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Frankfurt

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Kaum hatte sich Jan liebevoll von ihr verabschiedet, da hatte Natascha auch schon alle Hände voll zu tun. Sie duschte ausgiebig und begab sich später zur Zeil, der berühmten Fußgängerzone der Mainmetropole. Hier sollte sie sich mit Mitarbeitern des Frankfurter Büros treffen, das für ihre Sicherheit verantwortlich war.

Auch wenn Natascha noch immer nicht wusste, was eigentlich von ihr erwartet wurde, so hatte sie dennoch Kontakt zu ihren Kollegen aufzunehmen. Odysseus hatte ihr vorgeschlagen, dies an einem öffentlichen Platz mit vielen Menschen zu tun, wo sie einfach in der Menge untertauchen konnte. Zwar rechnete niemand damit, dass jemand sie in Frankfurt kannte, doch konnte eben dies dennoch nie gänzlich ausgeschlossen werden.

Am vereinbarten Treffpunkt sah sie eine Kollegin, die als Erkennungszeichen einen beigen Trenchcoat trug und einen Zigarillo rauchte, während sie auf sie an der Konstablerwache wartete und scheinbar beiläufig den Verkehr auf der Konrad-Adenauer-Straße beobachtete.

Natascha näherte sich ihr, stellte sich neben sie, zog eine Schachtel Dannemann Moods heraus und fragte: »Dürfte ich mir kurz bitte ihr Feuerzeug leihen?«

»Ich benutze ein Zippo.«

»Das ist noch besser.« Natascha zündete den Zigarillo an und dachte über den dämlichen Erkennungsspruch nach, der – leicht abgewandelt – einem James Bond Film entliehen war. Sie hielt sowas für affig und überholt, doch Odysseus hatte nun einmal darauf bestanden.

»Sie sind Venus?«

»Ja. Und wie nennt man Sie?«

»Andromeda. Lassen Sie uns in Richtung Hauptwache flanieren, damit wir nicht auffallen.«

»Was haben Sie für mich?« Natascha rauchte privat tatsächlich Zigarillos, sodass die Tarnung tatsächlich realistisch wirkte.

»Jan Wagner. Der Mann ist sauber. Hat vor drei Jahren seine Frau verloren, lebt seitdem allein. Seine Eltern sind Rentner und leben in Karben, er hat noch einen Bruder in NRW. Jans Beruf ist sein Leben, er hält sich Kakteen und besitzt ein kleines Einfamilienhaus in Roggau. Musste seinen Vectra verkaufen, weil er Geldprobleme hatte, fährt seitdem einen alten Kadett. War von 1995 bis 1996 bei der Luftwaffe, hat jedoch nie an Reserveübungen teilgenommen. Laut SCHUFA ist er wieder solvent und hat lediglich eine Resthypothek von rund hunderttausend Euro abzubezahlen. Sein Freundeskreis ist überschaubar, da er keine Zeit für soziale Kontakte hat. Er ist aus der Kirche ausgetreten, war in seiner Jugend Judoka und hat eine blütenreine Weste. Eben ein ganz normaler, langweiliger Durchschnittsdeutscher der Mittelschicht.«

»Sonst gibt es nichts?«, hakte Natascha nach.

»Nein. Ich sagte doch: Ein Langweiler.«

»Haben Sie schon Näheres zu meinem Auftrag?«

»Nein. Wir haben bloß Order, den Zivilisten zu beschatten. Zwei unserer Leute sind an ihm dran, seit er Ihre Wohnung verlassen hat.«

»Gibt es sonst noch etwas?«

»Nein. Odysseus wird sich bei Ihnen melden. Es wird sonst keinerlei Kontakt mehr geben.«

»Gut.« Natascha wandte sich ohne ein weiteres Wort von ihrer Kollegin ab und ging nach Süden in Richtung Berliner Straße.

So hatte sie sich ihren Auftrag nicht vorgestellt.

Man hatte ihr gesagt, dass es ein bedeutender Auftrag sei, dass alles von ihrem Einsatz abhänge. Gleich zu Beginn hatte man ihr gesagt, dass sie als Venusfalle dienen und einen wildfremden Mann verführen solle – mit allen möglichen Konsequenzen. Doch niemand hatte ihr gesagt, wie lange der Auftrag dauern solle. War am Dienstag vielleicht alles schon vorbei? Oder würde sie dann erst den eigentlichen Zweck ihres Auftrags erfahren? Einen unscheinbaren Zivilisten zu vögeln, der ganz offensichtlich keinerlei Verbindungen zu irgendwelchen ausländischen Nachdiensten hatte, konnte doch wohl kaum der ach so bedeutsame Auftrag sein. Dazu hätte man ebenso gut eine Professionelle bestellen können, und Natascha weigerte sich, etwaige Parallelen zu ihrem eigenen Verhalten zu ziehen.

Wieso sollten ihre männlichen Kollegen die Helden sein, wenn es ihnen gelang, feindliche Agentinnen zu verführen und gegebenenfalls sogar umzudrehen, und eine Agentin mit ähnlichem Aufgabengebiet nicht? Vögelte ein Mann fremde Frauen, war er den Hengst, der Könner – war er bei allen Leuten angesehen. Vögelte eine Frau hingegen fremde Männer, war sie gleich ein Flittchen – wenn nicht gar Schlimmeres. Nein, von solchen Gedanken wollte sie sich gekonnte distanzieren. Ihr Job war ihr Job. Sie hatte ihn sich damals ausgesucht und noch recht romantisch vom Agentenleben geträumt. Doch selbst, als sie die Wirklichkeit erkannt hatte, hatte sie sich für mögliche Außendiensteinsätze vormerken lassen – wissend, dass selbst das für die meisten Menschen Undenkbare von ihr gefordert werden könnte.

Inzwischen war Natascha in der Berliner Straße angekommen und bog nach links ab, in Richtung Osten, zurück zur Konstablerwache. Sie würde dann zurück in die Dienstwohnung in Bornheim fahren und alles für Jans Rückkehr vorbereiten.

Auch wenn Jan Wagner äußerlich absolut nicht ihr Typ war – er war zu alt, zu dick, unrasiert, blond und blauäugig, während sie eher für einen George Clooney oder einen Pierce Brosnan zum Äußersten gegangen wäre –, so war er trotz allem liebevoll, zärtlich und vielleicht ein bisschen zu naiv, fand sie. Es schien ihn nicht einmal zu stören, dass es in der gesamten Wohnung keinerlei Fotos von ihrer Familie oder von Freunden gab – das wäre ihr selbst nämlich als erstes aufgefallen. Diesen Fehler konnte sie nun leider nicht mehr glaubwürdig ausbügeln und hoffte, dass er niemals nach ihren Eltern oder nach Freunden fragen würde.

An der Konstablerwache angekommen, zog Natascha sich eine Fahrkarte, um mit der U-Bahn die fünf Minuten bis zur Seckbacher Landstraße zu fahren. Zwar hätte sie diese drei Kilometer auch bequem zu Fuß zurücklegen können, doch es hatte wieder leicht zu regnen begonnen, und mit ihren hochhackigen Schuhen wollte sie sich den Weg im Nassen nicht unnötig antun.

Von der Seckbacher Landstraße aus waren es bloß noch dreihundert Meter Fußweg, die sie in knapp vier Minuten zurücklegte. Es war gerade einmal zehn Minuten nach zwei nachmittags, sie hätte also noch mindestens zwei Stunden Zeit, ehe sie mit Jan rechnen musste. Und diese Zeit wollte sie in Ruhe mit sich allein verbringen.

So lieb Jan auch war, so anstrengend war es, ihn ständig verführen zu müssen, um ihn bei Laune zu halten. Nichts war gefährlicher als ein Mann, der die falschen Fragen stellte. Und Jan hatte die Angewohnheit, beinah alles von ihr wissen zu wollen. Zwar hatte sie für die meisten Fragen sorgfältig ausgearbeitete Antworten, doch bei Intimpartnern konnte es eben immer wieder vorkommen, dass Fragen auftauchten, auf die man sie nicht zuvor gebrieft hatte. Und was sollte sie dann antworten?

VIRUS – Im Fadenkreuz

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