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DER TRAUM WIRD WAHR Oh, Mexiko!

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Shannon späht die Wellen aus. »Da!« Sie drückt mir das Fernglas in die Hand und zeigt in die entsprechende Richtung.

Die Wellen brechen entlang einer mit Palmen bewachsenen Landspitze vor staubig braunen Hügeln: Es ist der erste knackige Südschwell der Saison. Wir springen vor Freude in die Luft. Auf der Suche nach dem nächsten geschützten Ankerplatz, an dem das Boot bedenkenlos liegen bleiben kann, segeln wir ein Stück südwärts. Gegen Sonnenuntergang steuere ich eine kleine Bucht hinter einem Wellenbrecher an, während Shannon die Segel einholt. Es war eine lange, heiße Passage mit diversen Komplikationen.

Als die Sonne am folgenden Morgen aufgeht, schaufeln wir Porridge in uns hinein und stopfen dann eilig Sonnencreme und Wechselwäsche in unsere wasserdichten Taschen. Das Dingi lassen wir diesmal an Deck und paddeln auf unseren Boards an den Strand, an dem es von Schwimmern und Sonnenanbetern nur so wimmelt.

Keuchend arbeiten wir uns hoch bis zur Hauptstraße. Kaum dass wir dort ankommen, fährt ein Dorito-Wagen rechts ran. Ein Mann mittleren Alters mit Schnauzer steckt den Kopf durchs Fenster und erkundigt sich, wo wir hinwollen. »¿A dónde vas?«

»Al norte«, antworte ich – in Richtung Norden. Wir wollen zu der Stelle, die wir tags zuvor entdeckt haben.

»Vamos«, sagt er und stellt sich vor: »Me llamo Armando.«

Armando wirft unsere Boards zwischen kistenweise Dorito-Chips, und sofort weiß ich wieder, was ich an den Mexikanern so schätze: ihre Warmherzigkeit und Großzügigkeit. Ich bin froh, dass Mom damals während unserer Mexikoreise darauf bestanden hat, dass wir Kinder Spanisch lernten. Nach einem kurzen Tankstopp fährt unser fröhlicher Begleiter sogar einen Umweg und eine längere Schotterpiste entlang, um uns ans Ziel zu bringen. Noch während wir an einer kleinen Ansammlung aus Palapas und aufgeständerten Bungalows vorbeiholpern, zeigt er uns ein laminiertes Foto seiner Kinder. Er hält bloß einen Katzensprung von den tosenden, übermannshohen Lefthandern entfernt.

»¡Gracias, Armando!«, rufen wir ihm nach, als er wendet. Vor einer nahe gelegenen Kneipe drehen sich Surfer nach uns um. Sie sind neugierig, wer da aus dem Truck gestiegen ist. Leicht nervös laufen wir auf sie zu.

Ein Landsmann von uns springt mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf. »Hallo, Mädels! Ich bin Pablo. Wo kommt ihr denn gerade her?«

»Wir haben ein Stück die Küste runter geankert«, erkläre ich. »Sind gestern hier vorbeigesegelt.«

»Oh, dann haben wir euch gesehen. Schönes Boot. ¡Bienvenidos!«, heißt er uns willkommen. Er grinst, ist zappelig wie ein kleines Kind. Mit den meisten anderen mürrischen Auslands-US-Amerikanern, die ich auf früheren Surftrips kennengelernt habe, hat er nichts gemein. Ich würde mich gern noch länger mit ihm unterhalten, aber es fällt mir schwer, mich auf ein Gespräch zu konzentrieren, während direkt vor meiner Nase die Wellen hereindonnern.

»Weißt du vielleicht, wo wir unsere Taschen sicher verstauen können, während wir surfen gehen?«, frage ich ihn.

Er weist uns den Weg zur Rückseite des Hauses eines Bekannten ganz in der Nähe und gibt uns noch ein paar Tipps mit auf den Weg: »Lauft bis zur Spitze der Landzunge. Dort mündet der Fluss ins Meer – da springt ihr rein. Sobald ihr draußen seid, sucht euch einen Orientierungspunkt an Land, weil die Strömung recht ordentlich ist. Die meisten treiben zu weit ins Tiefe, aber wenn ihr ein bisschen aufpasst, habt ihr die Sets ganz für euch allein. Dann mal viel Spaß!«

Ich klebe förmlich an seinen Lippen und bin froh, dass wir einen neuen Compadre gefunden haben.

Shannon und ich verbringen den kompletten Vormittag draußen im Wasser. Wir können nicht anders – da sind wir wie Mücken in einem Raum voller leicht bekleideter Gringos. Erst Stunden später trudeln wir mit schweren Gliedern und einem breiten Grinsen im Gesicht zurück ans Ufer. Pablo spendiert uns zwei geeiste Bananen-Mango-Licuados – eine Art Smoothie –, und wir legen uns im Schatten der Kneipen-Palapa in den Sand. Auf der Suche nach einsamen Surfspots kam Pablo 1979 mit dreiundzwanzig erstmals hierher. Während sein Reisepartner wieder heimkehrte, blieb er, verliebte sich in das wilde Mexiko und hat seither gelernt, »wie man Mexikaner wird«.

Ich habe das leckere Getränk noch nicht fertig getrunken, als die Wellen an der Innenseite der Sandbank meinen Blick erneut anziehen. Ich scharre schon wieder mit den Hufen und versuche, mir einzureden, dass ich erst noch ein bisschen Schatten und Erholung brauche, aber als die nächste menschenleere Welle über die Sandbank rollt, kann ich nicht anders, trage sofort frische Sonnencreme auf, schnappe mir mein Board und sprinte zurück zur Landzunge.

In mir toben die Freude und die Experimentierlust – ich liebe das Surfen, die Wärme, die Freiheit dieses neuen Lebens! Jede noch so kleine Verbesserung meiner Surftechnik ist ein Triumph. Shannon macht vom Strand aus Fotos. Ich trainiere meinen Backside Stand, Bottom Turns auf der brechenden Lip, Cutties und Drops mit der Hand am Board.

Nach dieser zweiten Session spazieren Shannon und ich am Strand entlang und sind von der beeindruckenden Küstenlandschaft hier in Michoacán begeistert. Es ist gerade Semana Santa in etwa das mexikanische Äquivalent zum Spring Break in den USA. Die Einwohnerzahl des kleinen Örtchens hat sich vervierfacht. Drei, vier Familiengenerationen sitzen lachend zusammen und picknicken in der Sonne: überall Tabletts mit bergeweise frischem Obst, Gitarrenklänge, herumgereichte Cervezas. Schwer zu sagen, wer hier zu wem gehört. Anscheinend ist es hier gang und gäbe, zwischen den Grüppchen umherzuwandern und hier und dort gemeinsam einen kleinen Snack zu sich zu nehmen. Familiensinn scheint hier weit über den Rand der eigenen Picknickdecke hinauszureichen.

Nach ein bisschen Bodysurfing und einer kleinen Siesta kehren wir zur Kneipe zurück und machen uns breit grinsend über köstliche Enchiladas con mole – mit Chilisoße – und erfrischenden Jugo de sandía – Wassermelonensaft her. Der Horizont verfärbt sich satt orangerot. Seit Mark vor einem guten Monat nach Hause geflogen ist, hatten wir immer wieder fabelhafte Mitfahrer. Dann bekam ich erst eine Bronchitis, verstauchte mir den Daumen, und 300 Meilen vor der Küste setzten uns eine Algenblüte und tonnenweise Quallen zu – und vereitelten, dass wir unseren Umkehrosmose-Wasserfilter einsetzen sowie unbeschwert schwimmen gehen konnten. Ein Schiff der mexikanischen Marine, das ohne Licht unterwegs war, hätte uns um ein Haar gerammt, und bei der Durchquerung einer Flussmündung lief die Swell auf eine Sandbank auf. Am Vortag fiel zu allem Übel Shannons Notfunkbake über Bord, und als ich umkehren wollte, um sie uns wiederzuholen, wickelten sich Fischernetze um unseren Propeller. Heute soll deshalb der Anfang einer neuen Glückssträhne sein.

»Hör mal, Snaggs …« Den Spitznamen – abgeleitet von snag, »sich etwas schnappen«, »aufschnappen«, aber auch »sich verhaken« – hat sie verpasst bekommen, weil sie einerseits blitzschnell Dinge lernt, andererseits aber auch dazu neigt, überall anzustoßen. »Wir sollten umkehren, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit eine Rückfahrgelegenheit finden.«

»Schaut mal«, kichert Pablo, »da kommt auch schon die Policía auf ihrer Abendrunde. Ich frag sie mal, ob sie euch in Richtung Süden mitnehmen können. Die Jungs sind Freunde von mir. Wenn ihr morgen wiederkommen wollt, lasst eure Boards gern hier bei mir.«

Snaggs und ich dürfen auf der Ladefläche der Policía mitfahren. Officer Luis neben uns hält seine Maschinenpistole fest, während das Dorf hinter uns in der Dunkelheit verschwindet. Als wir hoch zur Hauptstraße fahren, peitscht uns der kalte Wind durchs Haar und kühlt unseren Sonnenbrand.

Sie bringen uns bis zu einer Anlegebrücke in der Nähe der Swell, wo wir von der Ladefläche springen und uns überschwänglich bedanken. Dann klettern wir über die riesigen Felsbrocken, ziehen uns bis auf die Badeanzüge aus, stopfen alles in unsere wasserdichten Taschen und springen in eine Welle, die über die schwarzen Tiefen rollt. Ein paar Teenager, die in einiger Entfernung auf den Felsen angeln, sehen uns ungläubig nach.

Das Ankerlicht der Swell schwankt in der Ferne. Wir schwimmen durch die Finsternis, ziehen die Taschen hinter uns her und sind nach diesem Traumtag immer noch ganz aus dem Häuschen. Draußen in der Bucht versuchen wir, nicht daran zu denken, was unter uns im Wasser lauern könnte, und konzentrieren uns lieber auf die flackernden Lichter überall um uns herum: Der Himmel ist übersät mit funkelnden Sternen, und die Lichter des Pueblo spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Mit jedem Schwimmzug ziehen wir eine leuchtende, phosphorisierende Spur hinter uns her. Aus den Schatten taucht der weiße Rumpf der Swell vor uns auf, und schillernd hieven wir uns an Bord, wo wir uns augenblicklich in die Kojen verziehen, um das Gleiche mañana wieder zu erleben.

Die Wellenreiterin

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