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Mein Zuhause war ein aufgebockter Wohnanhänger.

Der Besitzer von dem ganzen Krempel kauft nicht nur gebrauchte PKWs und Nutzfahrzeuge, sondern manchmal auch Caravans und Wohnmobile. Meine Kiste hatte fast ihr ganzes Leben in der Gegend von Poole Harbour in Dorset verbracht, und wenn das Wetter feucht genug ist, mieft die Einrichtung immer noch nach Salzwasser und Meeresschimmel.

Ich hätte ja lieber einen fahrbaren Untersatz mit Rädern, dann könnte ich ihn im Notfall an einen Wagen hängen und mit Sack und Pack umziehen. Um einen stillgelegten Hänger vom Fleck zu kriegen, musst du ihn auf einen Laster hieven, und so was braucht seine Zeit. Aber als der Besitzer mich eingestellt hat, konnte er mir nur diese Kiste ohne Räder anbieten. Und – Mief hin oder her – ich musste zugeben, ein Platz im Obdachlosenasyl konnte dagegen nicht anstinken.

Zu der Zeit passte mein gesamtes Hab und Gut noch in eine Plastiktüte. In den sechs Monaten, die ich in dem Hänger wohne, hat sich ein bisschen mehr angesammelt, aber ich kann mir etwas darauf einbilden, dass ich trotzdem im Falle eines Falles innerhalb von zehn Minuten mit dem Nötigsten bepackt und abmarschbereit sein könnte.

Ich will dir ein Geheimnis verraten – ich schleppe ständig eine Zwei-Unzen-Tabaksdose mit mir herum, und in dieser Dose habe ich alles, was ich zum Licht- und Feuermachen, zum Kochen und für kleinere Wehwehchen brauche. Wachsstreichhölzer, eine flach geschabte Kerze, Skalpellklingen, Draht, ein Sägeblatt, wasserfestes Pflaster, Nadel und Faden, Aspirin, Teebeutel und Brühwürfel. Schon erstaunlich, was man alles in einer Zwei-Unzen-Tabaksdose unterbringen kann, wenn man wissenschaftlich vorgeht.

Die Idee habe ich aus dem SAS Survival-Handbuch. Ich fühle mich sicherer damit, und ich kann es nur jedem empfehlen, der regelmäßig mitten in der Nacht hochschreckt, weil er vor Überschwemmungen, Feuersbrünsten, radioaktiven Niederschlägen oder Obdachlosigkeit Angst hat. Lass dir eins gesagt sein: Sei stets auf das Schlimmste gefasst, dann schläfst du besser.

Die Nacht ist für mich die schlimmste Zeit. Ich gehe lieber weg und unternehme was, als dass ich alleine im Dunkeln liege und nicht einschlafen kann. Darum ist dieser Nachtwächterjob auch so ideal für mich. Ich darf nicht einschlafen, und wenn ich Gesellschaft brauche, sind immer Ramses und Lineker da oder ich kann durch den Zaun mit irgendwelchen Nachtschwärmern ein paar Worte wechseln.

Nachdem ich meinen Rundgang beendet hatte, ging ich zum Hänger, weil ich Kohldampf hatte. Ein Briefumschlag klebte an der Tür. Ich riss ihn auf und las den Zettel im Licht der Taschenlampe. Er war von heute, und es stand eine Nachricht darauf: Morgen Abend um sechs, Mr. Cheng.

Mr. Cheng macht nie viele Worte. Mr. Cheng ist überhaupt ein sehr zugeknöpfter Mensch. Wahrscheinlich glaubt er, ich kann nicht lesen und er tut mir einen Gefallen, wenn er mir kurze Briefe schreibt. Er meint, alle Nicht-Chinesen wären dumm, und verglichen mit Mr. Cheng sind sie es vielleicht sogar. Ich könnte ihn jederzeit kleinkriegen und in die Tasche stecken. Aber das würde ich mir nie erlauben, weil sich Mr. Cheng nämlich keine Unverschämtheiten gefallen lässt.

Ich steckte den Zettel ein und schloss die Tür auf.

Ich war sehr zufrieden. Was Mr. Cheng auch von mir wollte, es lief auf jeden Fall darauf hinaus, dass ich mir morgen ein bisschen Knete nebenbei verdienen konnte. Extraknete ist nie zu verachten. Mit diesem Job verdiene ich mir das Nötigste – ein Dach über dem Kopf und was zum Essen –, aber wenn ich was auf die hohe Kante legen oder mir die Zähne richten lassen will, brauche ich einen kleinen Nebenverdienst. Deshalb das Catchen und Mr. Cheng.

Ich ließ die Hängertür offen, damit der Meeresmief abziehen konnte. Ehrlich gesagt, miefte ich selber nicht schlecht. Wegen dem Krach mit dem Macker der Blonden Bombe hatte ich mich in Rübenstadt nicht waschen können.

Harsh sagt, ein Kämpfer muss in Dingen der Körperpflege immer hundertprozentig auf sich achten, also pumpte ich mir Wasser hoch und setzte zwei volle Kessel aufs Gas.

Ich habe auch einen Heißwasserboiler, aber der braucht Strom, und ich verbrauche im Hänger keinen Strom. Wer Strom verbraucht, kriegt Stromrechnungen. Der Hänger ist ans Netz angeschlossen und hat einen Zähler, aber der Mensch, der den Zähler abliest und entscheidet, was ich zu blechen habe, ist Mr. Gambon. Und nachdem er mich in den ersten Monaten ein paarmal saftig übers Ohr gehauen hat, habe ich beschlossen, dass ich auf den Scheißstrom verzichten kann. Ich habe Taschenlampen, und ich habe Gas. Wenn das Gas alle ist, besorge ich mir eine neue Flasche, und wenn die Batterien leer sind, kaufe ich mir neue.

Ich bin mein eigener Herr. Stimmt’s?

Nachdem ich mich gewaschen hatte, zog ich mir einen sauberen Trainingsanzug an. Dann machte ich mir eine Kanne Tee und wärmte ein paar Büchsen Eintopf auf. Harsh sagt, ich soll grünes Gemüse essen, aber in dem Eintopf waren nur Kartoffeln und Möhren. Zwar nicht gerade grün, aber immerhin Gemüse, das musste reichen. Harsh sagt auch, dass ich kein Weißbrot essen soll. Aber ich mag kein Graubrot und vor allem kein Vollkornbrot, mit den ganzen Körnern drin. Es kommt vor, dass man sich Zahnschmerzen einfängt, wenn man draufbeißt.

Es kommt auch manchmal vor, dass ich denke, Harsh redet nur Scheiße. Fast alles, was er mir rät, ist entweder anstrengend oder es schmeckt nicht.

Kompromissbereit aß ich zwei Schnitten Weißbrot und zwei Schnitten Graubrot.

Beim Essen starrte ich mein Plakat an. Ich hatte die Taschenlampe so hingestellt, dass das Licht voll darauf fiel. »Eva Wylie«, stand darauf, »Die Londoner Killerqueen«.

Auf dem Foto sah ich nach rechts in die Kamera. Ich war ganz in Schwarz und ließ meinen Bizeps spielen. Kein schlechter Bizeps, auch wenn ich es selber sage.

»Brutal«, sagte ich zu mir. »Echt brutal.«

Es gab mir das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gab mir das Gefühl, real zu sein.

Aber nach einer Weile sah ich nach unten in den Topf. Ich sollte nicht aus dem Topf essen, ich weiß, aber ich bin ja alleine, also macht es nichts. Die verkrusteten Eintopfreste auf dem Boden erinnerten mich irgendwie an die toten, von vielen Wagen plattgefahrenen Füchse auf der Straße.

Ich fragte mich, wo wohl die Zeit geblieben war, und schon ging es mir nicht mehr so gut. Die Zeit macht das manchmal – offenbar spielt sie Bockspringen mit sich selber. Und dann fühlt man sich ganz verloren.

Lineker bellte, also riss ich mich zusammen und sah nach, was anlag.

Lineker ist ein schönes Tier. Nichts als Muskeln. Sein kurzes Fell ist so glänzend, dass es aussieht, als hätte ihn einer mit der Spraydose eingesprüht. Aber sein Bellen … irgendwie fistelig und übergeschnappt, wie die Stimme eines kleinen, rothaarigen Mannes.

Ramses hat O-Beine und einen Stiernacken. Er bellt nicht oft, aber wenn er bellt, hört es sich an wie ein Elektrobass – eigentlich ziemlich melodisch, aber auch gefährlich.

Vor dem Zaun standen zwei Jugendliche, die mit Stöcken nach Lineker stocherten. Lineker war total aus dem Häuschen. Aber Ramses stand im Dunkeln und wartete.

Wenn du zwei Jungs auf einem Haufen siehst, hast du zwei Leute vor dir, die was im Schilde führen. Das weiß jedes Kind. Ich wette mit dir um einen Wochenlohn, dass drei Viertel von allem Unheil auf dieser Welt von männlichen Jugendlichen im Alter zwischen acht und achtzehn Jahren angerichtet wird.

Was soll’s? Solange sie in meinem Revier nichts anrichten, kann es mir egal sein.

Ich sagte: »Ihr seid aber spät noch unterwegs.« Bloß nichts überstürzen, das ist die Devise. Ich hätte sie sofort wegjagen können, aber ich behielt meine relaxte mentale Einstellung bei. Wenigstens mal jemand, mit dem man reden konnte.

Der Bursche mit dem Stock trat vom Zaun weg. Sein Kumpel sagte: »Wir haben bloß mit dem Hund geredet.«

»Seid lieber vorsichtig«, sagte ich. »Er ist ziemlich bösartig.«

»Mein Bruder hat einen Dobermann«, sagte der Junge mit dem Stock zu niemand Bestimmtem. Sein Kumpel glotzte mich komisch an.

»Du bist ja gar kein Kerl«, sagte er plötzlich. »Du bist ja ’ne Tussi.«

»Das gibt’s doch nicht!«, sagte sein Kollege.

»Ungelogen.«

»Godzilla!« Er schmiss den Stock an den Zaun, und sie hauten ab. Lineker stürzte mit wütendem Gebell hinter ihnen her.

»Verpisst euch, ihr Arschgesichter!«, brüllte ich.

Eigentlich schade. Seit die Polizei die Mädels aus der Mandala Street umquartiert hat, ist es in dieser Ecke ein bisschen ruhig geworden. Ich hätte schon Glück haben müssen, wenn ich bis um halb acht, wenn ich den Männern den Platz aufsperrte, noch mit irgendwem ein Wort wechseln konnte.

Die Typen reden nicht viel mit mir, aber sie respektieren mich.

Sie respektieren mich aus zwei Gründen. Erstens – ich kann mit den Hunden umgehen. Zweitens – es sind keine Diebstähle mehr vorgekommen, seit ich hier das Kommando habe. Nicht ein einziger.

Mehr erwarte ich auch gar nicht. Nur ein bisschen wohlverdienten Respekt.

Was sie nicht umbringt

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