Читать книгу Die Wellenreiterin - Liz Clark - Страница 25

Licht in der Dunkelheit

Оглавление

Es ist drei Uhr nachts. In völliger Dunkelheit sitze ich im Bug; meine Lifeline ist am Mast befestigt, und ich fühle mich mit ihm verbunden wie durch eine Nabelschnur. Der Mond ist verschwunden, und ich kann auch den Horizont nicht erkennen, orientiere mich aber halbwegs am gleichmäßigen Schwappen der ruhigen See entlang des Rumpfs. In der Dunkelheit blitzen immer wieder flackernde Sterne und Planeten auf, auch an Land brennt hier und da Licht, und in unserem Kielwasser wirbeln breite Biolumineszenzbänder. Ich kann mich daran gar nicht sattsehen. Irgendwas an dieser Szenerie erweckt in mir die Frage nach den Mysterien des Lebens.

Was zur Hölle machen wir hier eigentlich – hier draußen an diesem winzigen Punkt in der Weite? Worum geht es wirklich im Leben?

Das Großsegel flappt in der leichten ablandigen Brise, erschlafft und füllt sich erneut. Der warme, trockene Wind trägt Staubwirbel und immer wieder Flocken verbrannten Mülls von der guatemaltekischen Küste heran. Ich kneife die Augen zusammen und halte nach den Leuchten anderer Schiffe Ausschau. Antworten auf meine Fragen habe ich nicht, aber immerhin das vage Gefühl, als wäre ich genau dort, wo ich hingehöre.

Zum Glück haben wir in Puerto Escondido unseren Landsmann Pablo wiedergetroffen, den wir ein Stück nördlich von hier kennengelernt hatten und der uns überredete, unsere Shortboards gegen die längsten Boards einzutauschen, die wir dabeihätten, die Leashes zu lockern und so die Holddowns im wilden Beach Break zu verkürzen. Er bot Shannon sogar sein Big-Wave-Board an. Dank seiner Hinweise legten wir ein paar unvergessliche Rides hin, auch wenn ich ein wenig enttäuscht war, keine einzige Tube hinzukriegen. Als die Wellen uns zu hoch wurden, trommelten wir ein paar mexikanische Surferinnern zusammen, holten meine Freundin Katie ab, die auf Besuch war, und segelten zu einem abgelegenen Surfspot weit jenseits der Stadt. Wir genossen diese gemeinsame Zeit sehr, allerdings standen mir im Angesicht dieser starken Frauen insgeheim sofort wieder meine eigenen Schwächen vor Augen.

Hier weckt die einsame, dunkle Nacht meine innersten Gespenster. Ich hab sie weit von mir weggeschoben, solange ich mich erinnern kann, und immer einen guten Grund gefunden, um mich nicht mit ihnen auseinanderzusetzen. Beispielsweise habe ich mich nie hübsch genug oder begehrenswert gefühlt; und auch mit den hässlichen Seiten meines Charakters hab ich zu kämpfen: Ich kann fürchterlich geizig sein, ungeduldig und egozentrisch. Ich bin wahnsinnig empfindlich, richte meine Reaktion nach dem Verhalten anderer aus und fälle gern vorschnell Urteile. Hier und da habe ich depressive Phasen, dann dreht sich alles nur noch um mein Unwohlsein, und die Welt um mich herum wird unerträglich.

Unwillkürlich muss ich an meine Eltern denken. Ich habe mein Lebtag versucht, sie glücklicher zu machen, und nichts hat je funktioniert. Ihr Unglück empfinde ich auch als meins: das unbehagliche Schweigen, die Trauer, die ich nicht annähernd immer nachvollziehen kann, die nächste Bierflasche, die geöffnet wird, Türen, die zuschlagen, Tränen, Zigarettenrauch, Alkohol, Reue, Aneinander-Vorbeireden. Blicke ins Leere. Das Gefühl, allein zu sein, selbst wenn die anderen anwesend sind. Ich spüre, wie sich mir der Hals zuschnürt, und heiße Tränen treten mir in die Augen. Sofort wische ich sie weg.

Dass mich derlei Gefühle beim nichtigsten Anlass beschleichen können, macht mich schwach und verletzlich. Ich muss diesen Problemen auf den Grund gehen, ich muss die Gespenster vertreiben und vor allen Dingen endlich damit aufhören, Mom und Dad verändern zu wollen. Ich bin jetzt hier, ich lebe meinen Traum. Es gibt keinen Grund mehr, unglücklich zu sein.

Pschhhhhhh! Pschhhhhhh! Irgendwas kommt ganz in der Nähe an die Oberfläche, um Luft zu holen.

Dann tauchen aus Steuerbord schimmernde Torpedos auf – Delfine! Sie ziehen Spuren und Wirbel strahlenden Meeresleuchtens hinter sich her. Sie spielen in der Kielwelle der Swell, kehren immer und immer wieder.

Es ist alles okay. Nein, es ist mehr als okay. Wenn sie Licht in die Dunkelheit bringen können warum sollte ich das nicht auch können?

Die Wellenreiterin

Подняться наверх