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Eine eigene Familie

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Mit seiner Vaterschaft erlebt Robi Minder zum ersten Mal in seinem Leben die bewegte Vielfalt eines Familienalltags. Seine Nachtarbeit erlaubt ihm eine Nähe und Präsenz bei seinem Sohn und seiner Partnerin, die er geniesst. Und die ihm guttut. Er staunt ob der Anmut und Poesie des kleinen Wesens, holt und verteilt Zärtlichkeiten, wagt sich damit in unbekanntes und auch irritierendes Neuland. Bei der Arbeit findet er gleichzeitig in eine gewisse Routine, die Gespenster der Angst werden leiser. Robi Minder sieht die Zeit gekommen, sich vom Alkohol, dem alten Helfer, loszusagen. Er plant, unterstützt von einem Arbeitskollegen, den Ausstieg aus seiner Sucht. Denn auch Anton, der Türsteher des Happy Night, Gewichtheber, ein Brocken von Mann, der ihm wohlgesonnen ist, sucht nach einer Veränderung. Sein Muskelfett, seine 120 Kilogramm, die die Frauen abstossen oder ängstigen, sollen weg. Gemeinsam joggen die beiden, laufen gegen Alkohol und Fett um die Wette, während annähernd zehn Jahren, und werden Freunde.

Anton lockt Robi Minder nicht nur auf die schönen Kieswege am Ufer des Rheins, er zeigt ihm noch eine andere, ihm gänzlich unbekannte Welt. Sie versteckt sich in einem Hinterzimmer, wo sich ein eingeschworener Kreis von Männern trifft. Regelmässig kommen sie, setzen sich an ihre Tische, ziehen Zigarren und Geldbündel aus ihren Taschen, verteilen Karten – und dann wird gespielt. Gepokert. Mit Pokern lässt sich eine Menge Geld verdienen. Wenn man dafür begabt ist. Und Robi Minder ist begabt. Denn will man in diesem Spiel Erfolge verbuchen, braucht man Geduld, Beobachtungsgabe, Psychologie und Menschenkenntnis, aber auch Strategie, Risikofreude und Verantwortungsbewusstsein. Darin ist Robi Minder ein Meister, er hat alle diese Eigenschaften auf seinem langen Leidensweg bis ins Feinste entwickelt und ausdifferenziert. Hinzu kommt – und das ist für ihn matchentscheidend –, dass man im Pokerspiel niemandem verpflichtet ist. Ausser sich selbst. Die sozialen Beziehungen sind ausgesetzt, die Mitspieler am Tisch vollkommen egal. Man kennt Namen und Beruf. Und nicht einmal dies wäre nötig. Es geht nicht um Freundschaft, keiner hat ein Recht auf Rechenschaft. Die einzige Instanz ist die Regel des Spiels. Und die einzige Referenz der eigene Gewinn.

Und so kommt es, dass Robi Minder nach sorgfältigem Abwägen und einer buchhalterischen Auswertung seiner Gewinne über ein paar Monate hinweg noch einmal einen beruflichen Wechsel wagt. In seinem 31. Lebensjahr steigt er aus der Gastronomie aus und ins professionelle Pokerspiel um. Er wird den Schritt nie bereuen, er und seine Familie werden in den nächsten zwei Jahrzehnten mit diesen Einkünften gut leben. Einzig die Sache mit den Steuern plagt den gewissenhaften Spieler. Wie soll er, der doch gar nicht betrügen will, die Gewinne aus einem illegalen Spiel versteuern? Und wie an den Sozialversicherungen weiterhin partizipieren? Er löst das Dilemma über kleine Nebenbeschäftigungen, die ihn auch künftig in der Arbeitswelt verankern. Er arbeitet als Maler, als Gärtner, als Bodenleger oder Reiniger von Boilern. Und schliesslich, Jahre später, als Hauswart im Nebenamt.

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