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ОглавлениеNicht weit von der Empfangstheke entfernt waren zwei Arbeiter in den marineblauen Overalls der hauseigenen Instandhaltungsfirma dabei, einen Zettel an der Wand zu befestigen. Sehr deutlich war darauf das Wort ZWANGSRÄUMUNG zu erkennen. Der Zettel hatte eine Farbe, die Bennie noch nicht kannte: Weiß. Lasergedruckt. Also doch. Verdammt. Bennie ging hastig auf die Arbeiter zu, während ihre drei jungen Angestellten sich wie verlassene Jungvögel um sie scharten.
»Chefin!«, sagte Judy und stolperte dabei fast über ein weiteres Paket mit Luxuswaren, das gerade angekommen war. »Sie haben gesagt, dass wir hier rausmüssen! In nur dreißig Tagen!«
Mary war so blass geworden wie ihre adrette weiße Bluse. »Das können sie nicht mit uns machen, oder?«
»Natürlich nicht.« Anne verschränkte die Arme. Nur rothaarige Frauen konnten auf diese perfekte Weise schäumen vor Wut. »Ich hab ihnen gesagt, dass sie sehr alt aussehen werden, wenn du zurückkommst.«
»Macht Platz, Ladys«, sagte Bennie. Marshall hatte an der Empfangstheke bereits den Telefonhörer in der Hand; wahrscheinlich sprach sie mit Dale. Was hier passierte, war ganz sicher ein Versehen. Vielleicht hatte er ihren Scheck nicht bekommen, oder vielleicht wussten diese Leute hier nicht, dass er ihn bekommen hatte.
»Hallo, Jungs«, sagte Bennie zu den Arbeitern. Auf einem Namensschild stand GUS, auf dem anderen VINCENT, aber sie brauchte sie nicht zu lesen. Sie kannte die Männer schon seit dem Umzug ihrer Kanzlei in dieses Gebäude. »Gus. Was, zum Teufel, geht hier vor?«
»Tut mir Leid, Bennie«, antwortete er mit abgewandtem Gesicht. Er war klein und stämmig und sah in seinem Overall aus wie ein pummeliges Baby im Strampelanzug. Seine dicke Hand griff nach einer Rolle mit grauem Klebeband. »Ob du’s glaubst oder nicht, das hier ist härter für uns als für euch.«
»Wir machen nur unsere Arbeit, Ben.« Vincent klebte das untere Ende des Zwangsräumungsbescheides mit Klebeband an die Wand. »Wir haben überhaupt keine Wahl, das weißt du.«
»Hört zu. Ich schwöre, dass ich Dale per Post einen Scheck geschickt habe. Ich habe für die Zustellung am Samstag sogar noch was draufzahlen müssen. Vielleicht hat er ihn nicht gekriegt, vielleicht ist etwas schief gegangen, ich weiß es nicht. Ich rufe ihn sofort an, und er wird es euch bestätigen, sodass ihr euch das Klebeband sparen könnt.«
»Ich glaube nicht«, sagte Gus tonlos. »Sie haben es Dale aus der Hand genommen. Die Weisung kommt von ganz oben. Heute Morgen hat er’s uns gesagt. Bringt es hinter euch, hat er gesagt.«
»Und dass wir uns nicht von dir davon abhalten lassen sollen.« Vincent versuchte, das Ende des Klebebands mit den Zähnen abzureißen. Er wandte sich an Gus. »Gib mir mal das Teppichmesser.«
»Ich hab’s nicht dabei. Du hast doch gesagt, du nimmst es mit.«
»Und ich denke, du hast es eingesteckt. Idiot.«
»Es geht auch ohne«, sagte Vincent. »Tut mir echt Leid, Bennie. Du bist wirklich eine großartige Lady, das weißt du. Wir wünschen dir echt viel Glück, euch allen.« Er machte eine Handbewegung in Richtung der Angestellten und wich dabei dem tränenverschleierten Blick Mary DiNunzios aus. Als sie ihren Job beendet hatten, machten sich die beiden Arbeiter sehr schnell aus dem Staub.
Bennie trat ganz nah an den unheilvollen weißen Zettel am Empfang heran. An ihrem Empfang. Sie hatte den Raum eigenhändig weiß gestrichen. Die Bilder ausgesucht. Die Möbel gekauft. Sie hatte sogar den verdammten Boden abgezogen. Die Kanzlei war ihre zweite Heimat, von hier vertrieben zu werden war unvorstellbar. Sie packte eine Ecke des grauen Klebebands und riss den Zettel mit einem Ruck herunter. Schhhhwipp, machte es, und er war weg. »Vielleicht habe ich von Kunst keine Ahnung, meine Lieben«, sagte sie höchst befriedigt. »Aber ich weiß sehr wohl, was mir nicht gefällt!«
»Yeah!«, rief Anne, und Judy neben ihr klatschte und pfiff. Nur Mary, mit tiefen Falten in ihrer frühreifen Stirn, sah immer noch besorgt aus. Hauptsächlich ihretwegen setzte Bennie ein breites Lächeln auf und machte aus Klebeband und Zettel einen handlichen Papierball.
»Mach dir keine Gedanken, DiNunzio«, sagte sie. »Du wirst sehen, die Sache ist in null Komma nichts erledigt.«
Marshall legte den Telefonhörer auf und presste die Lippen aufeinander. Dann watschelte sie durch den Irrgarten der Pakete eilig auf Bennie zu. Sie wedelte mit ihrem Notizblock. »Dale hat gesagt, es tut ihm Leid, aber die Hauseigentümer wollten sich nicht auf eine Abschlagszahlung einlassen.«
»Kein Problem«, sagte Bennie und biss fest die Zähne aufeinander. In diesem Augenblick ertönte das Ping des Aufzugs, der zum Stehen kam, und sofort straffte sie sich. Es war noch nicht elf. Es konnte unmöglich schon St. Amien sein. Alle fünf Frauen sahen nervös in Richtung Aufzug. Es war ihr gut aussehender Postbote in seinen flotten braunen Shorts. Er trug ein großes Paket mit der Aufschrift: KRISTALLGLAS, MUNDGEBLASEN. VORSICHT, ZERBRECHLICH !
»Noch ein Paket, Bennie!«, rief er und stellte die Kiste vorsichtig auf den anderen ab, bevor er mit einem lässigen Winken wieder nach unten rauschte. Es war eigentlich komisch, aber Bennie konnte nicht darüber lachen. Noch ein Paket, noch eine Abbuchung. Unwahrscheinlich, dass sie bei irgendeiner Bank je wieder eine Kreditkarte beantragen konnte. Ihre Brieftasche war flöten gegangen, und ihr guter Ruf bei den Richtern perdu. Plötzlich wusste sie mit absoluter Gewissheit, was sie den ganzen Morgen vor sich selbst geleugnet hatte. Sie verkündete: »Ladys: Alice Connelly ist zurückgekommen.«
Mary gab einen ächzenden Laut von sich, und Judys porzellanblaue Augen weiteten sich vor Schreck. Nur Anne reckte verwirrt den Kopf. »Was für eine Alice?«
»Alice Connelly, meine Zwillingsschwester.« Bennie hielt inne, um sich zu sammeln. Ihr Herz hämmerte. Jetzt hatte sie es also gesagt, und damit war es Wirklichkeit geworden. »Wir alle, außer dir, Murphy, erinnern uns an Alice, weil wir sie einmal vertreten haben. Sie hat mich ausfindig gemacht – und mein unberechenbarer Vater hat ihr dabei geholfen -, um mich zu bitten, ihre Verteidigerin zu sein. Die Anklage lautete auf Mord. Danach hat sie sich in Luft aufgelöst, was in unserer Familie offenbar erblich ist.«
Annes grüne Augen verengten sich. Judy nickte, und Mary kaute auf ihrer Unterlippe. Marshall lehnte sich gegen eine Kiste, die geschmiedetes Kaminbesteck enthielt, und fuhr geistesabwesend mit der Hand über ihren Bauch. Bennie fuhr fort: »Alice wurde nach unserer Geburt zur Adoption freigegeben, und ich wusste nichts von ihr, bis wir uns als Erwachsene trafen. Wir sind eineiig, das heißt, wir sehen völlig gleich aus. Seit zwei Jahren, seit ich sie damals zum Zug brachte, habe ich nichts mehr von ihr gehört.« Die Erinnerung daran traf einen wunden Punkt. Häufiger, als sie sich selbst eingestand, hatte sie in diesen beiden Jahren an Alice gedacht. Einmal hatte sie sogar versucht, sie zu finden. Ohne Erfolg.
»Ich dachte, sie hat Philly endgültig verlassen, aber jetzt glaube ich, dass sie zurückgekommen ist. Ich glaube, sie hat meinen Terminplaner gestohlen und dieses ganze Zeug hier bestellt, um mir einen Streich zu spielen. Marshall hat das ja schon vermutet.« Bennies Gedanken ließen sich jetzt nicht mehr aufhalten. Auf einmal ergaben die total verrückten Ereignisse der letzten paar Tage eine Art von Sinn. »Von all diesen Sachen sind zwei Stück gekommen, versteht ihr? Zwillinge. Und ich wette, dass sie es war, die sich in dem chinesischen Lokal daneben benommen hatte. Sie muss mir von der Kanzlei aus gefolgt sein, wahrscheinlich hat sie später an der Theke Bennie Rosato gespielt.«
»Das würde deine Zwillingsschwester dir antun?«, fragte Anne erstaunt.
»Sie ist keine gewöhnliche Schwester«, sagte Mary. »Und kein gewöhnlicher Zwilling.« Sie setzte sich neben die schweigende Marshall auf eine Kiste.
Anne schüttelte ihre glänzende Mähne. »Wow. Das klingt ja wie ein Vorabendkrimi.«
Judy zog die Augenbrauen zusammen. »Was meinst du, dass sie sich daneben benommen hat?«
Bennie hatte es ihnen noch nicht erzählt. »Die Hälfte der Richter im Ost-Distrikt, unter anderem Richter Sherman, der jetzt für den St.-Amien-Fall zuständig ist, denkt, dass ich gestern Abend in diesem Restaurant in betrunkenem Zustand randaliert habe.«
»Hast du das?«, fragte Judy, und Mary nickte voller Mitgefühl.
»Es ist kein Verbrechen, auf ein paar Drinks in ein Lokal zu gehen, Bennie, und auch mal laut zu werden. Du hast in letzter Zeit so viel Stress gehabt. Und du frisst immer alles in dich rein –«
»Wie bitte?« Bennie sah ihre beiden Mitstreiterinnen ungläubig an. »Ich war das nicht. Ich habe kaum was getrunken. Es muss Alice gewesen sein.« Aber wenn sie schon an ihr zweifelten, würden es alle tun. Bennie setzte die Mosaiksteinchen zusammen, und der Ernst ihrer Lage wurde ihr schlagartig bewusst. Ärger stieg in ihr auf; sie griff zum Telefonhörer und tippte hastig die Nummer der Auskunft. »Bitte die Nummer von Alice Connelly, im Stadtgebiet von Philadelphia.«
Judy beobachtete sie. »Sie ist bestimmt nicht eingetragen.«
»Ich weiß«, sagte Bennie, und als sie es von der Auskunft bestätigt bekam, bedankte sie sich und legte auf. »Wir müssen sie finden. Judy, ich muss mich auf St. Amien vorbereiten, kannst du das recherchieren? Ich will wissen, ob sie wieder in der Stadt ist, und wo sie ist. Und ruf Lou an.« Lou Jacobs war ihr altgedienter Ermittler, der sich im Augenblick zu Hause von einer Prostataoperation erholte. Er fehlte ihnen allen. »Vielleicht hat er eine Idee, wie wir sie finden können.«
Judy nickte. »Okay.«
»Gut, danke.« Bennie schäumte vor Wut. Unter diesen Umständen war es einfach unmöglich, nicht zu fluchen. Sie hieb mit der Faust so fest auf den Tisch, dass die Stifte hüpften. »Verfluchte Scheiße! Sie ist wieder da!«
»Bennie, nur die Ruhe. Willst du ein Glas Wasser?«, bot Marshall an. Sie stand auf, aber Bennies gebieterische Handbewegung zwang sie zurück auf ihren Sitz.
»Und was das Ganze noch schlimmer macht: Im Fall St. Amien sind wir bereits überholt worden. Bill Linette hat vor uns Klage eingereicht und sich als federführender Anwalt der Gruppe angemeldet.« Als Bennie im Begriff stand, ihren Ausführungen einen weiteren saftigen Fluch folgen zu lassen, klingelte das Telefon an der Empfangstheke. Sie stellte es auf »Mithören« und nahm den Hörer ab.
»Hier ist Robert St. Amien«, sagte die vertraute Stimme mit dem melodischen Akzent. »Nehmen Sie jetzt schon ihre Anrufe höchstpersönlich entgegen, Benedetta?«
»Klar. Das machen doch alle Außenseiter, wissen Sie das nicht?« Gleich darauf gewann sie ihre Selbstbeherrschung wieder. »Wie geht es Ihnen, Robert? Meine Kolleginnen hören mit, wenn Sie nichts dagegen haben.
»Natürlich nicht. Es ist sogar noch besser. Sind die jungen Damen in der Nähe?«
Bennie drehte sich um. »Sagt eurem Charlie hallo, ihr Engel!«
»Hallo«, sagten sie im Chor.
»Guten Morgen, meine Damen«, antwortete St. Amien. »Bennie, ich spreche über Handy. Ich rufe Sie an, weil ich heute Morgen mehrere Anrufe von Mr. William Linette erhielt.«
Buh! »Ich kenne Bill. Er vertritt ein anderes Gruppenmitglied in Ihrem Fall. Letzte Woche hat er gegen den Verband der Linsenhersteller Klage eingereicht.« Bennie hoffte, es würde klingen, als hätte sie alles im Griff, obwohl sie in Wahrheit nur krampfhaft versuchte, einigermaßen Schritt zu halten. »Er hat Sie angerufen?«
»Mehrmals, wie ich schon sagte, als ich ihn nicht sofort zurückrief. Beim letzten Mal hat er mich erwischt. Er sagt, er sei einer der erfahrensten Anwälte für Gruppenklagen im ganzen Land, und er möchte mich und meine Firma vertreten.«
Anne, Mary und Judy blieben stumm, und Bennie hatte plötzlich einen trockenen Mund. Sie betete, dass St. Amien sie jetzt nicht sitzen ließ. »Ich habe unsere Klage erst heute Morgen eingereicht. Linette hat vielleicht nicht gewusst, dass ich Sie vertrete. Und wenn er es gewusst hat – er würde mich nie persönlich kontaktieren.«
»Er erwähnte, er habe gehört, dass ich Sie engagiert habe.«
Bennie lachte, und Judy hob schweigend, doch viel sagend den Zeigefinger. Also versuchte Linette hinter ihrem Rücken, ihr den Mandanten abspenstig zu machen! Das war etwas, was selbst unter Anwälten als verachtenswert galt. »Eigentlich bin ich nicht besonders überrascht. Sie etwa?«
»Selbstverständlich nicht.« St. Amien kicherte. »Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich bereits eine Vertreterin habe, nämlich Sie.«
»Vielen Dank.« Bennie hätte diesen Mann küssen mögen, wenn ihre Libido nicht durch die drohende Insolvenz so beeinträchtigt gewesen wäre. »Robert, Sie werden demnächst der beliebteste Franzose der ganzen Stadt sein. Jeden Abend werden Sie von einem anderen Anwalt zum Essen eingeladen, und Sie werden Schnecken essen, bis Sie nicht mehr können.«
»Ich freue mich darauf.« St. Amien kicherte erneut. »Übrigens teilte mir Mr. Linette auch mit, dass sich diverse andere Anwälte mit ihren Mandanten – ich kenne Sie alle – heute um zwölf Uhr in seiner Kanzlei treffen. Er lud Sie und mich zu diesem Meeting ein. Sollen wir unseren Termin zu zweit beibehalten, oder sollen wir zu Mr. Linette gehen?«
»Wir sollten zu Linette gehen, natürlich. Wir müssen unsere Vorgehensweise mit dein Rest der Gruppe abstimmen. Und ich möchte Sie den anderen gern als den Hauptkläger vorstellen.« O Gott. Bennie hatte es nie erlebt, dass ein Fall sich mit solcher Geschwindigkeit entwickelte. Linette verlor keine Zeit. Er hatte die Macht schon an sich gerissen und lief ihr davon. Sie musste die Sache mit Alice irgendwie handhaben, aber St. Amiens Interessen durften nicht darunter leiden. »Aber ich warne Sie. Es wird ein ganz schönes Handgemenge um die Position des Hauptklägers geben. Linettes Mandant ist ein gewisser Mayer. Er will selbst Hauptkläger werden.«
»Mayer, Herman Mayer?« St. Amien schwieg nachdenklich. »Linette erwähnte nichts davon. Herman Mayer ist ein Mensch, der gern auf sich aufmerksam macht, ein richtiger Unruhestifter. Aber er ist – wie sagt man – ein kleiner Fisch, im Vergleich zu mir.«
»Das habe ich mir gedacht. Und was Sie auch wissen sollten, ist, dass Linettes Klage, die ich Ihnen zeigen werde, von einer Schadenssumme von siebzig Millionen Dollar ausgeht.«
»Oh.« St. Amien schwieg wieder, und die drei jungen Frauen flüsterten untereinander, bis Bennie ihnen ein Zeichen gab, still zu sein. »Mr. Linette ist Optimist«, sagte St. Amien.
»Ich denke, er ist wahnsinnig, wirklich. Es bringt unseren Fall nicht weiter, wenn man diese Klagesumme zu Grunde legt, besonders, wenn man keine Beweise dafür hat. Aber es bringt ihm natürlich Mandanten. Und Schlagzeilen.«
»Wenn ich mich dort sehen lasse, wird er sich wahrscheinlich sofort auf mich stürzen.«
»Richtig.« Bennie brachte ein Lächeln zustande. »Sie werden einen Leibwächter brauchen, und ich empfehle Ihnen eine gewisse Amazone mit ziemlich unordentlichen Haaren. Wir treffen uns in der Lobby unten und gehen zusammen.«
»Ausgezeichnet. Bis bald. A bientôt, meine Damen.«
»Auf Wiedersehen«, sagten die Angesprochenen im Chor, und er legte auf.
Als Bennie den Hörer nicht mehr in der Hand hielt, verschwand ihre aufgesetzte gute Laune sofort. Sie hörte sich selbst seufzen und lehnte sich gegen die Theke. Um ein Haar hätte sie St. Amien verloren, Alice war wieder da, der Hauseigentümer warf sie aus dem Gebäude, und sie hatte vergessen, Hundefutter einzukaufen. Seit dem Tag, als ihre Mutter gestorben war, hatte sie sich nicht mehr so verloren gefühlt. Und ihre Angestellten starrten sie sprachlos an. Sie sahen aus wie heimatlose Kinder, verwirrt und verängstigt – als ob ihre Mutter gerade gestorben sei. Und plötzlich hatte sie eine Eingebung und wusste, was sie sagen und tun musste. Sei eine Mutter! Sei stark, gefühlvoll, selbstsicher und voller Vertrauen in die Zukunft. Übernimm die Führung. Handle als Familienoberhaupt. Sei all das, was eine Mutter ist, was auch ihre eigene Mutter gewesen war, bevor die Krankheit sie besiegt hatte. Diese Stärke war ihr einziges Vermächtnis gewesen, und es war das einzige Vermächtnis, was im Leben zählte.
»Hört zu, Mädels«, begann Bennie. »Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen. Bis jetzt ist es noch keine Katastrophe, noch nicht. So dramatisch es aussehen mag, ich werde irgendwie damit fertig werden. Ja, ich werde es hinkriegen.«
»Klar«, sagte Anne.
»Ganz bestimmt«, sagte Judy.
»Wir vertrauen dir«, sagte Mary, aber es klang nicht wirklich überzeugt. Bennie straffte sich.
»Eins nach dem anderen. Zuerst treffe ich mich mit dem Mandanten, und ich komme nie zu spät.« Sie fühlte sich schon ein wenig besser, hatte sich wieder unter Kontrolle. Sie atmete tief ein, nahm Handtasche und Aktentasche und ging zum Aufzug. »Carrier. Wenn du Alice findest, ruf mich sofort auf dem Handy an.«
»Geht in Ordnung«, rief Judy mit fester Stimme zurück.
»Ich helfe ihr«, fügte Anne hinzu, und Mary hob ermutigend beide Daumen.
Nur Marshall fand ihr Lächeln nicht so bald wieder. Sie war die Einzige, die wusste, wie ernst die Lage wirklich war. Und auch sie stand im Begriff, Mutter zu werden.
Bennie trat in den Aufzug, und die Türen schlossen sich.