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Sechs Wochen zuvor: Von Kellerasseln und Dosenfischen

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Der Öffner der billigen Haustüre mit den beiden Milchglasscheiben im feinsten 70er-Jahre-Schick summte. Ich drückte mich gegen die Tür und betrat das Treppenhaus des dreistöckigen Gebäudes, in dem Pascals Großeltern leben und in dessen Keller er wohnt. Oder vielmehr haust.

Nachdem seine Eltern des Berufs wegen nach Brasilien ausgewandert waren und seinen jüngeren Bruder wegen der bei ihm noch bestehenden Schulpflicht mitgenommen hatten, war Pascal in Pettstadt geblieben, einem kleinen Dorf südlich von Bamberg. Er steckte mitten in seiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem hiesigen Möbelhaus. Eine nachvollziehbare Entscheidung, Krustenbraten und Bier, denn dafür ist Bamberg mehr als bekannt, nicht gegen Copa Cabana und Caipirinha einzutauschen.

Also nistete sich mein bester Freund im Keller seiner Großeltern ein. Ein großes Zimmer nutzte er als Schlaf- und Wohnraum, eine kleine Nasszelle am anderen Ende des kahlen, nicht tapezierten Ganges, den ich gerade durchschritt, als Bad. Wir gaben Pascal den liebevollen Spitznamen „Kellerassel“ wegen seiner bescheidenen Behausung, wohl wissend, dass er sich darüber furchtbar ärgerte.

„Kellerassel“, rief ich mit rauer Stimme der verschlossenen Tür entgegen, unter der Licht schimmerte.

Eine weitere Begebenheit seiner wahnwitzigen Wohnsituation ist, dass diverse Einrichtungsgegenstände eher den Status eines Provisoriums haben, da Pascal seine Freunde überredet hatte, ihm beim Umzug in seine Bleibe und der Ausstattung Selbiger behilflich zu sein. Die vom Sperrmüll geklaute Türe war folglich zwei Zentimeter zu kurz, dem gläsernen Couchtisch fehlte einem Geplänkel beim Verladen wegen eine Ecke und der Deckel des Schranks ist längst Feuerholz – die Zimmerdecke war einfach zu niedrig.

Den Gipfel der Umzugsunbeholfenheit erklomm jedoch unser gemeinsamer Freund Bert, ein gelernter Maler und Verputzer. „Ich mach dir a Wischdechnigg o die Wänd, des schaud geil aus“, hatte er in dem für ihn typischen Dorf-Oberfränkisch getönt.

Die Wischtechnik sah tatsächlich großartig aus. Auf Terrakotta tupfte und wischte Bert mit Weiß und Orange, was das Zeug hielt. Dummerweise hatte er in seinem Elan vergessen, die Tapete zuvor für diese Spezialtechnik passend zu grundieren. Deshalb sollte es bis heute jeder Besucher von Pascals Zimmer meiden, sich gegen die Wand zu lehnen. Die Farbe ist nie getrocknet und laut Bert würde sie es auch nie.

„Selbst, wennst drei Dooch mitm Fön die Wänd beärberst“, hatte er konsterniert festgestellt.

Pascal saß auf seiner Couch, gebeugt über einen Fetzen Papier. Sein schwarzes Haar, das er üblicherweise mit viel Gel zu einem topfförmigen Helm formte, stand büschelweise ab. Es sah aus, als würde er ein Vogelnest tragen, das ein panischer Tintenfisch dunkel eingefärbt hatte. Grinsend erblickte er mich, während ich versuchte, unfallfrei über einen Berg Klamotten zu steigen. Pascals Mund nimmt, wenn er sich so amüsiert, die Form einer Sichel an. Die Mundwinkel reichen fast von Ohr zu Ohr. Der Joker!

„Fit?“, fragte er.

Das Dröhnen seiner Stimme in meinem Kopf machte mir bewusst, dass seiner Frage nur ein Nein folgen konnte. Es war früher Sonntagabend und ich litt an heftigen Nachwehen.

„Nein“, lautete meine knappe Antwort.

„Kannst du dich detailliert an die Ereignisse der gestrigen Nacht erinnern, Toni?“, setzte Pascal seine allsonntägliche Inquisition fort.

Ich schüttelte vehement den Kopf, während ich mich zu ihm auf das blaue Sofa fallen ließ. Die Quittung für derlei heftige Bewegung erhielt ich sofort in Form von erneut dumpf pochendem Schmerz zwischen meinen Ohren.

„Ich weiß nur noch, dass wir von Anjas Party aus ins Vamos gefahren sind“, erklärte ich.

„So so, ins Vamos“, jokerte Pascal grinsend. Er hatte das Interesse an seinem Gekritzel auf dem Zettel verloren, schob das Papier von sich und stand auf. „Stimmt, Vamos.“ Er schlurfte langsam zum Minikühlschrank in der Ecke und holte zwei große Flaschen Wasser. Dankend nahm ich eine entgegen, während er sich wieder setzte.

Das Vamos ist eine grenzwertige Großraumdisco in einem Gewerbegebiet in der Nähe von Bamberg. Grenzwertig deshalb, weil sich die Gästeliste größtenteils aus Möchtegern-Gangstern aus den umliegenden Dörfern mit viel zu großen Hosen und noch größeren sprachlichen Defiziten und deren weiblicher Anhängsel zusammensetzt. Was – aus der Sicht des betrunkenen Besuchers, der sich auf die Beobachtung dort vorherrschender Riten verlegt – durchaus amüsant sein kann:

„Boah, die miese Schlampe, haste gesehen. Die hat disch voll angetanzt!“

„Ey, Babe. Du bis' die Einzige für misch, Ischschwör.“

Als stünde der Autor einer RTL II-Dokusoap an einem Schaltpult und würde mittels Knopfdruck den Gästen seine sinnfreien Dialoge ins unterentwickelte Gehirn katapultieren.

Da aber zwischen Anjas Party und dem Tanzschuppen gute 40 Kilometer liegen, mussten wir ein Taxi genommen haben, woran ich mich dunkel erinnern konnte.

„Lukas war doch dabei“, fiel mir ein.

„Lass uns den mal anrufen“, schlug Pascal vor, um unsere detektivische Abendrekonstruktion voranzutreiben.

Ich zückte mein Handy und wählte Lukas' Nummer. Es tutete.

„Rindvieh!“, bellte es mir entgegen. Ich lachte.

„Lukas, wir sind grade bei Pascal und wissen nichts mehr von gestern.“

„Das wundert mich nicht“, antwortete Lukas, den ich seit dem Kindergarten kenne und schätze. Ich stellte auf Lautsprecher.

„Servus, Lukas“, hüstelte Pascal, der sich an seinem Wasser verschluckt hatte.

„Dann will ich euch mal ein Update eurer Schandtaten liefern.“ Und Lukas erzählte.

Nachdem wir am Vamos angekommen waren, schafften wir es trotz unseres feuchtfröhlichen Zustandes, von den Türstehern unbehelligt in den Club zu gelangen. Zwei Bier später äfften wir auf der Tanzfläche schlechtgekleidete junge Damen nach, die sich ziemlich schlecht zu noch schlechterer Musik bewegten. Das war nämlich neben den Dialogen das Tolle an dieser Discothek. Selbst, wenn man aufgrund seines Zustandes keinesfalls noch etwas abzuschleppen im Stande war, konnte man immer noch die Mädchen ob ihrer burschikosen Art oder ihrer Kleiderwahl, die an eine Mischung aus russischem Untergrund-Stripclub und der örtlichen Pimkie-Filiale erinnerte, auf den Arm nehmen. Wir hatten dies am gestrigen Abend übertrieben, zumindest nach Lukas' Ausführungen. Denn eine junge Dame fühlte sich so provoziert, dass sie Pascal ihren halbvollen Wodka-Energy ins Gesicht kippte. Dies nahmen wir zum Anlass, in die Steh-Pizzeria vor dem Vamos zu gehen und dort bei einem Bier zu dinieren. Lukas zufolge soll sich dort folgendes Gespräch zwischen Pascal und mir ereignet haben.

Pascal: „Weißt du, was jetzt total überragend wär‘?“

Toni: „Schnaps!“

Pascal: „Ne, Nutten!“

Toni: „Nutten?“

Pascal: „Ja, Nutten!“

Toni: „Und Schnaps?“

Pascal: „Und Nutten!“

Toni: „Ja! Schnaps und Nutten!“

Pascal: „Weißt du, wo's Nutten gibt?“

Toni: „Hier nicht. Aber Schnaps!“

Pascal: „In Nürnberg!“

Toni: „Ja. Und Schnaps?“

Pascal: „Auch. Aber Nutten. Toni! Nutten!“

„Ich war so frei, diese Konversation NICHT für die Nachwelt aufzunehmen.“ Lukas' Stimme, die belustigt aus meinem Handy bellte, riss mich aus meinem tranceartigen Zustand.

„Lukas“, fragte ich vorsichtig. „Waren wir in Nürnberg?“

„Jap.“

Pascal knuffte mir jokernd in die Seite: „To-o-o-o-oni. To-o-o-o-oni“, wieherte er. Ich konnte es nicht glauben. Schnaps. Und Nutten.

„Wir sind mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren, dort hat euch der Fahrer rausgeschmissen. Und ich bin nach Hause gefahren“, ergänze Lukas.

Fieberhaft durchwühlte ich meine Hosentaschen. Noch immer trug ich dasselbe Beinkleid wie gestern Abend. Zum Vorschein kamen mehrere blaue Pfandmarken, eine seltsam verbeulte Packung Kaugummis und – ein Bayernticket der Deutschen Bahn. Gelöst um 5:32 Uhr heute Morgen. Am Hauptbahnhof Bamberg. Ich hielt es Pascal vor die Augen, was ihn zu einem weiteren Knuffer veranlasste.

„Seid ihr noch da?“, quäkte Lukas.

„Ja, Lukas, ja“, sagte ich geistesabwesend. „Und ähm.“

„Ja?“, fragte Lukas.

„Du weißt nicht zufällig, wann wir wieder nach Hause gefahren sind?“

„Oh doch, sehr gut sogar.“ Lukas ließ sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Die Spannung in Pascals Feuchtzelle stieg. „Ich hab‘ euch abgeholt.“

„In Nürnberg?“

„In Zapfendorf!“

Meine Gesichtszüge entgleisten und auch Pascals dämliches Jokergrinsen verwandelte sich in eine Fratze, die der eines grippekranken Orang-Utan mit Verdauungsproblemen ziemlich nahekam.

Zapfendorf – für den geneigten Leser, der nicht aus der oberfränkischen Provinz stammt – liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich von Bamberg, also etwa 90 Kilometer von Nürnberg entfernt.

„Vor dem Gasthaus Jüngling!“

„Jüngling?“

„Ja, Jüngling!“ Lukas klang ziemlich sauer. „Dort habt ihr euch, eurem Gelalle zufolge, zum Frühschoppen niedergelassen. Und zwar, nachdem ihr im Zug von Nürnberg nach Bamberg eingepennt, am Bahnhof Zapfendorf aufgewacht seid und mich mehrfach angerufen habt.“

Dunkel erinnerte ich mich an eine Begebenheit in einem gutbürgerlichen fränkischen Gasthaus, die ich nun leider nicht mehr ins Reich der Suffträume abschieben konnte. Langsam dämmerte es mir. Pascal und ich waren, ziemlich betrunken, an einem Tisch mit einer vierköpfigen Familie, die sich ihren Sonntagsausflug zum Mittagessen sicher anders vorgestellt hatte. Es mag Schöneres geben, als sich mit seinem 15-jährigen Sohn und seiner 18-jährigen Tochter einen Tisch mit zwei Zechern zu teilen, die, während der Kellner das Essen serviert, sich lauthals über die Vorzüge von apfelförmigen Hintern unterhalten.

„Wie auch immer“, sagte ich mehr zu mir, als zu Pascal und Lukas.

„Wie auch immer?“ bellte Lukas. „Wie auch immer habe ich euch abgeholt, nachdem ihr mich verdammt nochmal Dauerfeuer angerufen habt.“

„Und das war auch wunderbar nett von dir“, bedankte sich Pascal. Offenbar hatte auch er sein Erinnerungsvermögen reanimiert, denn der Joker in ihm kam wieder mit breitem Grinsen zum Vorschein. „Kommst du vorbei?“, fragte er.

„Ne, lass mal. Muss morgen früh raus.“

„Alles klar. Dann danke nochmal fürs Abholen und mach's gut, Lukas“, verabschiedete ich mich.

„Jaja“, grummelte Lukas, „ciao!“ Klack! Weg war Inspektor Columbo am anderen Ende der Leitung.

Kurz stand ich auf, um mich direkt wieder fallen zu lassen. Eine Weile starrte ich schweigend die Wasserflasche auf dem Tisch an. Dann verlor ich an dem Etikett, das mir verriet, dass das Wasser einer Quelle in Bad Brambach entsprungen war, das Interesse. Meine Augen wanderten zu Pascals Zettel, über dem er vorhin so eifrig gekauert war.

Während Pascal die Playstation hochfuhr und fluchend die beiden hellgrauen Controller aus dem Kabelsalat auf dem Tisch befreite, las ich: „Februar 2004: Nadine. Melli. März 2004: Dana. Mai 2004: Linda. Gabi. Juni 2004: Sina. Äh Pascal, was ist das?“ Ich glaubte, zu wissen, um was es sich bei dieser Liste handelte, wollte aber doch auf Nummer sicher gehen.

„Das ist eine Liste.“

„Das sehe ich.“

„Lass mich ausreden. Eine Liste aller Frauen, die ...“

Pascal musste nicht ausreden. Ich verfiel in schallendes Gelächter. „Warum?“ wollte ich glucksend wissen.

„Na eben darum!“

Kichernd las ich weiter, diesmal laut: „Juli 2004: Die Fette vom Burgebracher Parkplatz? Eine Adelige?“

„Hä, warum?“ Wie so oft bemerkte Pascal den versteckten, grottenschlechten Witz nicht. Allein schon für diesen Scherz hatte ich es verdient, sechs Wochen später nackt in einem Schlauchboot irgendwo vor der Küste Ibizas zu treiben.

„Na wegen dem von. Freifrau von. Du verstehst?“ Offenbar nicht.

„Naja, die war halt fett und ich hab sie auf dem Parkplatz genagelt. Weißt schon, beim Sommerfest.“

„Jaja.“ Ich verdrehte die Augen. Wie konnte man nur so eine lange Leitung und trotzdem so einen Erfolg bei Frauen haben? Ich las weiter. Im September 2004 begann ich zu stocken. Tanja, Sofie, Paula, Alina, Steffi. Ich deutete auf den Monat September. „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen, Angeklagter?“ fragte ich gestellt schwülstig.

„Hehe. Das“, griente Pascal. „Das war einzig und allein das Werk des Club Punta Arabi auf Ibiza.“

„Wie, das Werk des Club Punta Arabi?“, hakte ich nach.

„Na du weißt doch. Da, wo ich mit meinen Arbeitskollegen Urlaub gemacht habe. Seitdem hab ich das mit den Frauen so richtig raus“, nickte er selbstzufrieden.

Pascals Liste der horizontalen Freuden rief mir schmerzlich mein eigenes Sex-Leben in Erinnerung. Das entsprach der Kategorie Dosenfisch. Zu wenig zum Sterben. Zu unschmackhaft zum Genießen. Und in seiner Gesamtheit schwer verdaulich, da ich mich zumeist mit dem Mit-Nach-Hause-Nehmen von Gräten begnügte. Für alle, die es nicht verstanden haben: Gräte ist eine Bezeichnung für eine optisch mäßig talentierte Frau. Man könnte auch Besen, Eule oder Kackbratze sagen, aber der Begriff Gräte passt besser zum Bild des Dosenfisches.

Obwohl ich mich als überdurchschnittlich attraktiv und wortgewandt beschreiben würde, bekam ich nur selten Eine ins Bett, die eben nicht jenes Prädikat „Gräte“ auf ihrer Dating-Visitenkarte führte. Ich führe diese Begebenheit auf zwei Gründe zurück: Großer und Durst. Denn in der Regel prägt ein Wort meine Wochenenden: Vollgas!

Und so liefen die meisten Samstagabende ähnlich ab, wie jener, der an einem Sonntagmittag in einem gutbürgerlichen Landgasthof namens „Jüngling“ geendet war. Oft war ich schlicht und ergreifend zu betrunken, um noch in irgendeiner Form mit dem weiblichen Geschlecht die von der Gesellschaft vor dem Beischlaf erwarteten Formalia und Nettigkeiten auszutauschen.

„Hallo, ich bin... Und wie heißt du? Du hast aber schöne Augen. Möchtest du etwas trinken? Wollen wir tanzen? Zu mir oder zu dir?“

Wer braucht sowas schon? Meine Konversation mit dem schönen oder in diesem Fall weniger schönen Geschlecht beschränkte sich ab dem Einbruch der Dunkelheit auf ein gelalltes „ficken, Fragezeichen?“ Wie das bei gutaussehenden Frauen ankommt muss ich nicht näher ausführen. Deshalb musste ich mich zu später Stunde auf eben jene Gräten konzentrieren. Pascal verhält sich übrigens deutlich charmanter, wenn er betrunken ist. Das erklärt die Länge seiner Liste.

Trotz meiner Unfähigkeit zum samstagabendlichen Disco-Flirt bin ich ein ganz umgänglicher Typ. Allerdings gibt es da ein zweites, großes Problem mit der Frauenwelt: Ich verliebe mich zu schnell. Der Höhepunkt überstürzter amouröser Hingabe meinerseits ereignete sich etwa einen Monat vor jenem denkwürdigen Abend im Loch der Kellerassel.

Um mein Studium zu finanzieren, arbeitete ich als Barmann in einer bodenlos schlechten Sportsbar namens „Shooters“. Eines Tages trat sie ein und fragte nach einem Nebenjob: Anasthasia. „Fürs Studium“, hauchte ein unfassbar wohlgeformtes Geschöpf mit schulterlangen, dunkelbraunen Locken, dunklem Teint und den strahlend grünsten Augen, die ich bis heute gesehen habe. Diese Kombination würde sie wahrscheinlich sogar aus einem bis zum Bersten gefüllten Stehblock im Fußball-Stadion hervorstechen lassen. An diesem Tag trug sie schwarze Stiefel, die ihr bis knapp unters Knie gingen. Die enge, dunkelblaue Jeans, die ihre zierlichen Beine umgab, hatte sie hineingesteckt. Das türkisfarbene Top, das sie unter ihrer halbgeöffneten, schwarzen Lederjacke trug, betonte die Schönheit ihrer Augen und das mediterrane Braun ihres Teints nur noch mehr.

„Hast du denn schon mal bedient?“, hatte ich gefragt. Schüchtern hatte sie den Kopf geschüttelt. In dem Moment war ich mir sicher: Diese Frau muss, nein, werde ich eines Tages heiraten. Doch es kam ganz anders. Anasthasia, deren Eltern Kreter sind, fing schließlich nach einer Probeschicht im „Shooters“ an und unterstützte fortan unser Team an den Champions-League-Abenden, also dienstags und mittwochs. Dass unser Chef ihr die gleichen Schichten wie mir gegeben hatte, empfand ich als Wink des Schicksals.

Schon am ersten, gemeinsamen Arbeitsabend fühlte ich mich, als sei ich eine Pistazie, die an Anasthasia klebte, wie an einem fleischgewordenen Baklava. Jede ihrer Pausen nutzte ich, um ebenso Pause zu machen. Ich holte uns etwas zu trinken, ich scherzte, war charmant, witzig – und Anasthasia fand mich gut. Ziemlich gut, wie ich am selben Abend feststellte. Ich brachte sie, ganz Gentleman, nach der Schicht zu ihrem kleinen, süßen, roten Opel Corsa. Ich wollte ihr nur einen Kuss auf die Wange geben. Doch das ließ Anasthasia nicht zu: Mit ihren grünen Augen sah sie mich ganz ruhig an.

Die Zeit steht manchmal.

Das war so ein Moment. Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie zärtlich. Als sie meinen Kuss erwiderte, schmiedete ich in Gedanken Hochzeitspläne.

In der Woche nach diesem Kuss sahen wir uns dreimal. Zweimal beim Arbeiten, einmal privat. In dieser Woche telefonierten wir auch fünfmal. Stundenlang. Viermal ging das gut. Einmal nicht.

Denn ich sagte einen verhängnisvollen Satz.

Nein, ich sagte nicht: „Ich stehe total auf Schamhaare und habe mich noch nie im Intimbereich rasiert und wenn ich mich doch mal rasieren sollte, möchte ich aus den Haaren ein großes Knäuel machen, sie in einen Kissenbezug stecken und jede Nacht selig darauf schlafen.“

Ich sagte auch nicht: „Meine Lieblingsspeise sind Babykätzchen. Und sie schmecken besonders gut, wenn man sie bei lebendigem Leib häutet, sie in feurigem Chili-Öl einlegt und dann scharf in der Pfanne anbrät.“

Derlei Äußerungen hätten ihre Reaktion erklärt.

Ich sagte: „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt!“ Verliebt? Verliebt! Da ist doch nichts dabei. Offenbar doch. Denn ihre Reaktion war alles andere als zufriedenstellend.

Und so sah sie aus: Schweigen. Und damit meine ich nicht dieses peinliche Schweigen wie bei einer Hochzeit, wenn plötzlich die Kirchentür aufgeht und eine fette, tätowierte Engländerin mit rotem Gesicht dasteht und sagt: „I fucked the bride! With my hole arm! And I want to be with her for the rest of my life!“

Ich meine damit dieses peinliche Schweigen, das entsteht, wenn ein Mann einer Frau seine Liebe erklärt und sie völlig sprachlos ist – weil sie nicht so empfindet.

Zunächst. Dann Gekichere. Dann, als Anasthasia realisierte, dass ich diese Äußerung ernst gemeint hatte, ging es los. Anasthasia, die Frau, mit den wundervollen grünen Augen, den wippenden Locken, dem schönsten Gang der Welt und einer Stimme, die wie ein sanfter Flügelschlag an mein Ohr drang, sagte: „Wie kannst du so etwas fühlen?“

Das war die Gelegenheit, bei der sie mit ihren eleganten Fingern mein Brustbein durchstieß und ihre Hand um meine Hauptschlagader schloss. „Ich meine, wir kennen uns doch gar nicht.“ Das war der Moment, in dem sie fester zudrückte.

„Wir hatten noch nicht mal Sex!“ Das war der Moment, in dem sie ihre zweite Hand gemächlich in meinen Brustkorb schob und nach meinem Herz griff.

„Vielleicht wäre es besser, wenn du erstmal erwachsen wirst und dich richtig ausvögelst, bevor du was von Verliebt-Sein faselst.“ Das war der Moment, in dem sie mein Herz aus der Verankerung riss und es laut lachend in hohem Bogen in die Erdumlaufbahn schleuderte.

„Klick!“ Aufgelegt. Das war der Moment, in dem ich mich fühlte, als hätte ein zwei Meter großer, einäugiger Totengräber mich mit einem Schaufelschlag niedergestreckt.

Die folgenden drei Wochen sind schnell erzählt: Ich versuchte, per SMS Kontakt mit Anasthasia zu halten, was sie mit dem Tausch ihrer Schichten quittierte, sodass wir uns im „Shooters“ nicht über den Weg laufen konnten. Von unbeantworteter SMS zu unbeantworteter SMS schlich ich missmutiger umher. Ich bin mir sicher, dass ich von Tag zu Tag immer mehr einem Dackel ähnelte. Mit traurigen Augen und hängenden Schlappohren.

Während meiner letzten Juli-Schicht eröffnete mir mein Chef, dass Anasthasia vorerst nicht mehr im „Shooters“ bedienen würde. „Die Grederin“, rotzte er mir fränkelnd auf meine Frage entgegen, „studiert für a Silvesder in Wiesbodn. Noja, im Schbädsommer kummd sie widder, hod sie gsochd.“

Sie ist weg. Aber sie kommt wieder!

Das war meine Chance. Anasthasia war aus meinem Leben. Für bestimmte Zeit. Und in dieser Zeit musste ich erwachsen werden. Musste ich mich ausvögeln. Musste ich mich vorbereiten für den „Härrbsd, wenn die Grederin widder kummd.“

„Punta Arabi!“, grunzte Pascal mit funkelnden Augen und riss mich aus meinem ganz privaten Seifenoper, die ich soeben in seinem Keller auf ein Neues durchlebt hatte.

Ich fasste einen Entschluss. Fast geistesabwesend murmelte ich: „Pascal, ich will in den Club Punta Arabi.“ Ein Joker saß mir gegenüber. Ein Joker, der grinste. Und nickte.

Krustenbraten-Casanova

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