Читать книгу Was sie nicht umbringt - Liza Cody - Страница 10

6

Оглавление

Die nächsten paar Stunden verbrachte ich im Fitnessstudio beim Krafttraining.

Harsh trainiert auch in Sams Studio, nur war er an dem Tag noch im Land der Kohlköpfe.

Aus einem Stimmungstief kommst du am ehesten mit hartem Training wieder raus. Aber in Gesellschaft trainiert es sich leichter. Wenn du allein bist, langweilst du dich und wirst nachlässig, und ehe du dich’s versiehst, achtest du nicht mehr auf deine Körperhaltung. Wenn du darauf nicht achtest, läufst du Gefahr, falsch zu heben und dich zu verletzen.

An dem Tag hatte ich den Laden jedenfalls ganz für mich alleine, und die Zeit wurde mir lang, aber trotzdem duschte ich hinterher gründlich und wusch mir die Haare.

Ich rief bei meinem Promoter an und erfuhr, dass ich am kommenden Wochenende für einen Kampf engagiert war. Noch mehr Kohle.

Wo die Hanteln am Nachmittag versagt hatten, wirkte die Aussicht auf Geld, so dass ich wesentlich besser gelaunt war, als ich mich um sechs in Mr. Chengs Restaurant meldete.

Das Beijing Garden hieß früher Peking Garden, aber aus irgendeinem Grund hat Mr. Cheng letztes Jahr den Namen geändert. Das Restaurant war noch nicht richtig geöffnet, als ich ankam, aber richtig geschlossen war es auch nicht mehr. Wegen Mr. Chengs Verwandten und Freunden und wegen den Glücksspielen im ersten Stock ist es eigentlich nie ganz zu.

Ich trug meine schwarze Lederjacke. Mr. Cheng mag mich in der Jacke – er meint, darin sehe ich aus wie ein Gangster. Hätte mich ein kleines Vermögen gekostet, die Jacke, wenn ich sie bezahlt hätte.

Als ich ankam, lehnte Mr. Cheng hemdsärmelig auf der Theke und bearbeitete seinen Taschenrechner. Er hat einen Sinn für Zahlen. Ich glaube, er mag sie lieber als Essen oder Menschen.

Er sagte: »Habbenkleinjobfüddieva.«

Er meinte: »Ich habe einen kleinen Job für dich, Eva.« Aber er redete so schnell, dass ich es mir erst mal übersetzen musste.

»Tantaboln«, sagte er.

Okay, dachte ich – Tante abholen. Schon kapiert.

»Hinter«, fuhr er fort, »färsseinneabnertrokassirn.«

»Was?«

Er sah hoch. »Wassenlos, Eva? Bissetaub, oder was? Ich habe gesagt, hinterher fährst du in die Abernathy Road kassieren.«

»Ach so«, sagte ich. »Okay, Mr. Cheng, wird erledigt.«

Er hielt mir die Hand hin. »Schlüssel«, sagte er.

»Wo?«

»Fristree.«

Das hieß, dass der Rover auf dem Parkplatz in der Frith Street stand. Ich nahm den Schlüssel und ging. Mr. Cheng redet zu viel.

Ich mochte den Rover. Er war groß und schwarz, und er wurde beachtet. Und es war mal eine Abwechslung, einen Wagen mit der Erlaubnis des Besitzers zu fahren.

Trotzdem, ganz legal war die Sache nicht. Ganz legal geht es bei mir nie ab, wenn du es unbedingt wissen willst. Tatsache ist nämlich, dass ich keinen Führerschein habe. Ich bin eine gute Fahrerin, ich habe noch nie einen Unfall gebaut, aber ich habe den Schein nicht. Dazu müsste ich die Prüfung machen. Dazu müsste ich Formulare ausfüllen, und mein Name würde in einem Behördencomputer landen. Darauf kann ich verzichten.

Anstandshalber hätte ich Mr. Cheng die Sache mit dem Führerschein sagen sollen. Aber er hat mich schließlich nie danach gefragt. Und wer keine Fragen stellt, bekommt von mir auch keine Antwort.

Er hat bloß gefragt: »Kannst du fahren, Eva?« Was sich eher wie »Kannzefaaneva?« anhörte.

Ich sagte: »Ja.« Das war’s auch schon.

Mr. Cheng hat mich dann als Fahrerin angeheuert, weil er auf dem Weg zum Flughafen Geschäftliches zu bereden hatte. Wahrscheinlich ging es um ziemlich krumme Geschäfte, weil er jemand brauchte, der kein Chinesisch konnte. Mein Chinesisch ist in etwa so gut wie sein Fachwissen über das Catchen, also passen wir ausgezeichnet zusammen.

Ich fuhr gern mit dem Rover Autobahn. Man fühlte sich so nobel dabei.

Nach sechs Uhr abends durch die Stadt bis zur Edgware Road zu gurken war allerdings was anderes. Die ganze Zeit bloß stop-go-stop. Manchmal glaube ich, London erstickt.

Tante Lo wohnte in einem Apartmenthochhaus. Da hatten sie einen Türsteher, der Aufzug funktionierte, und niemand kam auf die Idee, Geschlechtsteile an die Treppenhauswände zu sprühen.

Obwohl mich der Türsteher gut kannte, ließ er mich erst rein, nachdem er mit Tante Lo telefoniert hatte.

Ich bin noch nie in Tante Los Wohnung gewesen. Es läuft immer auf die gleiche Tour ab – ich gehe nach oben, läute, warte. Sie beäugt mich durch den Spion, hängt die Kette vor und sagt durch den Türspalt: »Bist du das, Eva?« Wenn sie hundertprozentig sicher ist, dass ich es tatsächlich bin, kommt sie mit der Handtasche vor der Brust auf ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen rausgestöckelt.

Tante Lo muss mindestens fünfundsechzig sein, aber sie trägt immer die modernsten Teenagerschuhe, die du dir vorstellen kannst. Ansonsten ist sie von dem kleinen Wolljäckchen bis zur Kunstlederhandtasche ganz Mr. Chengs Tante. Aber diese Schuhe!

Sie reißt auch gerne Witze, nur bringt sie leider jedes Mal dieselbe Schote. Und an diesem Abend war es genauso wie an allen anderen Abenden auch.

Sie sagte: »Wann heiratest du, Eva?« Und schon prustete sie heiser los.

Ich sagte: »Die Männer sind alle nicht mein Kaliber, Mrs. Lo.« Und ich wartete, bis sie alle vier Türschlösser abgesperrt hatte.

Als sie so weit war, fuhren wir mit dem Aufzug nach unten, und sie sagte: »Irgendwann muss ich wirklich mal einen Brief nach Hause schreiben – und dann besorge ich dir einen schönen, großen Chinesen.« Prust-prust-prust, bis wir unten waren.

Ich kann Tante Lo gut leiden. Sie ist eine patente Type. Wenn im Beijing Garden einer Probleme hat, kriegt er von allen Seiten den Rat zu hören: »Frag Tante Lo.« Nur bei Mr. Cheng klingt es wie »Frachtalo«.

Auf der Rückfahrt zum Restaurant nahmen wir noch zwei Männer mit. Sie waren ein gutes Stück jünger als Tante Lo und warteten an der Kreuzung Cabal Street auf uns.

»Große Party heute Abend«, sagte Tante Lo. Und als die beiden Männer hinten einstiegen, schnaubte sie und sagte: »Nicht groß genug für dich, Eva?«

»Im Leben nicht.«

»Prust-prust-prust!«

Mr. Cheng kam aus dem Beijing Garden auf den Bürgersteig. Er hatte sich die schwarze Jacke angezogen, um Tante Lo aus dem Wagen zu helfen. Nachdem er Tantchen im Restaurant abgeliefert hatte, kam er noch mal zurück und gab mir einen anderen Schlüssel.

»Nimmenastra.« Das hieß, sein heißgeliebter Rover sollte nicht in eine abgewrackte Gegend wie Notting Hill Gate.

Außerdem gab er mir einen unbeschrifteten, weißen Briefumschlag.

»Beismie«, sagte er.

Ich parkte den Rover und stieg gehorsam in den Astra um.

Mr. Chengs Anweisungen hören sich vielleicht ein bisschen merkwürdig an, aber sie sind immer präzise. Und wenn ich mich genau daran halte – Tante abholen, bei Smith vorbeischauen, die Knete abliefern –, dann bezahlt er mich auch präzise. Bei ihm gibt es nie so was wie »Schönen Dank, Eva, du hast was gut bei mir«. Er sagt noch nicht einmal danke. Ich kriege meine Kohle und in der nächsten Woche vielleicht den nächsten Job.

Bei Mr. Cheng weißt du immer, wo du dran bist. Allerdings weißt du nie, was er eigentlich treibt oder was er denkt. Aber das passt mir ausgezeichnet.

Bermuda Smith hat eine Kellerbar – Musik, Tanz, Speisen und Getränke. Von jedem etwas. Er engagiert gute Bands.

Die Weißen kommen wegen der Musik und der Atmosphäre, aber sehr wohl fühlen sie sich nicht unter den ganzen Schwarzen.

Die Bullen kommen wegen der Drogen.

Mr. Cheng betritt den Laden überhaupt nicht. Nicht mal seinen Rover lässt er in die Gegend.

Ich weiß nicht, was für Geschäfte er mit Bermuda Smith macht, aber jedes Mal, wenn ich mit einem unbeschrifteten, weißen Briefumschlag auftauche, etwa alle zwei Monate, gibt Bermuda Smith mir eine Plastiktüte für ihn mit.

Die Plastiktüte ist immer mit Isolierband zugeklebt, also kann ich dir nicht sagen, was drin ist. Ich glaube, ein Haufen Kohle.

Wenn du jetzt vielleicht denkst, das wäre die Chance für mich, einen Riesencoup zu landen, hättest du dich schön geschnitten. Und ich will dir auch sagen, warum. Als ich das erste Mal für Mr. Cheng etwas abholen musste, hat er mich beschatten lassen. Und das Paket, das ich abgeholt habe, war eine Attrappe. Das weiß ich, weil er es mir später gezeigt hat. Er hat kein Wort gesagt. Er hat das Päckchen nur mit der Lupe untersucht, um zu sehen, ob ich es mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt hatte. Dann hat er es aufgemacht. Es war bloß zerschnittenes Zeitungspapier drin. Und eine kleine Brandbombe. Schon allein bei dem Gedanken kam mir der Schweiß.

Später sagte Tante Lo zu mir: »Wenn du dem Affen Angst machen willst, musst du ihm erst zeigen, wie du das Huhn tötest.« Sie sagte, das wäre Mr. Chengs Lebensphilosophie.

Mr. Cheng ist ein Mann, der weiß, wie man sich Respekt verschafft.

Es war noch zu früh, im Club war nichts los. Da geht eigentlich immer erst nach zehn die Post ab. Ich ging gleich in Bermuda Smiths Büro durch.

Es heißt, Bermuda Smith isst Hundefleisch, um härter zu werden.

Es heißt, Bermuda Smith hat vier Frauen.

Er sieht aus wie ein Drahtkleiderbügel. Wenn er irgendwo hart durchgreifen will, muss er sich ein paar Schlägertypen besorgen. Er hat jede Menge Gold – im Gebiss.

»Hi, Eva!«, sagte er. »Was gibt’s Neues?«

Er tut immer sehr freundlich mit mir, wegen Mr. Cheng.

Ich gab ihm den Umschlag, er glotzte ihn an.

»Dann ist es wohl wieder so weit«, sagte er. Seine Miene heiterte sich aber schnell wieder auf. »He, Eva, kennst du den schon? Was ist der Unterschied zwischen einem tollwütigen Hund und einer Frau, die ihre Tage kriegt?«

»Keine Ahnung, Mr. Smith«, sagte ich.

»Lippenstift!« Er gackerte, dann kniff er den Mund zusammen und sagte: »Warte an der Bar, Eva. Bestell dir was.«

»Ich hab nicht die ganze Nacht Zeit«, sagte ich. Wenn ich für Mr. Cheng arbeite, kann ich ziemlich pampig werden.

»Immer schön cool bleiben«, sagte er. Er machte ein finsteres Gesicht und zeigte mit dem Finger auf meinen Bauchnabel. »Du kannst Cheng was ausrichten«, sagte er. »Bestell ihm, ich stehe immer noch unter Druck. Ich will Action. Bestell ihm das. Du kannst gehen.«

Ich ging an die Bar. Ich wünschte mir, Bermuda Smith würde mir eines Tages vorschlagen, in seinem Büro zu warten. Das Büro ist vollgestopft mit Spielsachen – elektrische Eisenbahnen, Autos, Feuerwehrwagen, Teddybären – sogar Puppen. Es heißt, er will verlorene Zeit aufholen.

Der Barkeeper zapfte mir ohne zu fragen ein Bier. Ich trank und sah dabei der Band auf der Bühne am anderen Ende des Kellers beim Aufbau zu. Sah aus wie ’ne Ego-Truppe. Du weißt schon: schwarzer Sänger, schwarze Musiker und drei weiße Backgroundsängerinnen. Andersrum gibt’s die auch. Ich weiß selber nicht, wieso, aber ich finde immer, so was ist was für den Arsch.

Da saß ich also und sah mir an, wie die drei weißen Frauen versuchten, ihre Mikrofone zu testen, während die Männer hinter ihnen rumstöpselten. Ich kümmerte mich um meinen eigenen Kram, aber allmählich merkte ich doch, dass ich auffiel.

Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich bin eine sehr auffällige Erscheinung. Aber es ist lästig.

Zwei weiße Typen am Ende der Bar glotzten mich an und tuschelten hinter vorgehaltener Hand. Sie merkten, dass ich sie gesehen hatte, aber sie hörten nicht auf.

Ich kann ein bisschen fuchtig werden, wenn man mich anglotzt.

»Einmal gucken kostet ’nen Fünfer«, sagte ich. »Sonst geht nach Hause und setzt euch vor die Glotze. Ich bin hier nicht der Pausenclown.«

Darauf kriege ich eine von zwei Reaktionen – entweder sie werden verlegen, oder sie werden selber sauer. Mir kann es egal sein.

Diesmal passierte allerdings weder das eine noch das andere. Der Typ, der die größten Augen gemacht hatte, stieg von seinem Hocker und kam angeschlappt. Er zückte die Brieftasche und gab mir einen Fünfpfundschein.

Ich ließ es darauf ankommen, schnappte mir den Fünfer und widmete mich wieder meinem Bier, ohne ein Wort zu sagen. Er stand einfach nur da und sah mich an. Tja, schließlich hatte er bezahlt, also hatte er wohl das Recht dazu. Aber sauer war ich trotzdem noch.

Nach einer Weile sagte er: »Fünf Pfund die Stunde.«

»Du kannst mich mal«, sagte ich.

»Nein, das war mein voller Ernst.«

»Verpiss dich«, sagte ich. Ich sah ihn nicht mal an. Er hatte eine geschraubte Ausdrucksweise. Mit solchen Spießern wirst du locker fertig, wenn du ein bisschen grob mit ihnen umspringst. Grobheiten sind sie nicht gewöhnt.

Aber der Typ blieb stur. Er sagte: »Das Angebot war ernst gemeint.«

Ich sagte: »Bist du immer noch da?« Ich schoss ihm einen Blick zu, der ihn eigentlich vom Hocker hätte reißen müssen.

»Ich bin Bildhauer«, sagte er.

»Du bist ein Wichser.«

»Das auch«, sagte er ganz umgänglich. Du kannst über diese Spießer sagen, was du willst – sie wissen, wie man Beleidigungen wegsteckt. Das sind sie wahrscheinlich gewöhnt.

Er ließ nicht locker. »Ich mache wirklich keine Witze. Ich bin Bildhauer. Das Einzige, was mich interessiert, sind Formen. Wussten Sie, dass Sie ein außerordentlich gutes Modell abgeben würden?«

Jetzt hatte ich aber wirklich die Nase voll.

Ich sagte: »Und wusstest du, dass du eine außerordentlich gute Leiche abgeben würdest?«

Er lachte.

Der Mann hatte Nerven!

»Deine Sorte kenne ich«, sagte ich und ließ ihn an meiner Faust schnuppern. »Amüsier dich ruhig. Aber bitte nicht auf meine Kosten. Ich gebe dir fünf Minuten, mir aus den Augen zu kommen. Danach kannst du deinen Zähnen auf Wiedersehen sagen.«

Er stolperte rückwärts und sah jetzt tatsächlich ein bisschen mitgenommen aus.

In dem Augenblick kam eine von den Backgroundsängerinnen an die Bar und bestellte sich einen Brandy-Soda. Sie sah umwerfend aus – nichts als Haare und Zähne.

Ich sagte: »Wenn du ein Modell brauchst, warum fragst du sie nicht? Vielleicht fällt sie auf dich rein. Und bis dahin kannst du wieder unter den Klodeckel kriechen, unter den du gehörst.«

Der »Bildhauer« schlich sich zu seinem Kollegen am anderen Ende der Bar zurück.

Die Sängerin lächelte mich müde an und sagte: »Richtig so, gib’s ihm.« Sie hörte sich auch wie eine Spießerin an.

Der Barkeeper brachte den Brandy-Soda. Sie kippte ihn ex. Danach sah sie nicht mehr ganz so müde aus.

»Männer sind doch das Allerletzte«, sagte sie mit ihrer Kristallglasstimme und wanderte wieder zu ihrer Band rüber.

Nach dieser Geschichte schmeckte mir das Bier nicht mehr, und ich stellte mich in eine dunkle Ecke neben dem Notausgang. Es stört mich nicht, wenn ich verarscht werde, solange ich mich revanchieren kann. Aber ich wollte keinen Streit anfangen, während ich für Mr. Cheng die Runde machte, denn, und das ist klar wie Kloßbrühe, er hätte davon Wind bekommen.

Also stand ich im Dunkeln und kochte vor mich hin.

Ich war auch deshalb wütend, weil ich dem »Bildhauer« gesagt hatte, er könnte seinen Zähnen auf Wiedersehen sagen. Ich meine, wie zum Geier soll man seinen eigenen Zähnen auf Wiedersehen sagen? Mit dem Satz hatte ich mich doch als Vollidiotin abgestempelt. Wahrscheinlich machte er sich jetzt noch mit seinem Freund darüber lustig.

Ich knurrte immer noch vor mich hin, als Harry Richards mit Bermuda Smiths Plastiktüte ankam.

Harry war früher Boxer, Leichtschwergewicht. Aber das ist Jahre her. Als ich ihn kennenlernte, hatte er seine zweite Karriere als Schwergewicht beim Catchen schon fast hinter sich. Er musste immer mit einer roten Maske kämpfen, weil er so ein rundes, gutmütiges Gesicht hat, dass ihm den Bösewicht keiner abgenommen hätte.

Damals stand ich selber noch nicht im Ring. Ich war eher eine Art Mädchen für alles, habe als Ordner ausgeholfen und mich durch Anschauungsunterricht im Catchen weitergebildet.

Harry ist alt – über fünfzig auf jeden Fall–, aber er trainiert immer noch ab und zu. Er ist nicht ganz aus dem Leim gegangen. Er sieht immerhin noch so brauchbar aus, dass er bei Bermuda Smith als Rausschmeißer unterkommen konnte.

»Yo, Eva«, sagte er. Er gab mir die Tüte, die wie immer zugeklebt war. »Du siehst aus, als ob du gleich einen Anfall kriegst.

»Ich bin nicht gut drauf, Harry«, sagte ich.

»Nein?«, sagte er. »Hast du Lust, später noch mal vorbeizukommen und ein bisschen mit anzupacken?«

»Wobei?«

»Neue Band. Viel Betrieb. Könnte heiß hergehen, deshalb brauchen wir nachher Verstärkung. Willst du den Job?«

»Kommt drauf an, was Mr. Cheng noch von mir will.« Ich war mir nicht sicher, ob Mr. Cheng es gern gesehen hätte, wenn ich für Bermuda Smith arbeitete. Aber das Angebot reizte mich. Und es ging mir schon wieder besser, seit ich wusste, dass Harry Richards mir den Job zutraute.

»Weißt du was, Harry?«, sagte ich, nachdem ich es mir überlegt hatte. »Wenn ich frei bin, komme ich.«

Wir gingen zusammen zur Tür.

Ich sagte: »Was ist denn das für ein Saftsack an der Bar?«

»Welcher?« Harry drehte sich um. »Der ist harmlos, Eva. Ist bloß ein Künstler. Wohnt in Holland Park. Trinkt gerne, spielt gerne Saxophon mit der Band. Wenn sie ihn lassen.«

Er grinste und fügte hinzu: »Spielt beschissen, Eva.«

Was sie nicht umbringt

Подняться наверх