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Winter
ОглавлениеLena Dieterle
REFLEXION
Die Kunst des Lebens
Band 2
REDUKTION
Die Essenz des Lebens
Band 1
Lena Dieterle
REFLEXION
Die Kunst des Lebens
Roman
Impressum
Texte: © 2022 Copyright by Lena Dieterle
Umschlag: © 2022 Copyright by Lena Dieterle
Verantwortlich
für den Inhalt: lena.literatur
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63741 Aschaffenburg
lena.dieterle@web.de
www.lenaliteratur.de
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Band 1 REDUKTION – Die Essenz des Lebens
Band 2 REFLEXION – Die Kunst des Lebens
*** es wird empfohlen, mit Band 1 zu beginnen ***
Kurze Einführung aus Band 1
Die hochsensible Protagonistin ist Vollwaise und lebte einige Jahre lang in einer etwas lieblosen Beziehung mit Tom in der Großstadt Hamburg, die jedoch nie zu ihrem Zuhause wurde. Auf Grund eines überraschenden Briefs ihrer verstorbenen Tante Valerie, die eigentlich gar nicht ihre richtige Tante war, reiste Justine im letzten Jahr nach Unterfranken. Verzaubert von dem alten Landhaus und Tante Vallys schönem Garten entschließt sie sich, Hamburg und ihren Freund Tom zu verlassen und das Erbe anzutreten. Wasser aus dem Brunnen hinterm Haus, keinen elektrischen Strom und geldgierige Investoren machen ihr das Leben schwer, doch Justine trotzt allen Unwägbarkeiten und lernt ihr neues Leben lieben. Hierbei hat sie zeitweise die Unterstützung eines fremden Überraschungsgastes, den sie neben dem Winzer Peter als guten Freund gewinnen kann, bis er weiterziehen muss. Als sie die ehemalige Brieftaube Amie zum Bleiben einlädt, ist Justine nicht mehr so alleine im Landhaus.
Für Evi,
Lisa, Nala und Elsa
An den Fensterscheiben des alten Landhauses sind prächtige Eisblumen gewachsen. Es ist so still, dass man das Glas unter der unbarmherzigen Kälte ächzen hören kann. Justine hofft, dass das betagte Gemäuer gut durch diesen eisigen Winter kommt. Die letzten Rosenblüten sind von einem weißen Mantel aus Frost überzogen und trotzen mit gesenkten Köpfen der Finsternis. Sogar die Spinnennetze sind gefroren.
So müssen sich Forscher in der Antarktis fühlen, wenn es draußen nicht hell wird und die Temperaturen sich dauerhaft weit unter null Grad bewegen. Ist es in diesem Jahr besonders düster oder fällt das Dunkel des Neujahres nur in einer Großstadt nicht so auf?
Justine hat in einem der Bücher von Tante Valerie über das Leben der Inuit in Grönland gelesen… auch darüber, dass die Winternacht an den Polen bis zu einem halben Jahr dauert und dafür die Sonne im Sommer gar nicht untergeht. Jetzt im Januar bleibt es rund um das Landhaus düster und kalt. Es kommen keine Wanderer mehr vorbei und Justine fährt auch nicht mit dem Rad in die Stadt. Das Handy ist mangels Sonne seit Tagen ohne Strom, nur für das Radio hat sie noch ein paar Batterien.
In Justine keimt langsam, still und leise eine Ambivalenz auf, die sich aus ihren Gedanken nicht mehr so einfach fortstreichen lässt. Sie kann sich in den vielen Stunden im inneren Monolog nicht recht entscheiden, ob die Kälte in ihrer brachialen Klarheit, in diesem klammen Gefühl eine Besänftigung oder doch viel mehr eine Beklemmung ist? Auf der einen Seite sperrt die Kälte Justine in vielen Teilen des Tages ein. Auf der anderen Seite liefert sie den Komfort der völligen Abgeschiedenheit, die sie selbst gewählt hat. Es kostet jedes Mal mehr Überwindung, sich wieder unter die Menschen zu mischen, ist man erstmal in dieser Abgeschiedenheit sesshaft geworden.
Und dann schneit es drei Tage lang fast ohne jegliche Unterbrechung. Der Schnee bleibt auf dem gefrorenen Boden liegen und türmt sich vor der Haustür auf. Justine rutscht auf einer vereisten Stufe aus und prellt sich gehörig den Steiß. Schon nach wenigen Stunden prangt dort ein farbenprächtiges grün-rot-blau schimmerndes Hämatom. Heilfroh darüber, sich nichts gebrochen zu haben, humpelt sie wie eine Greisin durch die Gegend.
Wenn sie draußen Holz umschichtet oder Schnee schippt und ihr neben dem Steiß auch die tauben Finger schmerzen, dann flucht sie darüber und andererseits tut es gut, den Körper so bewusst zu spüren. Jeden einzelnen Muskel, ihre von der Kälte spannende Haut im Gesicht, die Knochen, die Sehnen, die Gelenke und kleinsten Poren und den eigenen Herzschlag. Am beheizten Kamin fließt nach dem Schmerz der Kälte minütlich die erlösende Wärme in den Körper zurück. Und auch die Prellung heilt langsam ab. Wer immer nur im Warmen sitzt, der verliert eines Tages die Wertschätzung für das Feuer.
Einmal die Woche macht sie eine Bestandsaufnahme ihrer Vorräte und teilt sich ein, was sie an Lebensmitteln zubereiten kann. Zum Frühstück isst sie geschrotetes Getreide und Buchweizenflocken mit Wasser und Rosinen oder ein Marmeladenbrot. Jeden Tag nimmt sie sich einen Apfel aus dem Sandsteinkeller und schneidet ihn auf, dazu knackt sie Walnüsse und trinkt Tee aus dem selbst getrockneten Kräuter- und Beerenfundus. Die Äpfel halten sich erstaunlich lange, lediglich die Schale ist ein wenig runzelig geworden. Für die anderen Mahlzeiten wechselt Justine dann wahlweise zwischen Linsen, Bohnen oder Kartoffeln. Dazu gibt es Zwiebeln, Knoblauch, getrocknete Kräuter und Eingewecktes aus den Gläsern von ihrer verstorbenen Tante. Im Garten steht noch jede Menge Kohl, von dem sie immer wieder einzelne Blätter oder Röschen erntet. In Tante Vallys Küchenbüchern hat sie viel über die gesundheitsfördernde Wirkung von Kohl gelesen, seither ist sie ein noch größerer Fan von diesem Nährstoff-Wunder.
Alle paar Tage schürt sie draußen in der Kälte den Brotofen an und backt mit geschroteten Körnern und Samen große Laibe, die sie dann dünn aufschneidet und hart werden lässt, um länger davon essen zu können.
Ihr Freund Peter hatte ihr vor zwei Wochen nochmal drei Kilo Kartoffeln, selbst gepresstes Rapsöl, Honig und Eier gebracht, bevor er sich für knapp sechs Wochen in den Süden verabschiedet hat. Seine alten Knochen leiden sehr unter der bitteren Kälte. Zum Glück ist einer seiner Brüder Winzer in Spanien und heißt ihn bei sich immer herzlich Willkommen. Justine freut sich für Peter, vermisst ihn jedoch schmerzlich, denn er ist seit dem Einzug in das alte Landhaus ihr engster und seither einziger Vertrauter in Klingenberg geworden.
Die hübsche Taube Amie mit ihrem weiss-gefleckten Federkleid schläft inzwischen des Nachts in der Küche. Sie hatte kurz nach Heiligabend angefangen, mit dem Schnabel an die Scheibe zu klopfen. Justine dachte, sie hat sicher Hunger, doch die Taube war satt. Nachdem sie ein paar Runden auf der Anrichte gelaufen war, ist sie direkt zum Küchenregal geflogen und hat sich dort auf einem Stapel Geschirrhandtücher niedergelassen.
Seither wiederholt sich das Prozedere jeden Abend aufs Neue. Justine verbringt inzwischen die Nächte ebenfalls in der Küche und hat das Schlaflager vom Schlafzimmer aus dem ersten Stock dorthin verlegt, da der Raum auf Grund des Kamins die meiste Wärme bietet. Oben hatte sie jede Nacht eiskalte Füße und erwachte mit rot gefrorener Nase. Zu groß ist die Sorge, sich zu erkälten. Begleitet von dem Aufplustern und Gefiederputzen der Taube fällt Justine oft früh in einen tiefen Schlaf. Nicht ganz alleine zu sein ist ihr so viel wert. Jeden Morgen, nachdem Amie ihre Samen gepickt und vom Wasser getrunken hat, öffnet Justine die Fenster und das schöne Geschöpf fliegt ins Freie.
Im Wohnzimmer ist Justine in einem Schrank neben der Erwachsenenbibliothek noch auf zahlreiche Kinderbücher gestoßen. Es ist bestimmt 25 Jahre her, dass sie Astrid Lindgren gelesen hat. Jus kennt die Bücher wie „Die Kinder von Bullerbü“ und „Ronja Räubertochter“ natürlich alle. Letztere Geschichte hatte ihr ihre Mutter früher immer vorgelesen und dabei die Sprache der Rumpelwichte nachgeahmt, als Ronja versehentlich mit dem Fuß in die Erdhöhle der verhutzelten Wichte tritt: „Wiesu tut sie su? Macht putt unser Dach, wiesu denn bluß?“. Sie kann ihre Mama noch heute hören, als sei die Zeit stehen geblieben. Anfangs hat sie Sorge, dass sie beim Lesen eine tiefe Traurigkeit überkommen würde, doch dann fühlt sie sich in den Geschichten sehr geborgen und geliebt. Sie liest alles, was da ist… von Astrid Lindgren, Erich Kästner über Enid Blyton und Selma Lagerlöf. Justine reist beim Lesen wie Nils Holgersson mit den Wildgänsen und besucht mit Jack und seinen Freunden die Insel der Abenteuer.
Und träumt davon, mit ihren Romanen einmal selbst die Astrid Lindgren der Erwachsenenliteratur zu werden, denn auch die „großen Kinder“ lieben solch schöne Geschichten. Ihr ganz persönliches Bullerbü jedenfalls hat sie hier auf ihrem Anwesen gefunden.