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Midgard

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Philipp Freytag stand nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Das bisschen, was er mit seinem Job als einer von vielen Reinzeichnern in einer großen Werbeagentur verdiente, reichte gerade so zum Leben.

Das heißt, es waren seit heute nicht mehr ganz so viele Reinzeichner und fürs Leben würde es Phil nach der Kündigung nun noch weniger reichen. Zum Glück war Phil Single. Was weniger Absicht war als eine Verkettung unglücklicher Zufälle war. Oder genauer gesagt, hatte er das große Talent, als einziges Gefühl bei Frauen Mitleid zu erregen. Mit dem Rest seiner Familie hatte er nur noch an Geburtstagen und zu Weihnachten sporadisch Kontakt. War er doch das schwarze Schaf. Während sein Bruder und seine Cousins alle studiert hatten und Karriere als Pastoren, Ärzte oder Bundestagsabgeordnete machten, schlug Phil doch eher eine andere Richtung ein. Phil hatte zwar Abitur gemacht (mit dem wohl schlechtesten Latinum aller Zeiten), floh jedoch gleich nach dem Abi vor der Bundeswehr (eigentlich wollte er Zivildienst machen hatte aber einige Fristen verschlafen) nach Berlin, von dem er gehört hatte, dass man dort nicht eingezogen würde – um die bittere Erfahrung zu machen, dass dies nach der Wiedervereinigung abgeschafft wurde. Nach der Bekanntschaft mit den Feldjägern, Phil überlegte noch immer warum jemand, der Menschen jagt nicht Menschenjäger heißt, machte er doch noch Zivildienst in Hamburg. Weit weg von zu Haus. Er gab in der Nähe des Hauptbahnhofs, genau gegenüber dem Museum für Kunst und Gewerbe, Methadon an Drogensüchtige aus. Um der ungeliebten Verwandtschaft auch weiterhin aus dem Weg zu gehen, blieb er in Hamburg. Phil zog in eine WG mit seinem besten Freund Astra in Altona. Nach ein paar Jahren und einigen Chaostagen meinte die Arbeitsagentur ihm etwas Gutes tun zu müssen und spendierte ihm eine als »Umschulung« getarnte Ausbildung zum Mediengestalter. Wenn er nicht gerade die Schulbank drückte, verbrachte er die meiste Zeit in Astras kleinem Kiosk, den dieser von seiner Großtante Erna geerbt hatte. Schließlich verschlug es Phil eher durch Zufall, mit einem Zeugnis der Handelskammer Hamburg in der Tasche, nach Bayern, was immerhin auch noch weit genug weg von Frankfurt und seiner Sippe war. Doch nun würde die Odyssee von Neuem beginnen. Dennoch behielt er sein unbekümmertes, kindliches Gemüt. Er saß direkt am Starnberger See in Tutzing in dem kleinen Biergarten am Midgardhaus und ertränkte seinen Frust in Weizen. Keinen Job, mitten in einer der teuersten Gegenden in Deutschland. Unweigerlich musste er an seinen Vater denken. Diesen Triumph, dass der Alte mal wieder Recht hatte und er nichts auf die Reihe brachte, wollte er ihm nun doch nicht gönnen. Sein Vater wollte, dass er Theologie studieren und Pastor werden sollte, wie schon sein Großvater und sein Bruder. Aber Phil hatte als Kind eine derartige Überdosis an Religion verabreicht bekommen, dass er eine immer größere Abneigung gegen alles Glaubenstechnische bekam. Gleich nach der Konfirmation trat er aus der Kirche aus und landete zur Belohnung in einem von Mönchen geführten Internat. Mit einem Seufzer strich er über den »Bad Religion« Schriftzug auf seinem T-Shirt. Diese Worte waren für ihn mehr als nur eine Punk-Band. Er blinzelte durch die Bäume in die schon kräftige April-Sonne. Es war der wärmste Erste April seit Aufzeichnung der Wetterdaten, was Phil im Moment ebenfalls egal war. Durch die Blätter sah er zwei Raben, die über dem Biergarten kreisten. Noch sollte er nicht ahnen, was das für ihn bedeuten sollte.

Plötzlich landete mit einem feuchten Klatsch die Hinterlassenschaft eines der Raben auf seinem Kopf.

»Mistvieh!«, fluchte Phil laut.

Die Gäste an den Nachbartischen kicherten schadenfroh. Nachdem er sich im See umständlich die Haare gewaschen hatte, beschloss er nach seinem neunten oder zehnten Weizen den Heimweg anzutreten. Phil konnte sich Tutzing als Wohnort nicht leisten, aber Tutzing lag an der Bahnlinie und den Biergarten am See mochte Phil. Der Blick auf das Wasser hatte immer eine entspannende Wirkung auf ihn. Also lag es für ihn nahe dort seinem Frust Raum zu geben. Phil wohnte in einer Kleinstadt ein Stück weiter. Peißenberg war früher ein Bergarbeiterort. Der vergangene Ruhrpott-Charme war noch immer im Ort durch die alten Bergmannshäuschen, den Resten des Bergwerks und dem Museum präsent. Obwohl der Bergbau Anfang der 70er Jahre eingestellt wurde, pflegten die Peißenberger liebevoll einige der alten Traditionen und auch die Mentalität der Einwohner war von einer rauen Herzlichkeit geprägt. Phil fühlte sich hier ganz wohl und seine Wohnung war bezahlbar. Es war eine winzige Ein-Zimmer Wohnung in einer dieser typischen 60er Jahre Siedlungen. Auch war München leicht mit dem Zug zu erreichen. Obwohl er diesen in Zukunft nicht mehr jeden Tag brauchen würde. Obwohl Phil betrunken war, schaffte er den Weg nach Hause. Nach dem siebten Versuch schaffte er es endlich, den Schlüssel in das Schlüsselloch zu bugsieren. Müde schlurfte er die wenigen Meter vom Eingang zum Bett und plumpste komplett angezogen in die Federn und schlief ein.

Eines der Weizen musste wohl schlecht gewesen sein. Phil wachte mitten in der Nacht mit einem schalen Gefühl im Magen auf. Automatisch griff er nach seinem Papierkorb, der neben dem Bett stand, kippte ihn mit einer gekonnten Handdrehung aus, um ihn gleich wieder zu füllen. Während Phil sich regelrecht die Seele aus dem Leib kotzte wurde es plötzlich Hell um ihn herum. Er blinzelte durch seine brennenden, tränenden Augen und erkannte schemenhaft eine Gestalt mit Flügeln vor sich, die in ein gleißendes Licht getaucht war.

»Scheiße!«, dachte Phil, »das war’s also! Alkoholvergiftung … ich sterbe …«

Die Gestalt kam näher und dimmte ein wenig ihr grelles Licht. Phil konnte nun einen kleinen rundlichen Mann mit langen blonden Haaren und einem Bart, der an die drei Musketiere erinnerte, erkennen. Er trug eine Art goldener Rüstung und hatte weiße Flügel auf dem Rücken. Ein wenig erinnerte er so an den Goldenen Schnatz aus Harry Potter. Er sprach: »Fürchte Dich nicht! Du bist auserwählt!«

»Oh Mann Gabi! Du könntest Dir auch mal einen neuen Text einfallen lassen!«

Hinter ihm stand eine junge, rothaarige Frau, die eine silberne Rüstung mit tiefem Dekolleté sowie einen Helm mit Flügeln trug. Phil rieb sich die Augen.

»Ich bin also gar nicht?! Aber … Was machen Sie in meiner Wohnung?«

»Ich bin Erzengel Gabriel und das ist die Walküre Thruda. Wir sind gekommen um dich auf deiner Mission zu begleiten!«

Phil war noch nicht nüchtern genug, um zu realisieren, was gerade passierte. Das Sprechen fiel ihm schwer.

»Mission?! Hab ich was gewonnen?«

Erwartungsvoll blickte er von Gabriel zu Thruda. Diese lächelte und meinte: »Sozusagen, du wurdest auserwählt die Gebeine von Jesus zu finden.« Phil starrte Thruda in ihre klaren blauen Augen und übergab sich wieder in den Papierkorb.

Doppelhelix mit Heiligenschein

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