Читать книгу Suzanne - Levi Krongold - Страница 12

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Roy stand wohl nun schon eine halbe Stunde vor dem Badezimmerspiegel, die Hand am Rasierapparat, mit dem er gerade einmal die Hälfte der linken Wange bearbeitet hatte, und blickte sich selbst in die Augen wie ein Fremder. Die letzten Sätze, die er eben geschrieben hatte, waren in der Tiefe seiner fremdartig wirkenden Pupillen abgetaucht. Wenn er nochmals so lieben könnte wie dieser Levi! Plötzlich hörte er vertraute Stimmen. Die laut streitenden Kinder waren zurückgekommen, übertönt noch von den Schimpfkanonaden ihrer Mutter. Er lächelte. Gut, dass er sich das hatte ersparen können. Die Stimmen seiner Kinder ließen ihn aus seiner Agonie erwachen. Er schaltete den Rasierapparat wieder ein und wollte seine Rasur vollenden, als die Badezimmertür von seiner älteren Tochter aufgerissen wurde.

»Hast du bist jetzt geschlafen?«, wunderte sie sich.

»Nein, natürlich...«

»Mami, Papi hat bis jetzt geschlafen!«, rief sie in den Wohnraum, ohne dass er seinen Satz vollenden konnte. Die Jüngere drängelte sich zur Tür herein, um das Wunder zu bestaunen. Mit großen Augen sah sie Roy an, als habe sie ihn jetzt erst zu ersten Mal gesehen! »Papi rasiert sich gerade!«, rief sie ins Wohnzimmer. »Mach mal hinne, ich muss mal!«, kommandierte sie dann.

»Ich zuerst«, kam ihr die Größere zuvor und schon hatten sie sich wieder lautstark in den Haaren. Er zog die Augenbrauen hoch und überließ das Bad den beiden Streithennen. Seine Frau, damit beschäftigt, die Jacken und Taschen, die die beiden Geschwister achtlos fallengelassen hatten, aufzuheben, würdigte ihn keines Blickes. Sie schaute so demonstrativ an ihm vorbei, dass es schwer fiel, dies nicht zu bemerken.

»Ich..«, begann er nach einer Weile unschlüssigen Herumstehens.

»Spar dir deine Worte!«, fauchte sie ihn an.

»Hör zu...«, versuchte er es aufs Neue. Sie wandte sich demonstrativ von ihm ab.

»Warum kannst du nicht einmal vernünftig mit mir reden?«, rief er.

»Schrei mich nicht an!«, schrie sie zurück.

»Ich schrei doch gar nicht, du schreist!«, gab er verärgert zurück.

»Das nennst du nicht schreien? Du kannst gar nicht anders als schreien!«, schrie sie noch lauter und knallte eine Tasche auf das Bett.

»Du hast angefangen zu schreien!«, verteidigte er sich. »Ich wollte...«

»Du wolltest, du wolltest... Wenn du gewollt hättest, dann wärst du wohl mitgefahren. Wir interessieren dich überhaupt nicht!«

»Stimmt doch gar nicht. Ich...«

»Das einzige, was dich interessiert, ist dein scheiß Buch!« »Nun hör aber auf«, gab er empört zurück.

»Du schreist schon wieder!«, zeterte sie weiter.

»Weil ich sonst überhaupt nicht zu Wort komme.« »Vor allem kommst du nicht zu Wort! Du hast schon viel zu viel Mist geredet! Ich hatte mich auf einen entspannten Urlaub gefreut, aber du legst offenbar keinen Wert darauf! Aber mach nur so weiter. Du wirst schon sehen, wohin das führt!« Ihm lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch er schluckte sie herunter, da er wusste, dass mit ihr kein vernünftiges Wort zu reden wäre. Sie konnte niemals, niemals auf das letzte Wort verzichten, gleich wie stichhaltig seine Argumente auch waren. Das hätte ein Eingeständnis ihres Irrtums bedeutet und ein Wort, dass er nach einem unnötigen Streit noch nie von ihr gehört hatte, war das kleine Wort »Entschuldigung.« Es kam nicht über ihre Lippen.

»Brötchen liegen auf dem Tisch«, sagte er nur und ging aus dem Haus, um sich in den kleinen Vorgarten zu setzen.

Sonja kam heraus, ihr Touchpad in der Hand. »Seid ihr endlich fertig mit Streiten?«

»Ich schon«, murmelte er. »Wie wars denn?«

»Cool, aber auch ein bisschen langweilig. Wir haben uns total verfahren, einmal.« Das freute ihn irgendwie.

»Schlimm?«

»Nö, ging so. Mama hat geweint. Sie hatte das Navi vergessen. Aber jemand hat uns geholfen.«

»Jemand?«

»Ja, so'n Typ.«

»Was für 'nen Typ?«

Sie zuckte nur mit den Schultern und war schon so mit Scrollen und Antippen beschäftigt, dass sie es für unnötig hielt, nähere Ausführungen darüber zu machen.

Er seufzte. Wieso eigentlich glaubte er immer noch, Familienurlaube müssten erbaulich sein?

Marie kam an einem Brötchen kauend aus dem Haus.

»Warum bist du nicht mitgekommen?« »Wollte ich ja. Ich bin zum Bäcker gegangen und hab mich etwas verschätzt mit dem Weg.« »Brötchen sind echt lecker!«, mampfte Marie.

»Hier werden noch richtige Brötchen gebacken«, bestätigte er, obwohl er selber noch nichts gegessen hatte.

»Kriegen wir bald was zu essen?«, fragte Marie, die immer Hunger hatte. »Mama will was grillen heute!«

»Haben wir denn was im Haus zum Grillen?« Marie zuckte mit den Schultern und kickte gegen den Ball, den sie ins Gras geworfen hatte. Der bummerte gegen die Hauswand. Bum, bum, bum.

»Marie, hör sofort mit dem Krach auf«, kam Iris Stimme von drinnen.

Er beschloss die Taktik, »Es ist nichts gewesen«, anzuwenden. Sie bestand darin, dass man nach einem Streit wie diesem einfach zur Tagesordnung überging.

»Willst du heute grillen?«, rief er ins Haus.

Keine Antwort.

Er erhob sich, ging ins Haus und schaute in den Kühlschrank. Dort stapelte sich zwar allerlei Essbares, allerdings konnte er zum Grillen nichts Geeignetes finden.

»Haben wir denn was da zum Grillen?«, rief er einer unsichtbaren Iris zu.

»Siehst du etwa etwas?«, kam es schrill zurück.

Genau, das war eigentlich eines der Dinge, die ihn an seiner Frau noch mehr störten als die Tatsache, dass sie nicht konstruktiv miteinander streiten konnten, ihre schrille Stimme. Es fehlten ihrer Stimme die tieferen Untertöne. Nicht einmal in normaler Lautstärke konnte ihre Stimme sanft klingen. War sie angespannt, dann wurde ihre Stimme noch unangenehmer. Er hatte einmal eine Bluessängerin mit einer so angenehm vollen dunklen Stimme gehört, dass er ihr ewig hätte lauschen können. Damals fiel ihm erstmals auf, dass er die Stimme seiner Frau nicht mehr mochte. Er stellte sich Suzannes vor. Ihre Stimme wäre angenehm voll und weich. Suzanne. Er seufzte, während ihm das Bild seiner Romanfigur vor Augen trat. »Ich geh was kaufen. Ich hab ihm nächsten Dorf einen Supermarkt gesehen, heute Morgen.« Schweigen. Er erwartete nun die Frage, was er im nächsten Dorf gemacht habe, doch die vibrierte nur klanglos im Raum wie ein Negativbild der tonalen Stimmung, die sie verursacht hatte. Er hörte nur, dass Iris kurz mit ihrer Tätigkeit aufhörte, genauso lange, wie es dauert, diese Frage zu denken, jedoch nicht auszusprechen, um dann um so lauter mit ihrem Ordnen weiter zu machen. »Was wollt ihr denn?«, rief er in den Raum. »Keinen fettigen Schweinebauch!«, ließ sie sich nun etwas sachlicher vernehmen. Er nickte grinsend mit dem Kopf. Ging also noch, dachte er. Diese Frau ist wie ein Automat. Drück den richtigen Knopf und sie funktioniert vorhersehbar. Im Rausgehen fragte er die Kinder, ob sie mit zum Einkaufen kommen wollten. Marie war sofort einverstanden, da sie wegen des Fußballverbots schmollte und sich langweilte. Sonja hörte ihn nicht aufgrund ihrer Kopfhörer, die sie übergezogen hatte. Auf dem Weg zum Wagen, der auf dem Parkplatz am Eingang des Ferienparks stand, fragte ihn Marie aus. »Warum bist du denn nicht mitgekommen zum Fahrrad fahren?« »Na, sagte ich doch schon. Ich war zu Fuß Brötchen holen und hab mich ein wenig verlaufen.« »Du auch? Wir haben uns auch total verfahren.« »Sagte Sonja schon.« »Dann hat Mama einen Mann gefragt, der dort mit dem Auto vorbeikam. Das war vielleicht ein fieser Typ. Der hat Mama immer so angeglotzt. Aber Mama hat trotzdem lange mit ihm geredet. Aber er hat uns in die richtige Richtung geschickt.« »Mmmhm«, murmelte Roy, während er überlegte, was er nun einkaufen würde. »Der ist sogar noch ein bisschen hinter uns hergefahren«, fuhr Marie munter fort. »So?«, machte Roy geistesabwesend. Vielleicht würde er lieber Rinderhacksteaks kaufen. Die Kinder aßen nicht gerne richtige Steaks. »Als wir in den Waldweg eingebogen sind, ist er sogar mit seinem Auto noch stehen geblieben. Mama hat ihm noch zugewinkt, dann ist er endlich verschwunden. Gruselig.« Vielleicht doch lieber Hühnerschenkel, überlegte Roy. Das ging immer. Er beschloss Hühnerschenkel zu kaufen. »So, ja, ja, das kommt vor«, gab er unzusammenhängend zurück. Marie plapperte weiter, bis sie zum Auto kamen, und weiter, während sie fuhren, denselben Weg, den er heute Morgen zu Fuß genommen hatte. Erst als sie an der Stelle vorbeikamen, an der er heute Morgen den Fremden getroffen hatte, bremste er leicht ab und schaute unwillkürlich in den Waldweg hinein. »Was is'n?«, fragte Marie. »Ach, nichts«, antwortete er ausweichend und gab wieder Gas. Wenn er alleine gewesen wäre, hätte er wohl gehalten und sich ein wenig umgeschaut, was der Typ dort zu suchen gehabt hatte. Vielleicht musste er nur mal austreten? Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn beim Weiterfahren, als müsse er nochmals umdrehen und zurückfahren. Unmöglich. Er verbot sich diesen Gedanken. Sollte der Supermarkt geschlossen haben, wenn sie dort ankämen, wäre der Abend ebenfalls gelaufen. Es war schon kurz vor achtzehn Uhr. Der Markt hatte noch geöffnet, als sie endlich einparkten. Einkaufen mit Kindern ist regelmäßig eine schwere Erziehungsaufgabe, fand Roy. So auch jetzt wieder, wenn Marie nicht zu überzeugen war, Süßigkeiten, Schnickschnack oder andere Sachen, die ihrer Meinung nach dringend zu einem gelungenen Grillabend gehören, wieder aus dem Einkaufswagen zu entfernen. So war denn die Stimmung der beiden schon nach wenigen Minuten auf dem Tiefpunkt angelangt. Maries Versuche, Roy davon zu überzeugen, dass saure Gummibärchen unbedingt auf jeden Grill gehören, oder nichts besser schmeckt als angekohlte Klöße aus rot und blau gefärbtem Schaumzucker scheiterten ebenso wie Roys verzweifelte Versuche, ihr eben das gerade auszureden. Schließlich einigten sie sich darauf, dass Gummibärchen zwar nicht auf den Grill gehören, aber vielleicht dazu dienen könnten, die Stimmung zu heben, und Schaumzucker durch Chips ersetzt werden könnte, als geschmackliche Alternative zu fettigem Fleisch. Dass es dann unbedingt die Chips von dieser einen Marke sein mussten und nicht die wahrscheinlich von derselben Firma hergestellten, nur halb so teuer angebotenen Alternativ-No-name-Produkte, nahm Roy schließlich entnervt hin. Eine kleines Aufflackern seines Unmutes erlebte er noch an der Kasse, als der Einkaufswagen, neben reichlichen Mengen Grillgut dann doch plötzlich eine Tüte Marshmallows enthielt. Da hatte er es schon aufgegeben zu protestieren, auch weil Marie so schelmisch lachte, dass er ihr nicht wirklich böse sein konnte. Also machte er gute Miene zum bösen Spiel und formulierte den pädagogisch wenig wertvollen Satz: »Aber nur dieses eine Mal als große Ausnahme!« Sie nickte mit leuchtenden Augen, wohl weil sie insgeheim befürchtet hatte, er könne diese kleine Frechheit letztendlich doch noch ahnden, und in dem Wissen, ihn mal wieder um den Finger gewickelt zu haben, riss sie die Tüte, kaum dass sie die Kassiererin passiert hatte, auf und stopfte sich gleich zwei dieser merkwürdigen Auswüchse der Esskultur in den Mund. Er schaute demonstrativ weg. Der Rückweg verlief dann auch einigermaßen schweigend, wenn man vom demonstrativen Schmatzen Maries absah, die Mühe hatte, die zuckersüße klebrige Masse wieder aus dem Mund zu bekommen und in Richtung Magen zu befördern. Ihre Fahrt endete jedoch abrupt an einer Straßensperre, die mitten auf der Landstraße errichtet worden war. Ein Polizist mit Motorradhelm und Haltekelle verhinderte die Weiterfahrt. Quer über der Straße war ein rotweißes Absperrband gespannt. Dahinter versperrte ein quergestelltes Polizeimotorrad mit blauem Blinklicht die Straße. Auch in dem seitlichen Waldstück standen mehrere Polizeiwagen sowie ein Notfallwagen der Feuerwehr. »Schau mal!«, rief Marie interessiert. »Da ist bestimmt was passiert!« »Vielleicht ein Unfall!«, sinnierte er, wobei er auf den zweiten Blick erkannte, dass ein Polizeiwagen gerade an dem Waldweg geparkt war, auf dem er heute Morgen den unheimlichen Typen begegnet war. Ihn fröstelte. Er fuhr langsam bis zum Polizisten vor, der einem anderem Fahrzeug bereits anwies, zu wenden. »Hier geht es nicht weiter, sie müssen zurückfahren«, winkte dieser ungeduldig. »Entschuldigung, wir sind nicht von hier. Wie kommt man denn weiter?« »Sie müssen wieder zurückfahren bis kurz vor den Ort und dann die Umgehungsstraße benutzen. Es wird gerade ausgeschildert!«, erwiderte der Polizist nicht unfreundlich. »Was ist denn hier passiert?«, fragte Marie. »Nichts, was kleine Kinder wissen müssten!«, antwortete der Polizist bestimmt. »Fahren Sie bitte weiter«, forderte er, »Sie blockieren die Straße, mein Herr!« Auch wenn Roy eigentlich dasselbe wie Marie interessierte, so verkniff er sich eine Nachfrage und wendete umständlich, was ein unmutiges Hupen eines hinter ihm stehenden PKW zur Folge hatte. Auf dem Rückweg, kurz vor der Stelle, auf der ein Arbeitstrupp ein Umleitungsschild montierte, kam ihnen ein Leichenwagen entgegen. »Cool!«, kommentierte Marie, »da ist bestimmt jemand überfahren worden!« Roy verstand nicht, was daran cool sein könnte, wenn jemand überfahren wird, aber Marie hatte da wohl eine ganz andere Sichtweise. Ganz im Gegenteil ließ ihn das unbestimmte Gefühl nicht los, dass die polizeiliche Aktion irgendwie mit dem Vorfall am Morgen zu tun haben könnte. Da aber diesbezüglich keine Aufklärung zu erwarten war, gab er Gas, in der Hoffnung, sich nicht allzu sehr zu verfahren. Wieder erwarten verlief der weitere Heimweg reibungslos. Die Straßenwacht war wohl ziemlich auf Zack gewesen, so dass die Umleitungsschilder bereits aufgestellt waren und den richtigen Weg auswiesen. Sie kamen also, wenn auch etwas verspätet, so doch noch mit akzeptabler Toleranz an. Fand er. Fand jedoch nicht sie, Iris. Doch bevor sie ihren Unmut gänzlich an ihm auslassen konnte, berichtete Marie bereits von dem ungeheuren Erlebnis, wobei sie das Ganze ein wenig aufbauschte, wohl weil sie ihren Vater in Schutz nehmen wollte. »Du kannst froh sein, dass wir überhaupt heute noch zurückgekommen sind!«, berichtete sie aufgeregt. »Da war ein riesen Unfall genau vor uns auf der Straße mit hundert Polizeifahrzeugen, zwanzig Krankenwagen und einem Hubschrauber...«, log sie. »Naja, Hubschrauber nun gerade wieder nicht!«, versuchte er die ganze Angelegenheit etwas ins rechte Licht zu rücken. »Glaub mir«, setzte Marie im Brustton der Überzeugung fort, »bei so was kommt eigentlich immer ein Hubschrauber, um die Schwerverletzten abzutransportieren. Das hab ich im Fernsehen gesehen!« »Mensch, nie nehmt ihr mich mit, immer nur Marie«, maulte Sonja, die feststellte, dass sie wohl ein kolossal aufregendes Ereignis versäumt hatte. »Du wolltest doch nicht«, protestierte Roy. Marie freute sich, dass sie etwas ihrer großen Schwester voraus hatte und trug noch dicker auf. »Wir mussten durch eine Polizeikontrolle und wären beinahe verhaftet worden!«, schwärmte sie. »Aber ich habe den Polizisten überzeugt, dass Papa unschuldig ist und wir niemanden überfahren haben!« »Du spinnst«, rief Sonja außer sich, die es auf den Tod nicht leiden konnte, wenn ihrer jüngeren Schwester die Fantasie durchging. Schon hatten sich die Geschwister in einen handfesten Krach verwickelt, mit dem Ergebnis, dass Marie Sonja gegen das Bein trat, Sonja zurückschlug, unglücklicherweise Maries Nase traf, die sofort heftig blutete und Iris eine Schreiorgie vom Stapel ließ und beide ins Haus schickte. Er warf sich müde in einen Gartenstuhl und verfluchte, jemals dem Wunsch nach Frau und Kindern nachgegeben zu haben.

Suzanne

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