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Vorsicht, Hochspannung!

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Als die Swell erneut südwärts segelt, scheint die Dunkelheit um mich herum tiefer als sonst zu sein. Ich blinzle in die unendliche Schwärze und bin mir nicht sicher, ob ich die Augen auf- oder zuhabe. In sämtliche Richtungen bloß Finsternis.

Eine merkwürdig warme Brise streift mein Gesicht. Trotzdem konzentriere ich mich auf den Gesang des Geckos, der sich vor drei Monaten in der Werft an Bord geschlichen hat. Sein melodisches Tschilpen hilft mir, die düstere Vorahnung beiseitezuschieben, die mich während der Regenzeit hier in Zentralamerika bei der Nachtwache regelmäßig beschleicht. Es sind Gewitterstürme angekündigt, und nach einem guten Dutzend Beinahe-Blitzeinschlägen sowohl vor Anker als auch auf See käme mir der Ausdruck »Gewitterzeit« passender vor.

Meine Mitfahrer und ich haben uns unter nächtlichen Gewittern hindurchgeduckt, um während der besten Surfsaison an den wellenreichen Küstenabschnitten Costa Ricas surfen zu können. Andere Skipper erklären mich für verrückt und bleiben während der fünf, sechs Regenzeitmonate lieber an einem geschützten Liegeplatz. Wie sich gezeigt hat, sind Surfen und Segeln nicht immer so kompatibel, wie ich gedacht habe.

Die sicherste Segelsaison und der beste Surf sind in vielen Regionen zeitversetzt. Küstenabschnitte, auf die eine für das Surfen geeignete Dünung trifft, bieten seltener geeignete Ankerplätze; für einen Einrümpfer ist es dort meistens zu unruhig. An einem offeneren Küstenabschnitt gute Surfspots zu finden, ist dagegen schwierig: Man müsste zu nah an die Küste heransegeln, um dann landwärts die Wellen zu lesen. So was kostet Zeit, man legt weitere Strecken zurück – für die limitierte Geschwindigkeit der Swell einigermaßen unpraktisch, um nicht zu sagen: gefährlich, gerade angesichts meiner limitierten Navigationshilfen. Wann immer ich einen Surfspot entdecke, muss ich erst mal einen sicheren »Parkplatz« für die Swell finden, bevor ich über das Surfen überhaupt nachdenken kann. Mir ist selbstverständlich klar, dass das Surfen nicht meine erste Priorität sein darf. Vielmehr stehen Sicherheit und Überleben an oberster Stelle. Wenn dann noch Timingfragen hinzukommen, ungünstige Wetterbedingungen, Seegang, komplizierte Ein- und Ausreiseformalitäten in unterschiedlichen Ländern, das Proviantieren, notwendige Wartungen, die Reisepläne meiner Crewmitglieder, Öffnungszeiten von Internetcafés – da steht das Surfen im Handumdrehen zurück.

Wenn aber sämtliche Vorzeichen stimmen, ist es die reinste Magie. Daher stehe ich selbst nach diversen furchterregenden Beinahe-Blitzeinschlägen wieder an Bord und halte erneut Ausschau nach der nächsten Surfgelegenheit. Stur war ich immer schon. Meine Tante Julie Ann behauptet: weil ich im Sternzeichen Stier bin. Bei mir sticht das Verlangen oftmals die Vernunft aus, insbesondere wenn es ums Surfen geht.

Bis wir in panamaische Gewässer einfahren, fallen mir schier die Augen zu. Ich laufe nach unten, um meinen aktuellen Segelgefährten zu wecken.

»Jake … Jake … Ich bin hundemüde, könntest du übernehmen?«

Er schlägt die smaragdgrünen Augen auf. »Hey, Lizzylein. Klar, wird gemacht.«

Er lächelt sein schelmisches Lächeln, das mich daheim in Santa Barbara sofort in seinen Bann geschlagen hat, kurz nachdem Barry mir sein Angebot unterbreitet hatte. Wir waren eine Zeit lang ein Paar, sind zusammen segeln und surfen gewesen. Jake ist wahnsinnig charismatisch und war mir jederzeit eine Stütze. Mit ihm wurde es einfach nie langweilig. Sein Draufgängertum brachte ihn hier und da in Schwierigkeiten, aber seinem Löwenherz, dem selbstironischen Humor und seiner Couragiertheit konnte – und kann – ich einfach nicht widerstehen. Er hat nie auch nur versucht, mich von etwas abzuhalten, und mich im Vorfeld meiner Reise bei meinem Vorhaben stets unterstützt, während er selbst seinem eigenen lang gehegten Traum nachging, Profiangler zu werden.

Nachdem ich eine Stunde geschlafen habe, wache ich vom Platschen fetter Regentropfen auf. Dann wird das Platschen plötzlich zu einem ohrenbetäubenden Rauschen, ich springe auf und laufe nach oben. Unterwegs entdecke ich auf dem Radar einen massiven Sturm, der auf dem Display einen kompletten Acht-Meilen-Umkreis schwarz färbt.

»Ist das normal?«, fragt Jake.

»Weia, das sieht nicht gut aus«, murmele ich und spähe hoch zu den Blitzen, die um uns herum aufflackern. Ich habe kürzlich erst von einem Pärchen gehört, dessen Boot binnen Minuten gesunken ist, nachdem ein Blitz ein Loch in die Bootshülle geschlagen hat. Ich hoffe inständig, dass unsere Erdungsplatte funktioniert.

Der Sturm scheint von allen Seiten näher zu rücken. Ich versuche, Kurs in die Richtung zu nehmen, in der unser Radar eine winzige Lücke anzeigt – vergebens. Die Segel hängen schlaff in der thermischen Konvektion.

»Fass nichts an, was aus Metall ist!«, warne ich Jake, weil die Blitze immer näher kommen.

Wie weiße Klauen schnellen sie rundherum nieder und erhellen die furchterregende Szenerie, während gleichzeitig Donnerschläge krachen. Ich beuge mich panisch hinunter, um das Funkgerät auszustöpseln, und meine Finger zittern, als ich die Kabel herausreiße.

»Das ist also deine Vorstellung von Spaß«, stellt Jake ernüchtert fest. Wir kauern uns dicht zusammen, versuchen verzweifelt, nichts Metallisches zu berühren, sind den Elementen vollkommen ausgeliefert. Bei jedem Blitz bin ich von Kopf bis Fuß angespannt und wappne mich gegen den ohrenbetäubenden Donnerschlag, der folgt. Ich beiße die Zähne zusammen und kralle bei jedem unbegreiflich übermächtigen Schlag die Fingernägel in meine Waden.

»Das wird schlimm«, flüstere ich.

»Na ja, und falls das ein Zeichen sein sollte: Dein Bootsgecko ist gerade desertiert«, teilt Jack mir mit weit aufgerissenen Augen mit. Er hält mich fest umklammert. Der stur auf Unabhängigkeit bedachte Teil von mir will seine Unterstützung nicht, aber das hier könnte das Ende sein; die Minuten verstreichen quälend langsam, bis direkt über uns plötzlich drei Blitze auf einmal den Himmel zerreißen.

KRACH! Und wieder. Und wieder.

Der Donner vibriert im Brustkorb. Der dritte Blitz schlägt bloß eine Bootslänge entfernt ins Wasser ein, und die Oberfläche explodiert zu einer Fontäne regenbogenschillernder Gischt. Das Radar fällt komplett aus, der Kartenplotter zeigt noch kurz ein Fragezeichen an und verabschiedet sich ebenfalls.

Völlig verängstigt wimmere ich und klammere mich an Jake fest. Tränen strömen mir übers Gesicht. Ich habe mich noch nie im Leben angesichts der Natur, der Naturgewalt, dieser ungezügelten, unvorhersehbaren Kraft, so winzig gefühlt. Ich rechne jeden Moment mit dem entscheidenden Einschlag, doch der nächste Blitz fährt ein Stück weiter nördlich nieder. Wir bleiben noch eine Weile stumm sitzen, bis der Sturm sich allmählich verzieht.

»Alles okay, Skipperin?«

»Ich habs mir anders überlegt«, sage ich. »Ich will einfach nur noch einen weißen Gartenzaun und einen Golden Retriever.«

Die Wellenreiterin

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