Читать книгу Imperium der Foronen: Raumschiff Rubikon Band 9-16: Science Fiction Abenteuer Paket - Lars Urban - Страница 49
11.
ОглавлениеProsper war noch ganz benommen von der Erkenntnis, dass sie hier dem Entstehungsprozess von Gloriden beiwohnten. Gloriden, die aus einem Grundstoff erzeugt wurden, der hier auf dieser Angk-Welt wuchs und auf eigentümliche Weise geerntet wurde. Die Weiterverarbeitung war dann noch eigentümlicher. Im Innern des Turms, hier, vor ihren Augen, wurde der pollenartige Rohstoff offenbar verschiedenen Behandlungsstufen ausgesetzt, die letztlich in dem gipfelten, was als Gloride bekannt war – als Wartungspersonal der CHARDHIN-Perlen.
Darüber hinaus aber auch als denkendes Wesen, wie Prosper sich ins Gedächtnis rief. Auch wenn er mit Ovayran einige Male aneinander geraten war, wollte er ihm doch nicht absprechen, dass er ein eigenständiges, von seiner Persönlichkeit her vollwertiges Geschöpf war, kein Ding jedenfalls, wie der Anblick dieser Fabrik nunmehr suggerierte. Betrachtete man den „Zeugungsakt“ hier, drängte sich der Gedanke auf, es mit einer simplen Produktion zu tun zu haben. Hier wurde kein Leben zur Welt gebracht, hier wurde hergestellt.
Oder täuschte der Eindruck?
Die Gloriden hier, fand er, wirkten jedenfalls um einiges stumpfsinniger als jene Vertreter, mit denen die RUBIKON-Besatzung in Berührung gekommen war.
Gab es ... Gloriden unterschiedlicher Intelligenz und Bildung? Oder lag der hier gewonnene Eindruck schlicht daran, dass sie so frisch nach der „Geburt“ noch orientierungslos waren und sich erst einfinden, weiterentwickeln mussten? Auch Menschen kamen nicht als komplette, fertige Persönlichkeiten zur Welt. Sie reiften im Zuge ihres Heranwachsens, durch Erfahrung, Lernen, den Umgang mit anderen Menschen ...
Und ihr Führer? Der Gloride, der von der Fabrik abgestellt worden war, ihnen die hiesigen Vorgänge zu erläutern? War er auch erst neugeboren? Gab er sich deshalb so roboterhaft und klangen seine Worte so einstudiert, auswendig gelernt? Sprach am Ende das, was sich „die Fabrik“ nannte, durch ihn, benutzte ihn nur als Hülle?
Prosper und Sarah diskutierten eine Weile leise über all dies miteinander. Zu einem befriedigenden Schluss kamen sie nicht.
„Hast du auch einen Namen?“, wandten sie sich schließlich an den Androgynen.
„Ponarayn.“
„Ponarayn ... Wurdest du hier auch ... gemacht?“
„Dies ist die Stätte des Erwachens“, erwiderte der Gloride, als sei damit bereits alles gesagt.
„Die Stätte des Erwachens ... Klingt sehr prosaisch. Und wie geht es von hier aus weiter? Welche Aufgabe erwartet euch?“
„Ich bin euer Führer.“
Sarah nickte ungeduldig. „Das wusstest du vor zwei Stunden aber noch nicht. Und wenn wir gegangen sind, wirst du ja wohl auch eine neue Aufgabe zugewiesen bekommen. Wie ist deine Perspektive? Und die all der anderen, die wir hier sehen? Wozu werdet ihr hier ... gemacht?“
Das Wort gefiel ihr nicht, absolut nicht, das merkte ihr Prosper an. Ihm selbst erging es nicht viel anders.
Vielleicht, dachte er, ist das hier wie ... wie Klonen. Gloriden können sich durchaus auch untereinander ohne all das Brimborium hier fortpflanzen, aber auf Angk wird diese Methode benutzt, um den Akt zu beschleunigen – um schneller sehr, sehr viele Gloriden zur Verfügung zu haben ...
Und deshalb interessierte ihn umso mehr, wozu die vielen Gloriden gebraucht wurden. Oder ob die Produktion mit der Rückkehr Kargors erst wieder aufgenommen worden war ... oder ob sie seit kaum vorstellbar langer Zeit ununterbrochen lief.
Darnoks Zeitentartungsfeld jedenfalls schien keine Einrichtung des Angk-Systems ernsthaft beschädigt zu haben – im Gegensatz zu all den einstigen Hochzivilisationen in dieser Galaxie, die dadurch auf das Niveau des 20. Erdjahrhunderts oder ... noch schlimmer ... in die Steinzeit zurückgeworfen worden waren.
Unersetzliches war durch Darnok zerstört worden.
Unwiederbringlich.
Hier nicht. Und seltsamerweise hatte Prosper ausgerechnet hier das dumpfe Gefühl, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn auch die Angk-Welten in Schutt und Asche gelegt worden wären.
Der Anblick der Gloridenproduktion weckte unterschwellige Ängste. Wie sie hier herumirrten, wirkten sie wie ein noch führerloses Heer. Wie eine potenzielle Bedrohung, die jederzeit Unheil anrichten konnte. Es musste nur jemand kommen, der all diese willfährigen Soldaten –
„Kommt. Ich zeige es euch. Das ist die nächste Station der Führung. Danach muss ich mich verabschieden. Die Fabrik ruft.“
Ponarayns Worte rissen ihn aus seiner Grübelei.
„Die Fabrik ruft ...“, echote Sarah, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ihre Sarkasmus zu unterdrücken. „Das klingt ja vielversprechend. Als würde Schlachtvieh zur Schlachtbank gerufen ... und würde der Aufforderung auch noch höchst entzückt folgen ...“ Sie schüttelte sich. „Wer weiß, was aus den Gloriden wird!“
„Genau das will er uns ja zeigen“, erinnerte Prosper sie.
Sie nickte vehement. „Schon kapiert. Ich weiß nur nicht, ob ich es wissen will.“
„Bleib hier. Ich komm zurück, sobald Ponarayn seinen Auftrag für erfüllt hält. Niemand zwingt dich –“
„Himmel, musst du immer alles wörtlich nehmen? Ich wollte nur ein wenig jammern. Das durfte ich dort, wo ich herkam ... ich meine die ursprüngliche Epoche, aus der es mich zu euch verschlug ... nie! Ich habe da extremen Nachholbedarf ...“
„Nette Aussichten“, kommentierte er ebenso sarkastisch wie sie zuvor.
„Ja, du darfst auf all die Facetten meiner Persönlichkeit gespannt sein, die ich dir noch offenbaren werde.“
„Ich freu mich. Aber können wir das auf später vertagen?“ Er zwinkerte ihr zu. „Vielleicht ergibt es sich ja auch irgendwann, dass du neue Facetten an mir feststellst.“
Sie nickte ernst. „Das wäre wünschenswert.“
Als er sie betroffen ansah, brach sie plötzlich in schallendes Gelächter aus.
Prosper mimte den Eingeschnappten. Ponarayn verfolgte das ganze Geplänkel ohne erkennbare Gemütsregung. Was er sich dabei dachte, blieb deshalb unklar. Falls er sich etwas dachte.
Sie folgten ihm in einen anderen Bereich der Fabrik, der sich eklatant von den bisherigen Produktionsabschnitten unterschied. Und erst als sie selbst dorthin strebten, fiel ihnen auf, dass auch sämtliche Gloriden, die bislang eher den Eindruck erweckt hatten, etwas planlos zwischen den Aggregaten und Apparaturen umherzugehen, nach und nach in diesen Bereich drängten.
Es war ein durch Schwebewände abgegrenzter Bereich, in dem sich etwas befand, was Prosper rein nach seinem Bauchgefühl als riesige, schwarz lodernde Flamme einordnete – ohne dass ihre Quelle erkennbar wurde. Sie lohte einfach in der Mitte des von den Wänden definierten Abschnitts, und wenn man genau hinsah, wirkte sie weniger wie eine Flamme als vielmehr wie ...
„Ein Riss!“, flüsterte Sarah, die mit ihm und Ponarayn am Rand des Raumes stehen geblieben war. „Ein Riss in der ... Raumzeit!?!“
Prosper blieb keine Zeit, etwas zu erwidern. Zu gebannt war er von dem Phänomen – erst recht, als er den am nächsten stehenden Gloriden unverwandt darauf zuhalten sah.
Wenige Schritte später verschwand er in dem Spalt, aus dem Kälte zu wehen schien und in dessen Schwärze auch Strukturen erkennbar wurden, je länger man darauf schaute.
Dem Gloriden folgten mehr als ein Dutzend weitere, und erst danach entstand eine Pause. Bereits in dem Abschnitt befindliche Humanoide, sammelten sich zu einer neuen Gruppe, die etwa die gleiche Zahl umfasste wie jene, die gerade ... gegangen war.
Dann schien sich die Schwärze im Riss kurz zu verändern, und als sie sich wieder stabilisiert hatte, hielt das nächste Gloridenkontingent darauf zu.
Auch sie verschwanden lautlos, ohne erkennbare Furcht.
Dieser Vorgang wiederholte sich ein ums andere Mal, bis Sarah an Ponarayn gewandt fragte: „Wohin gehen sie? Sie sterben doch nicht, oder? Das ergäbe keinen Sinn, es wäre nur ... nur furchtbar!“
Für einen kurzen Moment hatte sie offenbar tatsächlich die Vision, die auch flüchtig durch Prospers Vorstellung gegeistert war: Was, wenn hier Überschuss entsorgt wurde? Wenn es zu einer Überproduktion von Gloriden kam, die nirgends mehr gebraucht wurden, schon seit die ERBAUER dem System den Rücken gekehrt hatten, vor langer, langer Zeit also?
Aber Ponarayn beruhigte sie (ohne indes wohl die Absicht zu haben, er erklärte nur nüchtern): „Sie gehen zu ihren künftigen Einsatzorten. Ich habe die Befugnis, es euch zu zeigen – über Details bin ich jedoch nicht informiert und werde auch nicht in Kenntnis gesetzt. Ich werde diesen Ort in Kürze verlassen.“
Prosper wollte etwas sagen, aber Ponarayn – oder das Instrumentarium, das hinter ihm stand – war schneller. Vor ihnen entstand ein Hologramm. Zunächst war es nur eine große schwarze Wolke, dann füllte es sich mit Lichtern, die sich als winzige Galaxien entpuppten, die ein gewaltiges Universum füllten, das offenbar seine größte Ausdehnung noch nicht erreicht hatte.
Plötzlich verschwanden die Galaxien. An ihre Stelle traten golden schimmernde Kugeln.
CHARDHIN-Perlen.
„Dorthin werden die ‚Neugeborenen’ geschickt?“ fragte Sarah.
„Ja“, bestätigte Ponarayn.
Prosper selbst vergaß fast, Atem zu holen. Zum ersten Mal hatte er für sich wirklich realisiert, wie hoch ... wie unvorstellbar hoch die Zahl der CHARDHIN-Perlen war.
Wann, mit welchem Großaufgebot von Mitteln, wollten die ERBAUER das alles zustande gebracht haben?
Oder log die Darstellung? Log das, was das Hologramm projiziert hatte – vielleicht sogar, ohne sich selbst einer Lüge bewusst zu sein?
„Ein ganzes Universum, durchdrungen von den Perlen der ERBAUER ...“, murmelte Prosper schließlich.
„Mir flößt dieses Bild Entsetzen ein“, bekannte Sarah – und sprach damit genau das aus, was er selbst in sich fühlte.
Entsetzen.
Kurz darauf erlosch die Darstellung, und Ponarayn reihte sich, ohne ein Wort des Abschieds, in eine Gruppe ein, die sich gerade vor dem Riss im Kontinuum sammelte.
Prosper unternahm keinen Versuch, ihn aufzuhalten, und auch Sarah schien zu ahnen, wie sinnlos ein solches Bemühen gewesen wäre.
Wenig später war Ponarayn gegangen ...
... um in irgendeiner Perle in irgendeinem fernen Winkel des Universums anzukommen und dort die Besatzung zu verstärken?
„Das sind Milliarden und Abermilliarden von Perlen, die er uns zeigte“, sagte Sarah irgendwann. Sie klang so ergriffen wie in einer sakralen Umgebung. „Die, die wir hier gehen sehen, können das gesamte Netzwerk unmöglich mit Nachschub an Kräften versorgen.“
„Niemand hat behauptet“, gab Prosper zu bedenken, „dass dies hier die einzige Produktions... entschuldige, aber mir gefällt der Begriff nicht – die einzige Geburtsstätte für Perlenpersonal ist. Allein über die Angk-Welten verstreut kann es Tausende solcher Türme und Vorrichtungen geben.“
„Die muss es wohl auch geben. Du hast Recht. Aber – wozu das alles? Ein solcher Aufwand? So viele Gigastationen ... Perlen ... Warum haben die ERBAUER sie erbaut? Was macht es für einen Sinn für ein Volk, in jeder Galaxie präsent zu sein? Wie viele von Kargors Mitgeschöpfen muss es geben oder gegeben haben, um erstens all das zu erschaffen, und zweitens einen Nutzen daraus ziehen zu können? Einen Nutzen, den wir noch nicht einmal ansatzweise verstanden haben?“
„Du sagst es. Genau das ist das Mysterium, das über allem schwebt, was mit ERBAUER-Hinterlassenschaften zu tun hat – und das sich, für uns zumindest, die wir dazu verurteilt – oder bestimmt – sind, den Rest unseres Lebens in diesem unfreiwilligen Exil zu beschließen, wohl niemals lüften wird.“
„Wie ich so etwas hasse!“
„Was?“
„Vor einem Rätsel zu stehen, von dem ich gesagt bekomme, dass es sich für mich niemals lösen wird!“
„Ich sagte nicht, dass wir aufhören werden, es zu versuchen.“
„Nein, aber wir sind erwachsen genug, um zu wissen, dass die Chancen nahe null stehen, es von hier aus, mit den uns zur Verfügung gestellten Möglichkeiten, jemals herauszufinden, was sich die ERBAUER bei alldem dachten!“
„Das ist nicht gesagt“, widersprach er. „Unterschätze nicht unsere Möglichkeiten. Im Gegenteil, sie sollten uns eigentlich zur Hoffnung Anlass geben. Bedenke, wie wir mittlerweile behandelt werden. Wir sind nicht einfach Ausgesetzte, Gestrandete, die ihrem Schicksal überlassen werden. Kargor hat uns mit einer Autorität versehen, der wir uns erst im vollen Umfang bewusst werden müssen. He, wir spazieren hier durch Bereiche, die wahrscheinlich vor uns noch niemand betreten hat, der nicht auf engste Weise mit den ERBAUERN verbunden war! Wir sind vielleicht die Ersten seit einer halben Ewigkeit, die überhaupt hier herumlaufen und sich einen Eindruck davon verschaffen können, was die Unbekannten alles an technischen Wundern erschufen. Das ist doch mehr als eine gesunde Basis – für uns beide, meine ich. Wir sollten wirklich nicht undankbar sein. So übel kann Kargor meiner Meinung nach wohl doch nicht sein, wenn er uns all dies offen legt.“
„Hör bitte auf, von diesem Bastard zu schwärmen.“
„Ich schwärme nicht von ihm. Aber ich weigere mich auch, ihn wie das Böse-an-sich zu betrachten. Ich bin sicher, wir können den Turm verlassen, wann immer wir das wollen. Aber offen gestanden würde ich ihn viel lieber weiter ... erkunden. Was ist mit dir?“
Sie überlegte. Aber nicht lange, es fiel ihr offenbar leicht, ihm zuzustimmen. „Der Turm scheint in jedem Fall überschaubarer zu sein als die Welt, die draußen auf uns wartet. Arbeiten wir also zuerst ihn ab ...“
Sie hatten sich kaum dazu entschlossen, da bildete sich nur einen Katzensprung entfernt der bereits vertraute Zugang zur Liftkabine.
Eine weitere Etage, eine weitere Zone des kobaltblauen Turms wartete auf ihre Entdeckung ...