Читать книгу Roboter träumen nicht - Lee Bacon - Страница 30
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Оглавление»Ich habe es nicht mehr ausgehalten im Bunker. Weil …« Emmas Stimme zitterte. Sie musste schlucken und neu ansetzen. »Wegen allem. Deshalb bin ich gegangen. Heute. Und dann … na ja … dann bin ich euch begegnet.«
Ich war unsicher, wie ich reagieren sollte. Schließlich hatte ich gerade zum ersten Mal Kontakt mit einem Menschen. Emmas Gefühle, die Traurigkeit, die in ihren Worten mitschwang, stellten mich vor ein Rätsel.
Glücklicherweise war Ceeron für diese Situation besser gerüstet. Seit Jahren stellte der große Roboter Nachforschungen über die Rituale der Menschen an. Über ihre Angewohnheiten, ihre Sprichwörter, ihre irritierenden Scherze.
Jetzt füllte er die Stille mit seiner tiefen Stimme.
»Mein Beileid«, sagte er.
Diese beiden Worte quittierte Emma nickend. »Danke.«
»Was hast du jetzt vor?«, fragte ich. »Wohin willst du?«
»Ich zeig’s euch.« Sie hob einen Stoffhaufen auf, der bisher zu ihren Füßen gelegen hatte. Als sie ihn über ihre Schulter warf, erkannte ich, worum es sich handelte.
SkD erkannte es ebenso. Er zeigte darauf und sein Monitor blinkte.
Emmas Lippen zuckten. Die Andeutung eines Lächelns. »Stimmt. Das ist ein Rucksack.«
»Ich habe auch einen«, meinte Ceeron.
»Deiner ist aber ein bisschen größer«, stellte Emma fest.
Ich schlug das Wort Rucksack in meinem Vokabelverzeichnis nach. »Ich dachte, Rucksäcke wären von menschlichen Schulkindern getragen worden.«
»Stimmt ja auch.« Emma zog einen der Gurte fest. »Das ist nur eine ganze Weile her.«
Ich verstand es immer noch nicht. »Aber wenn du nicht zur Schule gehst, wozu brauchst du dann einen Rucksack?«
»Für meine Ausrüstung.«
Auf SkDs Monitor leuchteten Symbole.
»Doch nicht für solche Ausrüstung«, erwiderte Emma. »Für Proviant, Wasser, einen Kompass.«
Ich wiederholte die Aufzählung im Kopf, speiste sie in meine Datenverarbeitung ein. »Du willst also eine Reise unternehmen?«
Emma nickte. »Hab einen weiten Weg vor mir.«
»Wohin willst du?«, erkundigte Ceeron sich.
Sie zog einen Fetzen Papier aus ihrem Rucksack. Die Ränder waren zerschlissen/eingerissen/abgegriffen, die Farben ausgeblichen. Ich glich das Objekt mit meiner Bilddatenbank ab.
Es war eine Landkarte.
Darauf waren menschengemachte und geografische Orientierungspunkte wie Straßen/Städte/Seen/Flüsse/Berge gedruckt. Sofort erkannte ich, was dargestellt werden sollte: die nähere Umgebung.
Allerdings war die Karte von Hand mit zwei Ergänzungen versehen worden:
[1]Ein blauer Punkt
(im oberen Drittel)
[2]Ein roter Punkt
(im unteren Drittel)
Emma zeigte auf den roten Punkt. »Dahin will ich.«
»Was befindet sich dort?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Ich habe die Karte von meinen Elt…« Bei der Erwähnung ihrer FamilienEinheit verstummte Emma abrupt. Sie schniefte. Die Karte raschelte in ihren Fingern. Erst 2,5 Sekunden später konnte sie fortfahren. »Ich habe sie von meinen Eltern bekommen. Da waren sie schon krank. Sie wussten, dass es nicht gut für sie aussieht. Dass es immer schlimmer wird. Und sie haben gesagt, wenn ich irgendwann aus dem Bunker rausmuss, dann soll ich dort hingehen.«
Emma legte ihren Finger auf die Karte.
Auf den roten Punkt.
»Ohne dich darüber zu informieren, was du an diesem Ort vorfinden wirst?«, fragte Ceeron.
Emma schüttelte den Kopf. »Meine Eltern wurden an der Oberfläche geboren. Sie haben als Kinder noch hier oben gelebt. Ich weiß nicht, aber vielleicht ist es ja etwas, was sie von damals kennen. Und vielleicht könnte mir dieses Etwas beim Überleben helfen.«
Eine ferne Erinnerung aus vergangenen Zeiten also. Auf einer Karte durch einen roten Punkt markiert. Ich erfasste ihn mit meinem Navigationssystem. »Die Distanz beträgt 47,2 Kilometer.«
»Ein weiter Weg für einen kleinen Menschen«, merkte Ceeron an.
Emma strich sich durch die Haare. »Ich muss da hin. Ich muss es schaffen, für meine Eltern.«
Ich zeigte auf den anderen Punkt, den blauen im oberen Drittel. »Und dieser hier? Steht er für den Bunker, aus dem du kommst?«
Kaum zu glauben, wie schnell sich ein menschliches Gesicht wandeln kann. Ich hatte die Frage kaum gestellt, da verhärteten sich Emmas Züge. Ihre Augenbrauen sanken herab. Sie presste ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Von der Entschlüsselung menschlicher Gesichtsausdrücke verstand ich nicht viel, doch ich hatte den starken Verdacht, dass Emma verärgert war.
»Bitte sagt niemandem was von dem Bunker«, meinte sie.
»Wieso nicht?«, wollte ich wissen.
»Weil das mein Zuhause war. Und auch wenn dort alle …« Emma zögerte. »Auch wenn dort niemand mehr lebt, ist es mir immer noch wichtig. Ich will nicht, dass es von einem Haufen Roboter auseinandergenommen wird.«
Ich warf einen Blick auf meine Kollegen. SkD und Ceeron nickten. Ich drehte mich wieder zu Emma.
»In Ordnung«, sagte ich. »Wir werden den anderen Robotern nicht von deinem Bunker berichten.«
Damit diese Information nicht trotzdem nach außen drang, ging ich in meine Einstellungen und kennzeichnete meine Begegnung mit Emma als privat. Alle Daten, die in Verbindung mit ihr standen, schob ich in einen geschützten Ordner. So würde ich nichts davon mit dem Schwarm teilen.
Ein ungewohntes Flimmern zuckte durch mein Betriebssystem. Ich machte eine neue Erfahrung. Es war das erste Mal, dass ich ein Geheimnis hatte.
Aber nicht das letzte Mal.