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Wildvögel

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Am nächsten Morgen springt Justine aus dem Bett. Sie hat traumlos tief geschlafen und fühlt sich energiegeladen. Bis das Wasser für den Kaffee kocht, schaut sie aus dem Fenster in den Garten. Hier hüpfen ein paar Sperlinge auf dem Kastanienzaun herum und streiten sich um die letzten Beeren an einem kleinen Zweig. Ihr habt Hunger, was?

Justine schneidet ein paar Äpfel für die Wildvögel auf. Im Hühnerstall hat sie die großen, abgeblühten Köpfe der Sonnenblumen deponiert, um sie im nächsten Jahr neu auszusäen. Daneben hängen getrocknete Maiskolben, die beim Ernten der Felder zurückgelassen wurden. Justine hatte auch sie eingesammelt, um hier für die kommende Saison mal einen eigenen Anbau zu versuchen.

Kurzerhand beschließt sie, ihre Vorräte mit den Vögeln zu teilen. Sie nimmt reichlich von allem und bindet die Kolben und Blütenköpfe an mehreren Stellen in die Zweige. Mit einem Stock schlägt sie einen Teil der Körnchen aus den abgeblühten Fruchtständen heraus, sodass es keinen Futterneid geben muss, weil es mehrere Anlaufstellen gibt.

Als Nächstes streut sie ausgepuhlten Walnussbruch und Eicheln auf die Steinbank neben das Vogelhäuschen von Amie. Zum Glück habe ich im Herbst so viele Säcke Nüsse gesammelt.

Mit einem alten Bestimmungsbuch für heimische Vogelarten setzt sie sich dann ans Fenster, trinkt ihren frisch gebrühten Kaffee und schaut den Eisblumen beim Schmelzen zu. Es dauert nicht lange, da tummeln sich die ersten Wildvögel um die Futterstellen. Justine zählt drei Blaumeisen, eine Kohlmeise, Sperlinge und Buchfinken. Mit ihren kleinen bauschigen Körpern und den im Vergleich sehr dürren Beinchen amüsieren sie Justine.

An den großen Kolben macht sich ein Eichelhäher zu schaffen, der die Maiskörner, ebenso wie die Eicheln, im Ganzen hinunterschluckt. Das hatte sie zuvor noch nie beobachtet. Der stattliche Vogel hinterlässt eine blau schwarz schimmernde Feder am Futterplatz, die Justine später aufsammelt, als wäre es ein Geschenk für ihre Großzügigkeit. Der nächste Gast ist ihr unbekannt, doch sie kann ihn mit Hilfe des Buches schnell bestimmen. Es ist ein Stieglitz, der ein ganz besonders schön gezeichnetes Federkleid hat. Seinen kleinen Kopf ziert eine schwarz-weiss-rote Haube. An den Flügelfedern leuchtet es kräftig gelb.

Und wer da immer so von oben vom Baumstamm herab lugt, das ist der Kleiber. Seinen gedrungenen Körper ziert ein grau-beigefarbenes Kleid. Er kann den Baumstamm rückwärts nach oben gehen und wenn er anfängt, mit dem Schnabel gegen Rinde zu klopfen, könnte man ihn fast für einen kleinen Specht halten. Deshalb hat er sich wohl auch den Namen Spechtmeise verdient, wie in dem Buch beschrieben steht.

Jus notiert sich die täglichen Beobachtungen der bunten kleinen Kerle, um auch hier eine gewisse Form der Routine für sich zu zelebrieren. Es fühlt sich ein wenig so an, als hätte sie sich gute Freunde zum Essen eingeladen. Schon nach kurzer Zeit tummeln sich die Vögel bereits um Justine, wenn sie noch am Herrichten der Futterplätze ist. Und sie teilt ihre Vorräte nur allzu gerne. Ein paar ganz neugierige Spatzen fliegen sogar mit in den Hühnerstall, um dort schon an den Sonnenblumen zu picken. Justine lacht: „Bis ich aus Versehen mal einen von euch hier einsperre!“

Tante Valerie hat einige Bücher zum Thema Wildvögel und Justine beginnt, jedes einzelne davon durchzulesen. Die Fachliteratur ist alt, doch nach wie vor aktuell. Die erste neue Erkenntnis ist die Tatsache, dass Vögel keinen Geruchssinn haben. Man kann verletzte Küken oder Jungvögel also, anders als Säugetiere, auch mit der bloßen Hand anfassen ohne Gefahr zu laufen, dass die Eltern dann das Jungtier nicht mehr annehmen. Die Aufzucht von verletzten Jungvögeln hingegen ist sehr schwierig und für unerfahrene Menschen nicht zu empfehlen. Meist sind die Vogeleltern auch noch in Rufweite und kommen wieder zurück, wenn der Mensch sich zurückzieht.

Sie liest neugierig weiter… über artgerechte Fütterung und darüber, dass unbedingt diese Kunststoffnetze um die Meisenknödel entfernt werden sollten, da die Vögel darin hängenbleiben können und jämmerlich verenden oder sich mindestens verletzen können. Eine Winterfütterung ab Oktober wird empfohlen, den Sommer über benötigen die Vögel in der Regel keine Unterstützung. Vogeltränken und Vogelbäder werden gerne angenommen, sollten aber regelmäßig gesäubert und mit frischem Wasser versehen werden. Zur Aufzucht von Jungvögeln kann man den Vogeleltern proteinreiches Insektenfutter anbieten, die Kerne von Sonnenblumen mit Schale sollten jedoch vermieden werden. Wenn die Eltern diese an den Nachwuchs verfüttern, kann dies dazu führen, dass die kleinen Bäuche aufplatzen. Puh, vieles davon habe ich nicht gewusst.

Justine beschließt, im kommenden Sommer noch viel mehr an Samen und Nüssen einzusammeln und den Vögeln den Winter über anzubieten. Und sie wird unterschiedliche Nistkästen besorgen und in den Bäumen anbringen. Peter hilft ihr sicher dabei, die Leiter zu halten und ihr die Kästen hoch zu reichen. Die Nistkästen machen kaum Arbeit, werden lediglich im Herbst/Winter mal gereinigt und bieten den Vögeln eine angenehme und geschützte Unterkunft.

Wenige Tage später soll Justine noch eine schöne Überraschung erleben. Denn es gesellt sich das erste Mal ein Grünspecht zu dem bunten Treiben hinzu. Mit seinen großen Augen und dem roten Schopf wirkt er besonders neugierig und es macht Justine große Freude, dem verhältnismäßig großen Vogel dabei zuzusehen, wie er sich einige von den Apfelstücken pickt. Er hüpft auf dem Boden umher und sieht so neugierig aus, wenn er seinen Kopf schief hält. Als drei Elstern auf dem Platz landen, schwebt der grüne Vogel davon. Seine Fluglinie gleicht der einer Welle auf offener See, mit einem schwungvollen auf und ab, es sieht sehr elegant aus.

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