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Die Abende waren am unangenehmsten. Die Kinder und Iris hatten den Fernsehapparat in Beschlag genommen, weil sie irgendwie der Meinung waren, Kindersendungen gehörten zum Vorrecht urlaubsreifer Schulkinder. Seine misslaunig geäußerte Abneigung gegen die mediale Dauerberieselung war ungehört verklungen und angesichts der desaströsen Wettersituation, es hatte bereits vier Tage in Folge geregnet, der insgesamt angespannten, aggressiven Atmosphäre, hatte er es vorgezogen, nicht auf seine Wünsche bezüglich anderer, kreativerer Betätigungsmöglichkeiten zu bestehen. So blieben Kartenspiele, Malsachen und andere Gesellschaftspiele unberührt in den immer noch nicht völlig ausgepackten Koffern. Die Koffer, über die man ständig stolperte, sobald man einen geradlinigen Weg durch das Ferienhäuschen wagte und die ein Symbol für das nicht Angekommensein aller waren. Seine Frau weigerte sich auch strikt, ihn die Koffer einfach auspacken zu lassen, weil sie der Meinung war, Ein- und Auspacken seien ausschließlich ihre Angelegenheit, da er die Sachen eh nur »durch die Gegend werfe«. Außerdem sei es viel praktischer so, weil sie ja schließlich wisse, wo sie was eingepackt habe. Diese Dominanz, die sie in haushälterischen Dingen für sich beanspruchte, warf sie ihm andererseits als Untätigkeit seinerseits vor. So ordnete sie zum Beispiel grundsätzlich die Spülmaschine um, sobald er es wagte, diese eigenhändig einzuräumen, so dass er nach anfänglichem Protest schließlich aufgegeben hatte, ihr diese Eigenmächtigkeit vorzuwerfen, und räumte ihr das Feld. Er hatte irgendwie darauf verzichtet, seinen Platz in der Familie zu beanspruchen, fühlte sich nur geduldet und war es wohl auch, soweit er brav die Rolle übernahm, die ihm zugedacht war.

Dabei war ihre Beziehung früher eigentlich anders verlaufen. Zu Beginn rettete er sie aus den Fängen ihrer herrschsüchtigen Schwester, bei der sie nach dem Unfalltod ihres Freundes Unterschlupf gesucht hatte. Kaum zwei Wochen, nachdem sie sich kennengelernt hatten, zog sie bereits auf der Flucht vor ihrer Schwester bei ihm ein, was er willig geschehen ließ, da er selbst nach missglückter Ehe, aus der eine Tochter hervorgegangen war, mehrere Jahre ein unbefriedigendes Singledasein geführt hatte. Anfangs war ihre Beziehung voller ekstatischem Sex, als Folge lange unbefriedigt gebliebener Bedürfnisse, aus dem schließlich zwei Kinder hervorgingen. Mit jedem Kind wurde er jedoch weiter beiseite gedrängt, war nur noch Statist, wie man so schön sagt, die Checkkarte, die den Müll herunterträgt. Problematisch wurde die Situation, als die sieben Jahre ältere Tochter aus erster Ehe nach einem langen Auslandsaufenthalt mit ihrer Mutter nach Berlin zurückkehrte und wieder Kontakt zu ihm herstellen wollte. Es kam zu tumultösen Szenen zwischen ihr und Iris, die sie als Konkurrenz zu ihren eigenen Kindern betrachtete und jede Zuwendung finanzieller Art, über die monatlich fälligen Unterhaltszahlungen hinaus oder auch zeitlicher Art als Verlust und Diebstahl betrachtete. Schließlich kam sie gar auf die Idee, seine erste Frau, Ricarda, könne seine Vaterschaft sogar nur vorgetäuscht haben und er wäre gar nicht der leibliche Vater. Dies führte zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis zwischen ihm und Iris, aber auch zu seiner Tochter, da er diesen Spagat nicht lange durchhalten konnte, zumal Iris mit der Trennung von ihm drohte. »Und was das finanziell für dich heißt, weißt du ja!« Ausrufezeichen. Seine damaligen Versuche, die angespannte Situation durch ein psychologisch begleitetes Dreiergespräch zu entschärfen, scheiterten an dem entschlossenen Veto von Iris. So blieb ihm nur übrig, sich zwischen seinen neuen Kindern und der älteren Tochter zu entscheiden, was diese ihm nicht verzieh, da dies zu ihren Ungunsten ausfiel. All das ging ihm durch den Kopf, als er missmutig aus dem Fenster des Schlafzimmers starrte, ohne den Impuls zu spüren, an seinem Manuskript zu arbeiten, weil er sich innerlich leer fühlte. Ich bin ein Loser, schalt er sich, konnte aber nichts gegen diese schicksalhafte Rolle unternehmen. Er beschloss, die dem Campingplatz angeschlossene Gaststätte aufzusuchen. Dort empfing ihn eine weitere Ödnis in Form eines Fernsehapparates über der Tür, der offenbar auf Dauerfußball eingestellt war. Davor knotennasige, rot-gesichtige Gäste, deren Gewohnheit es war, jede Finte auf dem Spielfeld fachmännisch zu kommentieren und mit Bier zu begießen. Er hasste Fußball, zog sich mit einem Bier in eine Ecke zurück, wo er auch nicht weiter beachtet wurde.

Da fiel ihm ein Satz aus seinem vorherigen Roman ein, den eine Nebenfigur dem Helden gesagt hatte. »Man hat immer die Möglichkeit, sich zu entscheiden. Es gibt keine vorbestimmte Bahn. Du musst nur den Mut haben, die Konsequenzen deiner Entscheidung auf dich zu nehmen.«

Wer gab ihm solche Sätze ein? Wenn er schrieb, war es, als schreibe eine dritte Person durch ihn hindurch. Er formulierte Sätze, spann Ereignisse, die ihm unter normalen Umständen niemals eingefallen wären.

Das war eine der Großartigkeiten seiner schriftstellerischen Tätigkeiten. Er ging auf eine spannende Reise, sobald er das leere Formular der Eingabemaske vor sich sah, öffnete seinen Geist, wurde ganz passiv und ließ es einfach zu, dass sich Sätze bildeten. Es entstanden neue Sätze, neue Ideen, die auseinander hervorgingen, sich gegenseitig umwoben, bis schließlich ein Bild entstand, ein Gewebe aus Worten und Einfällen, die nicht von ihm, sondern durch ihn waren.

Ja, er liebte diese Tätigkeit, wenn sie auch nicht seine primäre Profession war. Und er liebte die Figuren, die er schuf und ganz besonders liebte er Suzanne. Sie tauchte in einem seiner vorherigen Romane als kleine unbedeutende Nebenfigur auf und mogelte sich langsam in sein Herz. Sein Herz, in dem ein Platz frei geworden war. Zuerst nur eine unbedeutende Stelle, angefüllt mit Selbstvorwürfen und Durchhalteparolen. Doch sie zwinkerte ihm freundlich zu, »Hallo, ich bin da! Siehst du mich nicht?«

Suzanne

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