Читать книгу Whalea - Laura Ventur - Страница 10

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Kapitel 2


Ankunft in Whalea

Es war der intensive Geruch nach Vanille, der Ben in die Nase stieg und ihn wie ein Riechsalz aus seiner Bewusstlosigkeit holte. Er musste sich mächtig anstrengen, um die schweren Augenlider zu bewegen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis er seine fünf Sinne wieder beisammenhatte. Mit geöffneten Augen lag er eine gefühlte Ewigkeit auf dem harten Holzdielenboden, starrte an die Decke und ließ seine Gedanken kommen und gehen. Diese Umgebung kannte er nicht. Wo war er also? Und vor allem: Was war passiert?

Ohne seinen Kopf zu bewegen, ließ er seine Augen nach links und rechts wandern. Schwache Sonnenstrahlen fluteten durch die Ritzen der halb geschlossenen Fensterläden, zerschnitten den unheilvollen Raum in dicke, senkrechte Scheiben und warfen schließlich schmale, goldene Streifen auf die Rundungen der mächtigen Naturstämme, aus denen die Wände gemacht waren. Das Muster erinnerte ihn an sich windende Schlangen. Regale an der Wand, Einmachgläser, einige davon umgefallen. Hängeschränke, Kupferpfannen, die an Haken festgemacht von der Decke herunterhingen, Kochlöffel aus Holz, ein Metallkorb prall gefüllt mit Karotten und Kartoffeln.

Und dann dieser Vanilleduft. Als Ben sich aufrichten wollte, entfuhr ihm ein lautes Stöhnen. Alle Knochen taten ihm weh und seine Ohren dröhnten. Er stützte seinen Oberkörper kurz auf seine Hände und fühlte dabei den körnigen Boden. Mit Mühe stand er jetzt auf den Beinen und klopfte sich die Handflächen und die Kleidung ab. Von irgendwo her kam ein matter Lichtschein.

Schon wieder ein Kühlschrank? Ben bekam Gänsehaut, als er sich an den Riesenschlund erinnerte. Wie lange er wohl dort auf dem Boden gelegen hatte? Er schaute auf seine Uhr: Fünf nach sieben. Der Sekundenzeiger stand still. Das musste die Zeit gewesen sein, als er verschluckt wurde. Ben verzog den Mund und brummte. Außer der Erkenntnis, dass seine Uhr ihren Geist aufgegeben hatte, war er so schlau wie vorher.

Doch es war nicht nur die Erinnerung an seine Begegnung mit dem teuflischen Kühlgerät, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sein Blick war nämlich auf den Brotschrank gefallen, dessen große Tür sperrangelweit offenstand und aus dem ein eiskalter Wind herauswehte. Zögerlich näherte er sich ein paar Schritte und vernahm einen markerschütternden Basston, der ihm entgegenkam. Der musste der Grund für sein Ohrensausen sein. Entschlossen schlug er die knarrende Tür zu. Genau dort musste er herausgefallen sein.

»Nicht noch mal so einen Höllentrip«, murmelte er und schaute sich weiter um. Scherben auf dem Boden, Zucker weitflächig verstreut. Kochgeschirr stand hier und da herum, Teller und Tassen, geflochtene Körbe in der Ecke.

Neben dem gusseisernen Ofen lag eine sorgfältig ausgebreitete Decke. Daran schlossen sich die grob aus Holz geschlagene Eckbank und der mächtige Küchentisch an, auf dem eine leere große Holzschale stand. Die schweren Stühle und Hocker waren mit Tierfellen ausgekleidet, ebenso die Sitzfläche der Bank.

Ketten und Seile hingen von der Decke, teilweise baumelte Essbares daran: Schinken, Würste, Kräuterbüschel. Solch eine Küche, da war sich Ben sicher, hatte er im Leben noch nicht gesehen – rudimentär und ohne ein einziges Elektrogerät. Das entspannte ihn deutlich, trotz der Situation. So jedenfalls konnte er nicht wieder von so einem tückischen Teil gefressen werden.

»Es würde mich nicht wundern, wenn ich in den Karpaten gelandet wäre – in der Hütte des Butlers von Graf Dracula«, flachste er zynisch. Auch wenn er die Worte leise vor sich hingesprochen hatte, allein die Idee und die beklemmende Atmosphäre des Raumes ließen ihn erschaudern. Wo, zum Teufel, war er gelandet? Die rustikalen Stämme ließen ihn vermuten, dass es sich um eine Blockhütte handelte. Aber wo? In den Alpen? In Kanada? War er gar tot und befand sich im Limbus? Für einen Moment hielt er inne, um zu lauschen.

Anscheinend war niemand zu Hause. Die einzigen Geräusche, die er hören konnte, kamen eindeutig von außerhalb. Den Mut, die geschlossene Tür neben dem Brotschrank zu öffnen, hatte er nicht. Was, wenn sich dahinter eine Wüste befand und er an der kleistrigen Zunge einer hausgroßen Sandechse kleben bleiben würde, die nach ihm schnellte und ihn für immer in ihren Schlund ziehen würde? Stattdessen entschloss er sich kurzerhand, einen Blick nach draußen zu werfen. Zaghaft öffnete er die angelehnten Fensterläden der Terrassentür und trat ins Freie.

Der intensive Waldbodengeruch war ihm mittlerweile vertraut, dennoch wunderte er sich darüber. Vor ihm lag eine Lichtung, grasbedeckt, mit flachen Sträuchern und verschiedenen Blumen mit großen Blütenblättern, die in kräftigen Farben leuchteten. Dazwischen standen einige Apfelbäume mit ausladender Baumkrone. Ein dichter, hochgewachsener Wald schloss sich an. Der eine oder andere Lichtstrahl des Sonnenuntergangs verirrte sich in das Unterholz und tauchte die aufsteigenden Dunstschleier über dem Boden der Lichtung in einen rötlichen Schein. Vogelzwitschern – zumindest hielt er es dafür – drang aus dem Forst, vermischt mit Lauten, die er bis dahin nie gehört hatte.

Ben hatte normalerweise kein Auge für die Schönheiten der Natur. Aber diese Szenerie im Abendlicht der untergehenden Sonne erreichte sein Innerstes. Zwar stellte er emotionslos fest, dass er – bis auf die Apfelbäume – weder die Baumarten noch sonstige Flora erkannte, die sich vor ihm ausbreitete. Und er wagte es schon gar nicht, sich auszumalen, welchen Tieren die unbekannten Laute zuzuordnen seien. Nur die in einigen großen Pflanzkübeln wachsenden Rosen auf der Terrasse vermochte er auf Anhieb zweifelsfrei zu identifizieren. Schließlich hatte er die im Blumenladen seines Vertrauens oft genug ausgesucht und verschenkt. Doch trotz seiner spärlichen Kenntnisse von Grünzeug und sonstigem Getier, eines konnte er mit Sicherheit sagen: An einem solchen Ort war er nie gewesen.

Da stand er nun und zog Bilanz der letzten Stunde. Was passiert war, konnte er nicht einordnen. Wo er war, wusste er nicht. Ebenso hatte er keine Ahnung, wie es weitergehen würde – einfach ausgedrückt: Seine Lage war trostlos. Er atmete tief ein und erlaubte sich, die innere Anspannung für diesen Moment einfach loszulassen. Sein Blick schweifte über die Landschaft und er genoss den unerwarteten, aber wohltuenden Augenblick der Ruhe, geistesabwesend und irgendwie dankbar, dass er trotz allem am Leben war.

Bis ihn Stimmen aus seinem Traumkokon holten. Er lauschte aufmerksam. Sie schienen aus dem Wald zu kommen. Worte konnte er nicht verstehen, dazu waren sie zu weit weg. Was er allerdings sicher einordnen konnte, war der Tonfall. Und der klang nicht sehr freundlich. Die kakophonisch zänkischen Stimmen kamen rasch näher, als Ben eine dritte Stimme ausmachen konnte. Die jedoch kam ihm bekannt vor. Er stutzte. Da trat auch schon eine Gestalt aus dem Schatten des Waldes.

Ein kurzer Blick genügte, die Silhouette erkannte Ben sofort, ohne zweimal hinschauen zu müssen. Zuerst wollte er seinem Impuls folgen und sich verstecken. Zeigen konnte er sich anschließend immer noch. Doch die Szene, die er beobachtete, war so bizarr, dass er seine Augen nicht abwenden konnte. Denn da kam ihm die Alte entgegen, in der Rechten hielt sie ein zappelndes Etwas hoch, das schwach leuchtete und wüste Beschimpfungen ausstieß. Die galten ganz offensichtlich dieser Riesenkatze, die neben ihr her trottete – und die vor Zorn schäumte. Das allein war spektakulär genug. Aber die Tatsache, dass der katzenartige Vierbeiner wohl auch Töne von sich gab, die in Bens Ohr zu Wörtern verschmolzen, verschlug ihm den Atem. Er blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete völlig überwältigt die seltsame Szene.

»Der behaarte Muskelprotz da wollte mich fressen! Mich! Komm her, du Feigling, ich brenn dir ein paar Löcher in deinen verlausten Pelz«, schrie das Wesen, während es am Haken der Alten hing, zornig mit den Beinen strampelte und die Fäuste schwingen ließ. Die Riesenkatze schwieg. Jedes Wort hätte beide wohl tiefer hineingeritten. Stattdessen lief sie stumm neben ihr her, schluckte ihren Zorn hinunter und fixierte nervös den Boden.

»Schluss jetzt«, zischte Rosa. »Wer weiß, was sonst passiert wäre, hätte mich Silas nicht rechtzeitig gewarnt. So etwas hätte ich dem Hexenrat verdammt noch mal niemals erklären können!«, fuhr sie fort, ein paar Dezibel lauter als vorher, und dabei zeigte sie keinerlei Tendenzen, ihre Wut zu verstecken. »Die Küche ist ein Schlachtfeld. Ich hätte nicht übel Lust, euch beide alles bis zur letzten Scherbe auflecken zu lassen. Halt endlich still, du zappeliges Ding. Sonst muss ich mir wirklich ernsthaft überlegen, mir eine neue Lichtelfe zu besorgen.« Ihre Drohung hatte die gewünschte Wirkung. Augenblicklich unterbrach Olivia ihre Kampfhandlungen und ließ sich schlaff herunterhängen. Für Rosa war es eine Premiere, so schweres Geschütz aufzufahren. Aber die Brenna war zu weit gegangen.

Rasmus riskierte mit Genugtuung einen verstohlenen Blick nach oben und versuchte ansonsten, Rosas Zorn aus dem Weg zu gehen. Erstaunt bemerkte er, dass sie stehengeblieben war. Er sah zu ihr auf und folgte mit den Augen ihrer Blickrichtung. Da stand ein Kerl. Einer, den er nie zuvor gesehen hatte. Mit einer seltsamen Jacke, einem schmalen Lappen um den Hals und im Gesicht braun angemalt. Was war das für ein Lackaffe? Olivia kreischte vor Schreck.

Bens Schockstarre löste sich genau in dem Moment, als ihn dieser glasklare Schreckensschrei erreichte. Die Situation verhieß nichts Gutes. Jetzt nichts wie weg hier, schoss es ihm durch den Kopf, doch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, hatte Rosa Rasmus schon auf die Jagd geschickt. Den raumgreifenden Sätzen, mit denen er hinter ihm her hechtete, konnte Ben nichts entgegensetzen und es dauerte nur wenige Sekunden, bis er Rasmus‘ Krallen schmerzlich in seinen Schultern und Flanken spürte, während er unter dem Gewicht der Großkatze nach vorn kippte und zu Boden gerissen wurde.

Starr vor Schreck lag er bäuchlings auf der Wiese und das Raubtier über ihm kam ihm tonnenschwer vor. Mit einer Mischung aus Wut, Angst und Empörung konnte er genau hören, wie sie behaglich schnurrte, als sie ihre scharfen Zähne in seinen Nacken versenkte, und er nicht mehr wagte, auch nur einen Muskel zu bewegen. Zuerst nur ganz leise, dann immer lauter und schließlich unerträglich dröhnend nahm Ben ein Surren in seinen Ohren wahr – bis es ihm schwarz vor Augen wurde und ihm eine tiefe Ohnmacht sein Bewusstsein ausknipste.

Whalea

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