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In der Mittagspause joggte Bennie zum Dunkin’ Donuts, um nach ihrem Terminplaner zu suchen. Er war nicht aufzufinden gewesen, und so machte sie sich auf den Rückweg. Durch das ruhige, regelmäßige Laufen wurde sie selbst ruhiger. Das Wetter war ungewöhnlich schön, die Leute drängten sich in den Straßen, Bäume blühten, und die Luft war klarer als sonst in Philadelphia. Immer wieder suchte sie im Laufen den Gehsteig nach ihrem schwarzen Terminplaner ab, aber vergebens. Sobald sie im Büro war, musste sie sich sofort darum kümmern, dass ihre Kreditkarten gesperrt wurden.

Bei der Rückkehr ins Büro sprach sie mit dem Wachmann an der Tür, und er versprach, die Augen offen zu halten. Dann sprintete sie zum Aufzug. Sie suchte auch die Aufzugskabine nach dem Terminplaner ab, und als die Stahltüren sich schlossen, beugte sie sich nach vorn, um sich zu entspannen. Sie trug ein ausgeblichenes Tank Top, weite Shorts und alte Turnschuhe. Das einzige Geräusch, das sie hörte, war ihr schnelles Atmen, bis der Aufzug ihre Etage erreichte, wo ein regelrechtes Tohuwabohu herrschte. Die Aufzugstüren öffneten sich, und Bennie befand sich plötzlich in einem Knäuel von fünfzig Leuten, die sich am Empfang drängten. Sie betete darum, dass es nicht ihre Gläubiger waren.

Niemand bemerkte sie in der Menge. Alle Stühle im Wartebereich waren besetzt, und alle Leute standen da, unterhielten sich und lachten – junge Leute und alte, Männer und Frauen, und viele von ihnen hielten Fähnchen in fröhlichem Rot, Weiß und Grün in der Hand. Sie tranken Kaffee aus den Porzellanbechern der Kanzlei und aus Pappbechern und bedienten sich aus einem großen Korb voller italienischer Kekse auf einem Beistelltisch in ihrem Büro. Offensichtlich war Rosato & Associates in eine italienische Hochzeitsgesellschaft umgewandelt worden. Fehlte nur noch das Akkordeon.

»Äh – hallo«, sagte sie, woraufhin sich ihr viele aufgeregte Gesichter zuwandten. Die Sekretärin war nicht da. Ein muskulöser junger Mann in einem T-Shirt mit der Aufschrift SOUTH PHILLY ROCKS kam mit breitem Lächeln auf sie zu.

»Sie müssen Bennie Rosato sein«, rief er aus. Er streckte die Hand aus und schüttelte die ihre so heftig, dass sie froh war, einen Sport-BH zu tragen. »Art DiNobile. Ich bin so total froh, Sie kennen zu lernen, und ich bin echt dankbar, dass Sie uns helfen wollen.«

»Aha«, sagte Bennie. Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach, war halb nackt, und Fremde tranken aus ihren Kaffeebechern. Davon abgesehen war alles in Ordnung.

»He, Leute, hört mal her! Das ist Bennie! Bennie Rosato ist da!«, schrie der junge Mann, und die Menge reagierte prompt. Der Geräuschpegel kletterte in ungeahnte Höhen, und das Menschenknäüel schob sich vorwärts und drückte Bennie gegen die Aufzugstür. Frauen umarmten sie, Männer schüttelten unaufhörlich ihre Hand, jemand versuchte, ihr einen Kaffeebecher in die Hand zu drücken. South Philly Rocks schob einen Papierteller mit Keksen vor ihre Nase. »Bedienen Sie sich, Bennie! Mein Vater hat eine Bäckerei, er hat sie selbst gebacken. Ich habe auch einen Rumkuchen und ein paar sfogliatelle mitgebracht. Als kleines Zeichen unserer Dankbarkeit.«

»Ich verstehe«, sagte Bennie, ohne irgendetwas zu verstehen, bis Mary DiNunzio sich einen Weg durch die Menge bahnte. Lose Haarsträhnen hingen ihr ins Gesicht, und ihre braunen Augen tanzten Tarantella.

»Bennie!« Mary war vor Aufregung außer Atem. »Warte nur ab. Ich hab einen Fall für uns an Land gezogen, einen wunderbaren Fall!«

»Einen wunderbaren Fall?«, wiederholte Bennie in dem Bewusstsein, dass dreitausend Tarantellaaugen erwartungsvoll auf sie gerichtet waren. Das Gefühl, mit dem Rücken an der Wand beziehungsweise an der Aufzugstür zu stehen, wurde übermächtig. »Was für einen Fall?«

»Einen Fall, der dich bestimmt sofort anspricht! Einen Fall, den man nur einmal im Leben bekommt!«, rief Mary, und alle Leute, die hinter ihr standen, stimmten in ihren Ruf ein wie ein Chor in einem griechischen, nein, römischen Drama.

»Danke, danke!«, sagten sie, und: »Wir wissen es zu schätzen, dass Sie uns helfen« und: »Sie kennen ja den Sachverhalt« und: »Wir müssen endlich alles ans Licht bringen« – Äußerungen, die Bennie vermuten ließen, dass sie ihr Honorar in den Wind schreiben konnte.

»Wir sollten uns kurz im Besprechungszimmer beraten, DiNunzio.«

»Gut. Sehr gut! Der Mandant ist auch schon dort.«

»Dann sollen wir also nicht diese Leute vertreten?«

»Nein, nein, das ist nur der Circolo aus der Nachbarschaft.«

»Der Circolo.« Aha. Natürlich. Was-auch-immer-o. »Di-Nunzio. Wer ist der Mandant?«

»Mr. Brandolini. Aber er ist tot. Der Mandant ist eigentlich ein Anwalt, und er will sie unbedingt kennen lernen.«

»Wo sind Murphy und Carrier?«

»Auch im Besprechungszimmer, mit den anderen. Die Leute vom Circolo haben angerufen, während du nicht da warst, und ich habe ihnen gesagt, sie sollen gleich vorbeikommen. Marshall ist noch beim Gynäkologen.«

»Ich komme in zwei Minuten. Wenigstens will ich mir was Anständiges anziehen.«

Bennie hastete in ihr Büro, verzichtete ausnahmsweise darauf, zu duschen, und bedeckte ihren schweißglänzenden Körper mit sauberen Kleidern und Pumps. Sie hatte sich selbst um die Kreditkarten kümmern wollen. Aber jetzt wartete Sizilien im Besprechungszimmer. Also schrieb sie eine E-Mail an die Sekretärin, listete die Kreditkarten auf und bat sie, die Sperrung zu veranlassen, sobald sie vom Arzt zurückkam. Dann trabte sie den Gang hinunter zur Rezeption. Im Vorübergehen schüttelte sie Hände und nahm Grüße und Wünsche in Empfang, und man machte ihr mit einer Ehrfurcht Platz, die sonst höchstens Frank Sinatra genießen durfte.

»Brava, Bennie Rosato! Bravissima!«, rief jemand, als sie das Besprechungszimmer betrat, und alle Leute, die sich darin befanden, antworteten mit anhaltendem Applaus. Die ganze Kanzlei war voller lärmender, klatschender Menschen, und Bennie lachte und verbeugte sich.

»Vielen Dank, vielen Dank«, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl am Kopfende des langen Nussbaumtisches. Anne und Judy standen an der Wand, flankiert von glücklichen Italienern, was, wie Bennie zu begreifen begann, ein Pleonasmus war. Mary saß strahlend an der linken Tischseite neben einem Mann mittleren Alters in einem Anzug mit Weste. Er hatte dichtes schwarzes Haar und einen imposanten Schnurrbart, intelligente braune Augen und ein liebenswürdiges Lächeln. Bennie streckte die Hand aus. »Bennie Rosato. Und Sie sind sicher, Mr. ...«

»Cavuto, Frank Cavuto«, sagte er und erhob sich. »Ich bin Anwalt, Nachlassvertreter von Tony Brandolini.«

»Willkommen.« Bennie nickte, und er setzte sich wieder, während die anderen sich offenbar entschlossen, sich auf das folgende Gespräch zu konzentrieren. Alle behielten ihre freudigen, lächelnden Mienen bei, mit Ausnahme einer sehr kleinen älteren Frau, die mit finsterem Gesicht am entgegengesetzten Ende des Tisches saß. Sie hatte trotz der im Zimmer herrschenden Wärme ihren braunen Wollmantel nicht ausgezogen. Ihr sorgfältig frisiertes rosa-graues Haar bildete einen kleinen Dutt auf ihrem Hinterkopf, der sehr weiblich wirkte. Die dunklen Augen hinter ihren dicken Brillengläsern wirkten riesengroß, und sie waren so unerbittlich auf Bennie gerichtet, dass diese ihren Blick abwenden musste. »Also, Mr. Cavuto, was führt Sie hierher?«

»Bitte nennen Sie mich Frank. Ich kenne Mary DiNunzios Familie schon seit dem Tag ihrer Taufe. Ich bin der Sohn ihres Patenonkels.«

Bennie hatte nicht gewusst, dass Italiener tatsächlich Paten hatten; um genau zu sein, wusste sie sehr wenig über Italiener, trotz ihres italienischen Namens. »Sie haben also über Mary zu uns gefunden.«

Mary übernahm die weitere Erklärung. »Frank kam zu mir wegen der Testamentsbestätigung von Tony Brandolini, der letzten Monat gestorben ist, an Krebs. Tony war Unternehmer, und sein Vater, Amadeo Brandolini, war 1942 während des Zweiten Weltkriegs interniert. Mr. Brandolini war Fischer. Damals konnte man vor dem Hafen von Philadelphia noch Fische fangen.«

Bennie hob die Hand. »Langsam. Warte mal. Was meinst du mit ›interniert‹? Interniert wurde man während des Krieges. Man kam hinter Gitter.«

»Genau. Du weißt wahrscheinlich, dass Japaner während des Zweiten Weltkriegs interniert wurden, auch wenn sie die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen. Ihr Eigentum wurde beschlagnahmt, ihre Häuser.«

»Ja.« Bennie erinnerte sich an den historischen Korematsu -Prozess, dessen Urteil gelautet hatte, dass es mit der Verfassung vereinbar sei, im Krieg das Eigentum amerikanischer Bürger zu konfiszieren, die das Pech hatten, Japaner zu sein. Viele Bürgerrechtler ehrten den berühmten Richter William Brennan für seine anders lautende Meinung. War es eigentlich ein Bürgerrecht, die Haarfarbe pink zu haben? »Ich erinnere mich an die Zeit. Kein Ruhmesblatt in unserer Geschichte.«

»In unserer auch nicht«, fügte Frank hinzu, und viele Köpfe um den Tisch herum nickten. Die alte Dame mit ihren riesengroßen Augen blieb allerdings steif sitzen. Ihre Hände griffen ab und zu nach der Goldkette um ihren Hals, an der ein kleines Amulett in Form eines Horns hing. Ihr Blick war so wütend wie der einer neapolitanischen Madame Defarge, dachte Bennie. Neben ihr saß ein untersetzter Mann mit schütterem Haar, der anscheinend ihr Ehemann war. Aber er hatte wenigstens seinen Mantel ausgezogen, und der Blick hinter seiner Brille war freundlich.

Mary räusperte sich. »Also, es waren über zehntausend Italiener, Bürger und legale Immigranten, in Amerika interniert. Sie wurden einfach in Bausch und Bogen zu feindlichen Ausländern erklärt, auch wenn sie schon zwanzig Jahre oder länger hier lebten. Sie wurden gezwungen, sich registrieren zu lassen, und wurden in Internierungslager nach Missouri, Texas und anderswo geschickt.«

Das hatte Bennie nicht gewusst, trotz ihrer Erfahrung in Bürgerrechtsfragen, aber es überraschte sie nicht. In Kriegszeiten erhielt die Regierung besondere Rechte, und sie übte ihre Macht voll aus, zu guten und zu weniger guten Zwecken.

»Die Italiener an der Westküste waren am meisten betroffen, und an, beiden Küsten waren die Hauptleidtragenden die Fischer. Das FBI hielt Fischer für besonders gefährlich, weil sie das Meer und den Standort von U-Booten und feindlichen Schiffen kannten.« Mary blickte kurz auf ihre Notizen. »Die Regierung konfiszierte Taschenlampen und Kurzwellenradios, damit niemand mit dem Feind Kontakt aufnehmen konnte.«

»Das stimmt wirklich«, unterbrach ein älterer Mann an der Tür. »Mein Vater und meine Mutter wurden ins Lager gebracht, obwohl sie schon zweiunddreißig Jahre in den Staaten lebten. Und obwohl ich in der Armee war, als amerikanischer Soldat. Sie waren keine feindlichen Ausländer oder, wie sie sie nannten, Verräter. Sie waren Patrioten! Sie haben nie ihre Papiere gekriegt, weil sie nicht englisch lesen und schreiben konnten.«

»Das ist doch der reinste Hohn«, rief eine Frau neben ihm. Sie sah aus wie eine Intellektuelle, mit Lesebrille an einer Kette. »Der Sohn kämpft für unser Land, während die Eltern von der Regierung dieses Landes zu Feinden erklärt werden. Wussten Sie, dass es für Joe DiMaggios Vater verboten war, das Restaurant seines Sohnes in San Francisco zu betreten? Er durfte sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten.«

Mary schob den Papierstapel vor sich zurecht. »Menschen verloren ihr Geschäft, ihr Zuhause. Familien wurden auseinander gerissen. Ehefrauen und Kinder hatten keine Ernährer mehr. Und manche, wie Amadeo Brandolini, brachten sich im Lager um. Amadeo hielt es nicht aus, dass er Schande über seine Familie gebracht hatte, wie er glaubte.«

»Schande? Aber er hat nichts Schlechtes getan. Er war ein Opfer.«

Cavuto hielt einen Finger hoch. »Sie sehen das vom heutigen Standpunkt aus, Bennie. Vielleicht vom Standpunkt einer Frau. Aber für Amadeo war es ganz anders, wie sein Sohn mir erzählte. Er hat sein Geschäft verloren. Seine Boote. Seinen Lebensunterhalt. Er konnte seine Familie nicht mehr unterstützen, er konnte sie nicht vor dem schützen, was sie zu erdulden hatten. Als Mann fühlte er sich beschämt und erniedrigt.« Cavuto reckte den Kopf vor. »Sind Sie etwa keine Italienerin, dass Sie das nicht verstehen? Haben Sie nur den Namen Ihres Mannes angenommen?«

»Ich bin Single«, antwortete Bennie. Sie wehrte sich gegen das Bedürfnis, sich für diesen Zustand zu entschuldigen. Über dreißig und noch Single zu sein, das erforderte eine Rechtfertigung. »Ich verstehe, was damals stattgefunden hat. Was ich noch nicht verstehe, ist, was wir für Sie tun können.«

»Tony Brandolini war kein reicher Mann, aber er verfügte über einige Mittel. Er vergaß seinen Vater nie, und er hat seiner Regierung nie verziehen.« Cavuto beugte sich vor und holte einen dicken Ordner aus seiner Aktentasche. »Tony begann mit Nachforschungen darüber, was aus dem Geschäft seines Vaters geworden war, aber dann bekam er Krebs und konnte die Sache nicht zu Ende bringen. In seinem Testament verfügte er, dass die von ihm gegründete Stiftung einen Anwalt damit beauftragt, für die Wiedergutmachung der seinem Vater zugefügten Schäden zu sorgen. Wir sind gekommen, um Mary und Ihrer Kanzlei diesen Auftrag zu erteilen.«

»Das heißt, wir sollen gegen die Regierung klagen? Auf Wiedergutmachung?«

»So lautete der Wunsch meines Mandanten. Er war geschieden, er hatte keine Kinder, und seine Stiftung sollte einzig diesem Zweck dienen.« Cavuto machte eine Handbewegung, die alle Leute im Zimmer einschloss. »Es ist für uns alle eine äußerst wichtige Angelegenheit, deshalb sind wir hier. Wir werden Ihnen auf jede nur mögliche Weise zur Seite stehen.«

»Das möchte ich bestätigen!«, schrie South Philly Rocks mit einem Zwinkern in Bennies Richtung. »Was immer Sie wollen, werden Sie bekommen! Und Mary natürlich auch. Ihr alle!« Wieder nickten alle Köpfe um den Tisch herum in herzlichem Einverständnis.

»Ich danke Ihnen«, sagte Bennie und zog den dicken Ordner zu sich, während der Anwalt abwartete. Sie öffnete den Ordner, überflog die Formalien und las mit sinkendem Mut sein Vermächtnis. Neuntausend Dollar waren für die Kosten des Verfahrens von ihm vorgesehen worden. Das war eine Menge Geld, aber es reichte nicht, um die Regierung der Vereinigten Staaten zu verklagen.

Mary ahnte, was in ihr vorging. »Bennie, ich habe Frank schon gesagt, wie teuer ein solches Verfahren ist, und der Circolo hat eine Sammlung veranstaltet. Sie werden Brandolinis Geld aufstocken. Es sind fast zwanzigtausend Dollar.«

Ihr gegenüber begann South Philly Rocks wieder, heftig zu nicken. »Wir haben an Ostern drei Tombolas in der Kirche. Und Goretti und St. Monica spenden wie wild. Drei von unseren Gemeinden sammeln jeden Sonntag.«

Bennie unterdrückte ein Seufzen. Prozesse kann man nicht mit Rumkuchen bezahlen. »Es ist eine sehr komplexe Angelegenheit, Frank. Ich bin nicht einmal sicher, dass die Brandolini-Stiftung das Recht hat, eine Klage einzuleiten.

Und es gibt jede Menge weiterer Probleme, Immunität, Verfassung, alles Mögliche. Es ist ein sehr kostspieliger ...«

»Bennie«, unterbrach sie Mary, »ich würde meine ganze Zeit dafür opfern. Auch außerhalb der Bürozeit. Und nichts dafür in Rechnung stellen.«

Bennie konnte es sich nicht leisten, dass eine ihrer Angestellten ohne Honorar arbeitete. »Es tut mir Leid, DiNunzio, aber ...«, begann sie, als sie vom Ende des Tisches her einen schrillen Schrei hörte.

»Vide! Vide!«, rief eine Frau, und Bennie zuckte zusammen. Die alte Frau mit dem zornigen Blick stand aufrecht da. Sie schrie auf Italienisch und zeigte mit einem arthritischen Zeigefinger auf die Anwältin ihr gegenüber. Bennie verstand kein Wort, bis die Frau endlich etwas in gebrochenem Englisch äußerte. »Sie! Sie, Benedetta Rosato! Sie sehr böse, böse!«

Bennies Augen weiteten sich. Sie hatte keine Ahnung, was sie falsch gemacht hatte. Sie hatte diese Frau nie gesehen. Wer war das?

»Mom!«, rief Mary, die ebenfalls aufgesprungen war. »Bitte nicht, Mom!«

Mom? Bennie sah völlig konsterniert von ihrer Angestellten zu der schreienden Frau. Also ist Madame Defarge Marys Mutter!

»Mom, hör auf! Dad, bitte! Sie hat es mir versprochen!« Mary rannte um den Tisch herum zu der Frau, deren Haut rot leuchtete wie Tomatensauce. »Ma, nicht! Du hast es versprochen! Dad, sie hat es versprochen!«

Mom? Dad? Bennie beobachtete die Szene. Der alte Mann versuchte, seine Frau durch heftiges Umarmen zu besänftigen. Doch selbst als der Rest des Circolo begütigend auf sie einredete, hielt sie ihren anklagenden Finger immer noch auf Bennie gerichtet.

»Mom, bitte, sei ruhig«, sagte Mary immer wieder, und Judy unterstützte sie kräftig in ihren Anstrengungen. Das quietschrosa Haar blühte wie eine Petunie unter all den Brünetten. Nach ihr stürzte sich auch Anne ins Getümmel.

Bennie stand auf. Das Besprechungszimmer hatte sich in ein Irrenhaus verwandelt. Jedermann war auf den Beinen. Jeder schrie irgendjemanden an, und Mrs. DiNunzio legte sich auf schönste neapolitanische Weise ins Zeug. Bennie wandte sich an Cavuto. »Frank, sprechen Sie Italienisch? Was sagt sie die ganze Zeit?«

Cavuto nahm Bennies Ellbogen und zog sie beiseite. »Sie sagt, dass Sie böse seien und sie Sie hasst.«

»Wie kann sie mich hassen, wo sie mich doch nicht einmal kennt?«, fragte Bennie verwirrt. »Man muss mich kennen, um mich hassen zu können.«

»Sie sagt, dass Ihnen alle anderen egal sind und Sie sich nur um sich selber kümmern«, übersetzte Cavuto das, was aus der Furie heraussprudelte. »Sie würden Mary nicht anerkennen. Nichts liegt Ihnen am Herzen, nur Sie selbst.«

»Ich? Ich kümmere mich nicht um Mary?«

»Sie behandeln ihre Tochter nicht gut genug. Und die Freundinnen ihrer Tochter.«

»Judy und Anne?«

»Ja. Bei einem Mordprozess sind sie beinahe umgebracht worden.« Cavutos Augen verengten sich. »Stimmt das?«

Oh. »Na ja, wenn man so will. Aber es waren drei verschiedene Prozesse.«

Cavuto wandte sich ab. »Sie sagt, Sie bezahlen sie nicht gut genug.«

Dem konnte Bennie nicht widersprechen. Mrs. DiNunzio hatte ihren wunden Punkt getroffen.

»Sie sagt, Sie kämmen sich nicht richtig.«

»Ist das wichtig?«

»Und Sie gehen wie ein Mann.«

»Ich versuche, mein Ziel zu erreichen!«

»Sie sind allein. Kein Mann wird Sie heiraten.«

Wow. Schwere Geschütze. Bennie begann, sich zu ärgern. »Das geht niemanden etwas an!«

»Sie sollten sofort den Raum verlassen.«

»Das ist ja die Höhe! Sie wirft mich aus meinem eigenen Besprechungszimmer hinaus!«

Cavuto sah Bennie an. »Das war nicht sie. Ich habe das gesagt.«

»Warum? Es ist mein Besprechungszimmer. Sie sollte ihn verlassen, nicht ich.« Bennie verschränkte die Arme. »Auch ich habe durchaus die Fähigkeit, kindisch zu sein. Es ist mein verbrieftes Recht, kindisch zu sein. Lesen Sie den ersten Zusatzartikel unserer Verfassung.«

Cavuto schüttelte den Kopf. »Überdenken Sie noch einmal ihre Meinung. Ich kenne Vita DiNunzio. Sie kann noch Stunden so weitermachen, wenn sie will. Sie wird immer stärker, wie ein Haus, das in Flammen steht.«

Bennie sah zu der Gruppe von Menschen, die dabei waren, die noch immer schreiende Mrs. DiNunzio zu überwältigen und kampfunfähig zu machen. Ihr anklagender Finger stach aus dem Getümmel wie die Freiheitsstatue aus einem Wirbelsturm.

»Sie werden sie nicht bändigen können«, sagte Cavuto bedauernd. »Ein ganzer Häuserblock gerät in Brand. Sie ist eine Naturgewalt.«

Bennie schnaubte. »Na, gut. Sagen Sie Mary, dass ich in ihr Büro komme. Wegen des Brandolini-Nachlasses rufe ich Sie an. Sie haben mich in die Enge getrieben. Das wissen Sie.«

»Verzeihen Sie mir. Aber es geschah für einen guten Zweck. Buona fortuna.«

»Dafür brauche ich keine Übersetzung.« Bennie klopfte ihm auf den Rücken. Dann ging sie in ihr Büro, um nach dem verfluchten Terminplaner zu suchen.

Mord unter Schwestern

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