Читать книгу Suzanne - Levi Krongold - Страница 8
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Оглавление»Hallo, hier bin ich!«, winkte er ihr zu, als sie, wenn auch verspätet, suchend im Eingang des Restaurants stand und um sich blickte. Es war gerammelt voll, Wochenende. Nur mit Mühe konnte er dem Wirt einen Tisch abschwatzen. Sie stand in der Tür, in einem roten, ärmellosen Kleid, eine kleine Handtasche wie schützend vor sich gehalten, mit ihren großen, dunklen Augen unsicher umherblickend, fast schüchtern und ängstlich. Als sie ihn sah, erstrahlte ihr Gesicht erleichtert und mit einer kleinen grazilen Bewegung änderte sie ihre Richtung und stolzierte auf ihren hochhackigen Schuhen auf ihn zu. Fast sah es aus, als sei sie diese Art der Fortbewegung nicht gewohnt. »Ich dachte schon, du kommst nicht!«, flüsterte er ihr erleichtert zu, als sie sich mit den üblichen Wangenküssen begrüßten!« »Es tut mir leid, aber fast wäre tatsächlich etwas dazwischengekommen und ich habe ja deine Handynummer nicht.« »Ich hoffe, es passt dir trotzdem heute«, fragte er besorgt. »Oh, ja, natürlich. Aber ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit meiner Tante.« »War es schlimm?«Sie zog die Mundwinkel nach unten und zuckte mit den Schultern. »Nein, nun bin ich ja hier.«Als sie ihm gegenüber Platz genommen hatte, ordnete sie ihre Haare kurz und lächelte ihn an. »Es ist schön, mal auszugehen. Ich sitze sonst abends fast immer zu Hause und schaue fern.« »Gibt es denn für eine so schöne Frau keine Verehrer?« »Du bist so lieb. Aber ich werde noch eingebildet, wenn du mir immer so schmeichelst.« »Ich sage nur die Wahrheit«, beruhigte er sie. Nachdenklich rümpfte sie die Nase. »Die Wahrheit ist nicht immer das, was man einer Frau sagen sollte.« Sie lachten herzlich. Er fühlte sich so leicht, so beschwingt mit ihr. Es war ihm, als kehrten alle seine Kräfte wieder zu ihm zurück, neuer Lebensmut, neue Energie. Während sie die Speisekarte studierte, beobachtete er sie unauffällig. Was war es eigentlich, das ihn am meisten an ihr faszinierte? War es das lebhafte, jugendlich wirkende Gesicht, war es dieser schnelle Wechsel völlig gegensätzlicher Gesichtsausdrücke? Das ungezogene kleine Mädchen, dann die souveräne, ihrer Schönheit bewusste reifere Frau, oder die plötzliche Trauer, die sie befallen konnte. War es die zarte, überflüssige Bewegung des Kopfes, wenn sie sprach, ihres schlanken Halses, die grazile Weiblichkeit ihrer Bewegungen? Waren es ihre kleinen festen Brüste, die sich dennoch deutlich unter der Kleidung abhoben. Ihre angenehme, fast ein bisschen tiefe, samtweiche Stimme? Er konnte sich nicht entscheiden. Sie war, so wie sie war, für ihn eine Göttin. Nichts weniger. Eine Göttin, die ihm mit ihrem Odem die Jugend zurückgab. Unvorstellbar, dass sie solo sein sollte. Doch er wollte dieses Thema lieber nicht anschneiden. Stattdessen beratschlagten sie wie ein altes Ehepaar, welches der Gerichte sie am besten wählen sollten, welches ihre Vorlieben und Abneigungen waren, entschieden sich für einen lieblichen heimischen Rotwein und ein Kalbsragout, das der Wirt hier besonders zart herrichte, sowie ein Gedeck korsischen Käses an Feigenmarmelade. Doch von allem probierte sie lediglich einen kleinen Happen und überließ es ihm, seinen Appetit zu stillen. Kein Wunder, dass sie so schlank ist, dachte er, als er sie umsonst zu ermutigen suchte, kräftig zuzugreifen. Ansonsten steuerten sie das Gespräch vorsichtig an allen problematischen Themen vorbei, wie ein Seemann sein Schiff an den tückischen Untiefen des Meeres. So erfuhr er von ihr weder Wesentliches über ihre Herkunft, außer dem wenigen, was sie ihm gestern schon offenbart hatte, noch über ihre Familie oder ihren Alltag. Stattdessen philosophierten sie über das Wetter, die Touristen, Korsika und seine Geschichte und die Mentalität der Einheimischen. Doch für einen kleinen Augenblick gab sie zu erkennen, dass sie gerne musizierte. Sie spiele leidlich Klavier. Es gebe in ihrer Wohnung keines, so dass sie stattdessen lieber Musik hören würde. Sie schwärmte für Rachmaninov, Chopin und Satie. Das waren Themen, zu denen er nicht viel beizusteuern hatte, obwohl er sich eine Zeitlang im Bratschenspiel geübt hatte, ohne nennenswerten Erfolg allerdings. Als er nach dem Dessert und unter dem lockernden Einfluss des Weines ihre Hände ergreifen wollte, entzog sie ihm diese jedoch sanft mit dem Hinweis, dass es sich hier in der Öffentlichkeit nicht schicke. Im Gegensatz zu ihm war sie wohl noch nüchtern, da sie auch das Weinglas nur halb geleert hatte. Verlegen versuchte er, den Fauxpas zu überspielen. Über das Essen war die Zeit unbemerkt dahin gerast. Als die ersten Gäste das Lokal verließen und sich einige Nachbartische leerten, schlug er vor, noch einen kleinen Abendspaziergang zu machen. Die Luft war warm und lieblich, sein Kopf vom Wein etwas berauscht und seine Stimmung gut. Es wäre schade, diesen Abend jetzt schon zu beschließen. Sie willigte freudig ein. Nachdem er die nicht unerhebliche Rechnung mit einem überdimensionalen Trinkgeld aufgerundet hatte, hakte sie sich bei ihm unter und so verließen sie das Lokal. Draußen blinkten bereits die ersten Sterne. Der Jupiter strahlte hell am Himmel unweit des nun fast gerundeten Mondes, der überdimensional und rötlich über den Bergen hing. Zikaden zirpten in dem nahen Kiefernwäldchen und ein leichter Wind wehte angenehme kühle Abendluft heran. Vor dem Lokal verließen sie die Veranda, um über den Strand zu gehen. »Oh, meine Schuhe!«, beschwerte sie sich. Die spitzen Absätze bohrten sich tief in den Sand. Daher zog sie sie einfach aus und ging barfuß weiter. Auch er entledigte sich seiner Sandalen, wobei er beinahe kopfüber in den Sand gefallen wäre. »Oh, mein Gott, ich bin betrunken!«, lachte er. »Muss ich dich tragen?«, neckte sie ihn. »Wenn du willst!« »Oh, meine kleine Baby!«, säuselte sie in Babysprache und streichelte ihm theatralisch über den Kopf. Er griff sie um die Hüften und zog sie an sich. »Oh, mon dieu. Du bist wirklich ein wenig betrunken. Du wirst dich doch einer Dame gegenüber zu benehmen wissen?«Dennoch gab sie ihm einen kleinen Kuss auf den Mund, bevor sie sich ihm mit einer grazilen Bewegung entwand. Sie lief ihm lachend ein Stück davon in Richtung auf das Ufer. Er setzte ihr fröhlich nach und kurz bevor er sie erreicht hatte, ließ sie sich einfach in den Sand fallen. »Erlegt!« »Warte, dein Kleid, ich gebe dir etwas zum drauf Sitzen«, meinte er besorgt, zog sein Jackett aus und breitete es auf dem Boden aus. Sie ließ sich gnädig von ihm aufhelfen und setzte sich bereitwillig auf die Unterlage, ihre kleine Handtasche achtlos in den Sand werfend. »Weißt du, ich bin nicht so eine Frau!«, bemerkte sie. »So eine Frau?« »Naja, mit diesen lästigen Pumps und dem Handtäschchen. Das bin nicht ich.« »Warum hast du sie dann mitgenommen?« »Weil...«, sie stockte ein wenig und senkte beschämt den Blick. »Ich wollte dir gefallen.« »Du würdest mir auch gefallen, wenn du ganz nackt gekommen wärst«, foppte er sie. »Oh, du bist ein Schuft!«, rief sie in gespielter Empörung. »So eine Frau bin ich auch nicht!« »Was bist du denn für eine Frau?« »Sag du erst, was du für ein Mann bist!«, forderte sie mit Schmollmund.Er zögerte. Was wollte sie wohl hören? Was durfte er sagen, das sie nicht kompromittierte? Er hatte bemerkt, dass ihre Beziehungen zu Männern im Dunkel lagen und sie dieses Geheimnis nicht lüften wollte. »Ich denke, ich bin eher ein vorsichtiger Mann!«, antwortete er daher ausweichend.Sie sah ihn nachdenklich an, dann nickte sie. »Ja, und du bist ein freundlicher Mann. Keiner, der eine Frau schlagen würde!«Er erschrak. »Schlagen? Warum sollte ich das tun? Das ist barbarisch!« »Und keiner, der eine Frau gegen ihren Willen... du weißt schon!« »Ich bitte dich! Was redest du da?«Er rückte näher an sie heran. »Suzanne, bitte sag so etwas nicht. Ich würde dir niemals weh tun. Es ist für mich das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte.« Sie schaute ihn mit ihren großen Augen sinnend an. «Es gibt schlimmeres als Schmerz.« Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihm nicht behagte. »Warum sagst du das? Gibt es etwas, bei dem ich dir helfen kann?« Sie ließ sich lachend zurückfallen. »War nur ein Scherz, ich wollte dich prüfen.« Er legte sich seitlich neben sie und streichelte ihre Augenbrauen. Sie schloss die Augen und streckte ihm wohlig ihren Hals entgegen. Vorsichtig drückte er ihr einen zarten Kuss auf den Hals, wogegen sie nicht protestierte. Mutiger geworden, küsste er ihre Schläfe, die Stelle, wo Ohr und Kiefer zusammentrafen. Als sie wohlig seufzte und den Mund leicht öffnete, wagte er es, diesen zart zu küssen. Sie erwiderte den Kuss mit warmen, weichen Lippen und schaute ihn an, als erwache sie gerade aus einem tiefen Schlaf. Dann legte sie ihre Hand sanft in seinen Nacken, küsste ihn nochmals ganz vorsichtig. »Nicht hier, nicht jetzt, mon ami!« Er zögerte, schaute ihr fragend in die Augen und nickte dann. Er sollte ihr Zeit lassen und er sollte ihnen Zeit lassen. Er kannte sie viel zu wenig und sie ihn, als dass sie ihre wunden Stellen meiden konnten. »Du bist so schön und so begehrenswert, dass ich schreien könnte!«, flüsterte er. »Oh, bitte nicht vor dem Restaurant, dann kommt die Polizei!«, grinste sie, womit der sinnliche Augenblick vorbei war. Er lachte, doch es war kein ehrliches Lachen. Sie richteten sich beide wieder auf, schauten Schulter an Schulter aufs Meer, fühlten die vitale Wärme ihrer Berührung und waren beide in Gedanken so weit voneinander entfernt, dass es fast schmerzte. Schließlich seufzte sie, schaute auf ihre nackten Füße und wackelte mit den Zehen. »Wie komme ich jetzt wieder nach Hause, ohne Schuhe?« »Soll ich dich tragen?« »Oh, ja bitte!«, lachte sie.Er streichelte ihr über die Haare und revanchierte sich mit dem Satz: »Oh, du meine kleine Baby!« »No, sei ein Kavalier und hilf mir auf, Cheri!«, forderte sie, da er sich schon erhoben hatte. Willig ergriff er ihre Hand und zog sie vorsichtig auf die Füße. Nachdem er sein Jackett notdürftig vom Sand befreit hatte, bot er an: »Na, bis zum Weg trage ich dich!« »Okay!«, lächelte sie.Tatsächlich schaffte er es, sie durch den Sand zu tragen, während sie sich an seinem Hals angeklammert hielt. Auf dem Rückweg zum Dorf gingen sie Hand in Hand, während sie munterbegann, Anekdoten über ihre Tante zu erzählen. Diese musste eine sehr gestrenge Frau sein. Auch wenn die Männer traditionell außer Haus das Sagen hatten, kamen sie doch um die Anweisungen der Frau nicht drumherum.Ja, es war eigentlich so, dass die Frau die zentrale Rolle im Haus spielte, was sich allerdings auch darin niederschlug, dass sie die ganze häusliche Arbeit erledigte. Dennoch, im Grunde herrschte die Frau und insbesondere ihre Tante. Er stellte sich diese als wahren Hausdrachen vor. Suzannes Schilderung war auch nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Sogar ihr Onkel, der immerhin das Amt des Bürgermeisters in Corbara innehatte, ließ sich von ihr herumkommandieren. Unversehens standen sie so, lachend und fröhlich ins Gespräch vertieft, wieder vor dem merkwürdigen Haus mit der Nummer 11 und wiederum hätte er nicht sagen können, wie sie dorthin gelangt waren. Er beschloss, auf dem Rückweg genau Acht zu geben. Diesmal jedoch legte er Wert darauf, ihr seine Telefonnummer zu geben, damit sie sich für den nächsten Tag verabreden konnten. »Ich weiß noch nicht, wann ich kann!«, ließ sie eine konkrete Uhrzeit offen. »Ich ruf dich an!« »Ich freu mich drauf. Aber vergiss mich bitte nicht!«, ermahnte er sie.Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund, strich ihm mit einer zarten Geste ihrer Hand über die Wange und flüsterte. »Schlaf gut, und danke. Danke für alles!«Dann wandte sie sich schnell ab, eilte die Treppe nach oben und verschwand durch die Tür im ersten Stock, ohne sich noch einmal umzudrehen. Eine Weile blieb er noch unentschlossen vor dem Haus stehen. Er sah weder durch die Fensterläden, noch sonst irgendwo ein Licht aufleuchten. Sie musste ein Zimmer im hinteren Teil des Hauses bewohnen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab. Erst als er wieder auf der Hauptstraße war, wurde ihm bewusst, dass er wiederum vergessen hatte, sich den Rückweg einzuprägen.Er würde morgen versuchen, das Haus zu finden. Morgen.