Читать книгу Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket - Lars Urban - Страница 46
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Falls sie sich tatsächlich noch immer im Turm aufhielten, so war auch dieser Raum von beklemmender Größe. Beklemmung empfand Prosper Mérimée, wenn überhaupt, normalerweise nur in sehr beengten Räumlichkeiten. Hier aber erzeugte gerade die Weite, der von außen nicht erkennbare Gigantismus dieses Gefühl. Zumal der Vergleich mit der RUBIKON hinkte. Dort an Bord nahm man die riesigen Dimensionen des Schiffes schon allein deshalb weniger wahr, weil man sich durch normal große Sektionen bewegte. Nicht durch Bereiche, die sich wie endlos anmutende Landschaften vor einem erstreckten. Die sogar eine Art Himmel hatten – und Horizonte, die durch goldenen Schimmer begrenzt wurden. Wände, wie er vermutete, aber nicht einmal das wusste er sicher.
Und nun waren sie hier. Von der gewöhnungsbedürftigen Kabine in einem Sektor abgesetzt worden, der von Gloriden dominiert wurde.
Auf den ersten Blick war es ein unüberschaubares Gewimmel von Androgynen, die sich zwischen Gerätschaften tummelten, die sicher nicht zufällig wie die Bestandteile eines gewaltigen Fabriklabors aussahen.
Bislang hatte keines der nackten Geschöpfe, die keinem Geschlecht zuzuordnen waren, Notiz von den Neuankömmlingen genommen.
„So verlassen und nur noch den Toten überlassen scheint der Turm wohl doch nicht zu sein“, sagte Sarah, die ebenso gefesselt wie Prosper zu den Zwitterwesen blickte, die ganz nach Belieben zwischen stofflicher und rein energetischer Zustandsform zu wechseln vermochten. An Bord der CHARDHIN-Perlen agierten sie vorwiegend in genau der humanoiden Gestalt, die sie auch hier zeigten: geschlechts- und haarlos und durch die Makellosigkeit ihrer Körper fast künstlich wirkend.
„Dass die Gloriden in Diensten der ERBAUER stehen, wussten wir ja“, erwiderte Prosper. „Trotzdem gebe ich dir Recht: Hier hätte ich auch nicht unbedingt mit ihnen gerechnet. Aber vielleicht erfüllen sie in den Türmen dieselbe Aufgabe wie in den goldenen Stationen jenseits der Ereignishorizonte.“
„Wartungsarbeiten?“
Er nickte.
„Mir scheint eher, als würden sie hier etwas produzieren.“ Sie zeigte auf die Apparaturen, in denen es brodelte und blitzte.
Und als Prosper ihrem ausgestreckten Arm folgte, entdeckte er fast gleichzeitig mit ihr etwas, das Licht ins Dunkel der hiesigen Aktivität brachte. Ein wenig zumindest.
„Dort“, rief er. „Siehst du die transparenten Leitungen, die wie Pipelines vom Horizont herführen?“
Sie bejahte. „Ist mir auch gerade aufgefallen. Das Zeug darin erinnert mich frappant an das, was uns fast unter sich erstickt hätte ...“
„Die Pollen.“
„Die Pollen!“
„Dann ist das der endgültige Beweis, dass wir uns innerhalb des Turms aufhalten, vor dem wir überrollt wurden.“ Er rieb sich über das Gesicht, merkte zum ersten Mal, wie müde, wie erschöpft er war. Die Geschehnisse hatten ihn offenbar doch mehr mitgenommen und mehr Kraft gekostet, als er zunächst glaubte.
„Offenbar wird hier weiterverarbeitet, was auf so eigenwillige Weise ‚geerntet’ wurde“, sagte Sarah. „Vielleicht zu Nahrung.“
„Nahrung für die Gloriden? Wovon ernähren die sich eigentlich? Jetzt waren Fonti und Ovi so lange auf der RUBIKON, aber ich weiß immer noch nicht ...“
„Sie sind auf keine Nahrung angewiesen, wie wir sie brauchen. Sie tanken wohl eher Energie.“
„Dann ergibt der Gedanke, dass sie das hier für sich tun, keinen Sinn. Aber für wen dann? Die ERBAUER? Gibt es außer Kargor doch noch welche, die in diesem System leben? Könnte es sein, dass diese Tatsache selbst ihm entgangen ist und er das sogenannte Erste Reich nur entvölkert wähnte?“
Prosper verzog das Gesicht. „Für so dumm sollten wir Kargor nicht halten. Außerdem hätten Artgenossen ihn wohl kaum übersehen, als er ins Angk-System einflog und uns nach Angk I brachte.“
„Vielleicht wollten sie einfach keinen Kontakt zu ihm. Keiner von uns weiß, welche Bedeutung Kargor bei den ERBAUERN einnimmt. Er könnte ebenso gut ein Geächteter sein, mit dem niemand etwas zu tun haben will.“
„Weit hergeholte Theorie. Sehr weit. Zu weit“, wiegelte Prosper ab. „Dann wäre er wohl eher attackiert und gewaltsam des Systems verwiesen worden.“
„Sagst du“, wollte sie noch nicht klein beigeben, so abstrus ihre Idee auch klang. „Du unterschätzt den Machtfaktor, den eine Perle darstellt. Wir beide wissen herzlich wenig über ihr wahres Angriffspotenzial. Was sie über Nar’gog demonstrierte, war schon beeindruckend. Aber es könnte nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein. Möglicherweise hat dieses ‚Reich’ den Waffen einer Perle nichts entgegenzusetzen. Und deshalb stellte man sich lieber tot, hielt sich vor Kargor verborgen ...“
Er spürte, wie die Ungeduld in ihm wuchs. Wobei er selbst nicht hätte sagen können, was ihn nervös machte. Eigentlich hatten sie alle Zeit der Welt – auch für fruchtlose Debatten, die abstruse Richtungen einschlugen.
„Du darfst deine Theorie gerne weiter verfolgen“, sagte er, „aber ich für mein Teil ziehe nicht in Betracht, dass es hier noch lebende ERBAUER geben könnte. Kargor will uns hier ansiedeln – so zumindest habe ich ihn verstanden. Und das hätte er gewiss nicht in Erwägung gezogen, wenn seinesgleichen hier noch lebte.“
Er hatte sie immer noch nicht überzeugt, das spürte er. Aber sie beließ es erst einmal dabei.
Eine Weile widmeten sie sich schweigend dem Szenario, das sich ihnen bot. Und unvermittelt fragte eine Stimme in für sie verständlicher Sprache: „Möchtet ihr eine Führung durch die Produktion?“
Prosper und Sarah tauschten verblüffte Blicke.
„Wer spricht da?“, fragte er schließlich, nachdem er sich geräuspert hatte.
„Die Fabrik“, kam es lapidar zurück. „Möchtet ihr eine Führung?“
„Die Fabrik spricht zu uns ...“ Sarah verdrehte die Augen. „Und das geht so einfach? Für uns, die Fremden, steht das volle Programm zur Verfügung ...?“
Der Spott entging zumindest Prosper nicht. Der Stimme der Fabrik offenbar schon.
„Ihr seid autorisiert“, sagte sie gleichmütig. „Möchtet ihr –“
„Ja!“, unterbrach Prosper sie. „Klar. Solche unverhofften Angebote sollte man wohl nicht ablehnen, wer weiß, wann sie wiederkommen. Zumindest nicht, wenn sie sich nicht zu sehr in die Länge ziehen. Wir hatten heute noch etwas anderes vor, stimmt’s, Sarah?“
Sie nickte, ohne seine Flapsigkeit zu kommentieren, die sie aber sichtlich irritierte. Oder inspirierte, zu den Worten nämlich: „Vielleicht ist unterwegs ja auch ein kleiner Imbiss drin?“
Von irgendwoher näherte sich ein Gloride. Er wirkte anders als die Zwitterwesen, denen Prosper und Sarah bislang begegnet waren, irgendwie reservierter, fast roboterartig.
„Unser Führer“, murmelte sie, als sie ihn auf sich zukommen sah. „Er hat auch noch etwas dabei. Sieht aus wie ...“
„Irgendeine Art von Nahrungskonzentrat in Würfelform – igitt! He, das könnte der Farbe nach aus den Pollen gemacht sein! Das verträgt mein Magen nicht, das weiß ich jetzt schon!“ Prosper schüttelte sich. „Aber er hat auch eine Art Flasche dabei, wahrscheinlich Wasser. Da wiederum werde ich nicht –“
„Für uns beide nur eine Flasche?“, warf Sarah empört ein. „Ich weiß nicht, ob ich das will, aus ein und derselben Flasche mit dir trinken ...“
Er nickte verständnisvoll. „Das wäre fast wie küssen, oder?“ Er schüttelte sich wie beim Anblick der Nahrungswürfel, die der Gloride zusammen mit der Flasche auf einer Art Tablett balancierte.
Sie versetzte ihm einen Stoß in die Rippen. Er stöhnte. „Hör auf, du untergräbst meine Autorität. Am Ende denkt das Ding, die Fabrik, noch, wir wären nicht gleichberechtigt, sondern du allein hättest das Sagen.“
„Damit hättest du ein Problem.“
„Und wie!“
Sie lächelten noch, als der Gloride bei ihnen ankam und ihnen die Mitbringsel schweigend anbot.
„Sieht gar nicht soo schlecht aus“, meinte Sarah und griff nach dem faustgroßen Würfel, der die Konsistenz einer gekochten Kartoffel zu haben schien. „Riecht nicht, ich glaub, ich probier’s.“ Mit diesen Worten, und noch ehe Prosper einen warnenden Einwand hervorbringen konnte, biss sie in das Gebilde wie in einen Apfel.
Prosper verzog angewidert das Gesicht. Sarah verzog angewidert das Gesicht, kaute aber weiter. „Furchtbar. Lass bloß die Finger davon!“
Er hielt bereits die Flasche, die aus einer Art Kunststoff gefertigt war, an die Lippen. Der Inhalt war kühl und unerwartet wohlschmeckend. Trotzdem schüttelte er sich nach ein paar langen Zügen. „Brrrrrr! Davon solltest du lieber die Finger lassen. Vielleicht können wir den Ober etwas anderes bringen lassen.“
Sie hatte inzwischen den ersten von vier Würfeln restlos verzehrt und leckte sich sogar die Fingerspitzen ab, mit denen sie ihn gehalten hatte.
Prosper hatte längst begriffen, dass sie den Geschmack alles andere als fürchterlich fand – und deshalb auch mit dem Getränk gekontert.
Deshalb lachten sie erst einmal schallend vor den Augen des stoisch abwartenden Gloriden, ehe sie nach der Flasche und er nach einem der verbliebenen Würfel griff.
„Daran könnte ich mich gewöhnen“, sagte Prosper schließlich ohne Rücksicht auf den noch vollen Mund. „Ich beginne meinen Status zu schätzen.“
„Status?“, fragte sie.
„Goldschlüsselträger“, erwiderte er, und obwohl es humorig klingen sollte, wurde ihm bewusst, dass darin wohl mehr als nur ein Körnchen Wahrheit steckte.
Kargor hatte sie offenbar mit weiterreichenden Befugnissen ausgestattet, als sie es sich je hatten erhoffen dürfen.
Andererseits war dies mehr als verständlich, wenn der ERBAUER wirklich von ihnen erwartete, dass sie zur Keimzelle einer neuen Menschheit auf den von seinem Volk verlassenen Welten des Angk-Systems werden sollten. Ohne Hilfsmittel oder die Anerkennung seitens der Hinterlassenschaften der ERBAUER hätten sie sicherlich keine große Überlebens- und Entwicklungschance gehabt.
„Aha“, sagte Sarah. „Dann lass uns unseren Status einfach mal weiter testen und ausreizen. Wir werden schon sehen, wie weit wir damit kommen ...“ Sie blickte den Gloriden auffordernd an.
Ohne dass sie konkreter werden musste, drehte er sich um und setzte sich in Bewegung. Das Tablett faltete sich zusammen, bis es völlig unsichtbar in der Hand des Gloriden verschwand.
Nanotechnologie.
Vermutlich.
Am Ende des mehr als einstündigen Rundgangs wussten sie, wie falsch sie mit der Vermutung gelegen hatten, die Fabrik erzeuge Nahrungsmittel aus Pflanzenpollen.
Sie wussten es spätestens als ihr Führer, der in dieser Stunde bewiesen hatte, dass er auch des Sprechens mächtig war, mit ihnen vor einem riesigen glaskolbenartigen Gebilde stehen blieb, in denen sie das Endprodukt der Maschinenstraße bewundern konnten, durch die er sie geleitet hatte.
In dem durchsichtigen Behälter hing frei schwebend ein Gloride, der von winzigen Projektoren nicht nur gehalten, sondern auch bestrahlt wurde – mit einem golden schimmernden Licht, das der reglose Körper vollständig absorbierte ...
... und dann entmaterialisierte.
Aber nur, um unmittelbar vor Prosper und Sarah wieder zu rematerialisieren und sich stumm in das Gewimmel der anderen Gloriden in der Fabrik einzureihen.
Dies, das wurde nun zweifelsfrei klar, war ein Ort der Schöpfung.
Und der mannigfachen Geburt.
Mit anderen Worten: Hier arbeiteten keine Gloriden, hier wurden sie gemacht.