Читать книгу Geschichten, die Mut machen - Leo F. Aichhorn - Страница 12
ОглавлениеEröffnung des Kirchenwirtes
Das Bauerngasthaus neben der Kirche schloss Anfang der 50er Jahre seine Pforten. Damit gab es im unmittelbaren Umkreis der Kirche kein Gasthaus mehr, wohin sich die Männer am Sonntag nach dem Gottesdienst zurückziehen konnten, um ihren Frauen bei der Zubereitung des Sonntagsbratens nicht im Wege zu stehen bzw. ihnen die volle Entfaltungsmöglichkeit geben zu können. Angesichts dieser von der Männerwelt sehr positiv empfundenen Nebeneffekte wurde der Besuch der Sonntagsmesse in Kauf genommen. Diese Beweggründe hatte der Pfarrer, neben dem Lehrer der einzige „Gstudierte“ im Ort, rasch erkannt und drängte Ludwig und Johanna ein Gasthaus zu eröffnen. Vor allem war ihm wichtig, dass Gösser Bier ausgeschenkt wird, was ihm selbst vermutlich am besten schmeckte. Als gläubige Menschen beugten sich Ludwig und Johanna den Wünschen des Botschafters Gottes auf Erden und eröffneten 1956 ihr Gasthaus neben der Kirche in der Annahme, dass mit kirchlichem Beistand nichts schiefgehen könne. Wie vermutet war das Gasthaus am Sonntag nach der Messe gut besucht. Bier und eine kleine Jause in Form von Würstel oder Gulasch ließen die mahnenden Worte des Pfarrers in seiner Predigt leichter verdauen. Überdies erfolgte in dieser medienarmen Zeit der Informationsaustausch vornehmlich in Dialogen, die nicht selten zu leidenschaftlichen Debatten über die besten Auto- oder Traktormarken führten.
Soziologisch interessant ist das Phänomen der Gruppierung der Gasthausbesucher:
Da gab es den Bürgertisch, an dem der Pfarrer, der Schuldirektor, der Bürgermeister, der Jagdleiter und die „größeren Bauern“ saßen (Bauern mit den meisten Grundflächen).
Am Jungbauerntisch saßen die visionären Bauernsöhne, die in absehbarer Zeit den Hof der Eltern übernehmen sollten oder aus der Landwirtschaft ausscheiden mussten, und diskutierten heiß über die technischen Entwicklungen und ihre künftigen Möglichkeiten. Die eigene Traktor- oder Mähdreschermarke war stets die beste und die Vorzüge der eigenen Landmaschinen wurden mit großer Leidenschaft diskutiert.
Der Arbeitertisch war der Platz für die unselbständigen Männer und dort bildeten vorwiegend Arbeitnehmerrechte und dementsprechend politische Forderungen die Gesprächsgrundlage. Vielfach waren diese Themen auch eine Möglichkeit, die eigene Qualifikation oder den beruflichen Erfolg in der Runde bekannter zu machen, um das Image steigern zu können.
Am Junggesellentisch nahmen mehrheitlich Junggesellen Platz (der Begriff Singles war noch unbekannt): Männer in allen Altersstufen und solche, die in Ermangelung von ausreichendem Selbstbewusstsein sich eher zu der wenig erfolgreichen Gruppe gesellten. Dieser Tisch stand am Eingang in die Gaststube und ersparte diesen Männern den Gang durch die gesamte Gaststube und von allen angesehen zu werden, ein Phänomen, das heute noch bei Besuchern von Vorträgen und Konzerten zu beobachten ist.
Diese nicht vorgegebene Sitzordnung blieb über Jahrzehnte als Verhaltensmuster unverändert und erhielt durch die vielen Wiederholungen sogar noch einen Verstärkereffekt. Ausnahmen bildeten lediglich Personen, die sich in einer Debatte nicht verstanden oder persönlich beleidigt fühlten und sich vorübergehend oder dauerhaft einer anderen Tischgruppe zuordneten. Sozialpsychologisch ist bekannt, dass Personen gefühlsmäßig jene Tischrunde bevorzugen, an der sie einen übereinstimmenden Meinungsaustausch mit ähnlichen Zielen und Meinungen erwarten dürfen. Umgekehrt führt eine Divergenz in der Kommunikation zu kognitiven Dissonanzen, also einem erkenntnismäßigen Unbehagen, das es allgemein zu vermeiden gilt. Daher wird von vielen Diskussionsteilnehmern im Gespräch versucht, andere Meinungen mit der eigenen in Einklang zu bringen.
Eine Ausnahme der vorhin erwähnten Sitzordnung ergab sich lediglich in den Sommermonaten, wenn man sich nach der Sonntagsmesse im Gastgarten beim Kirchenwirt traf. Hier waren die Tische nicht separiert, sondern aneinandergereiht, sodass es eine große Tafel ergab. In diesen Fällen ergab sich die Sitzordnung chronologisch und zufällig. Soziologisch gesehen passierte es, dass neben dem einflussreichen Großbauern schon einmal ein Klein- oder Nebenerwerbsbauer oder gar ein Knecht mit geringem sozialen Status zu sitzen kam. Josef war ein solcher Diener der Bauern und an seiner Nachbarschaft konnten sich die angesehenen Gemeindebürger nicht wirklich erfreuen.
Aber Josef war kein gewöhnlicher Landarbeiter, er war der heimliche „Primar“, der in der Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg von einem Chirurgen gelernt hatte, wie man Schwangerschaftsunterbrechungen vornimmt. Josef hatte keine Ordination, sondern war zur Stelle, wenn junge Frauen wegen mangelnder Kenntnisse über Empfängnis oder Empfängnisverhütung schwanger wurden und ihr Leben einen Makel zu bekommen drohte, und er befreite sie von diesem bevorstehenden Übel.
Denn bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Mütter von unehelichen Kindern von der katholischen Kirche geächtet und im Todesfall meist außerhalb der Friedhofsmauern beerdigt. Mütter lediger Kinder waren gesellschaftlich gebrandmarkt als „leichte Mädchen“ und dieses eingebürgerte Vorurteil begleitete sie wie ein unsichtbares Tattoo. Sie hatten kaum eine Chance, sich dieser unehrenhaften Bewertung zu entziehen. Der „Primar“ Josef war weder in einem Telefonbuch zu finden, noch gab er seine Dienstleistungen öffentlich zu, trotzdem war er weit über die Gemeindegrenze hinaus eine wichtige Adresse, wenn Frauen durch ungewollte Schwangerschaften verzweifelt waren und Hilfe suchten, zumal durch das gesetzliche Verbot der Abtreibung von Ärzten keine Hilfe zu erwarten war.
Die Eröffnung des Gasthauses im Ortszentrum war allerdings nicht nur eine Win-win-Situation für Pfarrer und Wirtsleute, sondern für den gesamten Ort und darüber hinaus. Hochzeiten, Bälle, Konzerte der Blasmusikkapelle sowie kirchliche Veranstaltungen wären ohne gastronomische Versorgung nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich gewesen. Vor allem wäre die Sehnsucht nach musikalischer Unterhaltung erheblich beeinträchtigt worden, da sich das Musikangebot auf den Rundfunk beschränkte, dessen Beiträge vorwiegend der älteren Generation und selten den jungen Menschen entsprachen.
Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre kam mehrmals im Jahr das Wanderkino in den Ort und zeigte im großen Saal von Ludwig und Johanna bewegende Heimat- und Liebesfilme, die stets einen guten Ausgang nahmen. Das Bedürfnis nach Filmen, die anstelle von schöngefärbten Wochenschauen während der Kriegsereignisse nunmehr schöne Landschaften mit Liebesromanzen von Schauspielern wie etwa O. W. Fischer, Hans Moser, Maria Schell, Theo Lingen oder Heinz Rühmann zeigten, war kaum zu stillen. Sogar ein Wandertheater baute für einige Wochen seine Bühne auf, um den Menschen „Theaterluft“ zu vermitteln. Davon waren auch Gabriele und Martin angetan und sie stellten eine vorgetragene Wildererszene mit einem Regenschirm als Gewehr auf dem meterbreiten Fensterbrett im Wohnzimmer nach. Offenbar hatte sich dabei ein „imaginärer Schuss“ gelöst und die Fensterscheibe ging in die Brüche. Die Eltern waren alles andere als erfreut und die nachahmenden, jungen Künstler konnten ihre Ambitionen als Schauspieler begraben.
An einem normalen Wochentag kamen schon am Vormittag die ersten Gäste ins Gasthaus, um sich von oder vor der schweren Arbeit zu stärken. So passierte es nicht selten, dass sich im Laufe des Vormittags die Tischrunde erheblich vergrößerte mit Bauern, die ihre Dienstboten und ihre Familie am Feld arbeiten ließen. Der Schweinehändler Fritz besichtigte und kaufte schon am frühen Morgen die Ferkel von den Bauern und war einer der Ersten im Gasthaus. Er hatte die Angewohnheit, die weiche Masse einer Semmel stundenlang zwischen Daumen und Finger zu kneten. Dadurch wurden seine Finger zwar sauberer, aber der Teig immer unansehnlicher. Der Bäcker aus der Nachbargemeinde, der seine Brote bereits verkauft hatte, gesellte sich zu ihm. Vielfach nahm auch der Rayonsleiter vom Elektrizitätsversorgungsunternehmen am Stammtisch Platz, nachdem er bei Neubauten schaute, ob der Strom ungestört durch die Leitungen fließen konnte, und er die Anzahl der Steckdosen ermittelte. In bestimmten Abständen stieß auch der Rauchfangkehrer dazu, der manchmal seinen VW-Käfer mitten auf der Straßenkreuzung hinter dem Gasthaus bei laufendem Motor stehen ließ und sich an mehreren Glas Bier delektierte. Gelegentlich sah auch die Exekutive aus der Nachbargemeinde in dieser Runde nach dem Rechten und erfuhr so aus den Gesprächen viel über das Sozialverhalten der Gemeindebürger. Eine Amtshandlung des Gendarmes war nie notwendig, zumal die damaligen Delikte wie etwa ein Raufhandel eine Bagatelle und nicht ahndungswürdig waren. Und wenn dennoch alkoholbedingt eine Rauferei stattfand, warfen Ludwig und später sein Sohn Martin die aggressiven Männer aus dem Haus. Aus Erzählungen war bekannt, dass in der Zwischenkriegszeit bei einer Veranstaltung im zweiten Gasthaus des Ortes einmal eine Rauferei stattfand. Als Tage später ein Gendarm routinemäßig vorbeikam und sich über den Veranstaltungsverlauf erkundigte, meinte die Wirtin: „Nichts ist passiert, Herr Inspektor, alles war in Ordnung, lediglich einem Mann wurde das linke Auge ausgestochen.“ Was ebenso zu keiner Untersuchung führte. Verständlich, dass die Kriminalstatistik noch sehr gering war.
Ein Gasthaus zu dieser Zeit war auch ein Treffpunkt für junge, unverheiratete Männer wie etwa Joachim und Hubert, die mit ihrer Freizeit wenig anzufangen wussten. Joachim war als Gartenarbeiter beim Gartenamt der Landeshauptstadt beschäftigt und wegen seiner Hemmung gegenüber Frauen nie in einer weiblichen Beziehung. Der führerscheinlose Arbeiter fuhr an Wochenenden mit seinem Moped von einem Gasthaus in ein anderes, damit die Menge seines gesamten Bierkonsums an einem Tag nicht sichtbar wurde. Trotzdem wies er gelegentlich mit schwerem Zungenschlag darauf hin, dass der soeben bestellte Gerstensaft bereits sein 25. Glas Bier zu je einem halben Liter sei. Angesichts der großen Flüssigkeitsmengen konnte sich Joachim nicht über Nierensteine beklagen, jedoch seine angegriffene Leber verhinderte, dass er 50 Jahre alt wurde. Ähnliches Verhalten zeigte auch Hubert, der Sohn der örtlichen Greißlerin, der mit einem missgebildeten rechten Arm auf die Welt kam. Er spürte infolge seiner Missbildung die Geringschätzung durch seine soziale Umgebung und war sehr bemüht, durch ein aktives Verhalten Aufmerksamkeit zu erregen und Anerkennung zu erhalten. Das galt einerseits für seine Arbeitsweise als Maler, bei der er, sehr zur Verwunderung seiner Vorgesetzten und Kollegen, hervorragende Arbeit leistete. Andererseits suchte er den Anschluss an Gleichaltrige in seiner Umgebung, die er mit Einladungen in Gasthäusern und hohem Alkoholgenuss zu beeindrucken versuchte. Ein Viertelliter Glas Rotwein leerte er stets mit dem ersten „Schluck“ und seinem Schluckauf-Geräusch „Chup“ beinahe gänzlich. Deshalb erhielt Hubert den Spitznamen „Chup“. Das Erstaunen seiner Beobachter und deren Hinweise auf das ungesunde Trinkverhalten sah er nicht als Fehlverhalten, sondern als Leistungsstärke. Selbst im Krankenhaus, wo seine Organe gerettet werden sollten, spielte Hubert noch den „starken Mann“, indem er trotz Infusion im Krankenhausbuffet auf seinen Weinkonsum stolz war. Auch Hubert erreichte nicht das 50. Lebensjahr. Diese Beispiele erlauben den Hinweis an den Schweizer Arzt, Alchemist, Mystiker und Philosoph Paracelsus, der meinte: „… allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.“
An Abenden kamen die Besucher einzeln und zufällig ins Gasthaus. Es waren ausschließlich Männer, die ihren Frauen, sofern bereits vorhanden, die Programmauswahl im österreichischen Zweikanalfernsehen überließen. Sie setzten sich an einem Tisch zusammen und redeten über aktuelle Themen, über ihre Erlebnisse und nicht selten über die damalige Politik und verglichen sie oftmals mit jener im Nationalsozialismus, die sie miterlebt hatten. Mit zunehmender Alkoholisierung, und je nach Sympathie für das erlebte Regime, wurden die Debatten leidenschaftlicher. Nichtkriegsteilnehmer hielten sich infolge von Unkenntnis und aus Respekt eher zurück, während Gleichgesinnte vielfach ihre verbale Übereinstimmung genossen, wenn sie einen Sinn in ihrer unfreiwilligen, langjährigen und folgenschweren Kriegsteilnahme suchten, um den Verlust ihrer besten Jahre, ihre Verwundung und das Sterben von Kameraden leichter verarbeiten zu können. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kaum eine Familie, bei der nicht ein Mitglied verloren gegangen und ein Haus zerstört worden war. Manche Männer kamen ausgehungert von Krieg oder Gefangenschaft nach Hause und fanden ihre Ehefrauen in anderen Männerhänden. Mit dem Verlust des Krieges und dem Niedergang des „1.000-jährigen Reichs“ hatten viele Soldaten den Sinn ihres Lebens verloren. Und das Verlustgefühl war umso höher, je größer das Engagement bzw. die Sympathie zu dieser Schreckensherrschaft war. Im Gegensatz zu heute gab es damals keine psychologische Betreuung in Form eines Kriseninterventionsteams (KIT). Notgedrungen rückten die ehemaligen Kriegsteilnehmer am Biertisch zusammen, redeten in einem Kreis, in dem sie sich verstanden fühlten, und sangen gemeinsam neben Heimat- auch Soldatenlieder wie etwa das Panzerlied. Bei entsprechender Alkoholisierung auch mit Hitler-Gruß:
„Ob’s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht,
der Tag glühend heiß oder eiskalt die Nacht.
Verstaubt sind die Gesichter, doch froh ist unser Sinn.
Ja, unser Sinn.
Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin. …“
Der Biertisch war so etwas wie eine Couch in einer Psychotherapie der den Kriegsteilnehmern half, ihrer unrühmlichen Vergangenheit einen Sinn zu geben und das widerfahrene Leid erträglicher zu machen.
Einer der kein militärisches Trauma verarbeiten musste war Sepp. Der Bauernsohn war von kleiner Gestalt und kein Schweregewicht. Durch seine verkrümmte Wirbelsäule war er so beeinträchtigt, dass er als einer der wenigsten Männer im Ort vom Kriegsdienst befreit war. Am elterlichen Bauernhof arbeitete er im Rahmen seiner Möglichkeiten, um einen Beitrag für die Versorgung des deutschen Volkes mit landwirtschaftlichen Produkten sicherzustellen. Gerüchten zu Folge, sollte er sich während des Krieges auch um jene Frauen besonders gekümmert haben, die sehr an der Abwesenheit ihrer Männer litten. Ganz besonderes Geschick hatte Sepp beim Umgang mit den Pferden, den wichtigsten Zugtieren zu dieser Zeit. Und nach einigen Gläschen Rotwein, brachte er seine gute Beziehung zu den Pferden mit seinem Lieblingslied zum Ausdruck:
„I hab a paar kohlschwarze Rappen,
san eing’spannt in mein Jukkerwagn.
A Freud is’s wia di zwoa so trag’n,
das kann i koan Mensch’n nit sag’n.
I schrei Hü! Aba i schrei Ho!
Ja i schrei alleiweil Hüst! A ha ho.“
Als häufiger Gast und seinen gleichen Trinkgewohnheiten wusste das Wirtspersonal aufgrund seiner Stimmungslage ohne Angabe oder Aufzeichnung, was und wieviel der Sepp getrunken hatte. Saß eine Frau an seinem Tisch, die ihm aus Spaßgründen Avancen machte, fühlte er sich im endlosen Liebeshimmel und reagierte mit verbalen Küssen. Bekam er jedoch das Gefühl verarscht zu werden, konnte er bei entsprechendem Alkoholspiegel auch heftig reagieren und drohte seinem vermeintlichen Aggressor nicht selten mit dem Umbringen und Niederstechen. Was wegen seinem gewaltlosen Leben in der bekannten Runde stets für Gelächter sorgte. Sepp war ein Original im Ort und im Gasthaus gerne gesehen. Vor allem aber, weil er sich stets bemühte, aus seinem Leben das Beste zu machen.
Manchmal gab es auch Spaß: Fritz, der Schweinehändler, war alles andere als ein Sympathisant von Hitler. Er war groß und hatte einen großen Bauch, der in der hochgeschnittenen Hose verschwand. Ähnlichkeiten mit Obelix waren sichtbar. Er hatte eine Glatze, die er stets mit seinem Spruch verteidigte: „Das Haar ist eine Sumpfpflanze, wächst nur auf einem Wasserkopf.“ Er rauchte helle Zigarren und seine Lieblingsgetränke waren Bier und gespritzte Weißweine. Auch er musste seinen Militärdienst in Afrika unter Feldmarschall Rommel leisten und kam später in die USA in Gefangenschaft. Von diesen großen Ereignissen und den schwarzen Menschen, die er vorher noch nie gesehen hatte, erzählte er ab einer bestimmten Promillehöhe oft und gerne. So wurde ihm scherzhaft manchmal unterstellt, dass er mehrere Liebschaften mit schwarzen Frauen gehabt hätte, was er eher mit einem gewissen Stolz nicht abstritt. Eines Tages besuchte ein Student der Technischen Universität Wien mit seinem schwarzen Studienkollegen das Gasthaus. Der junge schwarze Mann hieß Jason und wurde von einem Gast heimlich über den Militäreinsatz von Fritz informiert und sollte sich spaßhalber als sein Sohn ausgeben. Nach einem kurzen Gespräch von Fritz über seinen Einsatzort in Libyen stellte Jason fest, dass das auch sein Heimatort und seine Mutter von einem weißen Soldaten aus Österreich geschwängert worden war. Damit war für alle beteiligten Gäste Fritz als Vater ermittelt und Jason fiel ihm mit dem Wort: „Papa“ rührend um den Hals. Fritz, dessen Alkoholspiegel schon ziemlich hoch war, glaubte diese Inszenierung tatsächlich und war zu Tränen gerührt. Für ihn gab es keine Zweifel, dass Jason sein Sohn war, nachdem dieser ihm auch das Gefühl dazu gab. Selbst nach einer Stunde hatte Fritz noch feuchte Augen und war noch nicht klar im Kopf. Die zwischenzeitlich geleerten Gläser Wein verschlimmerten eher die Gedächtnisleistung. Einerseits erfüllte es Fritz mit großem Stolz, einen weiteren Sohn zu haben, andererseits hatte er keine Ahnung, wie er das seiner resoluten Frau erklären sollte. „Die bringt mich um“, war seine Befürchtung. Die Teilnehmer an dieser Liebesgeschichte konnten sich vor Lachen kaum halten. Erst am nächsten Tag und bei entsprechender Nüchternheit wurde er von dem spaßigen Drehbuch informiert. Er nahm es wie immer mit Humor.
Fritz war so etwas wie ein Stammgast, der beinahe täglich und stets bis Mitternacht das Gasthaus besuchte. Und da er keine alkoholfreien Getränke konsumierte, war er nicht selten so betrunken, dass er sein Moped für die Heimfahrt selbst nicht mehr starten konnte und fremde Hilfe benötigte. Für die ersten Meter seiner wackeligen Fahrweise benötigte er noch die gesamte Breite des Kirchenvorplatzes. Mit zunehmender Geschwindigkeit wurde jedoch sein Fahrstil gradliniger. Im Dunkel der Nacht glaubte er ein Hindernis auf der Straße zu sehen und bremste plötzlich ab. Das Hindernis war ein Gendarmeriebeamter, den er beinahe überfahren hätte. Der Uniformierte meinte zu Fritz: „Jetzt hast du aber ein Glück gehabt!“ Worauf ihm Fritz antwortete: „Wer hat jetzt ein Glück gehabt, ich doch nicht, du wärst ja tot gewesen!“ Nachdem die vermeintliche Todesfrage ausdiskutiert war, fragte der Gendarm Fritz, von wo er herkomme. „Ich komme vom Kirchenwirt, dort gibt es lauter Betrunkene, ich war der einzige Nüchterne“, antwortete Fritz. Nachdem die Amtshandlung beendet war, ging der Gendarm zum Kirchenwirt und musste feststellen, dass das Gasthaus bereits geschlossen hatte und er angelogen wurde. Beim nächsten Zusammentreffen der beiden zahlte Fritz dem Staatsbeamten ein Bier und eine Jause, damit dieser seinen damaligen Ärger leichter verarbeiten konnte.
Musikboxen mit ihren kleinen Schallplatten gab es erst Mitte der 60er Jahre und dann nur in Bars. Daher war der Gesang von Volks- oder Wanderliedern in einer geselligen Runde ein beliebtes Mittel, um Harmonie und Entspannung nach einem arbeitsreichen Tag zu erlangen. Lieder aus der Jägerschaft und Wienerlieder, mit Texten über Wein und Fiaker, bereicherten die Gesangsliste. Kontemporäre Schlagermusik wie von Freddy Quinn, Peter Alexander, Roy Black oder Rex Gildo erweiterten die Gesangsauswahl. Die vielfach gesungenen Lieder waren deshalb auch textlich weitgehend bekannt. Jedenfalls die erste Strophe davon. Textsicherer sind bekanntlich Musiker, weil es entweder ihr Beruf oder meist ihre Passion ist. Um den damaligen nicht orchestrierten „Gesangsverein“ jederzeit unterstützen zu können, gab es fast in jedem Landgasthof eine Gitarre. Manchmal kam auch ein Ziehharmonikaspieler dazu und die Band war perfekt. Der Abend im Gasthaus wurde zum unvergesslichen Erlebnis.