Читать книгу VIRUS – Im Fadenkreuz - Lars Hermanns - Страница 3

Prolog

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Es war ein schöner Donnerstag am 26. September 2019. Draußen waren es milde zwanzig Grad Celsius, und niemand konnte ahnen, was sich just in diesem Moment in Berlin für Gewitterwolken zusammenbrauten.

Der Abteilungsleiter, der von allen bloß »Odysseus« genannt wurde, saß in seinem kargen Büro, das ohne jeden Schmuck eingerichtet war und lediglich eine Aussicht auf den Ostberliner Fernsehturm bot. Der Schreibtisch war übersät von Akten, und ein Porträt mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel schien dem Abteilungsleiter stets über die Schulter zu blicken.

Odysseus, dessen wahrer Name bloß der Personalabteilung bekannt war, blickte aus dem Fenster und war in Gedanken weit in der Vergangenheit versunken. Damals, vor dreißig Jahren, als die Welt noch in Ordnung war. Damals, als er mit dreißig Jahren noch jung und sportlich fit war, hatte man seine Feinde noch gekannt. Der KGB war sein ärgster Gegenspieler gewesen. Man kannte sich, man fürchtete sich – und man hatte keinerlei Skrupel, dem Gegenspieler mitunter tödliche Lektionen zu erteilen. Doch dies alles fand im Dezember 1989 ein jähes Ende, als der damalige sowjetische Staatspräsident Michail Sergejewitsch Gorbatschow auf Malta den neuen US-Präsidenten George Herbert Walker Bush traf und das Ende des Kalten Krieges einleitete. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 fand auch der Kalte Krieg ein Ende.

Seit diesen Tagen waren die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwommen.

Ja, man hatte noch immer mit ausländischen Geheimdiensten zu tun, und gelegentlich spionierte man sogar seine Verbündeten aus, doch das klassische Feindbild war verschwunden. Mehr und mehr bekam man es nicht mehr bloß mit anderen Staaten zu tun; vor allem terroristische Vereinigungen rückten verstärkt in den Fokus des Geschehens und ließen liebgewonnene Feinde im Hintergrund verschwinden.

Es war an der Zeit, diese Missverhältnisse wieder ein wenig zurechtzurücken.

Wo bleibt bloß Schmitt, fragte sich Odysseus, als es bereits an der Tür klopfte und ein kahlköpfiger Mann das Büro betrat, der genauso groß wie Odysseus, jedoch zehn Jahre jünger und ein wenig schlanker war.

Der inzwischen weißhaarige Odysseus drehte sich missmutig herum und fragte, ohne seinen Gast zu begrüßen: »Sind Sie fündig geworden?«

»Ja, das bin ich«, antwortete Schmitt, dessen wahrer Name ebenfalls geheim war, und setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber von Odysseus‘ Schreibtisch. In seinen Händen trug er eine altmodische Akte.

»Und?«, fragte Odysseus ungeduldig nach. »Mensch, lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen!«

Schmitt antwortete in einem gewohnt ruhigen Ton: »Ich bin die Namen der vielversprechendsten Agenten durchgegangen und auf einen gestoßen, der für unsere kleine Mission geeignet erscheint: Jung, gutaussehend, schwarzer Gürtel in Judo, Jahrgangsmeister im Kickboxen, ausgebildeter Scharfschütze und Sprengstoffexperte. Spricht neben Deutsch noch Englisch und Russisch.«

»Angehörige?«

»Nur die Eltern. Doch die sind wohl kein Hindernis.«

»Keine Beziehung?«

»Keine, die uns bekannt wäre. Und wir sind da bekanntlich sehr gewissenhaft.«

»Sehr gut!« Odysseus nahm nun ebenfalls am Schreibtisch Platz. »Zeigen Sie mir die Akte.«

Schmitt tat, wie ihm geheißen, und beobachtete sein Gegenüber. Er wusste, dass Odysseus früher Agent im Außeneinsatz gewesen war und während des Kalten Krieges nicht wenige Mitarbeiter des KGB hatte verschwinden lassen. Später hatte man den heutigen Abteilungsleiter damit betraut, zusammen mit der CIA und dem MI6 den Austausch von Agenten durchzuführen, und Schmitt wusste, dass sein Vorgesetzter diese Zeiten vermisste.

Odysseus begutachtete die Akte gewissenhaft, und es dauerte einige Minuten, ehe er endlich aufblickte und sagte: »Sehr gute Arbeit, Schmitt!«

Schmitt nickte bloß.

»Das wird der perfekte Köder werden. Jetzt brauchen wir nur noch einen Zivilisten, um alles in Gang zu bringen.«

»An welche Stadt haben Sie gedacht?«

»Frankfurt, Schmitt. Das Wirtschafts- und Finanzzentrum.«

»Gut, ich werde unsere Leute dort informieren.«

»Nein! Das werden Sie nicht tun, Schmitt.« Odysseus schüttelte leicht den Kopf und betrachtete das Foto, das der Agentenakte zuoberst angebracht war. »Das soll unser Agent tun. Es ist wichtig, dass unser Zivilist Vertrauen fasst. Er ist es schließlich, der das Päckchen hier, in Berlin, abliefern soll. Und das wird er wohl nur tun, wenn er entsprechendes Vertrauen hat und nicht ahnt, in was er in Wirklichkeit verwickelt wird.«

Schmitt nickte zustimmend und hörte gespannt weiter zu.

»Lassen Sie alles Weitere vorbereiten – je eher wir beginnen können, desto besser.«

»Was tun wir, wenn es schiefgeht?«

»Schmitt, Sie sind ein Pessimist! Was sollte denn schiefgehen?«

»Unser Agent könnte enttarnt werden.«

»Das ist recht unwahrscheinlich, Schmitt. Schließlich sind wir in unserem eigenen Land. Wie sollte unser Agent da enttarnt werden? Lassen Sie entsprechende Unterlagen und Ausweise vorbereiten, wie wir es besprochen haben.«

»Und der Zivilist?«

»Was soll mit dem sein?«, fragte Odysseus sichtlich genervt.

»Was, wenn er dabei zu Schaden kommt oder gar getötet wird?«

»Wir wissen von nichts, Schmitt! Es darf von ihm keinerlei Verbindung zu uns geben. Sollte er also getötet werden, so waren es unsere Gegenspieler.«

»Ein deutscher Zivilist?«

»Hören Sie doch auf, Schmitt!«, antwortete Odysseus erbost. »Sie waren doch mit dem Plan einverstanden und wussten, dass wir einen Zivilisten benötigen, um die Geschichte glaubwürdig zu gestalten. Kommen Sie mir jetzt also nicht so!«

»Es ist doch nur – könnten wir nicht vielleicht doch ein Zweierteam einsetzen, das den Auftrag übernimmt?«

»Für ein hundertprozentiges Dementi ist es unerlässlich, dass der Bote einwandfrei als Zivilist identifiziert werden kann. Es darf absolut kein Zweifel an seiner Unschuld bestehen, ansonsten ist unser ganzer Plan hinfällig. Selbst wenn man unseren Agenten enttarnen sollte, wäre der Zivilist eben immer noch ein Zivilist. Und allein darauf kommt es an!«

VIRUS – Im Fadenkreuz

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