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Prolog

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Jeder Mensch möchte manchmal allein sein. Das ist gut so und nachvollziehbar. Nach einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Abend zum Beispiel. Was gibt es Schöneres, als mit einer Fahne wie Boris Jelzin zu Glanzzeiten der Ostblock-Umstrukturierung ganz alleine, nur – und damit meine ich wirklich nur – mit Schuhen bekleidet, auf der Couch aufzuwachen? Nichts. Vorausgesetzt, es ist die eigene Couch im eigenen Wohnzimmer in der eigenen Wohnung. Auf einem Schlauchboot aufzuwachen hat dagegen schon wieder den Reiz des Unbekannten, ja den adrenalingetränkten Hauch von Abenteuer.

Das erste, was ich sehe, als ich meine vom Schlaf verkrusteten Augenlider auseinanderstemme, verstehe ich nicht. Benommen lese ich die weißen Buchstaben auf dem seltsam nach billigem Plastik aussehenden, babyblauen Untergrund:

Cuidado! Este articulo no es salvavidas, a utilizar en aguas donde el niño haga pie y bajo la vigilancia de un adulto. Apto para niños mayores de 3 años no sobrehichar, no hinchar con un compresor. Conserve las instrucciones. Composicion: PVC 6 no ftalatos.

Da mir die spanische Sprache zwar nicht völlig fremd ist, ich aber beschließe, so kurz nach dem Aufstehen mein Gehirn nicht zu überfordern, schließe ich die Augen wieder. Ich drehe mich auf den Rücken. Seltsam schwankt es in meinem Bett. Muss ein grandioser Abend gewesen sein. Meine Erinnerung stelle ich auf „rewind“. Zum einen, weil es unfassbar lustig ist, Menschen zu beobachten, die sich ausschließlich rückwärts bewegen. Zum anderen, weil ich mehr über die offensichtlich sehr gelungene Party gestern Abend wissen will.

Drei Sekunden später sitze ich kerzengerade in meinem Bett. Die Augen weit aufgerissen verrenke ich meinen Hals nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten: Wasser. Nichts als Wasser. Ich lege meinen Kopf in den Nacken: Ein Zucken im Schädel. Aua. Und Sterne. Dann strahlend blauer Himmel und gleißende Sonne.

Mein Bett ist kein Bett, stelle ernüchtert aber keineswegs nüchtern fest. Mein Bett ist ein Boot. Genauer gesagt ein Schlauchboot. Ein Kinderplastikschiff aus degenerierenden Weichmachern in Babyblau. Auf die Seite hat der Hersteller einen kleinen, hellgrünen Drachen gedruckt mit einem feuerroten Kamm auf dem Rücken. Der Lindwurm grinst mich frech an, als wolle er sagen: „Hey, Trottel! Ich bin längst ausgestorben, aber so blöd wie du, in einem Schlauchboot zu pennen, war ich zu Lebzeiten nie.“

Um mich der kuriosen Situation nicht sofort stellen zu müssen, lege ich mich wieder auf den Rücken. Die Arme presse ich dabei an meinen Körper. Er ist unbekleidet, wie ich mit einem Blick nach unten feststellen muss. Gänzlich unbekleidet. Das einzige, was sich neben meinem von der ibizenkischen Sonne gebräunten Körper – Ausnahme der weiße Streifen zwischen Hüfte und Oberschenkel – in dem Drachen-Schlauchboot befindet, sind ein blaues Feuerzeug und eine Schachtel Lucky Strike. Ich schließe die Augen und versuche, das Schwanken des Bootes den Nachwirkungen des vorabendlichen Alkohols zuzuschreiben. Das klappt solange, bis ein Plätschern an mein Ohr dringt. Plitschplatsch, plitschplatsch, plitschplatsch. Seufzend richte ich mich wieder auf.

An den Luftkammern meines Schlafgemachs lecken kleine, hellblaue Wellen. Immer, wenn sie an der dünnen Gummihaut brechen, bilden sich ganz kurz kleine weiße Schaumkronen, die in Zusammenarbeit mit der Sonne nach wenigen Sekunden dafür sorgen, dass ich das dringende Bedürfnis habe, meine Augen hinter der dicksten Rayban, die die Welt je gesehen hat, zu verstecken. Weil sich ein solcher Gebrauchsgegenstand nicht in Reichweite befindet, lege ich meine rechte Hand über die Stirn und tauche mein Gesicht in wohltuenden Schatten. Ich drehe den Kopf noch einmal nach links und rechts, dann habe ich endgültig oder vielmehr leider Gewissheit. Ich sitze fernab der Küste in einem babyblauen Schlauchboot, bin nackt und mein Proviant besteht aus einem Feuerzeug und einer halbvollen Packung Zigaretten. Da mir vor Durst die Kehle wehtut, verzichte ich auf eine Kippe, so dass mein Frühstück folgendes beinhaltet: Nichts.

Zehn Minuten lang starre ich entgeistert den Horizont an und suche verzweifelt nach den Umrissen eines Schiffs, einer Hafenmole oder zumindest einer Palme. Den Gefallen, etwas zu entdecken, tut mir das Schicksal nicht. Die Wellen, die ununterbrochen gegen das Plastik klatschen, rufen mir den Trockenheitszustand meiner Kehle wieder in den Sinn. Durst! Das blaue Salzwasser wirkt verlockend. Kann man bestimmt machen.

Kann man nicht, muss ich nach einem beherzten Griff ins Meer feststellen. Angewidert verziehe ich das Gesicht. Ein unterarmlanger Fisch sieht mir verwirrt dabei zu. Seine trüben Augen glotzen mich an, die graue Schwanzspitze wedelt. „Arschloch!“, beschimpfe ich meinen Beobachter und hebe drohend die Faust. Grußlos verabschiedet sich das Tier in Richtung Meeresgrund.

Meine Knie ziehe ich an meinen Körper und massiere stöhnend meine mittlerweile pochenden Schläfen. Es reicht nicht, dass ich einen monströsen Kater habe. Es reicht auch nicht, dass ich meinen Brand nicht mit Wasser, Saftschorle oder einem Konterbier bekämpfen kann. Nein, ich muss ja den Vogel abschießen und nackt in einem Schlauchboot irgendwo im Mittelmeer aufwachen. „Verflucht“, murmele ich und schließe die Augen.

Krustenbraten-Casanova

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