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April 2001, Santa Barbara

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Meine Seminare an der UCSB sind für heute vorbei. Als ich im Hafen von Santa Barbara übers Deck laufe, liegt der Geruch der Ebbe in der kühlen Frühlingsluft. Nach einem Auslandssemester in Australien musste mein Dad mir versprechen, dass er die Endless Summer aus San Diego hochbringen und ich an Bord wohnen dürfen würde. Nur so konnte er mich zur Rückkehr und zum Fertigstudieren bewegen.

Für mich war Down Under nicht nur das Surfparadies: Dort hatte ich in der kleinen Küstenstadt, in der ich studierte, auch eine Art allgegenwärtigen Respekt gegenüber der Natur erleben dürfen. Die Gleichgültigkeit in Umweltfragen hier in den USA war im Vergleich dazu ernüchternd. Es frustriert mich, wie hiesige Unternehmer lediglich auf Profit aus sind und dafür unsere elementaren Ressourcen opfern – saubere Luft, sauberes Wasser und gesunde Böden, Flüsse und Meere. Wie kann es sein, dass Schüler und Studenten hierzulande nichts über die Ökosysteme dieser Erde lernen, die doch unsere Lebensgrundlage sind?

Als ich die Stelle hinter mir lasse, bis zu der mich die Hafenpolizei sehen kann, setze ich mein Skateboard ab und skate den restlichen Weg über den Zement. In einer Stunde muss ich zur Arbeit. Meine Freundin Katie hat mich am Morgen schon vor Sonnenaufgang abgeholt, um surfen zu gehen, deshalb will ich mich noch kurz aufs Ohr legen. Katie und ich sind zwei echte Tangfliegen – kaum von den Stränden wegzukriegen. Wir lieben alles, was mit Surfen zu tun hat – selbst den Geruch unserer Wetsuits, wenn wir ins Wasser gepinkelt haben, das schnelle Umziehen hinter Handtüchern auf dem Parkplatz, den Teer und die Algen in den Haaren. Der einzige Wermutstropfen sind die vielen anderen wellenhungrigen Surfer im Line-up. Das ist auch das Tolle an einem eigenen Boot.

Am vergangenen Wochenende bin ich mit Freunden auf der Endless Summer zu einer Stelle gesegelt, wo keine Straße hinführt. Es war mein erster Ausflug ohne meinen Bruder oder Dad an Bord. Vor der Steilküste erwischten wir einen langen Righthander – und zwar als Einzige weit und breit.

All das befeuert meinen Traum vom Segeltörn. Was könnte schöner sein, als auf dem Meer aufzuwachen, die Welt zu bereisen, die perfekte Welle zu finden, ohne dass massenhaft andere da wären, und dieser kurzsichtigen Gesellschaft, die unsere Erde zugrunde richtet, einfach davonzusegeln?

Als es so weit ist, schlüpfe ich in eine schwarze Hose und eine weiße Bluse. Seit Kurzem habe ich einen Studentenjob auf einer schicken Yacht namens Tamara, die ganz in der Nähe liegt. Heute Abend findet dort ein Society-Event für wichtige Leute aus Santa Barbara statt.

An der Bar im Achterdeck befülle ich vorsichtig Champagnergläser. Ich bin drauf und dran, mit dem Tablett loszuziehen, als eine hinreißende, ältere Diva in einem schillernd fuchsienfarbenen Hosenanzug auf mich zukommt.

»Darf ich mir ein Glas runternehmen, Liebes?«

»Natürlich.«

»Studieren Sie hier in Santa Barbara?«

»Ja, ich stehe kurz vor dem Abschluss in Umweltwissenschaften.«

»Oh, dann müssen Sie Dr. Barry Schuyler kennenlernen! Er hat das Institut mitbegründet.«

Mit meinen kippelnden Gläsern folge ich ihr zu einem vornehm aussehenden älteren Gentleman. Er sieht athletisch aus, trägt ein schickes blaues Sakko und eine kantige Metallbrille. Das schüttere Haar hat er sich akkurat zurückgekämmt.

»Barry, du musst Liz kennenlernen – sie ist demnächst mit ihrem Studium in Umweltwissenschaften fertig.«

»Schön, Sie kennenzulernen, Dr. Schuyler«, sage ich. »Möchten Sie vielleicht auch ein Glas Champagner oder einen Appetizer?«

»Danke, meine Liebe, ich bleibe beim Wein.« Er hebt sein Glas. »Sind Sie mit Ihrem Studium zufrieden? Ich hab das Institut 1969 nach der Santa-Barbara-Ölpest zusammen mit ein paar Kollegen gegründet.«

»Danke. Es ist ein tolles Studienfach«, sagte ich. Dann unterhalten wir uns eine Weile über meine Lieblingsseminare und über das Segeln. Irgendwann hält er inne.

»Im September rund um Vollmond mache ich immer einen Wochenendtrip mit Freunden und Studenten raus nach San Miguel Island«, sagt er. »Wollen Sie diesmal nicht mitkommen?«

»Gern«, antworte ich, ohne zu zögern. »Das wäre toll.«

Wellen und Klausuren kommen und gehen. Fast jedes Wochenende fahre ich zu irgendeinem Surfwettkampf entlang der kalifornischen Küste. Der letzte in dieser Saison sind die NSSA Nationals, und dort schnappe ich mir sogar einen Sieg. Hier und da denke ich über eine Karriere als Profisurferin nach, dann wiederum bin ich dafür wohl nicht ehrgeizig genug. Das Aufspüren neuer Surfspots, wie ich es immer in den Sommerferien in Baja, auf Barbados, in Costa Rica, El Salvador und Hawaii gemacht habe, liegt mir viel mehr. Dad spendiert mir die Studiengebühren, sodass ich das Jahr über Geld für meine Reisen ansparen kann.

Eines Tages ruft überraschend Mom an und erzählt, dass sich ein gewisser Dr. Schuyler aus meinem Institut gemeldet und mich auf einen Törn eingeladen hat. Ich bin verdutzt. Ich hatte ihm nicht mal meinen Namen oder meine Nummer aufgeschrieben.

Keine Ahnung, wer sonst noch dabei ist. Möglicherweise wird es ein bisschen komisch. Andererseits war ich noch nie auf San Miguel, und angeblich soll es dort großartig sein. Ich rufe zurück und nehme seine Einladung an.

Fröhlich steuert Dr. Schuyler uns durch den Santa-Barbara-Kanal. Das Boot verfügt über einen Autopiloten, und es sind zig helfende Hände an Bord, aber es ist ihm deutlich anzusehen, wie sehr er es genießt, selbst auf das Inselchen in der Ferne zuzuhalten.

Als er eine Pause einlegt, setzt er sich zu mir. »Erzählen Sie mal, Lizzy, was haben Sie nach dem Abschluss vor?«, fragt er, ohne den Blick vom Wasser abzuwenden.

»Ich will segeln«, antworte ich. »Ich will einen Langstreckentörn über den Pazifik machen, vielleicht sogar um die Welt.«

Er reißt den Blick kurz vom Horizont los und sieht mich konzentriert an. »Davon hab ich auch geträumt, aber dann kamen mir vier Kinder, mein Beruf als Highschool-Lehrer, später als College-Dozent und meine Doktorarbeit in die Quere. Außerdem mag Jean, meine bessere Hälfte, Pferde lieber als Segelboote.« Er holt tief Luft und blickt wieder aufs Wasser. »Sie, meine Liebe, sollten das wahr machen. Warten Sie nicht damit, bis Ihnen gewisse Verantwortlichkeiten im Leben einen Strich durch die Rechnung machen.«

Mark, Shannon und ich sitzen auf einer riesigen Düne auf der Höhe von Santa Maria, nachdem wir die Küste von Baja California inzwischen 600 Seemeilen weit abgesegelt sind. Die bergige Wüstenlandschaft rund um die weitläufige Bucht ist ein Traum. Dieselben Winde, die uns hergebracht haben, haben auch diese ausschweifenden Dünen geschaffen. Einzelne Windstöße wehen den Sand um unsere Knöchel auf. Die Swell wiegt vor Anker auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht leicht vor und zurück. Sie ist hier das einzige Segelboot. Dass wir so lange schweigen, ist ungewöhnlich für uns, doch immer wieder verschlagen uns die überwältigende Schönheit der Natur und die unbebaute Weite die Sprache.

Dieser verwaiste Küstenstreifen hat jetzt schon diverse Herausforderungen für uns bereitgehalten, aber ich lerne auch von Tag zu Tag dazu. Meine erste Prüfung – in Mechanik – stand mir am Morgen nach unserer Beinahe-Kollision mit der Sandbank bevor. Wir wollten den Anker lichten, ich drehte den Zündschlüssel herum – und nichts passierte. Ich versuchte es wieder – vergebens. Nachdem ich den halben Tag damit zugebracht hatte, Handbücher zu wälzen und das Problem zu identifizieren, und mich dabei um ein Haar durch einen Stromschlag hingerichtet hätte, rief ich per Satellitentelefon Mike an, meinen Kumpel und Mechaniker. Er löste zu guter Letzt unser Rätsel um den Nullleiter, und wir konnten unsere Reise entlang der Küste fortsetzen.

Auf jeder einzelnen Etappe wichen wir Hummerfallen und Schleppnetzen aus, führten diverse ziemlich knappe, heikle doppelte Ankermanöver aus, ließen in brechenden Wellen das Dingi zu Wasser oder holten es ein und entkamen nur um Haaresbreite einer Kollision mit einem Kreuzfahrtschiff. Eines Abends gerieten Mark und ich in Panik, als wir mit einem Mal ein grelles Licht am Horizont entdeckten, bis mir dämmerte, dass das bloß der Mars war, der über dem Wasser aufging, und kein Schiff auf dem Weg nach Norden.

Mit jedem Handgriff, den ich zum ersten Mal tätigte, und mit jedem dummen Fehler habe ich dazugelernt. Und auch wenn Mark und Shannon beide nicht sehr viel Segelerfahrung haben, holen sie mich in Stressphasen wieder ein bisschen runter, während sie gleichzeitig meine superstrengen Regeln befolgen – wie beispielsweise das stündliche Update des Logbuchs während des Wachdiensts oder dass sie an Deck bei jedem Wetter jederzeit ihre Lifebelts am Strecktau befestigt haben. Trotz ermüdender Wachschichten, kulinarischer Herausforderungen auf See und eingeschränkter Möglichkeiten zu baden, beengter Schlafverhältnisse, Tauen, an denen wir zerren, und Segeln, die gebändigt werden müssen, ist meine Crew immer noch richtig guter Dinge.

Noch während wir auf der Düne schweigend beieinandersitzen, beschließe ich, der Stille ein Ende zu setzen, und stecke Mark eine Handvoll Sand in die Hose. Er jagt Shannon und mir hinterher, und wir kullern die Düne hinunter, verschlucken uns am Sand und an unserem Gelächter. Nachdem er ins kalte Wasser gewatet ist, um sich den Sand abzuwaschen, packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Rückweg zum Dingi. Unterwegs finde ich einen perfekt runden, untertellergroßen Sanddollar an einer Stelle, die bei Flut überspült ist. Ich stecke ihn in die Tasche, um ihn vom nächsten Hafen aus an Barry zu schicken. Jetzt, da meine Nerven sich endlich wieder beruhigt haben, dämmert mir langsam, was für ein gewaltiges Geschenk er mir gemacht hat.

Die Wellenreiterin

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