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Kapitel 6


Die Feuerprobe

Rosa hatte mit dem Kochen begonnen. Normalerweise hätte sie das dem Kochbuch und Olivia überlassen, denn sie hätte in der Menschenwelt wieder nach dem Rechten geschaut. Wie jeden Tag. Doch was war schon normal in diesen verrückten Zeiten?

Sicherlich nicht, dass ein Mensch wortlos ihre Küche betrat und sich auf die Bank setzte. Da war es ein schwacher Trost, dass der ungebetene Besuch nicht nur ihr eigenes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Sie drehte sich um und nahm Notiz von ihm, blieb jedoch ebenfalls stumm und ließ zu, dass er ihr zuschaute.

Von draußen näherte sich schnell ein leises, helles Raunen. Rosa brauchte nicht zweimal hinzuhören, um zu wissen, was da vor sich ging. Kurz fragte sie sich, was Ben wohl davon halten würde. Besonders, weil Olivia kreischend auf dem Regal Schutz suchte, auf dem noch gestern das Glas mit Vanillezucker gestanden hatte.

Doch bevor er eine Frage stellen konnte, lief sie lächelnd zur Tür und öffnete sie. Während Ben die Augen aufriss, lachte die Wächterin vor lauter Freude: Ein schier unüberschaubarer Schwarm von Raevaren flutete die Küche; hellstrahlende Feuertropfen, die in orange-bläulichen Tönen flackerten, ohne jedoch heiß zu sein. Sie zappelten und wuselten wild durcheinander, ihre kleinen Körper schwebten geräuschlos über den Boden und ihr Licht züngelte beständig. Sie tauchten die Küche in einen behaglichen Lichtkokon und erfüllten den Raum mit ihr leisen Stimmchen, die an sanfte Flötentöne erinnerten. Teilweise eines über dem anderen scharten sie sich um Rosa, die ihre Anwesenheit sehr genoss. Sie bückte sich und strich ihnen über ihre kleinen Flammenhäupter.

Rosa war selig, denn nichts verströmte so ein Hochgefühl wie diese Irrlichter. Für einen Moment vergaß sie völlig den Schlamassel, in dem sie steckte. Und dass ein Fremder bei ihr in der Küche auf der Bank saß, der dort nicht hingehörte.

Raevaren waren die Spa-Wesen in Whalea. Wer sie berührte, erfuhr ein wohliges Gefühl der tiefen Zufriedenheit. Sie verliehen Kraft. Aber sie ließen sich nicht von jedem anfassen. Das bedurfte ihrer Erlaubnis. Und erzwingen konnte man ihre Anwesenheit schon gar nicht. Ihr plötzliches Auftauchen galt in Whalea als Glücksmoment. So wie ein Lotto-Jackpot in der Menschenwelt.

Nach welchen Gesetzmäßigkeiten oder Beweggründen sie ihre Besuche abstatteten, war unbekannt. Genauso wenig kannte man ihr Alter oder wusste, ob sie einen festen Wohnort hatten oder ob sie in permanenter Wanderschaft durch Whalea streiften.

Rosa vermutete, dass sie auf ihren Streifzügen schon eine Menge gesehen und erlebt hatten. Dass sie ein kollektives Bewusstsein hatten, verstand jeder, der mit ihnen in Berührung kam. Niemand hatte es bisher geschafft, mit ihnen zu kommunizieren. Einschlägige Bemühungen in der Vergangenheit waren fehlgeschlagen, ebenso der Versuch, sie einzufangen. Stets kamen sie ungefragt und plötzlich. Und so schnell, wie sie auftauchten, verschwanden sie wieder.

Trennte man ein Irrlicht von der Hauptgruppe, dann ging es aus und starb. Der Verband blieb deshalb immer zusammen. Seine Rastlosigkeit war Schutz und Lebenszweck zugleich. Genauso wenig, wie man eine Welle festhalten konnte, bekam man die Irrlichter zu fassen. Im Gegensatz zu ihren Verwandten, den Waldlichtern. Die waren größer und behäbiger, aber mit ihnen konnte man kommunizieren, wenn man es schaffte, ihre Aufmerksamkeit einzufangen.

Die Wächterin schaute kurz hinauf zur Brenna und lachte herzlich. Denn Olivia blieb oben auf dem angekokelten Regal wie angewurzelt sitzen und hatte vorsorglich ihren Lichtkegel ausgemacht, um auf keinen Fall aufzufallen. Rosa sah der Lichtelfe an, dass sich ihre letzte Begegnung mit den Raevaren in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Wem wäre es nicht so gegangen? Weil diese kleinen Wuseldinger ebenfalls zu den Lichtwesen zählten und ihre Flammen Teil ihres natürlichen Seins waren, hatte die Brenna unfreiwillig Feuer gefangen, als sie sich um sie geschart hatten. Um nicht Rosas Haus abzufackeln, hatte sie sich in die Suppenschüssel gestürzt, die zum Abkühlen auf der Anrichte stand.

Es brauchte viele Stunden der mühevollen und vorsichtigen Arbeit, bis sie selbst, aber vor allem ihre zarten Flügel, vom Fett gereinigt und wieder einsatzfähig war. Von der Lichtelfe schweifte Rosas Blick zu Ben und die Gänsehaut, die sie in diesem Moment überkam, konnte sie gar nicht glattstreichen. Denn den zärtlichen Ansturm der Irrlichter ließ er anfangs ängstlich, aber doch neugierig über sich ergehen, bis sein Gesicht sehr bald ein Ausdruck seiner tiefen Ergebenheit war.

Rosa fand die Szene überaus verblüffend. Zum einen, weil sie nicht vermutet hätte, dass die Raevaren überhaupt auf den Fremden zugehen würden. Zum anderen, weil sie Ben nicht zugetraut hätte, ihre positiven Schwingungen wahrzunehmen. Zufrieden beobachtete sie, wie er sich entspannte und sich auf sie einließ. Das gefiel ihr.

Sie wusste, dass sich Irrlichter niemals unreinen Herzen näherten. Sie schöpfte Hoffnung, denn sie wertete ihren Besuch als ein Zeichen. Und Ben hatte, ohne es zu wissen, seine erste Feuerprobe bestanden.

Whalea

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