Читать книгу Aufstieg der Schattendrachen - Liz Flanagan - Страница 12

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5. Kapitel

Es entstand eine Pause. Sie dauerte ewig. Jos Herz klopfte schmerzhaft in seiner Brust.

Er starrte die Eier an. Sie schaukelten ein wenig. Er war nicht der Einzige, dem das auffiel. Ein Raunen ging durch die Menge. Das Schaukeln wurde stärker. Beide Eier bewegten sich im Takt, vor und zurück, vor und zurück.

Jo blickte kurz zu Isak hinüber: Selbst er wirkte überrascht. Das war noch nie vorgekommen.

Plötzlich rollten die violetten Eier aufeinander zu, stießen knackend zusammen und brachen entzwei. Jo reckte den Hals.

»Oh!« Das war Conor, rechts neben Jo. Sein Freund klang so erregt, wie Jo ihn noch nie gehört hatte.

»Vorsicht!« Das war Amina, links von ihm, mit einem Gesicht, das Jo noch nie so zärtlich und sanft gesehen hatte.

Nun krochen die kleinen Drachen unter den zerbrochenen Schalen hervor und hielten aufeinander zu. Ihre Körper umschlangen sich zuckend und feucht. Sie leuchteten in einem sehr blassen Violett.

Im selben Augenblick und wie aus einem Mund riefen Jos beste Freunde zwei unterschiedliche Namen.

»Maric!«, sagte Amina.

»Ariel!«, rief Conor.

Nein, nein, nein. Jos Herz verkrampfte sich vor Neid und bitterer Enttäuschung.

Die Drachen lauschten seinen Freunden. Wie ein Spiegelbild des jeweils anderen hoben sie den Kopf und öffneten das Maul, um heiser fiepend zu antworten.

Amina und Conor rappelten sich auf, nahmen die beiden hellvioletten Drachen und drückten sie an ihre Herzen.

Und mir nichts, dir nichts war alles vorbei.

Jos Traum war geplatzt.

Fünf Kinder liebkosten fünf Drachenjunge.

Jo saß mit leeren Händen da und spürte, wie ihm das Herz brach. Kein Drache wollte ihn haben.

Lanys stürzte sich auf Ravenna, Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Du bist wieder da, Ravenna. Das hast du so gut gemacht, du wunderbarer Drache.«

»Lanys, du solltest eigentlich meine Aufforderung abwarten«, rief Isak mit angespannter Stimme. »Du darfst deinen Drachen jetzt wieder willkommen heißen.«

Lanys funkelte ihn aufsässig an, doch dann presste Ravenna den riesigen schwarzen Schuppenkopf an die Brust ihrer Gefährtin, um umarmt, gelobt und bestätigt zu werden, und Lanys verlor sich im Freudentaumel der Wiedervereinigung.

Jo stand plötzlich auf den Beinen, er schwankte leicht.

Die anderen drehten sich verwirrt zu ihm um. Einen Augenblick lang war er hin- und hergerissen. Noch konnte er den Rückzug antreten, sich wieder hinsetzen, sich entschuldigen und der Zeremonie ihren Lauf nehmen lassen.

Aber er tat es nicht.

Das war nicht fair. Was war mit ihm? Mit seinem Traum?

Warum wollte ihn kein Drache haben?

Er hätte alles dafür getan, alles gegeben. Er brauchte einen Drachen so sehr, dass es wehtat. Er hatte noch nie etwas anderes gewollt. Konnte nichts anderes tun, nichts anderes sein. Er war geboren, um ein Drachenreiter zu werden. Warum bloß wollte ihn keiner der Drachen haben?

Seine Zukunft war eine zugeschlagene Tür, hinter der er fassungslos zurückblieb.

Er hielt es kaum aus, Conor und Amina dort sitzen zu sehen, deren Leben nun für alle Zeit gesichert war. Dabei waren sie gar nicht darauf angewiesen! Sie hatten andere Pläne, wollten in ihren Familien arbeiten, es war alles vorbereitet. Doch am wenigsten ertrug er es, Noah anzusehen.

»Setz dich, Jowan!«, befahl Isak.

Niemand benutzte jemals Jos vollen Namen.

»Wir sind noch nicht fertig.« Isak sah ihn eisig an.

Jo hörte ihn kaum. Er stand mit zitternden Beinen da.

Noah kicherte in der Stille und flüsterte gerade laut genug, dass Jo es mitbekam: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Jo.«

Das war der Funke, der seinen Zorn entfachte. Seine Enttäuschung wurde so groß, dass er schließlich explodierte. Es brannte wie Feuer in ihm, unkontrollierbar. Er glühte regelrecht vor rachsüchtiger Wut. Sie schoss in ihm hoch wie Lava und vergiftete all seine Gedanken.

»Ich gehe!« Die Worte waren ausgesprochen, ehe Jo wusste, was er tat. Die anderen Anwärter schnappten nach Luft, und viele von den Zuschauern ebenfalls.

»Setz dich hin, Jo. Sofort«, sagte Isak gepresst.

»Ich bin FERTIG!«, schrie Jo. »Ich habe genug!« Wie durch einen Nebel sah er die Gesichter seiner Eltern: entsetzt, gedemütigt, das Gegenteil von stolz. Nun, sie mussten sich keine Gedanken mehr machen. Er würde verschwinden.

Blind vor Wut und Tränen stürzte er davon.

»Nein!«, piepste eine Stimme zu seinen Füßen. Es war Flavia, das kleine sartolische Mädchen, das den cremefarbenen Drachen an die Brust presste und erschrocken zur Seite wich.

Einen schrecklichen Moment lang erwog er, über das Mädchen und ihren Drachen hinwegzutrampeln. Er stellte sich vor, wie sein Fuß die zarten Glieder des Schlüpflings zerquetschte. Blind vor Wut wollte er jemandem die Schmerzen zufügen, die er selbst empfand.

Das Mädchen wimmerte vor Angst, und der winzige Drache fiel ihr aus den Armen vor Jos Füße.

Jo reagierte mit einem Knurren. Er stand direkt über dem Drachenjungen. Dann hob er das rechte Bein.

Plötzlich hörte er ein tiefes Grollen hinter sich und spürte, wie sich die Luft erwärmte, weil es in Ravennas Brust zu glühen begann. Nein! Woher wusste sie das? Er hatte doch noch gar nichts getan. Die Hitze wurde immer stärker, aber Jo konnte sich nicht rühren.

»Nein!«, rief jetzt eine andere Stimme. »Mach, dass sie sich beruhigt, Lanys! Sofort! Halte sie auf!«

Aus dem Augenwinkel sah Jo seine Cousine Milla heranstürmen und sich zwischen ihn und den drohenden Flammenstrahl der wehrhaften Drachenmutter werfen.

»Halt, Ravenna!«, schrie Lanys ihrem Drachen zu. »Lass das.«

Doch es war zu spät: Die Brust des schwarzen Drachen glühte feuerrot. Ravenna riss das Maul auf, und der Feuerstrahl brach heraus.

Jo stand wie angewurzelt da. Die Flammen schossen auf ihn zu. Erst im letzten Moment sprang er beiseite und duckte sich, mit den Händen schützend über dem Kopf. Er spürte, wie ihm die Hitze in die Haut stach, roch den beißenden Gestank von brennenden Haaren. Er wälzte sich und schlug die Flammen aus, bevor Schlimmeres passierte.

Milla warf sich derweil gegen den Drachen und drückte seinen Kopf nach oben, sodass die Stichflamme in den Himmel schoss.

»Aah!«, schrie Milla, die ihre Finger hastig in eine Schüssel mit Quellwasser tauchte. Sie hatte sich an Ravennas Kehle verbrannt. Sie hatte sich verbrannt, um Jo das Leben zu retten.

Die anderen Drachen scharten sich um Milla, während Iggie in Verteidigungshaltung ging. Er knurrte und fletschte Ravenna wütend an, weil sie seine Gefährtin verletzt hatte. Sie standen sich gegenüber: ein blauer und ein schwarzer Drache mit ausgebreiteten Flügeln und aufgerissenem Rachen.

Wieder spie Ravenna Feuer.

Iggie zog gerade noch rechtzeitig den Kopf ein, die Flagge hinter ihm brannte.

Die heilige Zeremonie verwandelte sich in ein Chaos. Kinder begannen zu weinen, Menschen liefen schreiend auseinander und verursachten ein solches Gedränge, dass einige in der Panik niedergetrampelt wurden.

Isak scharte die Neuerwählten und ihre Drachenjungen um sich, und sein goldener Drache Belara kam mit ausgebreiteten Flügeln hinzu, um sie zu beschützen.

Herzog Vigo bat mit lauter Stimme um Ruhe, aber wegen des Rauchs musste er husten, und seine Worte gingen unter.

Tarya und Rosa hatten beide ihr Schwert gezogen. Sie riefen ihren Truppen, die von den Seiten des Platzes aufmarschierten, Befehle zu, doch die Drachen versperrten ihnen den Weg. Sie konnten diejenigen, die sie am dringendsten brauchten, nicht erreichen.

»Hilfe!«, rief eine verzweifelte Stimme. »Mein Sohn! Er wird zertrampelt! Bleibt zurück. Oh bitte, helft uns!«

Aber niemand schenkte der Frau Beachtung. Die Menge drängte verängstigt den Hang hinauf.

Und dann tauchten auf dem hinteren Teil des Marktplatzes mit einem Mal schwarz gekleidete Männer auf: die Bruderschaft. Einige brachten Menschen in Sicherheit, andere schrien Herzog Vigo und Jos Schwester Beleidigungen zu.

»Ein schöner Herzog bist du!«, rief einer. »Dass du so etwas zulässt. Du bist unfähig.«

»Eine Generalin, die nicht einmal ihren kleinen Bruder in Schach halten kann?«, schrie ein anderer. »Sie kann keine Armee führen, weder in diesem Zustand noch überhaupt!«

Einer von ihnen stand abseits und beobachtete Jo, wie dieser dem Chaos zusah.

Das hier war sein Werk. Scham stieg in ihm auf und trieb ihn zur Flucht. Er drängte sich durch die panische Menge, bewegte sich gegen den Strom hangabwärts, fort von der Stadt. Die Leute wandten sich angstvoll von ihm ab. Ihre Gesichter zeigten ihm deutlich, dass sie ihn für ein Monster hielten. Entsetzt schob er sich immer ungestümer durch das Gedränge. Sein Atem ging keuchend, sein ganzer Körper war erfüllt von brennender Wut und Reue.

Seine neue weiße Jacke war zerrissen. Er war froh darüber. Diese lächerliche Kluft stand für das, was er jetzt war: ein Versager. Ein Watschler. Er würde verschwinden. Nach Hause konnte er nicht mehr, nicht nachdem er die entsetzten Gesichter seiner Eltern gesehen hatte. Und ohne einen eigenen Drachen würde er seinen Freunden niemals in die Drachenhalle folgen können.

Jo flüchtete von der Zeremonie, die er ruiniert hatte. Was er getan hatte, war nicht wiedergutzumachen.

Aufstieg der Schattendrachen

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