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Kapitel 3

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Der neue Tag begann trübe und diesig, Er war einfach nur da, in diffuser Dumpfheit.

Auf dem Sofa hatte Erik unruhig geschlafen. Er war schon früh wieder wach. Sein Magen machte sich bemerkbar, und er wartete ungeduldig darauf, dass die Frauen wach wurden.

Nach dem Frühstück fuhren Anneke und Ulrike zur Elchjagd. Er saß noch eine Weile bei seinem Kaffee. Er musste zur Polizei und es war ihm nicht klar, was die Beamten noch von ihm wollten. Danach musste er sich um die Bergung seines X3 und um dessen Reparatur kümmern. Gut möglich, dass er sein gesamtes Vorhaben abbrechen musste. Sture Bengtson! Der war der Schlüssel, wenn sein Vorhaben gelingen sollte.

Er erhob sich, stellte das benutzte Geschirr in den Küchenbereich und schlenderte entspannt durchs Haus. Sah, dass ein Schlafraum nur als Vorrat und Garderobe genutzt wurde. Im Raum daneben schliefen die beiden Frauen. Er steckte nur den Kopf durch die Tür, witterte wie ein Hund in den Raum, widerstand der Versuchung, sich in dem Zimmer umzusehen. Die weiteren Räume waren bis auf seine Schlafkammer unbenutzt.

Hinter dem Haus lag eine Wiese, die an einen See grenzte. Ein kleines Schwedenhaus, nah am See, diente vermutlich als Sauna, und ein großer Holzschuppen schloss sich direkt an das Haus an.

Alles wirkte gepflegt, an diesem grauen Morgen aber deprimierend fahl und leblos. Normalerweise würde er jetzt die paar Schritte zum See hinüber gehen. Wasser zog ihn magisch an. Ihm war nicht danach. Der Himmel hing grau und geschlossen über ihm, bewegungslos, wie eine dicke, grauwattige Decke.

Er wandte sich ab. Es wurde Zeit für ihn, und er war gespannt auf Annekes Rover. Als ausgesprochener Genuss-Autofahrer mochte er Autos, in denen sich elegantes Interieur mit robuster Leistung vereinigte. Der Rover galt als solch ein Fahrzeug.

Und der Rover gab sich alle Mühe, sein Versprechen schon mit dem ersten Eindruck zu erfüllen. Sauber und glänzend stand er vor dem Haus, als erwarte er ihn, ein roter Evoque mit schwarzem Dach. Ein schönes Auto.

Erik schloss das Haus ab, ging über aufgeweichte Grasplacken auf den Rover zu, blieb auf halbem Weg abrupt stehen: Annekes schöner Evoque hatte einen Plattfuß. Seine linke Heckseite neigte sich, als wäre er zu schwer beladen. Er hatte also schon wieder ein Problem, noch bevor er überhaupt in den Tag hineinkam.

Es regnete zwar nicht mehr, aber der Boden war immer noch aufgeweicht. Nach dem Reifenwechsel wäre auch seine frische Kleidung ruiniert. Er musste nach Arjäng, verdammt noch mal. Genervt stapfte er zum Haus zurück.

Seine Kleidung vom Vortag war ohnehin reif für die Reinigung, im äußersten Notfall würde er sich noch einmal hineinzwängen, wenn es gar nicht anders ging. Hastig durchsuchte er das Haus nach geeigneter Bekleidung.

Ob die Frauen den Plattfuß wohl gesehen hatten? Immerhin zeigte sich die Schräglage des Rovers ziemlich deutlich. Er wäre ein leichtes und noch dazu dankbares Opfer, und Ulrike traute er solch eine Bosheit zu.

Er schob den Gedanken weg, nutzloser Ballast. Aber das Haus war aufgeräumt, hier gab es nichts Brauchbares.

Im Holzschuppen hinter dem Haus fand er endlich ein Paar alte Gummistiefel, die ihm an den Füßen herumschlockerten und einen mit roter und weißer Farbe beklecksten Parka. Vielleicht ein Frauenparka. Er war ihm zu eng, aber ohne Alternative.

Eine halbe Stunde später konnte er Stiefel und Parka wieder an ihren Fundort zurückbringen. Der Reifen war gewechselt, seine Kleidung war sauber geblieben, aber unter dem Parka war er schweißnass. Es konnte nur besser werden.

Ohne Probleme fand Erik die Stelle, an der Ulrike am Vorabend aus dem Wald gekommen und nach Glaskogen abgebogen war. Die Straße war breit, der Rover das einzige Fahrzeug, und das sonore Brummen des Evoque klang in seinen Ohren wie ein Versprechen. Er gab die Zügel frei und der Rover hetzte los. Hetzte den Berg hinauf, jagte mit einem Schweif aus Gischt und Schmutz einen Kilometer weit die ebene Piste entlang.

Er besann sich, nahm den Fuß vom Gas. Die Straße war immer noch modderich und es war Jagdzeit. Jederzeit konnte ein aufgeschrecktes Wild auf die Straße und vor den Wagen laufen, vor Annekes Wagen.

Als er sich der Stelle näherte, an der es ihn von der Straße getragen hatte, zog sich sein Inneres zusammen. Aus einiger Entfernung schon erkannte er Lottas umgestürzten Kinderwagen am Straßenrand. Beim Aufprall war er einige Meter weggeschleudert worden, lag jetzt umgekippt auf der Seite. Ein helles Kissen war herausgefallen, lag nass-pappig im Graben neben der Straße. Etwa zehn Meter weiter, auf der anderen Straßenseite, hatten sie Lotta unter dem Busch gefunden. All das war absolut unwirklich, er fühlte sich beklommen.

Er hielt an, wo der Wagen von der Straße geschleudert war, mochte aber nicht aussteigen. Was er sah, reichte ihm, ließ die Sorge wachsen, ob der Schaden überhaupt zu reparieren war.

Zwischen regennassen Büschen und Bäumen sah er seinen BMW. Sah ihn dort wund geschlagen gegen eine Fichte gepresst. Ein schmutzig-schwarzer Fremdkörper, der dort nicht hingehörte. Und es sah alles noch schlimmer aus, als er es am Vorabend gesehen hatte. Er gab Gas, wollte diesen Ort verlassen.

Als erstes musste er zur Polizei. Er war schon spät dran, aber die Polisstation Arjäng war zum Glück nicht zu übersehen: Ein langgezogenes, kastenförmiges Gebäude im Stil der siebziger Jahre, direkt an der E18, abweisend und hässlich.

In der Station traf er die gleichen Beamten, die schon am Abend den Unfall aufgenommen hatten. Da eine Person zu Schaden gekommen war, benötigten die Beamten noch notwendige Angaben zu seiner Person und zu seiner Versicherung. Dabei konnte er erfahren, dass Lotta eigentlich Charlotte Braun hieß, siebenundzwanzig Jahre alt war und zur Behandlung ins Hospital nach Arvika gebracht worden war. Er würde Lotta besuchen. Sobald es möglich war, würde er nach Arvika fahren.

Eine Viertelstunde später verließ Erik die Polisstation und fuhr eine Straße weiter, hinüber zur Autowerkstatt.

Er mochte nicht dabei sein, wenn sein BMW zwischen Büschen und Bäumen herausgezogen wurde und wartete deshalb auf die Rückkehr des Bergungsfahrzeugs.

Endlich aber stand das, was einmal sein Auto gewesen war, in der Werkstatt in Arjäng. Bis aufs Dach schmutzbeschichtet stand es in der Halle, der Lack verkratzt und die Fahrertür mit einer desaströs anmutenden Einbuchtung nach innen gedrückt. Ein gefühlter Totalschaden.

„Nein, nein. Für den Laien sieht das schlimm aus. Ist es aber nicht. Wir machen das. Du musst dir keine Sorgen machen.“ Der Werkstattmeister klopfte ihm auf die Schulter wie einem alten Bekannten. „Ich rufe dich an. Fahr nur.“

Das Auto sah erbärmlich aus, aber er vertraute dem Mann. Er hatte diese typische direkte, gerade Art, die er an vielen Schweden mochte. Er konnte jetzt nur noch warten. Aber seine Stimmung hatte sich wieder aufgeklart.

Auf dem Weg zum Rover entdeckte Erik auf der anderen Straßenseite einen Verbrauchermarkt. Er würde die Frauen mit einem guten Abendessen überraschen. Sie hatten es sich verdient. Außerdem war ihm selbst danach. Wenn schon ein Albtraum, dann wenigstens einer mit gutem Essen. Der Gedanke gefiel ihm. Schmunzelnd stieg er wieder in den Rover und fuhr hinüber auf den Parkplatz des Marktes.

Er hatte die Tür schon geöffnet, um auszusteigen, da fiel ihm Sture Bengson ein. Er musste den Kerl erreichen, deswegen war er hier. Aber Männer wie der waren scheues Wild. Und schon der Kontakt zu einem Journalisten war für Sture das pure Risiko.

Er zog die Fahrertür wieder zu.

Sture anzurufen machte wohl keinen Sinn. Er konnte ihm nur eine SMS schicken, unverfänglich. Nachdenklich sah er nach draußen auf den Parkplatz, suchte zwischen den geparkten Fahrzeugen nach einer Idee. Sein Blick blieb an einem jungen Paar hängen, welches sich offenbar mit Lebensmitteln für die nächsten zwei Jahre eingedeckt hatte und diese nun gemächlich in einem alten, roten Saab verstaute. Mit Bedacht formulierte und tippte er seine Idee in das Smartphone: eine Einladung zu einem romantischen Date in Arvika. Sture würde das verstehen.

Er brauchte nur etwa eine halbe Stunde, um all das einzukaufen, was er für sein Genussessen am Abend benötigte. Als ihm die Idee für dieses Abendessen in den Kopf kam, hatte er den Geschmack, den Geruch eines gut zubereiteten Chateaubriand im Kopf, hatte es auf der Zunge. Jedenfalls hatte er jetzt alles eingekauft, was er für ein Chateaubriand mit Speckbohnen, Kartoffeln und Sauce Béarnaise benötigte. Der Gedanke an den abendlichen Genuss, an eine gemütliche Runde im heimeligen Holzhaus hob seine Stimmung. Er fühlte sich gut, ließ den Motor an, als das Handschuhfach in seinen Blick geriet.

Ohne große Erwartungen öffnete er das Fach. Dachte dabei gar nicht an Anneke; er war einfach neugierig, eine Berufskrankheit.

Jedenfalls benutzte Anneke das Fach deutlich intensiv; es war regelrecht vollgestopft mit allem Möglichen. Obenauf lagen gleich mehrere Packungen der unvermeidlichen Papiertücher. Er nahm sie heraus und legte sie auf den Beifahrersitz. Darunter ein Notizblock mit Stift. Auf der ersten Seite waren mehrere Einträge in Schwedisch und eine schwedische Autonummer, dick unterstrichen. Er nahm den Block heraus, ebenso die Packung mit Erfrischungstüchern. Das Kunststoffmäppchen darunter enthielt einen blauen „Registreringsbevis 1“, die schwedische Form des KFZ-Scheines. Er hob das Mäppchen an und entdeckte weiter hinten im Fach mehrere zusammengefaltete Papiere, amtliche Schreiben vielleicht. Sofort flammte seine Neugier auf.

Mit spitzen Fingern zog er an dem dünnen Stapel und spürte ein Hindernis. Irgendetwas Schweres lag auf den Schreiben und beschwerte diese. Er musste sich weit zum Fach hin vorbeugen, erkannte in der Tiefe eine handgroße Schachtel, die auf den Schreiben lag und deren Aufdruck ihm schwarz auf rotem Untergrund entgegenschrie: Pistolenmunition 9mm-Luger.

Er hob die Schachtel heraus, öffnete sie und warf einen kurzen Blick auf die messingglänzenden Patronen. Diese reizvolle, charmante Anneke mit einer 9mm-Pistole in der Hand! Für ihn ging das ebenso wenig zusammen wie die Vorstellung von Anneke mit einer veritablen Motorsäge. Aber er hatte ja auch Probleme mit der Vorstellung, wie eine dieser Frauen kühl auf einen Elch anlegte, diesem dann mit präzisem Schuss das Leben ausblies, um ihn danach weidmännisch auszuweiden. Vielleicht musste er sein Frauenbild überdenken.

Die Munitionsschachtel in der Hand, widmete er sich den Schreiben.

Obenauf ein Ticket der Stena Line für die Überfahrt Göteborg – Kiel vom 12. Juni. Darunter die Rechnung über die Kalibrierung einer Waffe mit Zielfernrohr, und die Rechnung über die Wartung der Vorderbremsen des Rovers. Das nächste Schreiben schien da schon auf Anhieb interessanter. Ein amtliches Schreiben mit deutschem Briefkopf, ein Bußgeldbescheid des Kieler Ordnungsamtes.

Anneke war am 15. Juni geblitzt worden.

Erfasst worden war ein schwedisches Kennzeichen. Halter des Fahrzeugs war Anneke Berg aus Göteborg und der auf dem Foto abgebildete Mann – war sein seit sechsundzwanzig Jahren verschwundener Vater!

Tod eines Agenten

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