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Snaggs und Gadget

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Nach fünf Monaten, die Shannon und ich auf der Swell an der Küste entlanggesegelt sind, bricht unsere letzte gemeinsame Passage an. Wir steuern eine Werft in Costa Rica an. Auf Shannon wartet das nächste Abenteuer, auf die Swell das Trockendock: Ein paar normale Instandsetzungsarbeiten stehen an, der Wasserpass muss höher angesetzt werden, und seit ein Blitz uns einen Heidenschreck eingejagt hat, will ich eine Erdungsplatte am Bootsrumpf montieren.

Während ich dem dichten Regenwald entgegenblicke, der bis ans Ufer reicht, denke ich darüber nach, wie viel wir zusammen geschafft haben. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von fünfeinhalb Knoten und über mehr als zweieinhalbtausend Seemeilen hat sich unser Blickwinkel auf gewisse Dinge ebenso sehr verändert wie die Landschaft, an der wir vorübergesegelt sind. Mit dem turbulenten Asphalt Südkaliforniens haben wir zugleich Abschied genommen von unserer Abhängigkeit von Mobiltelefonie und Terminkalendern. Im Schatten der dürren Berglandschaft und der palmengesäumten Strände Zentralmexikos wurden wir mit der Großzügigkeit der Menschen belohnt, waren zugleich aber auch zusehends entsetzt über den Müll, den wir dort an den Stränden entdeckten. Vor der beeindruckenden nicaraguanischen Vulkanlandschaft erlebten wir, wie eklatant Armut und soziale Ungerechtigkeit sein können: Während junge Mädchen von einem Brunnen Trinkwasser heim in ihre Dörfer schleppten, schlug ein reicher US-amerikanischer Bauunternehmer an einem Küstenstreifen, den er der dortigen Gemeinde mittels Hilfsversprechen abgeknöpft hatte, auf dem eingezäunten Golfplatz seines neuen Strandresorts Bälle über den Rasen. Sowie der dunstige costa-ricanische Regenwald bis runter an die Küste in Sicht kam, testeten wir die Grenzen unserer Autarkie aus, genossen einsame Surferlebnisse und die unverhoffte Begegnung mit Freunden, die uns Proviant brachten, nur um ein kleines Stück weiter gen Süden die zwiespältigen Auswirkungen des Ökotourismus-Booms mitzuerleben.

Die Veränderungen – sowohl unsere persönlichen als auch die der Küstenlandschaft – vollzogen sich in einer natürlichen Geschwindigkeit: hier ein neuer Geruch in der Luft, dort eine Störung im Landschaftsbild, ein neuer Vogel am Himmel, eine neu erlernte Spanischvokabel, die wärmere Wassertemperatur oder irgendein Vorfall, der uns vor ein Problem stellte, das wir auf uns allein gestellt lösen mussten. Sich mit anderen Lebensbedingungen und Lebensweisen auseinanderzusetzen sorgt dafür, dass einem die Welt viel größer vorkommt – und in unserem Tempo zu reisen, beschert einem die Zeit, gewisse Dinge erst richtig zu verarbeiten und zu durchdringen. Ein Hafenmeister in Mexiko zeigte uns beispielsweise, wie man Sprit aus dem Kanister in den Tank zapft, ohne dass dabei die eigene Lunge zum Einsatz kommt. Ich lernte, runter zum Propeller zu tauchen und den Zinkschutz zu erneuern. Ich erledigte eigenhändig – und erfolgreich – einen Ölwechsel, schoss mit der Harpune meinen ersten Fisch, verlegte in der Kajüte die Kabel für kleine Ventilatoren. Als die Ankerwinde blockierte, brachte mir ein gewiefter Cruiser namens Clyde bei, wie das Ding überhaupt funktioniert. Inzwischen kann ich Messer schleifen, Leinen spleißen und einhändig einen Palstek knoten.

Shannons Hauptaufgabe war zwar, Fotos zu schießen, sie hat mir aber vor allem durch ihre Charakterstärke über den Ausfall von Equipment, über Bedienfehler, über Geldsorgen, das Reinigen der Bootshülle, die unerwünschte Begegnung mit einem Ex-Freund, verklemmte Anker, dröhnende Nachtklubs und gescheiterte Annäherungsversuche hinweggeholfen. Nur Snaggs in ihrem gelben Bikini konnte auf die Idee kommen, die Gitarre rauszuholen, während die mexikanische Marine mitsamt Drogenspürhunden an Bord der Swell kam; die Officers brachen die Razzia schnell ab und spielten stattdessen reihum Lieder. Snaggs kam aufgedreht von einer Beinahe-Begegnung mit einem Bullenhai zurück an Bord und schwamm furchtlos durch meterhohe Wellen, um zu fotografieren. Ihr christlicher Glaube trotzt außerdem jeder Prüfung. Wir reden nicht über Gott, weil ich mit Religion nichts am Hut habe, aber man kann ihr förmlich ansehen, dass sie der felsenfesten Überzeugung ist, dass jemand seine Hand über sie hält, und selbst in den dunkelsten Stunden bleibt sie zuversichtlich. Um ehrlich zu sein, beneide ich sie darum; ich kann bloß mutmaßen, wie gut sich eine solche Verbindung anfühlen muss.

Ich lese unsere Position vom GPS ab, Snaggs trägt sie ins Logbuch ein, und wir überschlagen, wie lang wir über Nacht noch vor uns haben. Die Sonne taucht steuerbords ins Meer, und mich beschleicht eine leise Wehmut, weil meine Zeit mit Snaggs zu Ende geht. Das Meer und der Himmel leuchten in Orange- und Pinktönen.

»Tja, Snaggs, ist das zu glauben, dass wir es so weit geschafft haben?«

»Klar«, antwortet sie. »Du bist aber auch eine klasse Skipperin, Gadget!« Den Spitznamen habe ich mir für meine unbeirrte Einsatzbereitschaft und das andauernde Reparieren und Basteln mit unseren Gerätschaften verdient.

»Ohne dich hätte ich all das nie geschafft. Es wird nicht mehr dasselbe sein.«

»Keine Bange. Gott ist mit den Mutigen.«

Lächelnd schlage ich den Blick nieder. »Ich hoffe sehr, du hast recht.«

Die Wellenreiterin

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