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Vater und Tochter

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Ich wache mit Bauchschmerzen auf und wälze mich aus dem Bett, doch noch ehe ich es bis zur Reling schaffe, muss ich mich auf dem Achterdeck übergeben. Ich muss mir einen Bazillus eingefangen haben, als ich im verschmutzten Wasser surfen war. Ich greife zur Medikamententasche, bin aber zu kraftlos, um durch das Durcheinander aus Tütchen und vereinzelten Tabletten zu wühlen. Nachts in meiner Koje habe ich Schweißausbrüche und Schüttelfrost, und zwischen den Übelkeitsanfällen alle sieben Minuten schießt mir Charlies Rat durch den Kopf. Tags darauf schleppe ich mich zu einem Münztelefon in der Nähe des Hafenbüros und rufe zu Hause an.

»Hallo? Dad?« Mir versagt die Stimme.

»Hallo, Liebes! Was ist los?«

Beim Klang seiner Stimme bin ich sofort ein bisschen ruhiger. »Ich hab mir irgendwas eingefangen, und die ganzen Arbeiten …« Ich breche in Tränen aus. »Ich weiß nicht mal, wo ich anfangen soll, Dad. Ich kann das alles nicht!«

»Na, dann komm ich doch vorbei«, erwidert er beschwingt. »Hier ist nächste Woche sowieso nicht viel los. Ich nehme den nächstbesten Flieger.«

Ein Lichtblick! »Echt jetzt?«

»Klar. Und Bonusmeilen habe ich auch noch genug. Das wird cool.«

Mit einem Mal ist der düstere Hinterhof wieder bunt. Tags darauf fühle ich mich auch schon besser, nehme den Bus zum nächsten Schrottplatz, um dort nach einer Kupferplatte zu suchen, die wir als Basis für die Erdungsplatte nehmen können. Anschließend fahre ich in die Stadt, um weitere Besorgungen zu machen. Neben dem Surfen gibt es nichts, was ich lieber tue, als mit Dad zusammenzuarbeiten – wenn er nicht gerade ein bisschen zu »gut geölt« ist.

Dad ist, was Bier angeht, ein bisschen überenthusiastisch. Allerdings redet er nicht gern darüber. Wann immer ich ihn darauf anspreche, wechselt er sofort das Thema. Seit er beruflich so viel unterwegs ist, will ihn bei den seltenen Gelegenheiten, da er zu Hause ist, auch niemand sonst darauf ansprechen. Er hat uns finanziell immer den Rücken freigehalten, auch wenn seine unternehmerischen Vorstöße auf dem Gebiet der Krebsdiagnostik nicht immer erfolgreich waren. Da brauchte er Alkohol, um zu entspannen, und der berühmte »Elefant im Raum« wurde in unserer Familie quasi zum Dauergast. An einigen Tagen waren es nur fünf, sechs Bier, an anderen ganze achtzehn. An solchen Abenden haben er und Mom sich oft gestritten, dann trank auch sie ein paar Bierchen, wahrscheinlich um mit seinem Suff klarzukommen. Für mich war all das aus der Distanz wesentlich leichter zu ertragen.

Trotz des langen Flugs und der zweistündigen Fahrt aus der Hauptstadt blitzen Dads Augen, als er drei Tage später in der Werft aus dem Taxi steigt. Ich falle ihm um den Hals und schlage vor, dass wir erst mal Sightseeing machen und an den Strand gehen, bevor wir mit den Arbeiten loslegen.

»Aber wir haben doch nur fünf Tage, Schätzchen. Was steht ganz oben auf deiner Liste?« Vorfreudig reibt er sich die Hände. Dad liebt es, mit den Händen zu arbeiten, und stürzt sich mit Begeisterung kopfüber in jedes Projekt. Ich selbst gehe gewisse Dinge lieber erst theoretisch an, insofern stimmt bei uns das Gleichgewicht aus Planung und Umsetzung.

Die folgenden fünf Tage verbringen wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bei der Arbeit. Er erzählt, wie er früher als Kind in Los Angeles mit seinem Grandpa Dawe zu Klempnereinsätzen und Umbauarbeiten in Wohnhäusern gefahren ist und sich so diverse handwerkliche Fertigkeiten angeeignet hat. Außer Handwerks-Allrounder und großartigem Vater ist er überdies Freigeist, Künstler, jemand, der Risiken eingeht und visionär denkt. Er ist unendlich großzügig, engagiert und, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, unaufhaltsam – ein echter Wilder, der sich fantastisch artikulieren kann, der spontan ist und aus dem Alltäglichen etwas Besonderes macht. Nur gibt er ungern nach, und wenn er frustriert ist, platzt ihm schon mal der Kragen, und er wird jähzornig und ausfällig. Leider habe ich diese Neigung von ihm geerbt.

Während Gnitzenschwärme uns attackieren, schleifen wir den Rumpf ab und verpassen der Swell zwei wunderschöne blaue Streifen über der neuen Wasserlinie. Wir tüfteln aus, wie wir den Mast erden können, und Dad reicht mir Werkzeug an, während ich halb unter dem Klo im Vorschiff auf dem Boden liege und am Mastfuß blind ein Kabel verbolze. Uns ist beiden mulmig, als ich ein Loch durch den dicken Glasfaserrumpf bohren muss, um das Kabel mit der Bronzeplatte zu verbinden, die wir am Rumpf befestigt haben. Anschließend nehmen wir uns die kleine Kühltruhe vor, die einfach nicht kühlen will, und setzen Blöcke aus Schaumstoffisolierung zusammen, die wir in die Truhe einpassen wollen. Wir bereiten den Schliff des Unterwasserschiffes vor, kleben alles ab und tragen zwei dicke Schichten bewuchshemmende Unterwasserfarbe auf. Wiederholt flehe ich Dad um ein Päuschen an, doch er werkelt mit einem breiten, unerschütterlichen Lächeln im Gesicht weiter. Abends kehren wir in sein kleines Hotelzimmer zurück und sehen aus wie zwei völlig erschöpfte Grubenarbeiter.

An Tag fünf bereiten die Werftarbeiter bereits das Abslippen vor, während wir noch die letzten Pinselstriche setzen. Ich drücke Dads Hand, als der makellose Rumpf der Swell die Wasseroberfläche durchbricht. Wir bringen sie an einen nahe gelegenen Ankerplatz und kehren auf ein Abendessen und Feierabendbier in einer Kneipe ein. Dad hat in dieser Woche kaum etwas getrunken. Wir essen, stoßen miteinander an, und anschließend laufen wir rüber ans Wasser, um uns den Sonnenuntergang anzusehen – erstmals seit er hier angekommen ist. Schlammbraune Wellen rollen über den felsigen, vermüllten Strand, und schlagartig hab ich ein schlechtes Gewissen. Dad ist den weiten Weg nach Costa Rica geflogen und hat nicht einen einzigen Palmenstrand oder Wasserfall zu Gesicht bekommen. Er war nicht mal baden.

»Wow, ist das schön«, sagt er. Wie immer sieht er unbeirrt nur die guten Seiten. »Das war eine wirklich tolle Zeit, Lizzy.«

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf. Ich habe einen Kloß im Hals, als ich ihm ein Taxi bestelle. Es fährt vor, und ich kämpfe mit den Tränen, als ich Dads Tasche in den Kofferraum hieve. Zum Abschied umarmt er mich.

»Ich liebe dich über alles, Schätzchen. Wenn du dich je wieder überfordert fühlst, denk daran, was deine Großmutter immer gesagt hat: Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Schön eins nach dem anderen, und du kannst alles schaffen. Ich bin so stolz auf dich!«

Mir fehlen die Worte, um mich bei ihm zu bedanken; nur widerwillig lasse ich ihn ziehen. Er steigt in sein Taxi, und ich sehe ihm nach, wie er über die lange, gerade Straße verschwindet. Tränen laufen mir übers Gesicht. Er war immer unendlich gut zu mit. Ich wünschte mir bloß, er wäre genauso gut zu sich selbst.

Die Wellenreiterin

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