebt die eigentlich?

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Jutta ist Ärztin!

Dienstag, 03. Januar

Jutta lässt nicht mit sich reden. Will das Kind! „Aber nicht in diesem Arbeiter- und Bauern-Staat“. Sieh mal an!

Ist aber immer noch zutraulich und erzählt bereitwillig.

Fährt am Freitag zu ihrem Mann. Will danach in Weißenfels bleiben – wenn´s sein muss eben „krank“.

Kann man so naiv sein? Rede morgen mit Helmut.

Mittwoch, 04. Januar

Habe Helmut getroffen. Er sieht´s als Betriebsunfall. Müssen nur die Decke drüber halten. Habe ausführlichen Bericht über Juttas Auslassungen weitergegeben.

Mittwoch, 25. Januar

Treffen mit Helmut. Berichte über Dr. Slavik. Identifiziert sich zu sehr mit einigen „Patienten“. Systemkritisch!

Jutta Nentwich und ihr Mann sind an der Grenze von der Tschechoslowakei nach Österreich mit gefälschten Pässen aufgegriffen worden. Und so etwas gehört zur Bildungsschicht in unserem Staat. Jetzt sind sie richtig reif.

Donnerstag, 02. Februar

Der Herr Ingenieur Klaus Nentwich wurde heute der Haftanstalt zugeführt. Die „Firma“ ist schnell!

Die müssen sich den Slavik vorknöpfen. Hat heute in meinen Patientenakten geschnüffelt! Verbindung zu den Nentwichs?

Mittwoch, 15. Februar

Treffen mit Helmut. Berichte ausführlich über Dr. Slavik. Der Mensch führt etwas im Schilde. Helmut ist interessiert!

Jutta ist jetzt in Hoheneck inhaftiert. Verfahren nach Niederkunft wurde bereits geregelt. Helmut „weiß keine Details“ – sagt er. Warum auch!

Habe heute Frau Doktor Ulrike Teisch kennengelernt. Vielversprechend!!

Dienstag, 21. Februar

Der Nentwich ist ein typischer Kopfgesteuerter – und sonst ein Waschlappen.

Nach Weigerung der Vollzugsbeamten, ihm die Post seiner Frau auszuhändigen, Kontrollverlust: verbale und körperliche Aggressionen gegen Vollzugsbeamte. So ein Trottel! Jetzt sitzt er eine Woche im Bunker. Danach kommt er zu mir. Mal sehen.

Heute neuer Patient nur für Slavik: Frank Wurm.

Jetzt nehmen sie ihn auf die Rolle!

Frau Doktor Teisch macht Eindruck. Werde sie mal zu einem „Dienstessen“ verpflichten.

Mittwoch, 01. März

Treffen mit Helmut. Morgen wird mir Rolf Kotitsch zur Behandlung angewiesen. Einer von den Besserwissern – Lehrer – aggressiv, nicht führbar. Wollte über Ungarn raus. Jetzt sitzt er. Außerdem Verdacht, Verbindung zu Subversiven mit Westkontakten zu haben. Befehl: Behandeln und ausleuchten. Können wir!

Gestern wurde Nentwich zur Behandlung überstellt.

Sieht schlimm aus. Haben ihn richtig in die Mangel genommen, selbst schuld.

Sie lassen ihn glauben, dass es Jutta schlecht geht und dass sie suizidgefährdet ist.

Er leidet, aber Kontaktaufnahme wird verwehrt. Er soll erst mal reden, der Herr Ingenieur.

Die Teisch hat was! Eine kluge Frau.

Freitag, 21. April

Heute haben sie den Slavik hochgenommen. Der kluge Herr Doktor ist dem Wurm auf den Leim gegangen. Ich gestehe: Ich empfinde Genugtuung.

Den Lehrer hat´s erwischt. Wurde gestern wegen Republikflucht verurteilt. Danach ist er durchgedreht, hat den Beamten angespuckt. Nun ist er verquollen, dass ihn die eigene Mutter nicht mehr erkennt. Haben ihn gleich zu uns angewiesen. Aber der Kerl hält immer noch den Kopf oben. Wir werden das ändern.

Keine Schmerzbehandlung. Kein Kontakt zu Eltern oder zu seiner Frau.

Verzweiflung soll weh tun.

War zwei Tage zum Neurologenkongress in Stockholm. Frau Doktor Teisch war mir „anvertraut“. Sehr angenehm.

Mittwoch, 10. Mai

Treffen mit Helmut. Bericht über Kotitsch. Der Kerl wird in der Isolation allmählich irre, aber er redet noch nicht. Der frisst sich selber auf. Von innen heraus. Wenn der den ersten Satz von sich gibt, kriegt er eine Ladung. Dann plaudert der alles aus, was wir wissen wollen.

Gestern haben sie den Nentwich verurteilt: Republikflucht mit gefälschten Papieren.

Das war es für den. Von Jutta weiß er immer noch nichts. Das hält der nicht aus.

Mittwoch, 07. Juni

Treffen mit Helmut. Mahnt zur besonderen Aufmerksamkeit, oben sind sie wohl einigermaßen nervös.

Bericht über Kotitsch abgegeben. Musste sich unbedingt nochmal vermöbeln lassen. Hat erst im Wasserloch gesessen und danach eine ganze Woche im Bunker. Jetzt ist er mürbe. Habe ihm eine ordentliche Portion Faustan über zwei Wochen verordnet, und nun hat er alles ausgeplappert. Somit hat die Firma wieder was zu tun.

Fahre heute mit Ulrike Teisch nach Leipzig. Das kann was werden.

Mittwoch, 08. Juli

Treffen mit Helmut.

Jutta hat in Hoheneck eine Tochter geboren. Kind wurde nach der Geburt verbracht.

Helmut weiß nichts Näheres – sagt er. Wird vermutlich zur Adoption gegeben. Ist mir nur Recht!

Slavik wurde aus dem Beruf entfernt – sagt Helmut. Näheres weiß er nicht – sagt er.

Berichte über Kotitsch. Redet sich um Kopf und Kragen – und einige andere auch!

Berichte über den Ingenieur. Ist jetzt in jeder Richtung anzapfbar – ein armseliger Elendshaufen.

Donnerstag, 10. August

Was geht hier bei uns vor? Die reisen zu Hunderten über Tschechien und Ungarn aus.

Haben unsere das nicht mehr im Griff? Was hat Gorbatschow da angerichtet? Wir hängen doch alle mit drin. Da muss jetzt ein Deckel drauf!

Musste den Ingenieur schlafen legen. Hat erfahren, dass „sein“ Kind (und der glaubt das!) zur Adoption freigegeben wurde. Haben ihm jetzt Kontakt mit Jutta erlaubt. War nicht erbaulich für ihn. So kann es gehen.

War am Montag zu Vortrag in Berlin, mit Ulrike. Sind über Nacht geblieben. Hat sich gelohnt. Die Frau hat Suchtpotential.

Samstag, 26. August

Jutta hat einen Suizidversuch unternommen. Ist noch mal gut gegangen.

Dem Ingenieur haben sie das „so nebenbei“ gesteckt, ist kollabiert.

Was wollen die denn noch mit einem Kind? Die kriegen hier doch kein Bein mehr an die Erde.

Wobei einem langsam mulmig werden kann, wenn das stimmt, was man so hört. Da hauen offenbar ganze Horden einfach ab. Der Mielke muss das eindämmen, sonst geht der Laden hier hoch.

Mittwoch, 29. August

Treffen mit Helmut. Berichte über Ingenieur. Gibt nichts Substantielles. Der ist fertig.

Berichte über Kotitsch. Sehr ergiebig. Da können sich noch einige auf etwas gefasst machen.

Helmut meint, dass Mielke die Sache im Griff hat. Hoffentlich!

Habe jetzt zum dritten Mal bei Ulrike übernachtet. Tut mir gut. Katrin weiß wohl Bescheid. Nicht zu ändern.

Montag, 18. September

Der Mielke hat das nicht mehr im Griff. Zigtausende sollen über Ungarn und die Tschechoslowakei ausgereist sein. Früher hätte Erich diesen ganzen Haufen mit der Kalaschnikow auf die Reise geschickt. Jetzt guckt der zu! Das kann doch nicht gut gehen.

Ulrike hat mich heute Nacht auf den Ingenieur angesprochen. Ich weiß nichts!!

Aber ich habe das Gefühl, sie glaubt mir nicht. Ich hoffe nur, sie gräbt nicht tiefer.

Mittwoch, 27. September

Treffen mit Helmut. Ingenieur und Kotitsch sind leer gezogen. Nichts Nennenswertes mehr zu berichten.

Ulrike ist seit dem 18. anders. Sie spielt Theater, spielt Normalität.

Heute Nacht großartige Vorstellung von ihr. Hat mich fast aufgefressen. Die will abhauen! Ulrike unterschätzt mich – dumm für sie!

Helmut ist informiert: Zugriff sofort! Unbedingt!!

Montag, 02. Oktober

Ulrike ist weg! Abgehauen! Wie konnte das passieren? Habe Helmut doch gesagt, dass die Firma sofort zugreifen muss. Hier ist was faul!

Die verschwinden hier zu Tausenden. Jetzt auch um uns herum.

Doktor Hammer aus der „Lunge“ ist auch weg! Die hat sich mit Ulrike zusammengetan.

So langsam habe ich das Gefühl, ich muss an mich denken.

Der Ingenieur hat sich übers Wochenende aufgehängt. Nicht schade drum. Für Jutta eine Chance.

Mittwoch, 18. Oktober

Helmut war nicht da! Heute eigentlich Treffen, aber der Kerl ist nicht gekommen.

Verlassen jetzt die Ratten…?

Donnerstag, 19. Oktober

Ich denke, jetzt kollabiert das Ganze! Die haben den Honecker abgesägt.

Erst lässt uns Gorbatschow im Regen stehen und jetzt der Staatsstreich! Und der Krenz macht sich auf Honeckers Sessel breit. Krenz!

Der Westen wird uns schlucken, und dann sind wir alle richtig dran. Alle, die an diesen Staat geglaubt haben.

Morgen werde ich die Patientenakten sichten.

Für diesen Krenz-Haufen werde ich mir nichts ans Bein binden.

Samstag, 04. November

Der Pöbel beherrscht die Straße und die Bonzen werden ausgepfiffen oder haben sich verkrochen. Das war´s! Rette sich wer kann!

Patientenakten sind bereinigt. Mit dem Kotitsch bin ich fertig. Vermutlich erkennt der mich auch nicht mehr.

Bleiben noch die Berichte an Helmut, diese Ratte. Da komme ich nicht dran. Andere hoffentlich auch nicht!

Katrin steht fest an meiner Seite. Nach allem was war?

Wir spielen Familie mit zwei Kindern.

Donnerstag, 09. November

Gute Nacht, Arbeiter- und Bauernstaat! Die haben die Grenze geöffnet. Diese unüberwindliche Grenze haben diese Kretins geöffnet und werfen uns der BRD zum billigen Fraße vor!

Was wird aus uns, wenn die Westler erstmal anfangen aufzuräumen. Diese Besserwisser mit ihrem Rechtsstaat.

Ich werde gehen! Müssen!

Ist vielleicht ja nicht das Schlechtere. Aber wenn, dann ohne Familienbagage.

Freitag, 24. November

Habe Helmut getroffen! Ist also noch an Bord. Aber er teilt meine Ansicht und meine Absicht. Hat selber ziemlich heiße Füße.

Aber immerhin: Die Firma vergisst einen nicht. Helmut besorgt mir eine neue Identität, nur für den Übergang. Für die ersten Jahre. Alles andere ist vorbereitet. In den Akten ist mein Name sauber.

Habe die zugeteilten Verfügungsgelder des Klinikbereiches flüssig gemacht, bevor es jemand anders tut. Liegen auf Abruf. Hier nimmt jeder, was er an Nützlichem kriegen kann. Aber nach außen wahren wir die Fassade.

Katrin hat Sorgen, aber sie steht zu mir. Was soll ich tun? Kann sie ja nicht zurückweisen.

Ich fürchte, sie wird es mit den Kindern schwerhaben, wenn ich erst mal weg bin.

Montag, 18. Dezember

Vera Kotitsch war heute im Haus. Sehr unangenehme Person. Hat mir gedroht. Und ich kann mich nicht wehren!! Wo sind wir hingekommen.

Jedenfalls wird es nun höchste Zeit. Wollte heute die Akten der Vorjahre sichten und „bereinigen“. Sind nicht mehr da! Nicht mehr im Hause greifbar! Geht’s jetzt los?

An die Kotitsch habe ich gar nicht gedacht. Hatte nur den Lehrer im Auge. Das Weib ist „klebrig“.

Werde im Westen als „Doktor med. Robert Snelting“ leben. Muss so ein Kerl gewesen sein wie der Slavik, dieser Doktor Snelting. Jedenfalls hat er sich in der Haft selbst verabschiedet. Gut für mich. Aber, ganz wohl ist mir bei der Sache nicht. Will doch nicht mit dem Namen eines Staatsverräters herumlaufen.

Mittwoch, 17. Januar 1990

Treffen mit Helmut. Jetzt ist sogar Helmut aufgebracht und in großer Sorge: Der Pöbel hat die Firmenzentrale in Berlin gestürmt. Die haben Zugriff auf die Akten!

Im Nachhinein fragt man sich, welche Trottel uns da regiert haben. Dieses Material hätte der Erich längst in den Ofen werfen können.

Jedenfalls geht’s jetzt ums Ganze. Was fehlt sind die Papiere und Geld natürlich. Die werden uns schon bald ihre schöne Westmark aufdrängen.

In der nächsten Woche bringt Helmut die Papiere.

Mittwoch, 24. Januar

Helmut ist nicht gekommen! Der wird mich ja wohl nicht hängen lassen? Auch Helmut ist nur ein Mensch, er soll es nicht wagen. Das Wasser steht uns allen bis zum Hals.

Mittwoch, 28. Februar

Keine Nachricht von Helmut. In all den Wochen keine Nachricht! Bin nahe daran, mich selbst zu behandeln.

Alle „Politischen“ sind aus der Haft entlassen worden! Ich fasse es nicht! Als hätten wir die nur zum Spaß inhaftiert. Als ob wir Sadisten waren.

Jedenfalls kann jeden Tag hier die Bude hochgehen. Und diese Quertreiber und Unruhestifter werden sich nicht bei uns für die „Vorzugs-Behandlung“ bedanken.

Ich habe das Gefühl, die stehen schon unten vor der Tür, die Slaviks, Kotitsch und wie sie alle hießen.

Meine Papiere, Helmut!!

Mittwoch, 04. April

Endlich! Endlich! Helmut war am Treffpunkt. Und er hat die Papiere mitgebracht! Endlich! Geburtsurkunde, Pass, Meldebescheinigung usw., alles, was man so braucht, um als zivilisierter Mensch zu gelten.

Mittwoch, 20. Juni

War heute mit Helmut zusammen in Dresden. Wir haben uns ein Konto bei der „Dresdner Bank“ eingerichtet. Habe das Klinikgeld bereits eingezahlt (63.000 Ostmark). Soll ja 1:1 umgetauscht werden. Damit wäre ich erstmal aus dem Gröbsten raus. Außerdem haben wir ja noch 12.000.- Mark auf unserem Familienkonto in Waldheim. Ich habe es verdient, und ich nehme es mit. Lasse Katrin 3800.- Mark Übergangsgeld da. Danach muss sie sich halt umschauen. Wir leben alle unser eigenes Leben.

Tod eines Agenten

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