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»Jesus, Maria und Josef!«, schnaufte Mary, bevor Anne eine Hand auf ihren Mund presste und sie gegen die Badezimmertür drückte. Mels Schwanz bog sich in dem kleinen Waschbecken, in das er abgelegt worden war, zu einem Fragezeichen.

»Ich bin am Leben, Mary!«, flüsterte Anne. Sie zog den Uncle-Sam-Bart vom Kinn. »Siehst du? Ich bin’s, Anne. Ich bin am Leben. Ich bin nicht tot!«

»Hmpf!« Marys gerötete Augen wurden groß vor Entsetzen, und Anne presste mit ihrer Hand noch fester zu.

»Pst! Ich will nicht, dass die Polizei es erfährt.«

»Hmmpfh!« Mary schüttelte den Kopf, mit Augen wie braune Murmeln.

»Ich nehme jetzt meine Hand von deinem Mund, aber du sagst nichts, versprochen? Die Polizei darf nicht erfahren, dass ich hier bin.«

»Hmpf!« Mary nickte kräftig.

»Und reg dich nicht auf, okay?«

»Hmpf!«

»Es ist alles in Ordnung.«

»Hmpf!«

»Ich bin es wirklich, und ich bin am Leben.« Anne nahm die Hand weg, und Mary schrie.

»HILFE! HILFE, POLIZEI!!!!«

Nein! »Mary, psst! Was machst du denn da?«

»Ich habe dich tot gesehen! In der Leichenhalle. Du bist ein Geist! Ein Teufel!!« Mary bekreuzigte sich blitzschnell, und Anne sah sich voller Panik um. Sie hörte bereits Rufe und Schritte auf der Treppe. Laut, wie Clogs.

»Mare? Mare?«, rief Judy. »Bist du das?«

»HILFE! JUDY!«, brüllte Mary. »POLIZEI! Zu HILFE! BENNIEEEEE!!«

Ich glaube es Einfach nicht. »Halt den Mund! Ich bin am Leben! Ich bin’s! Meine Katzensitterin wurde umgebracht! Siehst du die Katze?« Anne zeigte auf die Spüle, wo Mels Schwanz jetzt als Ausrufungszeichen in die Höhe ragte.

»Nein, du bist tot! Ich weiß es! Ich habe dich gesehen! Tot, tot, tot! Du hattest dein T-Shirt an! Du bist unten erschossen worden! Blut ...«

»Das war meine Katzensitterin. Ihr Name war Willa. Ich habe ihr das Shirt geliehen!« Anne packte Mary an den Schultern. »Das war ich nicht!«

»DiNunzio! Ich komme!«, rief Bennie und gleich darauf die Detectives. »Miss DiNunzio? Miss DiNunzio?« Sie mussten schon beinahe oben sein, so laut, wie ihre Stimmen klangen.

Anne geriet in Panik. Ihr rann die Zeit davon. Der Schaden war getan. Der Türknauf drehte sich. Sie wirbelte herum, sprang in die Badewanne und zog den Duschvorhang in dem Augenblick zu, als die Badezimmertür aufgerissen wurde. Niemand würde sie durch den Duschvorhang sehen können. Er war undurchsichtig, mit einem schicken Blumenmuster von Laura Ashley, das unten von einem breiten, weißen Streifen abgeschlossen wurde. Wenn der Vorhang ihre letzte Rettung war, dann war er seine sechsundvierzig Dollar möglicherweise wert. Mentale Notiz: Schuhe, Kleider und Make-up dürfen zu teuer sein, aber Duschvorhänge müssen ihren Wert erst unter Beweis stellen.

»Mary, Mary, geht es dir gut?« Das war Judy, in höchster Sorge.

»Miss DiNunzio!« Das war die Stimme von einem der Detectives. »Was ist denn? Was ist los?«

»DiNunzio? Alles in Ordnung?« Das war Bennie, die die Tür aufgerissen hatte und ins Badezimmer gestürmt war. Der Duschvorhang blähte sich bedrohlich auf. »Warum hast du geschrien?«

Bitte, Mary, verrate mich nicht. Hinter dem Vorhang hielt Anne den Atem an und presste sich gegen die weißen Fliesen.

»Äh ... ich weiß es nicht«, erwiderte Mary mit zitternder Stimme.

»Aber du hast geschrien«, meinte Judy, dann musste sie lachen. »Ach, ich sehe schon. Die Katze.«

Auch Bennie lachte jetzt. »Eine Katze!«

Die Detectives fielen in das Gelächter mit ein. Alle machten ha-ha-ha. Plötzlich war es eine Badezimmerparty. »Die Katze hat Sie erschreckt.«

Mary, sei jetzt auf Zack. Sie geben dir das Stichwort.

»Ja, genau«, sagte Mary schließlich. »Die Katze. Ich war nicht darauf gefasst. Als ich hereinkam, saß sie im Waschbecken. Einfach so. Tut mir Leid, dass ich geschrien habe.«

Jesus, Maria und Josef, dachte Anne vor Erleichterung, obwohl sie mit den dreien eigentlich nicht per du war.

»Natürlich, Anne hatte wohl eine Katze«, sagte Judy. »Das Katzenklo steht gleich da drüben, unter dem Waschbecken. Seht ihr?«

»Jetzt erinnere ich mich«, meinte der Detective. »Wir haben das Katzenklo gestern Nacht bemerkt, konnten aber die Katze nicht finden. Tja, hier ist sie.«

Exzellente Detektivarbeit. Und wo ist der Kerl im Gefängnis?

»Du solltest sie mitnehmen, Mare«, schlug Judy vor. »Das Tier braucht jetzt ein Zuhause. Darfst du in deiner Wohnung eine Katze halten?«

»Ich weiß nicht. Ich will eigentlich keine Katze.«

Judy höhnte: »Jemand muss das Tier aber nehmen, und Bennie und ich haben Hunde. Du hattest doch mal eine Katze, oder etwa nicht?«

Nimm ihn mit, du Dummerchen. Ich bin nicht tot, weißt du noch?

»Na gut, ich nehme die Katze mit. Also, vielleicht sollten wir jetzt gehen.«

»Das ist die richtige Einstellung, DiNunzio«, lobte Bennie. Als Nächstes hörte man, wie die Badezimmertür weit geöffnet wurde. »Also kannst du doch noch etwas für Anne tun, indem du dich um die Katze kümmerst, hm?«

»Vielleicht«, erwiderte Mary. Der Duschvorhang bauschte sich wieder auf, als die drei Anwältinnen, die Detectives und ein verwirrter Kater das Badezimmer verließen.

Anne stieg aus der Wanne, als sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, dann trat sie aus dem Badezimmer und eilte nach unten. Ihr war klar, dass Mary den anderen von ihrem Überleben erzählen würde, sobald sie die Gelegenheit dazu bekam. Das bedeutete, dass Uncle Sam in die Kanzlei musste.

Sie setzte die Spaßsonnenbrille wieder auf und zog von dannen.

Anne hatte den Mustang so nah wie möglich geparkt, fünf Häuserblocks weiter in der Locust Street. Jetzt musste sie noch zu Fuß an kleinen Läden, Geschäften und einer Reihenhauszeile vorbei, die zu Architektenbüros, Steuer- und Anwaltskanzleien umfunktioniert worden waren. Sie hielt den Kopf gesenkt. Aber die Tatsache, dass jeder dachte, sie wäre tot, war schon eine verdammt gute Verkleidung. Abgesehen davon waren die Gehwege voller Menschen, die wie die Freiheitsstatue grüne Styroporkronen, George-W-Bush-Masken oder rot-weiß-blaue Schirmhüte trugen. Anne traf auf zwei weitere Uncle Sams, und die beiden winkten ihr zu.

In der Locust Street herrschte Verkehrsgewirr. Wie die meisten Straßen von Philadelphia war sie gerade breit genug, um einen Einspänner mit Pferd durchzulassen, folglich war nur Einbahnverkehr möglich. Man hatte Anne bis zum Überdruss erzählt, dass Ben Franklin höchstselbst die Stadt entworfen habe, aber sie war immer der Ansicht gewesen, dass sein berühmtes geometrisches Straßennetz nur zu einem führte: Verkehrsinfarkt. Sie sah nach vorn, die Straße hinunter, die sich vor dem Gebäude entlangzog, in dem ROSATO & PARTNER untergebracht waren. Hier staute sich der Verkehr, weil die Übertragungswagen von ABC, dem Gerichtskanal, CNN und dem örtlichen Nachrichtensender illegal parkten. Sogar aus dieser Entfernung konnte Anne erkennen, dass Reporter, Fotografen, Videokameras und Satellitenschüsseln das Bürogebäude in Beschlag genommen hatten. Es war mindestens doppelt so viel Presse anwesend als sonst. Wer hätte gedacht, dass der Mord an einer hübschen Anwältin kurz vor der Verhandlung eines Sexualdeliktes derart medienwirksam sein würde?

Anne rückte ihre Sonnenbrille zurecht und ging weiter. Dabei beobachtete sie prüfend die Straße. Kevin konnte hier sein. Krank wie er war, würde er ihr nahe sein wollen, selbst wenn sie tot war. Möglicherweise wollte er auch einen Blick auf Bennie werfen. Oder auf Judy. Das machte ihr Sorgen. Könnte Kevin eine Gefahr für die beiden darstellen? Unwahrscheinlich, aber doch möglich. Sie hatte im Grundkurs Erotomanie gelernt, dass die geistig Verwirrten ihre Fixierungen häufig übertrugen.

Anne sah auf die Uhr. Zwölf Uhr dreißig. Die Zeugenaussage sollte um 13 Uhr stattfinden, aber ihr war nicht klar, wie die Presse davon erfahren hatte. So ein Aussageprotokoll war keine öffentliche Angelegenheit, und sie war sicher, dass ROSATO & PARTNER den Termin nicht bekannt gegeben hatten. Anne eilte auf die Menschenmenge zu, zog ihren Zylinder tiefer ins Gesicht. Noch zwei Häuserblocks, dann nur noch einer. Eigentlich sollte hier keiner nach ihr suchen, aber einige der Reporter kannten sie durch die Chipster-Sache. Sie zog die rote Krempe noch tiefer. Anne hatte all ihre Gedanken auf Kevin verwandt, dass ihr die Tatsache entgangen war, dass auch Uncle Sam sich einer Medienkontrolle unterziehen musste.

Anne erreichte das Bürogebäude und fädelte sich durch die Masse an Medienvertretern, die Augen hinter der großen Brille versteckt. Reporter schwitzten in ihren Sommeranzügen und ihrem Bildschirm-Make-up. Anne entdeckte eine Nachrichtenmoderatorin, die sie kannte, und senkte rasch den Blick. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Zwölf Uhr 45. Touristen und Schaulustige bevölkerten den Bürgersteig, trugen zur Gehwegverstopfung bei. Anne musste weiter. Sie marschierte durch das humpta-humpta einer Rap-CD und inhalierte einen Schwall Zigarettenrauch.

Plötzlich klingelte ein Handy, und Anne brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass es ihres war; sie hatte es in ihrem Schlafzimmer wieder aufgeladen. Wer könnte sie anrufen? Die ganze Welt hielt sie für tot. Sie öffnete ihre Handtasche, zog das Handy heraus und klappte es auf. »Ja?«, meldete sie sich mit leiser Stimme.

»Ms. Sherwood, hier spricht Dr. Marc Goldberger.«

»Aber natürlich«, sagte Anne überrascht.

»Mir ist jetzt klar, warum Sie mich angerufen haben. Ich habe gerade mit meinem Supervisor gesprochen. Sie waren nicht ganz ehrlich zu mir, Ms. Sherwood. Falls das wirklich Ihr Name ist.«

O nein. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Ich glaube, doch. Kevin Satorno ist vor ein paar Tagen aus dem Gefängnis entflohen. Wussten Sie das, als Sie mich anriefen?«

»Entflohen?« Anne spürte, wie ihr Herzschlag aussetzte. Sie hatte es vermutet, aber der Gedanke, dass es wirklich wahr war, entsetzte sie.

»Wollen Sie mir etwa weismachen, Sie hätten es nicht gewusst? Dass Ihr Anruf gerade heute nur ein Zufall war?«

Kevin ist draußen. Kevin ist frei.

Anne konnte darauf nicht antworten. Sie konnte nicht sprechen. Sie unterbrach die Verbindung und kämpfte gegen das panische Verlangen, unter irgendeinen Gegenstand zu kriechen und sich zu verstecken. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, sie wusste nur, dass sie nicht in Panik ausbrechen durfte. Anne zwang sich, tief zu atmen, bis sich ihr Herzschlag wieder normalisierte. Plötzlich war sie allein in der lärmigen, verrauchten Menschenmenge. Sie sah an der Fassade des Bürogebäudes hoch. Eine Sekunde später gab sie eine Nummer in ihr Handy ein.

Mary musste auf ihren Anruf gewartet haben. »Anne, wo bist du? Bist du hier?«

»Hilfe!«, war zunächst alles, was Anne sagen konnte, dann riss sie sich zusammen. »Ich stehe draußen. Kannst du mich am Wachmann vorbeilotsen?«

»Es ist Herb, und wir haben ihm gesagt, wir erwarten eine Botin, die etwas merkwürdig angezogen ist. Trägst du noch deinen Bart?«

»Ja.«

»Ich komme nach unten.«

Gott sei Dank. Anne klappte ihr Handy zu und inspizierte instinktiv jeden Passanten. Ihr Magen krampfte sich vor Furcht ganz zusammen. Da. Ein blonder Mann, mit Kevins Haarfarbe. Er hatte ganz kurze Haare, als ob er bis vor kurzem im Gefängnis gewesen wäre. Anne hätte beinahe losgeschrien, aber in dem Moment legte der blonde Mann seinen Arm um die Frau neben sich. Auf seinem Bizeps war Semper Fi tätowiert. Ein Marineinfanterist, kein Gefängnisinsasse. Nicht Kevin.

Anne bahnte sich ihren Weg durch die Presse und trat durch die Drehtür ins Innere des Gebäudes und in die klimatisierte Kälte einer riesigen Marmorlobby mit restaurierten Stuckwänden. Anne holte tief und erleichtert Luft, aber die Sicherheitstheke aus Mahagoni erhob sich wie eine unüberwindliche Hürde vor dem Zugang zum Aufzug. Auch wenn Mary angerufen hatte, damit Anne durchgelassen wurde, bestand immer noch die Möglichkeit, dass der Wachmann sie erkennen würde, denn es war der »heiße Herb«. Sie hatte ihr Gesicht maskiert, nicht aber ihre Brust, und auf mehr achtete er nicht. Dank ihm hatten ROSATO & PARTNER die sichersten Brüste in ganz Philadelphia.

Herbs Blick konzentrierte sich auf den Schriftzug Unabhängige Frau, als sie an die Theke trat. »Hallo, Schätzchen«, sagte er, mit einem sexy Grinsen, wie er hoffte. Er roch nach Aramis, und seine blaue Uniform schmiegte sich eng an seinen kurzen, untersetzten Körper. Er trug den Gürtel seiner Hose weit oben, wie Fred Mertz aus I love Lucy. »Sie trauen sich was: kommen zu einem Bewerbungsgespräch in Uncle-Sam-Verkleidung ...«

»So bin ich an den Reportern vorbeigekommen, oder nicht?« Anne hielt den Kopf gesenkt, beugte sich über den schwarzen Spiralhefter und kritzelte 36C auf die vorgegebene Linie. »Falls ich hier eingestellt werde, will ich nicht, dass sie mich erkennen und mir überallhin folgen.«

»Warum nehmen Sie die Verkleidung nicht ab? Sie sind jetzt drin.«

»Ich fühle mich als Ikone ganz wohl.«

Plötzlich öffneten sich die Aufzugstüren mit einem diskreten Pling, und Mary stürmte wie die Kavallerie hinüber. Sie konnte ihr Lächeln nicht unterdrücken. »Kleider machen Leute?«

»Sie müssen Mary DiNunzio sein.« Anne streckte eine Hand aus, als ob sie sich noch nie getroffen hätten. Plötzlich gab es hinter ihr am Eingang einen Tumult. Sie drehte sich um und sah, wie eine vertraute Figur durch die Drehtür kam, zusammen mit einer Gruppe von Menschen. O nein. Jetzt steckte Anne wirklich in Schwierigkeiten.

Mord mit kleinen Fehlern

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