Читать книгу Falling Skye (Bd. 1) - Lina Frisch - Страница 11

Оглавление

Skye!«

Elias tritt aus dem Schatten der Bäume und ich laufe ihm entgegen. Er nimmt mich wortlos in den Arm, und für eine Sekunde durchströmen mich Elias’ Wärme und ein Gefühl von Sicherheit, bevor er den Reißverschluss seiner Jacke aufzieht und sie mir um die Schultern legt.

»Warum hast du nicht am Baumstamm gewartet?« Seine Stimme überschlägt sich nicht mehr, seit er sieht, dass es mir gut geht.

»Ich habe ein Geräusch gehört«, sage ich zögernd. Niemand darf erfahren, was wir getan haben. Nicht einmal Elias. »Dem bin ich gefolgt.«

»Jemand anders war hier?«, fragt Elias alarmiert und schiebt mich ein wenig von sich, um mir in die Augen sehen zu können.

»Nein. Es muss ein Tier gewesen sein. Und dann bin ich ausgerutscht.« Ich vertreibe das Bild von Colins totenblassem Gesicht gewaltsam aus meinem Kopf.

»Ein Glück, dass du nicht in die Strömung geraten bist. Da wärst du allein nie wieder rausgekommen.« Elias reibt mit beiden Händen über meine Arme. »Wird dir langsam wieder warm?«

Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wangen, um die Tränen zurückzuhalten, die in mir aufzusteigen drohen. Wenn das Konsilium von den Ereignissen dieser Nacht erfährt, könnte ich alles verlieren. Elias’ samtgraue Augen suchen meine, doch ich weiche seinem besorgten Blick aus. Ich könnte ihn verlieren.

»Willst du zurückgehen?« Ich schüttle den Kopf. Allein sein ist das Letzte, was ich jetzt will. Elias denkt einen Moment nach, dann greift er nach meiner Hand. »Komm. Ich kenne einen Ort, der dich den Schreck vergessen lässt.«

Ich folge ihm über Wege, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. In meinem Gedächtnis sind sie jedoch noch genauso tief eingegraben wie in seinem. Langsam lichten sich die Bäume um uns herum, und wir gelangen zu einer kleinen Bucht, die von Felsen gesäumt in den See mündet. Ich ziehe Elias’ Jacke enger um mich und fühle mich auf einmal wieder wie die Zwölfjährige, die diesen versteckten Strand zum ersten Mal sieht.

»Wir können hierbleiben. Sie werden uns nicht finden.«

»Meine Eltern machen sich bestimmt Sorgen. Und dein Dad wird ja schon wahnsinnig, wenn du zehn Minuten zu spät von der Schule nach Hause kommst.«

»Vielleicht hast du recht.«

In dem Sommer, als meine Mutter uns verließ, schien in meiner Erinnerung an jedem einzelnen Tag die Sonne. Es war das Jahr nach dem großen Skandal. Während Dad vor dem Fernseher im Wohnzimmer saß und mit starrem Blick die Wiederholung der Parade verfolgte, zog ich einen widerwilligen Elias hinter mir her durch die Lücke in der Hecke, entschlossen, meinem freudlosen Zuhause zumindest für ein paar Stunden zu entfliehen. Früher an diesem Tag hatte Dad den großen Kleiderschrank im Schlafzimmer ausgeräumt und Mums Bilder in die Mülltonne geworfen.

»Sie kommt nicht zurück. Nie wieder.« Es ist das einzige Gespräch, das wir jemals zu diesem Thema geführt haben.

Für einen Moment flackert mein Blick zu den beiden ineinander verkeilten Felsen am Rande der Bucht, die weit genug von der Wasserkante entfernt liegen, um vor den Wellen geschützt zu sein. Sicher in dem Felsspalt verborgen befindet sich eine Kiste, die ich damals ohne Elias’ Hilfe versteckt habe, denn ihr Inhalt war selbst für meinen besten Freund zu privat: meine einzigen Andenken an Mum, die ich vor Dads Wut retten konnte.

»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«

Ich löse meinen Blick von den Felsen. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Erinnerungen nachzuhängen.

»Ja«, erwidere ich. »Es war bloß der Schreck, wie du gesagt hast.«

Wir laufen eine Weile am Ufer des Sees entlang. Als wir das Ende des kleinen Strandes erreichen, klettert Elias als Erster auf die Klippe. Ich fahre mit den Fingern über den kühlen grauen Stein, dessen Plateau uns früher so hoch erschienen ist, bevor ich mich ebenfalls heraufziehe. Elias lässt seinen Blick über den See schweifen, in den sich das Licht des Vollmonds wie flüssiges Silber ergießt.

»Übermorgen ist verdammt bald«, sagt er in die Stille hinein.

Ich nicke und hoffe, dass er glaubt, der vorgezogene Testungsbescheid wäre alles, was mich so durcheinanderbringt.

»Ich wünschte nur, wir wüssten mehr darüber, als dass wir vier Wochen lang mit einer Gruppe von Psychologen im Athene-Zentrum eingesperrt werden, irgendwo im Nirgendwo«, sage ich.

Genau wie die Aufgaben selbst wird auch der Standort der Zentren geheim gehalten. Es gibt in jedem Bezirk eines und alles, was ich aus Cara herausquetschen konnte, ist, dass sich unseres ein wenig außerhalb von New York befindet, mit dem Zug kaum eine halbe Stunde von Manhattan entfernt.

»Wenigstens bleiben wir zusammen.« Ich betrachte Elias’ ruhigen Gesichtsausdruck und setze mich neben ihn auf die Felskante. »Die Testung macht dir keine Angst, oder?«

Elias schüttelt den Kopf. »Und sie würde dir auch keine Angst machen, wenn du bei den ganzen Horrorgeschichten weghören würdest«, fügt er lächelnd hinzu.

»Kelly hat sich ziemlich besorgt angehört, als sie von dem Geländemarsch erzählt hat.«

»Vielleicht stimmt das tatsächlich«, sagt Elias mit todernster Miene. »Ich schätze, die Testleiter setzen uns mitten in der Einöde aus, bis wir so einen Durst haben, dass wir in einer Fata Morgana unseren Trait erkennen.«

Ich boxe Elias gegen den Oberarm. »Ich meinte es ernst!«

Unser Gerangel hat einen Schwarm Vögel aufgeschreckt, der sich flügelschlagend in die Luft erhebt. Elias sieht mir fest in die Augen.

»Die wollen dir doch nur helfen zu verstehen, wer du bist! Das ist alles. Niemand wird uns irgendwo aussetzen, und ich bin mir sicher, dass ein Überlebenstraining im Großraum New York kläglich an den vier Supermärkten pro Straßenecke scheitern würde.«

Mühsam bringe ich ein Lächeln zustande. Wie gern würde ich Elias sagen, warum die Horrorgeschichten über das Zentrum nicht mehr das Einzige sind, was mich beunruhigt. Aber er würde nicht verstehen, warum ich es getan habe. Er, der immer einen kühlen Kopf bewahrt, hätte niemals bei einer gedankenlosen Rettungsaktion sein Leben riskiert.

Schweren Herzens gestehe ich mir ein, dass ich Elias seit heute Nacht nicht mehr alles anvertrauen kann.

»Selbst wenn es furchtbar wird und wir nur Schullandheimessen bekommen oder schreckliche Zimmernachbarn haben«, sagt Elias, »es sind nur vier Wochen, okay? Und danach fängt unser Leben erst richtig an.«

Ich erlaube mir, für einen Moment zu glauben, dass er sich das Gleiche vorstellt wie ich: dass er davon träumt, neben mir durch die Gänge der Cremonte-Universität zu schlendern. Dass er in mir mehr als nur eine Freundin sieht. Dann dürfte es auch endlich offiziell sein, schließlich haben wir ja bei der Testung bewiesen, dass wir unsere Gefühle zurückstellen können. Später werden wir uns erst Ringe und dann Häuser ansehen. Wer weiß, vielleicht verreisen wir zur Feier unserer Verlobung, obwohl Elias zu diesem Zeitpunkt bestimmt schon furchtbar mit seinem Parlamentarieramt beschäftigt ist und ich als Volontärin bei CrystalClear News alle Hände voll zu tun habe …

Eine Welle berührt meinen herabbaumelnden Fuß, und ich schnappe nach Luft, als die Erinnerung an Colins schlaffen Körper mich erneut unter Wasser zu ziehen droht. Die Bilder meines Kampfes mit der Strömung prasseln auf mich ein. Gefangen im Sog, höre ich Elias nach mir rufen, dann hallt Coach Verses Stimme durch meinen Kopf. »Pass auf dich auf.«

Ich versuche, mich an die Oberfläche zu kämpfen, um den Coach zu fragen, wovor ich mich in Acht nehmen muss. Die Welt vor meinen Augen dreht sich, doch ich schwimme und schwimme. Und dann sinke ich.

»Skye?« Elias’ besorgtes Gesicht beugt sich über mich und ich spüre den Felsen unter meinem Rücken. »Was ist denn los?«

»Es ist nichts«, lüge ich ein zweites Mal an diesem Abend und atme tief durch. Ich habe einem Ertrinkenden das Leben gerettet. Das ist nicht emotional, das ist menschlich! »Ich habe mich nur gefragt, wann wir das nächste Mal die Chance haben werden hierherzukommen.«

Das ist immerhin die Wahrheit.

Ich spüre Elias’ Blick auf mir ruhen. »Ich kann mich noch an das letzte Mal erinnern, als wäre es gestern gewesen.« Ein Lächeln liegt in seiner Stimme, und ich stütze mich auf meinen Ellbogen, um ihm in die Augen zu sehen. »Du hattest schreckliche Angst vor dem ersten Tag an der Serenity.«

»Angst ist übertrieben«, korrigiere ich ihn. »Aber ich war trotzdem froh, dass du da warst.«

»Ich werde immer da sein, falls du das noch nicht gemerkt hast.« Elias rückt ein wenig näher an mich heran. »Was würdest du auch ohne mich machen?«, flüstert er in mein Ohr.

Ich öffne den Mund.

»Du musst jetzt nichts sagen.« Elias nimmt meine Hand, doch auf einmal wird mir seine Nähe zu viel.

Ich greife an ihm vorbei und ziehe ein altes Tau heran, das neben uns von einem dicken Ast herunterbaumelt. »Sieh mal«, lenke ich ab. »Glaubst du, das ist unseres?«

Ich atme auf, als Elias aufsteht und mir das Tau aus der Hand nimmt. Was ist nur los mit mir? Es muss an Colins Unfall liegen und allem, was zuvor geschehen ist.

»Ich wüsste nicht, wer außer dir sonst auf die Idee gekommen wäre, hier Tarzan zu spielen«, lächelt er.

Ich entspanne mich, als ich daran denke, wie wir das Seil an einem Julimorgen vor vier Jahren an den Baum geknotet haben. In diesem Sommer haben wir nichts anderes gemacht, als vom Felsen um die Wette in den See zu springen, um uns nachher von der Sonne trocknen zu lassen.

Elias zieht prüfend an dem altersschwachen Tau.

»Du willst doch nicht etwa –« Ich versuche ein Lachen, doch der Gedanke, zurück ins dunkle Wasser des Sees zu springen, schnürt mir die Kehle zu.

Elias bemerkt nichts davon. Er zieht mich auf die Beine und legt seinen Arm um meine Taille. Funken strömen durch meinen Körper, die für einen Moment jeden Zweifel in mir auslöschen. Elias ist meine Zukunft. Elias und das R, das uns beide verbinden wird. So habe ich es mir immer vorgestellt und so wird es passieren. Mit seiner freien Hand greift er nach dem Tau.

»Elias –«, beginne ich panisch, doch da rennt er schon los und zieht mich mit sich über die Kante des Felsens. Das Seil reißt mit einem hässlichen Geräusch und ich tauche zum zweiten Mal an diesem Abend in den kühlen See. Wild schlage ich um mich. Ich muss hier raus! Eine Hand zieht mich nach oben und ich spüre steinigen Boden unter meinen Füßen.

»Wie früher, oder nicht?« Elias lächelt mich an, während ich huste.

»Und wie früher mag ich keine Überraschungen!«, werfe ich ihm wütend entgegen, als ich wieder atmen kann.

»Mit irgendetwas musste ich dich doch von der Testung ablenken.« Elias greift nach meiner Hand, die im nassen Ärmel seiner Jacke beinahe verschwindet. »Weißt du noch, wie du dachtest, der Karpfen an deinem Bein sei ein Hai?«, fragt er.

»Stell dir vor, ich weiß auch noch, wie du so getan hast, als wärst du untergegangen, und das, obwohl ich unter Wasser meine Augen nicht aufmachen kann!« Ich schaue ihn böse an, doch er bemerkt meine Wut nicht.

»Du hast dich blind durch den See getastet. An einer mindestens fünf Meter tiefen Stelle.« Er grinst und streicht mir die Strähne aus dem Gesicht, die nass an meiner Wange klebt.

Ein Zittern fährt durch meinen Körper, obwohl mir nicht mehr kalt ist. Ich hebe den Blick und schaue ihm in die Augen, deren Farbe im Mondschein einem Gewittertag ähnelt. So wie jetzt hat er mich noch nie angesehen. Bewundernd, als wäre ich ein seltenes Wesen, das ihm noch nie zuvor begegnet ist.

»Die anderen halten dich vielleicht für unnahbar, aber ich wünschte, sie könnten dich so sehen, wie ich es tue«, murmelt Elias. Er hat seine Hand nicht von meiner Wange genommen und lässt sie nun langsam hinunter zu meinem Hals wandern. Ich spüre meinen Herzschlag unter seinen Fingern pulsieren.

»Ich kann mir nicht vorstellen, jemals ohne dich zu sein«, flüstert er.

Sind es nicht diese Worte, die ich mir so oft aus seinem Mund vorgestellt habe? Unter Wasser verschränken sich unsere Finger ineinander und ich spüre Elias’ Daumen über mein Handgelenk streichen. Dasselbe Handgelenk, auf dem bald zu sehen sein wird, was für ein Mensch ich bin. Rational. Emotional. Ich schließe die Augen. Und dann sehe ich mich, wie ich in den See springe, ohne auch nur eine Sekunde lang nachzudenken. Mich, die ich mitten in der Nacht in eine gesperrte Zone schleiche, weil meine Nerven mit mir durchgehen.

Wie weit kann ich gehen, bis das Konsilium mir die Kontrolle über meine Gefühle abspricht?

Elias zieht mich enger an sich heran, doch meine Beine stolpern instinktiv zurück.

»Alles in Ordnung?«

Weg. Ich muss weg.

Der verwirrte Ausdruck seiner grauen Augen ist das Letzte, was ich sehe, bevor ich mich mit hastigen Bewegungen ans Ufer kämpfe. Nichts ist in Ordnung.

»Skye!«

Am Strand angekommen, ziehe ich seine Jacke aus und werfe einen Blick zurück. Elias steht bis zur Hüfte im Wasser, unschlüssig, ob er mir folgen soll oder nicht. Im Mondlicht erkenne ich den verletzten Ausdruck seiner Augen.

»Ich muss nach Hause«, bringe ich heraus und wende mich zum Gehen, bevor meine Stimme endgültig versagt.

Falling Skye (Bd. 1)

Подняться наверх