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1.3 Kapitelübersicht

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Über die Sichtung ausgewählter Pionier*innen einer nicht klinisch ausgerichteten Kunsttherapeutik bietet die Publikation in Kapitel 2 ( Kap. 2) einen Einstieg in die Thematik. Der Ansatz der pädagogischen Kunsttherapie sowie neuere Rezeptionen zum Kunstverständnis Joseph Beuys’ konturieren diese erste Annäherung. Überlegungen zu einem aktualisierten Kunstbegriff in seiner zunehmenden Nähe zum Alltag, in der neuen Sicht auf die Rolle des*der Betrachtenden als Teil des Kunstwerks und den Erweiterungen und Kombinationen künstlerischer Genres zeigen interessante Bezüge zu Kunst als demokratisierbare Form in Bildung und Teilhabe. Mit einem zentralen Werkbeispiel, dem »Lauf der Dinge« des Künstlerpaars Fischli und Weiss werden Prinzipien zeitgenössischer Kunst beispielhaft illustriert. Auf dieser Basis ist Kunst in psychosozialen und bildungsorientierten Kontexten umrissen. Der zweite Teil dieses Abschnitts behandelt zentrale theoretische Konzepte, wie sie für intersubjektive Arbeitsbeziehungen und -bündnisse im erzieherischen, bildungs- und bewältigungsorientierten therapeutischen Handeln gleichermaßen relevant sind. Dazu zählen das Lebensbewältigungskonzept als bedeutsame aktuelle Theorie aus der Sozialen Arbeit und die Mentalisierung als tiefenpsychologisches Modell der Affektregulierungen und Repräsentationsfähigkeit von Gefühlen bei sich und anderen, über welche sowohl die eigene psychische Gefasstheit sowie die Fähigkeit zu adäquater sozialer und kommunikativer Kompetenz ergründet und unterstützt werden können. Letzteres ist in Bildungskontexten ebenso relevant wie in psychosozialen Unterstützungsprozessen, vor allem für Adressat*innen mit biographisch bedingten emotionalen und sozialen Benachteiligungen bis hin zu Trauma-Hintergründen und ungenügenden frühen Bindungserfahrungen. Das Potential, Gefühle, Bedürfnisse und Affekte mental abbilden zu können, ist eng mit der Symbolisierungsfähigkeit verknüpft, damit ein zentraler Schritt frühkindlicher geistiger Reifung und Bewältigungsfähigkeit von Spannungszuständen und in der Symbolbildung wiederum grundlegend für bildhafte erste (Vorstellungs-)Akte. Abgerundet werden die handlungstheoretischen Handreichungen zu professionellen Kernkompetenzen »heilender« Beziehungsgestaltung im pädagogischen wie therapeutischen Feld mit Elementen psychoanalytischer Pädagogik, beispielsweise der Übertragungsbeziehung und dem »Containing«, insbesondere für die Begleitung von Menschen mit krisenhaften Erfahrungen und/oder herausfordernden Verhaltensweisen.

Kapitel 3 ( Kap. 3) widmet sich grundlegenden Überlegungen zu den Bestandteilen ästhetisch-künstlerischer Binnenprozesse im Ausdruckshandeln und in der Kunstrezeption aus multidisziplinärer Sicht. Dazu werden nach einem ersten allgemeinen, anwendungsorientierten Schritt zu essentiellen Potentialen ästhetischer Praxen Elemente einer psychoanalytisch verstandenen künstlerischen Ausdruckshandlung wie das »Übergangsobjekt« nach D. Winnicott oder »die Regression im Dienste des Ich« nach E. Kris vorgestellt. Für die psychisch bedeutsamen Prozesse der Bildrezeption lassen sich Forschungsergebnisse einer Bremer Forschungsgruppe um P. Soldt zu identifikatorischen und projektiven Vorgängen bei der Bildbetrachtung heranziehen sowie das in der Objektbeziehungstheorie verankerte Konzept der »Dyaden zu dritt« von H. Kraft. Bildwissenschaftliche Grundlagen aus der neueren Debatte um den »iconic turn« klären über die ausgesprochen wichtige und auszudifferenzierende Bedeutung eines Bildes als konstantes Gegenüber und als Wirklichkeitsausschnitt in der Ermöglichung von Auseinandersetzungsprozessen Einzelner mit ihrer (Lebens-)Welt auf. Die Theoretiker*innen des besagten Diskurses klärten zudem über die zentrale Funktion der Betrachtenden eines Kunstwerks für dessen Rezeption in dem Sinne auf, dass die Vorstellung über das Bild in seinem »objektiven« Charakter aufgegeben werden musste.

Die nun folgenden Kapitel gliedern den gesamten Gegenstandsbereich in zentrale thematische, anwendungsorientierte und/oder adressat*innenspezifische Felder im Spannungsfeld von Bildung, Bewältigung und Teilhabe. Dabei werden jeweilige, zum Feld passende aktuelle theoretische Leitdiskurse von methodischen Aspekten und von Praxis- und Projektbeispielen aus kulturorientierten, kunstrezeptiven und aktiv gestalterischen Verfahren oder deren Mischformen flankiert.

Den Einstieg in die Umsetzung bilden mit Kapitel 4 ( Kap. 4) Überlegungen zu (Selbst )Bildungsprozessen, zur Rolle sinnlich-ästhetischer, selbstreflexiver Erkenntnisformen darin inkl. der Bedeutung gestalterischer Auseinandersetzung und Aneignung. Einer Annäherung an den aktuellen erweiterten Bildungsbegriff als der Herstellung von Sinnbezügen zwischen sich und der Welt folgen fachliche Rahmungen aus der kulturellen Bildungsdebatte. Kritisch erörtert werden an diesem Punkt Tendenzen der Instrumentalisierung schöpferischen Handelns und künstlerisch-kultureller Formate in sog. »Educational Projects« für und mit Randgruppen. Im Fortgang des Kapitels sind Aspekte des künstlerischen Binnengeschehens zusammengestellt, wie sie prominent zur Ermöglichung und Beförderung von (Selbst-)Bildungsprozessen herauszuheben sind. Dazu zählen die Besonderheiten ästhetischer Praxen in ihren sinnes- und subjektorientierten Dimensionen, ihre Nähe zur Ethik über die Empfindung, die andere Qualität jenseits von Funktionalität und Rationalität. Als gezielt nicht schulische Beispiele werden Praxis- und Projektvignetten zur Persönlichkeitsbildung durch künstlerisches Handeln im Studium und abschließend als Kontrast zu eher formalen Bildungssettings psychoedukativ orientierte Bildungsprojekte für psychiatrieerfahrene Menschen herangezogen. Zum besseren Verständnis der beiden letztgenannten Veranstaltungen, die zusätzlich auch Bewältigungsprozesse aktivierten und in den Varianten kunstrezeptiver Methodik sowie rezeptiv und gestalterisch handelnd ausgerichtet waren, erfolgt vorab ein Exkurs zu den Wahrnehmungs- und Verarbeitungsweisen von Menschen mit Psychoseerfahrungen. Ein Nachdenken über die Wahrnehmungsveränderungen psychotischen Erlebens macht die Zusammenhänge zur Bedeutung von Bildbetrachtungen in diesem Arbeitskontext besonders nachvollziehbar.

Kapitel 5 ( Kap. 5) beschäftigt sich im weiteren Sinne mit Jugend, Identität und Biographie in Verbindung mit zunehmenden und temporeicheren Anforderungen an Passungsnotwendigkeiten der Subjekte an die Bedarfe »entgrenzter« nachmoderner Gesellschaften. Die Hinführung dazu bildet ein verdichteter, mitunter kritischer Abschnitt einer gesellschaftswissenschaftlich und sozialpsychologisch inspirierten »Zeitdiagnose«. Zentrale Stichworte wie Enttraditionalisierung, Pluralisierung, Ökonomisierung, Virtualität und Globalisierung bilden die Grundlage eines Nachdenkens über die Auswirkungen einer so organisierten Gesellschaft auf die Subjekte, die sich permanent selbst orientieren, neu entwerfen, optimieren, als erfolgreich darstellen und die Risiken nicht gelingenden Lebens zunehmend selbst tragen müssen. Überlegungen zur Adoleszenz in ihren vielfältigen, umwälzenden und genderspezifisch zu betrachtenden Vorgängen und Aufgabenstellungen an jungen Menschen in mentaler, psychosexueller und sozialer Hinsicht machen die Brisanz nachmoderner Vielheitsoptionen für evtl. auch krisenhafte Verläufe im Finden der eignen Identität eindringlich deutlich. Bausteine psychoanalytischer Forschung erweitern den Blick auf diese prekäre Phase. Identität wird dabei nicht als eigene Begrifflichkeit verhandelt, vielmehr tauchen Facetten aktueller Konzepte von Identität in Postmoderne und Nachmoderne im Spiegel künstlerischer Werkreihen aus der zeitgenössischen Kunst auf. Eine mögliche Reflexion steigert sich von Jürgen Klaukes Dokumentationen performativer Spiele um Geschlechtsrollen über die vielfältigen »Selbstbilder« Cindy Shermans in der Doppelrolle der Künstlerin und des Modells bis hin zu Entwürfen/Erfindungen eigener biographischer Sequenzen und »life-events« im künstlerischen Werk Sophie Calles. Gillian Wearing bespielt mit ihren Foto- und Videoarbeiten in herausragender Intensität die Spannungsfelder »Identität/Biographie und (Re)konstruktion« sowie »Intimität und Öffentlichkeit«, wobei in der Rezeption ihrer Position die Fiktionalität Sophie Calles um den Aspekt des Authentischen erweitert werden kann. Die Beispiele aus der Bildenden Kunst veranschaulichen die Debatte um gesellschaftliche Entgrenzungsphänomene gleichermaßen wie sie sich als Folien für die Vermittlung und Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen für Adressat*innen in der Adoleszenz anbieten. Im dritten Abschnitt des Kapitels erfolgt eine Zusammenstellung aktueller Veränderungen der Jugendphase sowie der künstlerisch-kulturellen Aktivitäten im Jugendalter, ausgelöst durch die Verfügbarkeit von Medien, durch eine veränderte Kindheit u. v. a. m. Angesichts kultureller Wandlungsprozesse nachindustrieller Gesellschaften wird in der Fachdebatte das Zurücktreten künstlerisch-handwerklicher Gestaltungsakte im bildnerischen wie plastischen Bereich im Zuge zunehmend medial vermittelter, virtueller Arbeits- und sogar Lebensweltvollzüge vermerkt, die Bewertung der Phänomene fällt allerdings unterschiedlich aus. Den erweiterten Praxisbezug des Kapitels stellen ein Beispiel aus dem biographieorientierten Kunstunterricht der gymnasialen Oberstufe sowie als Kontrast eine langlaufende kunsttherapeutische Begleitung eines drogengefährdeten Jugendlichen her. Ersteres verdeutlicht die Möglichkeit subjektorientierter, vertiefter Auseinandersetzungsprozesse von Adoleszenten mit ihrer Identität im schulischen Kontext, zweites umreißt die korrigierenden, orientierenden, kompensierenden und perspektivbildenden Valenzen ästhetischer Verfahren für Adoleszente in krisenhaft erlebten und verarbeiteten Übergängen. Eine beteiligende, stringent dialogische und jugendkulturell ausgerichtete Haltung in der Herausentwicklung des gemeinsamen Arbeitsbündnisses wird an diesem Fallbeispiel auch im Spiegel der gezeigten Methode des Dialogmalens gut nachvollziehbar.

Kapitel 6 ( Kap. 6) widmet sich dem Begriff des Traumas, der in seinen neueren Konzepten bestimmt, erarbeitet und in der Notwendigkeit einer aktualisierten, traumasensiblen Kompetenzerweiterung für viele (nicht klinische) Arbeitsfelder (bspw. Menschen mit multiplen Traumatisierungen und/oder Fluchthintergründen) umrissen wird. Traumaspezifische Reaktionen erscheinen daher nicht primär in ihrem klinischen Symptomwert, sondern in ihren möglichen Bewältigungsfunktionen; aus diesem Verstehen heraus leiten sich bedeutsame Prinzipien für die unterstützende Arbeit mit Betroffenen sowohl in stabilisierenden wie therapeutischen Settings ab. Ein um aktuelle sozialpsychiatrische und anthropologische Krankheitskonzepte erweitertes Begreifen von Krisen- und Trauma-Verarbeitungsmodi im Sinne einer »recovery« erlaubt fluidere, nicht etikettierende Ansätze der Begleitung Betroffener. Im Folgenden erhellen – rückgebunden an tiefenpsychologische Prozesse des Kunstmachens – Untersuchungsergebnisse und Behandlungsberichte die zentralen Funktionen der Symbolisierung für Traumabewältigung. Im Spiegel ausschnitthaft genannter brüchiger Künstler*innenbiographien und künstlerischer Arbeitsformen in einem Konzentrationslager zeigen sich Valenzen des Kunstmachens im Spannungsfeld von Ausdruck und Transformation für erfahrenes Leid sowie in der Stabilisierung bzw. Ressourcenaktivierung. Im weiteren Verlauf zeigen Expertenberichte den sorgsamen, langlaufenden Behandlungsprozess notwendiger Stabilisierung und erst dann (nicht immer) möglicher, mitunter auch kontraindizierter Konfrontation mit erlebten Traumatisierungen über künstlerisches Handeln mit spezifischen Symbolfindungen. Geeignete Methoden, Techniken und Materialien vervollständigen diesen Abschnitt zur stabilisierenden künstlerischen Begleitung Betroffener. Differenzierte, prozessorientierte Betrachtungen aus meiner Arbeit mit zwei jungen homosexuellen Männern im Krankenhausatelier, die sich mit der Diagnose AIDS Ende der 1980er Jahre mehrfach schwerwiegenden Bewältigungsanforderungen des Umgangs mit einer in dieser Zeit noch unausweichlich tödlichen Erkrankung und den Folgen gesellschaftlicher Ächtung stellen mussten, bilden den systematischen Praxisbezug in diesem Kapitel. Beide Klienten entwickelten als Reaktion auf die traumatisierend wirkenden physischen und psychosozialen Konsequenzen der Diagnose AIDS schwere seelische Krisen, in deren Kontext die künstlerische Arbeit im geschützten und psychosozial begleiteten Setting des offenen Krankenhausateliers zusammen mit anderen Betroffenen eine wichtige Bewältigungsressource darstellte, die sie unterschiedlich nutzen konnten.

Auf der Grundlage einer aktuellen kurzen Begriffsklärung um Inklusion und eines historischen Exkurses in die Welt der sog. »Outsider-Kunst« erschließt sich in Kapitel 7 ( Kap. 7) das Potential nonverbal-künstlerisch-kulturell codierter Handlungsformen und der dabei entstehenden Arbeiten für inklusive und partizipative Prozesse von und für Menschen mit (und ohne) Handicaps. Die aktuellen umfänglichen Entwicklungen im Feld von Kunstschaffenden mit Beeinträchtigungen sowohl in den sie begleiteten Einrichtungen als auch in der offiziellen Kunstszene zeigen den bedeutsamen Rang der Künste/kulturellen Formate für gesellschaftliche Teilhabe. Beispiele aus internationalen Ausstellungen in ihren teilweise gegensätzlichen Umgangsweisen mit Markierungen von »Outsider-Kunst« versus ihrer selbstredenden Inklusion klären darüber ebenso auf wie die folgenden Betrachtungen zu einem szenespezifischen »Kunstbegriff« sowie zu unterschiedlichen Hintergründen der Entstehung von autodidaktischer Kunst. Fundiert lassen sich so aktuelle Tendenzen, Projekte und Werkstätten im Terrain eines zunehmend professionalisierten Kunstmachens von Menschen mit Handicaps unter einer kontrovers geführten Debatte um den Qualitätsbegriff betrachten und diskutieren. Ein anderes Diskursfeld zur Analyse partizipativer Ermächtigungen von Menschen mit Nachteilen wird in diesem Kapitel mit dem Ansatz »sozial interventionistischer Kunst« eröffnet, besonders eine professionsethisch konnotierte Sensibilisierung möglicher Instrumentalisierung von Randgruppen, Kulturformaten und sozialen »Mehrwerten« betreffend. Kritisch kommen in diesem Abschnitt Stimmen von versierten Kunstwissenschaftler*innen über in diesem Sinne tätige Künstler*innen zu Wort, diverse Positionen und Aktivitäten von Künstlergruppen werden vorgestellt und im Kontext realer gesellschaftlicher Ermächtigungen von benachteiligten Menschen geprüft. Als Ziel verfolgt die Einbeziehung dieser Debatte zusammen mit dem Nachdenken über romantisierende Zuschreibungsvorgänge zur Künstler*innenrolle ein gesteigertes Bewusstsein für die gesellschaftliche Notwenigkeit inklusive und partizipative Prozesse (auch über die und in den Künste/n) mit einem Ernstcharakter voranzutreiben, sie mit Ressourcen auszustatten und singuläre »Leuchtturmevents« zu hinterfragen. Einer umfänglich theoriegeleiteten Argumentation statt zahlreicher Beispiele mit jeweiligen Akteuren wurde in diesem Abschnitt des Bandes der Vorzug gegeben, um auf die »Fallen« und »Verführungen« von integrativ ausgerichteten Kulturevents aufmerksam zu machen, welche nicht selten sozialpolitische Verantwortlichkeiten entlasten und in Wirklichkeit nicht zu nachhaltigen Verbesserungen für Adressat*innen mit Handicaps führen. In gewissem Widerspruch zu dieser Absicht steht das abschließend vorgestellte »voll inklusive« Kunstvermittlungsbeispiel mit anschließender künstlerischer Aneignung aus einem Museum für Weltkulturen.

Der durchaus problematische Diskurs um »art based research« bzw. Kunst als Forschung spielt im vorletzten Abschnitt, Kapitel 8 ( Kap. 8), der Publikation eine Rolle und wird auf mögliche Anlässe soziokulturell und bildungsorientiert relevanter Anwendung hin geprüft. Grundlage dieses Kapitels bilden die Vorstellung von Vorläuferkonzepten, wie dem der »ästhetischen Forschung«, eine Begriffseingrenzung und eine systematisierende Übersicht über Bezeichnungen und Ordnungsversuche künstlerischen Forschens im internationalen Vergleich der letzten 25 Jahre. Darauf folgt eine differenzierte Aktualisierung der mittlerweile facettenreichen Debatte in ihrer Nähe zu philosophischen Überlegungen und Theoremen. So wird versucht, das heterogene Feld, das in seiner Intensität auch Hochschulentwicklungsbestrebungen geschuldet ist, zu durchdringen und für die Leser*innen aufzubereiten. Die folgende Vorstellung einer forschungstriangulierten qualitativen Untersuchung, die auf künstlerischem Handeln als Experiment beruht, zeigt mögliche Absicherungen ästhetischen Forschens in anderen Konzepten und mündet schließlich in eine Sammlung von zentralen Prinzipien für gültige Zugänge künstlerischen Forschens. Sodann folgt mit der Vorstellung und Diskussion einiger Werkgruppen des international erfolgreichen bildenden Künstlers Kader Attia eine Annäherung künstlerisch forschender Zugriffe und Umsetzungen. Als Anwendungsbeispiele gelten das »ästhetische Biographieren« in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung und im Studium als wichtiges Element und Instrument reflektierter Professionalität in einem helfenden Beruf sowie ein umfängliches Projektseminar künstlerischen Forschens zum »Künstlerpatienten« Joseph Forster aus der Sammlung Prinzhorn. Diese Veranstaltung erläutert und beschreibt an studentischen Beispielen eine intensive künstlerische Erforschung und Auseinandersetzung mit dem verstörenden Phänomen einer schweren schizophrenen Erkrankung sowie analog dazu die ausstellungsfähigen künstlerischen Exponate als Ergebnis und rezipierbares Objekt dieser Annäherung. »Art based research« erlaubt so nachvollziehbarerweise die Generierung vertiefter Verstehensprozesse.

Kapitel 9 ( Kap. 9) kümmert sich abschließend um ausgewählte eher praxisorientierte Handreichungen und Desiderate für das Anliegen des Bandes, Akteure in Bildung, Begleitung, Vermittlung und Beteiligung über die Künste gleichermaßen zu qualifizieren. Dazu erfolgen einleitend Konkretisierungen im Überschneidungsbereich klassisch kunstpädagogischer und kunsttherapeutischer Verfahren, Handlungsleitideen und methodischen Umsetzungen. Ideen zu einem kontrovers diskutierten Qualitätsbegriff in Pädagogik wie Therapie zwischen einer Produkt- versus Prozessorientierung erhellen die Bedeutung und Funktion der künstlerischen »Stärke« von Artefakten für alle Adressat*innen im Feld. Um das Bildgespräch bzw. um die Verbalisierung und sog. »Bewusstmachung« von Bildinhalten ranken sich zahlreiche Deutungsmythen, die das Sprechen über die Kunst (von und mit Adressat*innen) zu den umstrittensten und am meisten mit Vorbehalten behafteten Interventionsanteilen künstlerischer Zugänge werden lassen. Insofern versucht der Band auch hier, zentrale Orientierungen und Hilfen zum (Nicht-)Interpretieren anzubieten und zu erläutern. Zu den Desideraten zählt eindeutig, den im Kontext von (unbewussten) Zuschreibungen/Fehlinterpretationen/Verwicklungen in reinszenierte Bewältigungswünsche der Klientel misslingenden Arbeitsbündnissen vorzubeugen, nämlich mit einem Plädoyer für Selbstreflexions- und Selbsterfahrungsprozesse im künstlerischen Handeln in allen (Zusatz )Ausbildungen, Qualifikationen und Studiengängen künstlerisch-pädagogischer und (ergo-)therapeutischer Natur, auch für Akteure des Feldes Kunst im Kontext. Professionsethischen Aspekten eines Instrumentalisierungsrisikos »abhängiger« Adressat*innen ist hiermit genauso vorzubeugen, wie ein fundiertes Erfahrungswissen um die Potentiale künstlerischen Handelns für die eigene Weltdeutung und -bewältigung zu einem Mitschwingen auch mit ungewöhnlichen und herausfordernden (künstlerischen) Aktivitäten von Adressat*innen qualifiziert. Den Abschluss des letzten Kapitels bilden Überlegungen zu einer künstlerischen Haltung als Modell eigener Professionalität, die jedoch in diesem Fall um anwaltlich-emanzipatorischer Aspekte angereichert werden.

Kunst, Bildung und Bewältigung

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